Idun hat soeben ein Telefonat mit Lennart, dem Erzieher, beendet. Seine Beschreibung des Mannes, der sich als Mats von der Haustechnik ausgegeben hat, war recht vage und hat kaum etwas ergeben, womit sie arbeiten könnten. Groß, muskulös, helle Augen. Jenny schien von ihm hingerissen gewesen zu sein. Sie fehlt uns hier bei der Arbeit, aber wir verstehen natürlich, dass es noch eine Weile dauert, bis sie zurückkommt.

Es klopft an der Tür. Idun wirft einen Blick auf die Uhr, es ist Viertel nach zehn Uhr abends. Calle klopft nie an; wer ist denn sonst noch so spät bei der Arbeit?

Sie weckt ihren Laptop aus dem Stand-by-Schlaf und ruft: »Herein.« Als die Tür aufgeht, späht Eivor Bohm durch den Türspalt.

»Hallo …«

Idun sieht überrascht zu ihr hoch.

»Eivor? Es ist quasi mitten in der Nacht … Wie kommen Sie denn hier rein?«

Die ältere Dame sieht zutiefst unglücklich aus.

»Ich konnte nicht schlafen. Ich habe versucht, Sie zu erreichen, bin aber nicht durchgekommen, sodass ich stattdessen Carl angerufen habe. Er hat mich unten am Eingang abgeholt, muss wohl noch kurz zur Toilette, kommt aber gleich. Er meinte, ich könnte so lange zu Ihnen gehen. Ich hoffe, das ist in Ordnung?«

Idun steht auf und geht Eivor entgegen. Sie geben einander die Hand und setzen sich, Idun auf ihre Seite des Schreibtischs, Eivor auf den Besucherstuhl.

»Ich bin gekommen, weil ich sonst noch verrückt geworden wäre. Ich weiß einfach nicht, wie ich klarkommen soll … Ich weiß nicht, was ich mache, wenn Sie sie nicht finden …«

Ellens Großmutter fängt an zu weinen. Idun wartet geduldig, bis sie sich wieder beruhigt hat. Nach einer Weile beugt Eivor sich vor und lässt den Blick über Iduns Schreibtisch wandern. Und erstarrt.

»Was ist das?«

Idun blickt hinab auf den Ausdruck des Briefes an Åke, der neben ihrem Laptop liegt.

»Der ist Teil einer anderen Ermittlung. Erkennen Sie den Text wieder?«

Eivor sieht aus, als grübelte sie über etwas nach. Dann schüttelt sie langsam den Kopf.

»Nein. Oder … doch. Ich weiß nicht. Ich glaube schon.«

Beide zucken zusammen, als Iduns Telefon klingelt. Mit einer entschuldigenden Geste in Eivors Richtung nimmt sie den Anruf entgegen.

»Idun Lind?«

Es knistert in der Leitung. Dann ist ein Flüstern zu hören.

»Idun Lind? Hier ist Caroline Hofverts. Die Nachbarin von Eva und Vidar.«

Idun seufzt tonlos. Natürlich weiß sie, wer Caroline ist. Sie kommt nicht dazu zu antworten, weil Caroline bereits weiterflüstert.

»Sie haben doch gesagt, dass ich anrufen soll, wenn irgendwas wäre …«

Im selben Moment geht die Tür auf, und Calle kommt herein. Er nickt Eivor und dann Idun zu, die vage die Hand hebt.

»Ja, Caroline? Worum geht es?«

Sie sieht, wie Calle die Ohren spitzt.

»Da ist jemand im Haus der Vendels. Das Licht ist aus, aber ich kann ihn trotzdem sehen.«

Idun steht halb von ihrem Stuhl auf.

»Es ist jemand im Haus der Vendels?«

Sie sieht Calle durchdringend an.

»Ja, sag ich doch …«

Caroline klingt aufgebracht.

»Kann das jemand von uns sein? Von der Polizei?«

Erneut knackt es in der Leitung. Idun atmet lautlos, sieht, wie Eivor abermals interessiert den Bibeltext auf dem Tisch studiert.

»Es ist eindeutig ein Einbrecher. Er ist von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, hat eine schwarze Sturmhaube auf und ist über den Balkon eingestiegen.«

Idun wirft Calle einen gehetzten Blick zu. Er steht reglos mitten im Zimmer.

»Jetzt sehe ich ihn wieder! Er geht mit einer Taschenlampe herum – ich kann sie bis hierher sehen!«

»Caroline, danke, dass Sie sich gemeldet haben. Wir schicken sofort Kollegen hin.«

Idun drückt den Anruf weg, ohne dass Caroline noch etwas sagen könnte. Calle legt Eivor die Hand an den Arm und zieht sie fast von ihrem Stuhl hoch, während er gleichzeitig angestrengt erklärt, dass sie jetzt gehen müsse.

Unterdessen schnappt Idun sich ihre Schutzweste und nimmt ihre Dienstwaffe aus dem verschlossenen Waffenschrank unter ihrem Schreibtisch. Eivor sieht Calle erschrocken an, als er sie hinaus auf den Flur schiebt.