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Frank Elling stand unter der Birke in der Ecke seines Grundstücks und rauchte zusammen mit Paul Westermann eine Zigarette. Die Nachbarn waren da, zwei alte Freunde, seine Frau amüsierte sich, und seine Mutter verputzte mit Heißhunger ein Würstchen, während Mareike sich schon geschlagene fünfzehn Minuten mit dem Austauschschüler Luc, der ein paar Wochen zwei Häuser weiter bei den Illmanns verbrachte, über Wolken unterhielt.
Der Abend war für Frank Elling perfekt. Familie, Freunde, Grillen. Es konnte so einfach sein. Nur der schlaksige Luc sorgte bei ihm für leichte Unruhe, denn es hatte ganz den Anschein, als seien ihm und Mareike das Gesprächsthema einerlei, denn die Augen der beiden erzählten sich etwas ganz anderes.
»Er sieht aus, als hätte er Leukämie«, hatte Elling nach der ersten Begegnung mit Luc gesagt, weil der Franzose so bleich war. Und Susanne hatte seine Bemerkung mit diesem speziellen Seufzer bedacht, ganz flach ausgeatmet, mit dem sie für gewöhnlich ihren Unmut über etwas äußerte, was sie als unabänderlich abgehakt hatte.
Luc betrachtete die Welt durch vier Komma fünf Dioptrien – die dicken Gläser trieben ihm die Nasenplättchen wundrot in die Haut. Aber Mareike war offensichtlich dabei, sich in ihn zu vergucken. In ihn und seine französische Blässe.
»Der Leberfleck da kurz hinterm Haaransatz«, unterbrach Westermann seine Gedanken und tippte an eine Stelle schräg über seinem linken Ohr, »da mach ich dir mal einen Termin beim Kollegen, den lässt du mal untersuchen.«
Westermann war Arzt, er hatte Elling zur Welt gebracht, eigenhändig. (Erika hatte das Taxi zu spät gerufen, wies aber bis heute jegliche Verantwortung von sich: »Frank konnte noch nie abwarten.«)
Westermann jedenfalls, Freund der Familie, war wie Erika mittlerweile Rentner, ein Begriff, den er hasste. Privatier war ihm lieber.
Sein Haupthaar hatte sich in einem jahrelangen Rückzugskampf zu einem silbrigen Kranz formiert. Als hätten sich die letzten Haare zur trotzigen Verteidigung zusammengerottet.
Elling musste lächeln. Arzt zu sein war Westermanns Berufung, er hatte nie Feierabend, seit gut fünfzig Jahren nicht. In seiner Anwesenheit fühlte Elling sich behütet.
»Du hast mir nach meiner ersten Spritze damals einen Bonbon gegeben«, sagte Elling, was Westermann lächeln ließ: »Du hast ja auch Zeter und Mordio geschrien … und nach dem Bonbon hast du alles über dich ergehen lassen. Du warst ein Schlingel.«
Elling musste unwillkürlich mit der Nachsicht eines älteren Bruders über sein jüngeres Alter Ego schmunzeln. Als sein Handy klingelte und das Display den Namen der Kollegin Mendt anzeigte, empfand er ein schlechtes Gewissen, weil er sie nicht eingeladen hatte.
»Ja?«
»In Boltenhagen ist jemand ermordet worden.«
»Wir haben schon einen Fall am Hals.«
»Habe ich Herrn Mertens auch gesagt – er will dich und mich.«
»Weil?«
»Kehlenschnitt. Linkshänder.«