39
Elling wusste nicht mehr, wann er das letzte Mal ein paar Liegestütze absolviert hatte. Aber nach einem seitlichen Blick in den Spiegel vor dem Duschen erschien ihm das geboten. Das Grillen und die Biere und die mangelnde Bewegung hatten sich materialisiert.
Also legte er elf (einhalb) Liegestütze hin. Immerhin. Dann ging ihm die Puste aus.
Nach dem Bad stieg er federnden Schrittes runter in die Küche. Sein Gang fühlte sich plötzlich elastisch an. Geschmeidig und bereit.
Er war alleine und machte sich einen Kaffee, mit dem er auf die Terrasse wechselte. Das Morgenlicht, die Ruhe, der Ringelrankenweg – all das entlockte ihm ein zufriedenes Lächeln. Er zündete sich eine an und freute sich, zu sein. Das Glück lugte manchmal aus den einfachsten Winkeln.
Ein Auto fuhr vor. Die Seitentür, die schnarrte – Bahr & Wildhagen waren im Anmarsch. Sie hoben die Hand zum Gruß und machten sich über den Pool her.
»Kaffee, die Herren?«
»Aber immer.«
Ein paar Minuten später reichte er ihnen die dampfenden Becher. Wildhagen, der Schmale mit Zigarette im Mundwinkel, hantierte an dem Motor der Gegenstromanlage herum. Sein Kollege Bahr werkelte an der Außendusche.
Elling hörte Schritte hinter sich. Er blickte über die Schulter: Mareike. Mit irgendeinem gesunden grünen Tee in der Hand.
»Morgen, Papa.«
»Morgen. «
Sie nahmen sich zur Begrüßung in den Arm. Und Elling übertrieb es nicht, er hielt seinen Augapfel nur so lange, wie sie den Arm um ihn legte. Sie stand neben ihm und betrachtete den Pool.
»Mal ehrlich, ist der nicht ein bisschen groß?«
»Nein.«
Mareike nickte, aber Elling merkte, dass sie ihn trotzdem zu groß fand. Er deutete auf die Dusche: »Der Duschkopf hat 12 Massagefunktionen.«
»Wow.«
»Oder?«
»Scheiße.«
Das war Wildhagen, der die Gegenstromanlage testete.
Elling trat näher: »Was ist?«
»Ach, die Spule in der Pumpe ist irgendwie falsch gewickelt. Ich schick da ohne Ende Spannung rein, und die meldet mir nur 35 Volt zurück … Mist … müssen wir austauschen, tut mir leid. Ich dachte, wir werden heute fertig.«
»Aber baden kann man schon?«, fragte Mareike.
Wildhagen nickte, während er sich eine neue Zigarette anzündete: »Wir heizen gerade auf. Baden geht. Nur die Gegenstromanlage, da müssen wir die Pumpe noch austauschen.«
»Und wann?«, wollte Elling wissen.
Der schmale Mann hob die Unterarme, als läge das im Ermessen einer höheren Macht: »Tja, mal sehen, wie schnell die liefern. Vorrätig müssten die die haben, eigentlich. Mit Kurier … vielleicht übermorgen?«
Da fing Elling den Blick seiner Frau auf, die sich in der Küche einen Kaffee aus der Maschine ließ. Susanne lächelte. Es kam noch nicht von Herzen, aber es war ein Anfang. Alle ihre Träume von einem Leben an der Seite eines Oberbürgermeisters waren dahin. Das musste man bedenken. Sie brauchte jetzt etwas Zeit. Ein paar Tage noch, dann würde es sich schon mehr eingerenkt haben. Er hob die Hand zum Gruß und lächelte zurück.
Sein Handy klingelte – Lona.
»Morgen. «
Er hörte die Erregung in ihrer Stimme: »Was ist passiert?«
»Ich habe eine Ziffernfolge als SMS bekommen: 53.252698, 13.023727.«
»Äh, von wem?«
»Die Rufnummer war unterdrückt. Niemann sagt, es lässt sich nicht zurückverfolgen.«
»Aber … was ist das? Die Zahlen?«
»Das ist eine GPS -Position. Und da fahr ich jetzt hin.«
»Aber nicht alleine, bitte. Wo ist das?«
»Nicht weit von hier. In Jabel.«
»Ich komm raus. Soll ich dich aufgabeln?«
»Ich nehm die Bonneville.«
Lona wartete neben ihrer Maschine und vor dem Anwesen auf Elling, der zehn Minuten später eintraf. Es war kurz nach elf. Sie hatte den Helm auf dem Sitz der Triumph abgesetzt, trug aber noch die dunkelbraune Lederjacke. »Morgen, Elling.«
Er nickte ihr als Begrüßung zu und lächelte dabei.
Sie zeigte ihm die SMS , die die Ziffernfolge enthielt. Plus zweier Worte, die ausgeschrieben Ziffern wiedergaben: drei, zwei.
»Drei Komma zwei, was soll das bedeuten?«, fragte Elling.
Lona Mendt zuckte mit den Achseln.
Elling trat an das ausladende schmiedeeiserne Tor der Auffahrt. Es maß sicher sechs Meter in der Breite. Beidseitig in die Mauer verankert, die das große Grundstück umgab, das etwas abseits der anderen Bebauung stand. Dafür aber direkt am Wald gelegen.
Elling las das Namensschild neben der Klingel: Dr. Sterzing.
»Sterzing? Wer ist das?«
»Er ist im Einwohnermeldeamt eingetragen als Klaus-Peter Sterzing, 1937 in Jena geboren. Und er hat nach viermaligem Klingeln noch nicht geöffnet.«
»Noch nie von dem gehört.«
»Ich auch nicht.«
»Niemann kann seine Nummer rausfinden und … «
»Schon passiert«, unterbrach Lona ihn, »er antwortet nicht.«
Sie deutete mit dem Kopf auf das alte, geschmackvoll restaurierte Haus, das sie an jenes von Dr. Hildebrandt erinnerte: »Er wohnt alleine. Für mich sieht das nach Gefahr im Verzug aus.«
»Unbedingt.«
Da das Tor verschlossen war, half Elling Lona mit einer Räuberleiter auf den halbhohen Absatz neben der Mauer, in der die riesige Pforte eingelassen war. Sie revanchierte sich, indem sie ihm dabei half, sich hinaufzuziehen. Er keuchte.
Sie sprangen aufs Grundstück und gingen wachsamen Auges auf die Villa zu. Es war ein Gebäude, das dem Bauhaus entstammte und den Krieg überstanden hatte. Dank mangelnder Industrieanlagen hatte es für die Alliierten hier nichts zu bombardieren gegeben.
Es war gepflegt und gut in Schuss, wirkte aber trotzdem tief mit seiner ungezähmten Umgebung verwachsen. Wilder Wein bedeckte die Stirnseite bis auf die Fenster.
Eine große, aber schlicht gehaltene Terrasse erstreckte sich bis zu einem Pool, aus dem die Spatzen tranken, die sie jetzt aufscheuchten.
Als hätten die Besitzer ihr Zuhause gerade eben verlassen. Ein verwunschener Ort, in dem die Blumen welkten, die Platten um den Pool herum Sprünge aufwiesen und alles etwas vernachlässigt wirkte.
Das gesamte Anwesen war durchdrungen von einem morbiden Charme. Nur die Grillen waren zu hören, deren Männchen die Damen mit dem Reiben der Flügel zu beeindrucken versuchten, mit denen sie ein Repertoire von Eigenkompositionen präsentierten.
Elling und Lona passierten eine Art Carport – der an die vierzig Meter in der Breite maß. Der Bau war aus massivem Holz gefertigt. Die vorderen Stützpfeiler bildeten dabei mit ihren benachbarten Pfeilern eine natürliche Lücke.
In neun der insgesamt dreizehn Lücken standen fein säuberlich eingeparkte Oldtimer. Käfer, Porsche, Kadett, Mercedes, ein uralter Alfa Romeo und so weiter. Alle mit viel Hingabe restauriert und zur Krönung auf Hochglanz poliert.
Sie erreichten die überdachte Eingangstür und klingelten.
»Vielleicht ist ja der Stromkreis zur Pforte unterbrochen«, erklärte Elling und glaubte es ebenso wenig wie Lona.
Nichts tat sich.
Nur ein Summen. Wie von einem Bienenstock. Ein Summen, das das Werben der Grillen übertönte. Aber nirgends war die Quelle dafür auszumachen.
Elling sah hinüber zu den Oldtimern. Rudimente ihrer Ära. Und unter einem der Rudimente lugten zwei Schuhsohlen senkrecht hervor. Elling ließ Lona stehen und ging zügig auf das Auto zu, einen knallroten Ford Mustang Mach I aus den Sechzigerjahren. Wunderschön.
Er hörte, wie Lona ihm folgte, weil der Grund vor dem Carport mit Kies bedeckt war. Elling erreichte den Mustang zuerst. Das Summen war nicht mehr zu überhören. Es hatte lediglich eine andere Akustik als im Badezimmer von Alexander Beck. Hier brach sich der Schall an keiner Wand.
»Herr Sterzing?«
Keine Antwort. Elling beugte sich hinab, packte den rechten Schuh und zog daran. Das Rollbrett, auf dem der Mann von unten am Wagen gearbeitet hatte, glitt vor. Eine Explosion von Fliegen, ein helles, aufgeregtes Summen.
Beine, Bauch, Brustkorb, bereits blutverschmiert, dann der Kopf und ein entsetzlich tiefer Kehlenschnitt, so tief, dass der Kopf nach hinten weggeklappt schien.
Aus der Kopfhaut des Toten lösten sich die frisch geschlüpften Fliegen. Und aus seinem offenen Hals stob ein Schwarm mit grün glitzerndem Korpus.
Elling schluckte und wedelte gegen die Fliegen an – aber die Verlockung des Blutes war stärker als die Bedrohung durch sein Wedeln, weshalb sie sich erneut im offenen Hals des Mannes ansammelten .
»Ist das Sterzing?«, keuchte er.
»Ich denke ja. Geh zum Haus und sieh nach, wie wir da reinkommen, bitte.«
Elling nahm dankbar die Brücke, die Lona ihm damit baute, und entfernte sich von dem entsetzlichen Anblick.
Lona zog sich Einweghandschuhe über und untersuchte die Leiche. Die Leichenstarre war vorüber. Die Kinnlade öffnete sich auf kleinsten Druck. Die Totenflecken hatten sich an den Fersen, dem Gesäß und dem Rücken angesammelt – an allen Liege- und Druckstellen. Dort bildete das gestaute Blut Hämatome.
Vermutlich war Sterzing auf diesem Brett ermordet oder direkt danach unter das Auto verbracht worden, dachte Lona.
Und er lag hier schätzungsweise mehr als einen Tag. Vielleicht sogar zwei. Sein Körper war von Fliegennestern übersät, die Jungen schlüpften von überall.
Lona erhob sich und fand unter einer Werkbank hinter dem Ford Mustang eine gelbe Plastikplane, mit der sie den Leichnam bedeckte, bevor sie Elling zum Haus folgte.
Der hatte den Hausschlüssel unter dem Briefkasten gefunden und öffnete damit die Eingangstür, während Lona zu ihm aufschloss.
»Hast du in Rostock angerufen?«
Er nickte, sah sie aber dabei nicht an, weil er sich im Foyer umsah: »Hallo?«, rief er.
Keine Antwort.
»Spurensicherung rückt aus, sechs Streifenbeamte, die sichern. Die Staatsanwaltschaft schickt auch jemanden.«
»Gut.«
Sie gingen leise weiter, unbewusst behutsam, als bestehe die Gefahr, jemanden aufzuscheuchen, obwohl sie beide nicht daran glaubten, hier noch jemanden anzutreffen.
Auch wenn sie sprachen, waren sie leise. Die Decken der Räume waren hoch, manchmal bis zu fünf Metern. Fenster gab es in geringer Zahl, sie waren ausnahmslos klein. Auf diese Weise bewegten sie sich in einem steten Halbdunkel durch ein Haus, in dem der Besitzer in einer Art stummem Rückzugsgefecht diverse Räume aufgegeben hatte. Sie waren verwahrlost. Dort, wo Spinnen ihre Netze gezogen hatten, so unberührt, dass sich Staub in ihnen verfing, war die Natur dazu übergegangen, sich ihr Territorium zurückzuerobern. Die anderen Zimmer dagegen waren picobello aufgeräumt.
Elling wie Lona hatten darauf verzichtet, ihre Dienstwaffen in die Hand zu nehmen. Es war, als könnten sie spüren, hier niemanden mehr anzutreffen.
Das Wohnzimmer war mit Möbeln zugestellt, die Luft stand. Es roch muffig und auch ein wenig klamm. Und das bei diesen Außentemperaturen.
Sie waren stehen geblieben und sahen sich etwas ratlos um.
»Kriechen wir in ihn rein«, sagte Elling.
Sie zogen sich die Einweghandschuhe über und begannen zu stöbern.
Zu ihrem Glück war Sterzing, so schien es, ein Sammler. Was draußen mit den Oldtimern begann, setzte sich hier drinnen nahtlos fort.
»Entweder er ist ein Sammler oder er wirft nichts weg«, meinte Elling.
»Das Ergebnis ist jedenfalls dasselbe.«
Sie stießen auf altes Geschirr, noch älteres Familienbesteck (mit Gravur und ebensolchen Serviettenringen), Fotoalben, Briefe, Rechnungen. Alben voller säuberlich von ihren Kuverts entfernter Briefmarken. Steuerbescheide, zwei Ordner alleine mit Ein- und Widersprüchen.
Klaus-Peter Sterzing war offenbar jemand gewesen, der sich von nichts trennen konnte. Dementsprechend war seine Ehe mit Gisela erst mit deren Tod vor drei Jahren zu Ende gewesen.
Sterzing hatte auch Quittungen und Rechnungen gesammelt und auf Belegen über Restaurantbesuche nicht selten ein paar Stichworte zu Essen und Bedienung hinterlassen. Die Kommentare wiesen auf einen äußerst sparsamen Mann hin, der noch in der besten Suppe das Haar fand.
Einige renitente Kellner hatte er – auch das war akribisch notiert – bei der Partei gemeldet.
Auf Fotos stach sein nahezu lippenloser Mund hervor. Ein Strich wie mit dem Lineal gezogen, die Augen frei von Lachfältchen.
Elling hob eines der Fotos an: »Der hatte keinen Spaß am Leben.«
Das benachbarte Arbeitszimmer lag ebenfalls im Halbdunkel. Vor dem Fenster stand eine Linde. Der Schreibtisch hatte viele Jahre auf dem Buckel, und auf ihm stand – man mochte es kaum glauben – eine elektrische Schreibmaschine.
Die Wände waren in mintgrün tapeziert. Keine Raufaser, sondern feines Material, das zum Darüberstreichen einlud. Von der Tapete war hinter dem Schreibtischstuhl allerdings kaum noch etwas zu sehen. Sterzing hatte sie mit allerlei Urkunden zugepflastert.
»Das alles hier ist wie ein riesiger Sarkophag«, fand Elling, während sie die Auszeichnungen begutachteten.
Auszeichnungen für sportliche Erfolge wurden nur durch die Jugendweihe unterbrochen. Dann kam die FDJ , in der Sterzing eifrig Belobigung um Belobigung gesammelt hatte, um schließlich in die SED einzutreten und dort nicht nur Mitglied zu sein, sondern Karriere zu machen. Jahr um Jahr war er aufgestiegen. Urkunden über Urkunden, nun auch Orden, und dann die Krönung: ein persönlicher Brief von Erich Honecker. Eingerahmt. Mit einem Foto des Parteivorsitzenden.
»Eine stramme ostdeutsche Karriere, oder?«, fragte Lona.
»Klaus-Peter Sterzing war wohl ein Streber«, bestätigte Elling: »Er war stolz auf die Auszeichnungen. Wer hängt denn so was schon auf, hm? Doch nur jemand, der im Leben nichts anderes hat. Der was sein will, aber nichts ist.«
Ellings Verachtung war unüberhörbar. Aber für Lona schwang da noch mehr mit. Ärger und vielleicht auch Wut auf den Mitgestalter eines Systems, das seine Bürger unterjocht, bespitzelt, bevormundet und drangsaliert hatte. Vielleicht auch ihn. Sie fragte nicht.
Sie wandte sich von den Urkunden ab und sah hinaus zur Linde. »Beck, Leyendecker, Sterzing … die hängen zusammen. Es gibt etwas, was die alle drei verbindet. Und es ist etwas, für das der Täter sie abstraft.«
»Die Frage ist nicht nur, was«, ging Elling auf ihre Feststellung ein, »sondern auch, warum gerade jetzt? Leyendecker war senil, Sterzing ein Mann im Ruhestand … Nur Beck war jünger. Dennoch: ein Sozialhilfeempfänger. Die waren doch keine Gefahr mehr, kann ich mir jedenfalls kaum vorstellen.«
»Weil die Zeit günstig ist? Weil er besser an die Opfer rankommt als früher? Weil er es jetzt erst erfahren hat, dass die drei miteinander in Verbindung gestanden haben?«
Lona Mendt erwartete keine Antwort. Sie zählte die Möglichkeiten auf, um Elling zu verdeutlichen, dass seine – berechtigte – Frage nach dem Zeitpunkt ihnen nicht half. Noch nicht jedenfalls.
»Warum hat er dir die Koordinaten geschickt?«
»Sollen wir ihm auf die Schliche kommen«, improvisierte Lona, »will er das? Will er, dass wir ihn festnehmen?«
Elling schüttelte den Kopf und zündete sich eine an: »Dann muss er nur ins nächste Revier marschieren. Er schickt dir die GPS -Position eines weiteren Opfers. Eines, auf das wir noch nicht gestoßen sind. Er hat ein Interesse daran, dass wir Sterzings Leiche finden. Es klingt etwas merkwürdig, aber … hilft er uns?«
Lona musste kurz lächeln wegen des Gleichklangs, denn der Gedanke war ihr auch gerade gekommen: »Er geht natürlich ein Risiko ein«, antwortete sie, »vielleicht finden wir die Nummer seines Handys doch heraus. Oder seine GPS -Position. Oder, oder. Die Frage ist, warum er das tut. Will er uns zeigen, wie mächtig er ist. Wie klug? Dass er uns einfach den Fundort eines seiner Opfer mitteilen kann, und er für uns trotzdem unantastbar bleibt?«
»Möglich, aber ich glaube das nicht«, sagte Elling, »dann hätte er doch mit solchen Sachen schon bei Beck angefangen und sie bei Leyendecker fortgesetzt. Klar, kann natürlich sein, dass der nach zwei Morden, die wir ihm nicht nachweisen können, jedenfalls im Moment nicht, dass der jetzt einen Höhenflug hat, dass der sich jetzt unschlagbar fühlt und es deshalb macht. Aber … es passt für mich nicht, frag nicht, warum, ich … das passt nicht. Ich kann es dir nicht begründen.«
Lona nickte und überlegte. Sie vertraute seinem Bauchgefühl, es hatte sie noch nicht getrogen.
»Ich glaube auch, dass der Täter jemand ist, der sich gut im Griff hat.«
»Überlegt.«
»Ja. Also suchen wir tendenziell einen Mann im besten Alter und älter. Keinen Jungspund.«
»Nein.«
»Dann der Kehlenschnitt. Er kann das, er hat Übung. Pramann wird das bestätigen, nehm ich an.«
Lona ging in dem Büro auf und ab. Der dunkle Teppich verschluckte jedes Trittgeräusch. »Das ist doch ein Rachefeldzug, den der veranstaltet.«
Elling ermunterte sie mit einem Nicken.
»Ich komm drauf, weil du von Hilfe gesprochen hast, Elling – vielleicht braucht er unsere Hilfe.«
»Weil er nicht mehr kann? Krank ist? Verletzt?«
»Ja, möglich«, räumte sie ein, »oder weil er … nicht weiter weiß.«
»Wie?«
Elling inhalierte den nächsten Zug so tief, dass ihm die Tränen kamen.
»Na ja, er könnte zum Beispiel nicht wissen, wer der Nächste ist. Er weiß von drei Männern, die irgendwie zusammenhängen. Er weiß vielleicht auch, dass das keineswegs alle sind. Aber er kennt die anderen nicht. Und jetzt übergibt er das an uns.«
»Das würde im Umkehrschluss bedeuten, Beck, Leyendecker und Sterzing waren in illegale Sachen verwickelt. Ansonsten könnten wir ja keine Gefahr sein für die, die der Mörder nicht kennt. «
Sie mochte es, wenn er so langsam und etwas behäbig rüberkam, auf seine Zigarettenspitze starrte, als sei sie ein Wunder, hinter dessen Geheimnis er gerne käme – und dann aus der Hüfte so eine Kausalkette zustande brachte. Ohne Zweifel lud Elling dazu ein, ihn zu unterschätzen.
»Beck hat keine Vorstrafen, wie wir wissen. Die von Leyendecker und jetzt Sterzing forder ich an.«
»Ja.«
Der Kies draußen knirschte. Lona blickte hinaus. Zwei Polizeiwagen und der Transporter der KTU . Gleich würde sie wieder schlagen, die Stunde der Astronauten. Als Erste stieg Lisa Schneider mit ihrem Koffer aus. Sie trug bereits den weißen Anzug.
Elling sah Lona Mendt von der Seite an. Das leicht vorstehende, energische Kinn, der durchschnittliche Mund, die Nase, die fein endete, der Nasenrücken mit seinem leichten Höcker.
Die zerbrechliche Seele.
»Und was bedeutet drei Komma zwei?«
»Ich weiß es nicht, Elling.«
Ihr Handy meldete sich.
»Mendt?«
»Stiewi.«
»Wer?«
»Polizeihauptwachtmeister Stiewi aus Boltenhagen. Ich … wir hatten uns im Seniorenheim getroffen wegen des Mordes zum Nachteil von Herrn Leyendecker.«
Lona erinnerte sich an den Kollegen aus Boltenhagen: »Danke, jetzt kann ich Sie einordnen.«
»Sie hatten mich gebeten, ob ich vielleicht jemanden finden kann, der was über Herrn Leyendecker erzählen kann. Weil dessen Verwandtschaft ja nicht mehr existiert. Und ja, ich habe jemanden.«