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Die Blicke waren ihr wohlbekannt. Sie fuhren tastend über ihren Körper, wach und neugierig, und sie endeten stets in ihren Augen, dann fühlten sie sich ertappt wie pubertierende Jungs und senkten den Blick.
Lona Mendt hatte ihre Triumph Bonneville direkt vor dem Plattenbau neben dem fahrenden Labor der KTU abgestellt, den Helm vom Kopf gezogen und die blonden, knapp schulterlangen Haare geschüttelt. Sie trug schwere schwarze Boots, falls sie mit dem Retro-Motorrad stürzte. Dazu enge Jeans und eine Lederjacke. Kein Ring, keine Kette, keinen Ohrring. Nur dezent geschminkt.
Vor der fraglichen Wohnung überwachten zwei Streifenbeamte den Tatort hinter einem Absperrband, ein junger Kollege, keine fünfundzwanzig, und ein korpulenter mit weinroter Nase, Ende fünfzig oder drüber.
Der Ältere stellte sich ihr auf behutsame Art in den Weg. »Tut mir leid, Fräulein, kein Durchgang hier.«
Lona Mendt nickte und öffnete die Lederjacke, um ihren Dienstausweis zu zücken. Dabei sah der Streifenbeamte die Walther P99 mit dem Handgriff für Linkshänder, die die Frau seitenverkehrt rechts trug. Den Knauf nach vorne gerichtet. Griffbereit. Sie hielt ihm ihren Dienstausweis hin.
»Ach so.«
»Ja.«
Sie hob das Band an, schlüpfte darunter hindurch und betrat die Wohnung. Sah das Klingelschild. Handgekritzelt. Das gesplitterte Holz des Türrahmens. In der Wohnung summte es wie in einem Bienenstock. Die Mitarbeiter der KTU liefen in weißen Anzügen wie Astronauten durch die Wohnung. Mit Kapuzen und Mundschutz, nur ihre Augen machten sie unterscheidbar.
Sie sprühten und pinselten an Türklinken, Zargen, Büchern, Möbeln, sie vermaßen den Tatort mit Lasergeräten, unablässig gleißten Blitzlichter auf, wenn die Beamten etwas auf Fotos festhielten. Es roch nach Chemikalien und Eisen.
Ihr Kollege Frank Elling saß auf einem Hocker im Flur und rauchte, er war ziemlich blass. Er hatte eine abgegriffene Kladde auf seinen Oberschenkeln abgelegt und machte sich Notizen.
»Morgen, Elling.«
»Morgen.«
Das Surren schwoll mit jedem Meter an, den Lona Mendt in die Wohnung hineinging – und das aus dem Badezimmer zu stammen schien.
Sie deutete mit dem Kopf in den dunklen Raum und sah Elling dabei fragend an. Der nickte.
»A. Beck ist wer?«, fragte sie, während sie sich die Einweghandschuhe überstreifte.
»Alexander Beck«, meldete sich eine Stimme hinter ihr, zu der Lona sich umwandte: Lisa Schneider, mit nur 35 Jahren leitete sie die KTU . Im Gegensatz zu Elling verfügte sie über einen robusten Magen. Sie hatte den Mundschutz unters Kinn geklemmt, um Lona die Informationen zu geben.
»Alexander Beck. Alleinstehend. Arbeitslos. 47 Jahre alt. Ehemaliger ostdeutscher Staatsbürger. Kinderlos«, las sie wie aus einem Telegramm vor.
Lona betätigte den Lichtschalter und trat ins Bad. Von dem entblößten, kopfüber von der Decke hängenden Toten stoben eine Unzahl an Fliegen surrend auseinander.
Lona fächelte sie instinktiv mit einer Hand beiseite.
»War Dr. Pramann schon da?«
»Ja«, hörte sie Elling im Flur, der ihr und Lisa Schneider nicht gefolgt war, »er sagt, das Opfer ist mit ziemlicher Sicherheit an dem Kehlenschnitt gestorben. Der Täter ist vermutlich ein Linkshänder. «
Der Schnitt war nicht zu übersehen, aber die Tiefe wegen des geronnenen Blutes nur schwer zu erahnen. Schädel und Oberkörper des Mannes waren von Stich- und Schnittwunden übersät. Unten, in der Badewanne, hatte sich eine Lache gebildet, die ins Schwärzliche überging.
»Er hat eine schwarze Socke im Rachen«, fuhr Elling von draußen aus fort, »vermutlich verschluckt. Pramann will ihn heute noch obduzieren, Ergebnisse gibt es morgen.«
Lona nickte unbewusst, obwohl Elling sie nicht sehen konnte. Sie beugte sich vor und betrachtete intensiv das Gesicht des Toten, das nahezu komplett mit Blut bedeckt war. Der geöffnete Mund, die weit aufgerissenen Augen, in denen Lona Mendt noch Entsetzen zu erkennen glaubte. Am dicksten wölbte sich die Schicht des geronnenen Blutes an der Stirn. Dann widmete sie sich den vielen, kleinen Verletzungen.
»Ist er mal erkennungsdienstlich behandelt worden?«
»Nein«, antwortete Lisa Schneider, »nicht vorbestraft. Sozialhilfeempfänger. Gebürtiger Leipziger. Seit 1994 hier in Rostock gemeldet.«
Die Leiterin der Spurensicherung schlug unvermittelt zu und erwischte eine der Fliegen, die sie aufhob und musterte.
»Dann hängt er schon eine Weile hier«, vermutete Lona Mendt mit einem Seitenblick auf das Insekt.
Schneider wiegte den Kopf leicht hin und her: »Die blaue Schmeißfliege … eine Calliphoridae, aber das wird der Entomologe sich genauer ansehen. Das heißt, ein schwangeres Schmeißfliegenweibchen kann einen Toten auf mehr als hundert Meter riechen. Und wenn sie ihre Eier in der Leiche abgelegt haben, schlüpfen die ersten Larven schon nach 15 Minuten, besonders wenn’s warm ist. So wie jetzt.«
»Er hatte einige Fenster auf Kippe«, bestätigte Frank Elling. »Der Gerinnungsstatus des Blutes spricht auch dafür, dass es noch nicht lange her ist. Ist jedenfalls Pramanns Einschätzung.«
»Das Badezimmer ist aber nicht der Tatort, richtig?«
»Das stimmt«, sagte Lisa Schneider, »wie es aussieht, ist Herr Beck im Wohnzimmer ermordet und dann hier aufgehängt worden.«
Das ließ sie stutzen.
»Das ist bemerkenswert«, sagte Lona Mendt dann.
»Weil?«, wollte Schneider wissen.
»Weil die Tür zwar angelehnt, aber aufgebrochen war, und der Täter trotzdem Zeit darauf verwandt hat, die Leiche hierherzuschaffen und sie an der Decke zu befestigen«, kam Elling ihr zuvor. »Obwohl er dabei jederzeit hätte entdeckt werden können.«
Lona nickte der KTU -Frau zu. Elling hatte ihren Gedanken fast beängstigend exakt wiedergegeben. Er erschien dafür jetzt sogar in der Tür und atmete durch den Mund, um den Geruch für sich auf ein Minimum zu reduzieren.
Manchmal las sie in seinem Gesicht dieselbe Überraschung, die sie empfand, wenn sich zwischen ihnen diese stumme Übereinstimmung einstellte. Ein rätselhafter Gleichklang, dem sie beide nicht ganz über den Weg trauten.
Denn es gab so gut wie nichts, in dem sie ansonsten übereinstimmten. Frank Elling lebte mit seiner Tochter und seiner Frau in seinem Haus in Rostock-Brinckmannsdorf. Fest verwoben in ein Netzwerk aus Kollegen, Nachbarn, Freunden, mit denen er auf dem großen Fernseher im Wohnzimmer Fußball schaute oder auf der Terrasse grillte. In der Nachbarschaft half man sich gegenseitig mit ein paar Eiern oder Dosentomaten aus, eben das, was an einem Sonntag so fehlte, wenn die Supermärkte geschlossen hatten. Und im Winter schippte man auch die Ausfahrt des Nachbarn mit frei.
Gemeinsam nicht viel Aufhebens machen.
So war das Leben im Ringelrankenweg.
Lona Mendt dagegen blieb nie lange an einer Stelle. Im Augenblick parkte das Wohnmobil, in dem sie wohnte, auf dem Campingplatz in Markgrafenheide, keine dreihundert Meter von der Ostsee entfernt und fünf Kilometer von Rostock-Toitenwinkel. Sie hatte es mit jedem Monat des Gebrauchs immer weiter an ihre Bedürfnisse angepasst. Etwa, dass die Bonneville hinten in den Laderaum passte. Gesägt, gebohrt, Leitungen verlegt, Ventile eingestellt.
Morgen, in ein paar Tagen oder vielleicht erst in einem halben Jahr würde sie die Anschlüsse für Wasser und Strom abschrauben und woanders hinfahren. Vielleicht an die Unterwarnow. Vielleicht zu einem Bauernhof. Oder einfach auf einen Feldweg.
Und wenn jemand anklopfte und erklärte, sie dürfe dort nicht stehen, hatte sie bisher immer einen Kaffee angeboten und mit spielerischer Beiläufigkeit ihren Dienstausweis präsentiert. Zumindest eines der beiden wirkte Wunder und zusammen bildeten sie ein unschlagbares Doppel.
Es gab nichts, was sie lange hielt. Sie war erst vor knapp 15 Monaten von Hannover auf eigenen Wunsch nach Rostock versetzt worden. In der Rostocker Kripo galt sie auch wegen ihrer Lebensumstände als eine Exotin.
Seit dem Mauerfall vor vierzehn Jahren war man hier eine Menge gewöhnt. Die erste Begeisterung war gewichen, als die Wessis eingefallen waren und sie seitdem wie Menschen zweiter Klasse behandelten. Mit ihrem Hang zur Rechthaberei. Sie trimmten Abläufe auf Effizienz, sie korrigierten die falsche Verwendung des Genitivs, sie kanzelten einen vor versammelter Mannschaft ab – und sie waren echte Denunzianten. Immerhin war man wenigstens Letzteres gewohnt.
Aber Lona Mendt war nichts von alledem, sie verbesserte oder korrigierte niemanden. Sie verhielt sich auch nie abschätzig, sondern kooperativ. Gleichzeitig übertraf sie all ihre Vorgänger in puncto Unnahbarkeit. Sie gab nichts über sich preis, blieb dabei aber freundlich. Und eine Kommissarin, die in einem Wohnmobil lebte, das kannte man nur aus amerikanischen Filmen.
Mareike fand die Kollegin selbstredend cool. Elling hatte Mendt nach vier Monaten zu sich eingeladen, zum Grillen, versteht sich. Susanne versteckte ihre Neugier hinter der Aussage, dass der gute Ton das gebiete .
Sie und Lona tauschten ein paar höfliche Allgemeinplätze, sie bemühten sich, einander interessant zu finden, aber sie tickten unterschiedlich.
Mareike klebte Lona Mendt dafür umso mehr an den Lippen. Sie überlegte, ob sie auch ihren Motorradführerschein machen sollte, aber Lona riet ihr ab – zu gefährlich. Susanne dankte ihr dafür. Und gähnte nach dem Dessert mehr oder minder offensichtlich hinter vorgehaltener Hand. Lona hatte sich recht bald verabschiedet.
Im Gegensatz zu Elling schob Lona Mendt auch Überstunden, wenn es sein musste. Und sie hatte eine gute Intuition. Wenn es überhaupt so etwas wie eine Schnittmenge zwischen ihnen gab, dann verlief sie hier – ihr Bauchgefühl trog sie beide höchst selten.
»Hast du mal in Hannover nachgehorcht, was mit der nicht stimmt?«, hatte Mertens ihn bei Königsberger Klopsen in der Kantine gefragt.
»Nein.«
»Nein?«
»Nein. Was soll denn mit ihr nicht stimmen? Sie lebt in einem Wohnmobil – und?«
»Und findest du das nicht merkwürdig?«
»Sie ist eine gute Polizistin.«
Mertens schob sich einen Haufen Rote Bete in den Rachen, der statisch unmöglich war.
»Du hast mir nicht geantwortet«, sagte Mertens mit vollem Mund.
»Doch, aber du hast es nicht verstanden.«
»Vorsicht, Elling, ich bin dein Vorgesetzter.«
»Aber nur noch fünf Jahre.«
Mertens nickte und strahlte.
Lona Mendt war komplett autark. Sie brauchte niemanden. Das schloss sie alle auf gewisse Weise aus. Und zog sie alle auf die eine oder andere Weise an, und sei es nur, dass man sich Gedanken über die Neue aus Hannover machte .
Lona Mendt wandte sich ab, um das Badezimmer zu verlassen, als sie die Kontur entdeckte. Eine leichte Wölbung im verkrusteten Blut auf der Stirn des Opfers.
Eine Gerade.
Sie machte kehrt und beugte sich vor.
»Was ist?«
»Da ist unnatürlich viel Blut auf der Stirn«, antwortete sie ihrem Kollegen, »und da ist eine Gerade. Und …«
Sie benetzte ihren linken Einweghandschuh mit etwas Wasser.
»Und die Natur zieht keine Geraden«, kleidete Elling ihre Gedanken in Worte.
»Ja«, bestätigte sie, »es gibt keine absolute Gerade, an der kein Mensch beteiligt ist.«
Sie fuhr mit ihren feuchten Fingerspitzen an jener Stelle, an der sie die Gerade entdeckt hatte, sanft über die Stirn des Mordopfers. Das verkrustete Blut löste sich Schicht um Schicht, lief zögerlich von der Mitte des Schädels hinab, bis es schließlich in der Lache in der Wanne aufschlug.
Es erschien ein länglicher Schnitt, der die Ursache der Geraden darstellte. Aber von dem Schnitt gingen an dessen Enden jeweils zwei in einem spitzen Winkel ab. Der untere nach oben und der obere nach unten, sodass sie sich kreuzten. Lona Mendt und Elling hätten das für eine versehentliche Schnittkombination halten können – wenn die paar Wassertropfen nicht noch mehr Blut verdünnt hätten und jetzt rechts davon ein »E« freilegten.
»D-E«, sagte Elling und vergaß für einen Moment das Surren der Fliegen, das ihm auf den Magen schlug. Lona nickte. Leichte Aufregung hatte von ihr Besitz ergriffen.
Sie zog ein Papiertaschentuch aus ihrer Jacke, ließ Wasser darüber laufen und wischte mit sanftem Druck über die Stirn des Ermordeten. Im Bad war es mucksmäuschenstill. Die Leiterin der Spurensicherung, die so schnell nichts beeindrucken konnte, hielt die Luft an. Weitere drei Buchstaben erschienen.
»D-E-R-F-I«, verband Elling diejenigen Buchstaben, die die Kollegin freigelegt hatte .
Mendt fuhr Beck links und rechts über die Stirn.
»Kinderficker«, sagte Schneider leise. Für einen Augenblick rührte sich keiner von ihnen, zu sehr waren sie bemüht, zumindest einen der vielen auseinanderstiebenden Gedanken zu erfassen, die diese Nachricht des Täters an sie auslöste.
»Das Tatmotiv würde zu den vielen Verletzungen passen«, stellte Lona Mendt ruhig fest.
»Inwieweit?«, fragte Schneider.
»Der Täter stand zu seinem Opfer in einem persönlichen Verhältnis. Es waren eindeutig starke Emotionen im Spiel. Wenn ich einen Menschen töten will, steche ich einmal zu, vielleicht zweimal und dreimal, aber das hier«, sie deutete mit dem Kopf auf den von der Decke baumelnden Leichnam, »da war jemand in purer Raserei unterwegs. Anders sind die Unmengen an Stichverletzungen psychologisch nur schwer einzuordnen.«
Lisa Schneider verstand.
»Und er hat sich für seine Tat nicht geschämt, sonst hätte er die Leiche abgedeckt. Ganz im Gegenteil, der Mörder hat sie ausgestellt. Über Kopf ausbluten lassen – da drängt sich doch sofort eine Assoziation auf.«
»Wie ein Schwein«, sagte die KTU -Leiterin sofort. Mendt nickte.
»Das passt vielleicht auch zu dem Mädchen«, fügte Elling hinzu.
»Mädchen?«
»Können wir das im Flur besprechen?« Er wartete Mendts Reaktion gar nicht erst ab, sondern zog sich aus dem Bad zurück.
»Ich will sowieso noch ins Wohnzimmer«, antwortete sie und folgte Elling. Im Vorbeigehen registrierte sie die aufgerissenen und durchwühlten Schubladen.
»Und gesucht hat er auch was.«
»Vielleicht einen Hinweis auf sich«, sagte Elling und blieb im Wohnzimmer stehen, in dem sich im Augenblick keiner der Kriminaltechniker befand. Auch hier war alles durchsucht worden. Lona Mendt entdeckte sofort den großen Blutfleck auf dem Teppich .
Der mutmaßliche Tatort.
»Was für ein Mädchen?«, hakte Lona nach.
»Das Nachbarskind hat ihn gefunden, eine Anna Molitor, zehn Jahre alt. Sie wollte Herrn Beck um ein paar Süßigkeiten bitten, er hat hin und wieder welche an Kinder verteilt.«
Lona hob aufmerksam den Blick und begegnete Ellings.
»Süßigkeiten an Kinder«, stellte sie fest. In ihrer Stimme schwang etwas mit. Anbahnung an das Opfer.
»Ja.«
»Hat die Kleine die Leiche gesehen?«
Frank Elling schüttelte den Kopf: »Sie hat nur einen Umriss gesehen, die Fliegen gehört. Und natürlich gesehen, dass hier alles verwüstet worden ist. Sie ist zu ihrer Mutter, die hat nachgesehen und den Notruf abgesetzt. Die sind gerade beim Psycho. Wir können sie später sprechen.«
»Hat er einen Computer?«
»Das Ding da«, sagte Elling und deutete auf eine Kommode, auf der ein klobiger PC samt Röhrenmonitor mit bernsteinfarbener Schrift mit dem Laptop der KTU verkabelt war. Lona trat an sie heran.
»Frau Schneider hat dafür gesorgt, dass die Festplatte gespiegelt wird. Browserverlauf ist schon ausgelesen.«
»Und sonst überprüft?«
»Nein.«
»Dann bin ich jetzt auf dem Stand?«
Elling nickte und zündete sich eine Zigarette an, während Lona sich durch die Verzeichnisse des Toten klickte, nachdem die Festplatte sich mit einem Knarzen in Bewegung gesetzt hatte und der Lüfter seinen Dienst verrichtete.
»Die KTU nimmt alle Messer mit ins Labor, falls der Täter eines aus dem Haushalt benutzt hat. Ach ja, und an einer Pinnwand in der Küche haben drei Bilder oder Postkarten oder was auch immer gefehlt. Die haben da so lange gehangen, dass die Sonne drum herum alles abgeschossen hat. Man sieht die Ränder. Aber könnte er natürlich auch selbst gewesen sein. «
Damit gab er ihr mit einem Handzeichen zu verstehen, in die gegenüberliegende Küche zu wechseln, was Mendt mit einem Nicken quittierte.
»Ich hab was«, sagte Lona Mendt, bevor er den Flur überquert hatte. Also kehrte er um und las in ihrem Blick, der auf den Monitor des Computers gerichtet war, die seltene Kombination von Ekel, Wut und Mitleid.
Elling trat neben sie. Kinder. Mädchen und Jungs. Leicht bekleidet oder nackt. Auf Fotos und – Mendt klickte eines der Symbole an – auch auf Video. Sie fuhr mit dem vertikalen Balken durch das Verzeichnis hinab. Eine Flut an kinderpornografischem Material stürzte auf sie ein, eine, die kaum enden wollte.
Lona Mendt nahm die Hand von der Maus. »Ich werd so was nie verstehen.«
Elling nickte: »Hier hat sich jemand gerächt. An seinem Peiniger. Oder dem Peiniger eines Familienangehörigen. Entweder hat Herr Beck verkauft oder gekauft. Oder beides. Ich forder bei Mertens Konteneinsicht an.«
»Gut«, antwortete Lona, »kriechen wir in ihn rein.«
So nannten sie es hier bei der Rostocker Kripo, wenn sie die Identität eines Toten anhand vieler Details Stück um Stück ertasteten. Am Ende, wenn sie viele Kleinigkeiten zusammengetragen hatten, entstand eine Art Mosaik des Opfers. So etwas wie ein Profil.