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Ein letztes Winken aus dem Seitenfenster noch, dann bog der kleine silberne Polo nach links aus dem Ringelrankenweg. Susanne und Elling standen auf dem Bürgersteig vor ihrem Haus und senkten die Arme.
Susanne sah ihn an und bemerkte, dass seine Augen wässrig geworden waren. Er seufzte. Sie lächelte und wischte ihm sanft über die Lider. Suse trug ein knappes Sommerkleid, in dem ihr Hintern vorzüglich zur Geltung kam. In einer anderen Situation hätte er den Anblick durchaus zu würdigen gewusst, aber jetzt dachte er vor allem daran, dass Mareike sehr oft das Blinken unterließ. Er hatte ihr dreimal den Knopf für den Warnblinker gezeigt. Und wie man den Wagen von innen verriegelte. Dass sie immer mal wieder den Luftdruck prüfen sollte. Und Pause machen. Aber nur auf öffentlichen Rastplätzen. Dies, das und noch ein gutes Dutzend guter Ratschläge mehr. Er hoffte, zweieinhalb davon würden hängen bleiben.
»Es war sehr nett von dir, dass du Mareike viel Spaß gewünscht hast.«
»Hm.«
Sie gingen zurück ins Haus. Elling war halbwegs erleichtert, weil Mareikes Freundin Simone auch mit nach Lunéville fuhr. Zu Luc. Simone war ein bisschen ernst für ihr Alter, aber kreuzbrav. Sie würde ein Auge auf Mareike haben. Immerhin. Sie wollten die Nacht durchfahren und sich abwechseln.
Vor Ellings innerem Auge war ein buntes Kaleidoskop von Unfallszenarien entstanden. Und da Mareike nicht von dem Plan abzubringen war, hatte Elling kurzerhand mit dem Vater von Simone telefoniert. Der war ein geselliger, lustiger Kerl. Leider war die Nachtfahrt genau nach seinem Geschmack: »Ach, Elling, komm schon. Die haben einen Führerschein. Erinner dich mal, wie du betrunken nach Ungarn gefahren bist.«
War er denn wirklich der einzige Mensch bei dieser Angelegenheit, der noch ein Quäntchen Verstand im Kopf hatte?
Schließlich hatte er die Waffen gestreckt.
Die Stille im Haus empfand Elling als drückend. Sie presste ihm die Brust zusammen. Ohne nachzudenken folgte er Susanne und landete in der Küche. Erst jetzt realisierte er, dass sie im Backofen etwas vorbereitet hatte – was sie jetzt kontrollierte.
»Roastbeef«, rief Elling angenehm überrascht aus. Wenn es um die Speisen ging, die man für gewöhnlich nicht grillte, schlug sein Herz für Roastbeef mit Bratkartoffeln und der Remoulade, die Suse perfekt zubereitete.
Sie wandte sich mit einem warmen Lächeln zu ihm um: »Weißt du, ich war die letzten Wochen, ja fast Monate so beschäftigt, so sehr im Job, auch abends noch, ich konnte kaum abschalten. Und da … ich glaub, da hab ich dich etwas vernachlässigt.« Sie beugte sich vor und gab ihm einen Kuss auf den Mund.
»Ich hatte ja auch zu tun.«
»Und dann der Pool. Anfangs hab ich mich damit etwas schwergetan, aber jetzt … er sieht wunderschön aus.«
»Das freut mich«, sagte Elling mit belegter Stimme.
Mareike war über alle Berge, Suse war zugeneigt. Wobei zugeneigt die Sache unangemessen verharmloste, sie jagte gerade mit Siebenmeilenstiefeln auf ihn zu, seitdem ihr Traum von der ersten Frau der Stadt geplatzt war. Ihre Kleiderwahl war kein Zufall. Dann das Roastbeef.
Sie würden bald im Bett landen, so viel war sicher. Und er würde sie nach allen Regeln der Kunst verwöhnen, das Heimkommen sollte ihr ein Fest sein. Und ihm auch.
»Wir haben doch vor ein oder zwei Jahren diesen Champagner geschenkt bekommen«, sagte Susanne, »von … ich weiß gar nicht mehr. Karin und Stefan? «
»Von Andrea und Gerolf«, erinnerte er sich.
»Das Roastbeef braucht noch ein paar Minuten. Was hältst du davon, wenn wir am Pool warten und gemeinsam anstoßen, hm?«
Sie sah ihn an wie früher. Als alles noch im Lot war und sie ihn begehrte wie er sie und sie beide im gleichen Traum zu Hause waren.
Aber Elling war nicht vorschnell. Er jubelte grundsätzlich nicht, bevor das Kind nicht in trockenen Tüchern war. Und das war es auch jetzt nicht, aber es war kurz davor, es sah alles danach aus – er durfte jetzt nur nicht patzen. Ein Champagner am Swimmingpool war nicht der schlechteste Start in eine rauschende Nacht.
Als er auf dem Weg in den Keller an der Stereoanlage vorbeikam, legte er Eric Burdon auf – genau, in Vinyl.
Zurück in der Küche mit zwei gefüllten Gläsern sah er Suse schon am Pool sitzen. Der Abend brachte frische Luft, der ganze Ringelrankenweg atmete auf, die Laternen sprangen an. Manchmal verirrte sich eine Fledermaus hierher und machte Jagd auf die Insekten, die in den Lichtkegeln scheinbar sinnlose Ellipsen zogen.
Susanne hatte ein paar Windlichter um den Pool verteilt. Elling setzte die Gläser neben ihr ab und ging zur Außendusche, wo Bahr & Wildhagen ein paar Extras untergebracht hatten. Zum Beispiel die Unterwasserbeleuchtung, die er jetzt aktivierte. Warme Lichter glommen in den Wänden des Pools auf und illuminierten ihn sanft. Die Scheinwerfer waren dimmbar.
Susanne schaute immer noch überrascht, als Elling wieder neben ihr Platz nahm.
Mit einer gewissen Vorfreude nahm er wahr, dass sie ihr Kleid oben um einen weiteren Knopf geöffnet hatte, er sah die Wölbung ihrer Brüste, und obwohl er sie in- und auswendig kannte, war der Anblick immer wieder etwas, was kindliche Freude in ihm auslöste.
»Das mit der Beleuchtung wusste ich gar nicht«, stellte Susanne mit angenehm überraschter Stimme fest .
»Damit man im Dunkeln baden kann«, erklärte er.
»Es ist Wahnsinn, Elling«, sagte sie und meinte das Geld, »aber es sieht großartig aus. Ganz toll.« Sie gab ihm einen Kuss und hob dann das Glas: »Auf uns, Elling.«
»Ja, Suse, auf uns«, antwortete er und hatte kurz das Gefühl, ein Bauchredner ließ ihn das sagen. Er hatte das Jackett ausgezogen und lockerte jetzt den Sitz der Krawatte. Sie stießen an, die Vibration der halb vollen Gläser erzeugte einen sonoren Ton.
Sie lehnte sich an ihn und legte den Arm um seine Hüfte. Elling genoss die Berührung und die Nähe. Wann war es das letzte Mal so gewesen? Er konnte sich kaum erinnern. Wann waren sie das letzte Mal nackt und schwitzend und ermattet nebeneinander auf die Matratze gefallen und hatten sich mit hämmernden Herzen umklammert und den Geruch des anderen geatmet und die Haut geschmeckt?
Er wusste es nicht. Es wollte ihm nicht einfallen. Er spürte nur die Rückkehr einer alten Innigkeit, eines alten Einsseins, das ihm einen Kloß im Hals bescherte. Seine Augen füllten sich mit Tränen, die Suse nicht sah.
»Fahren wir auch nach San Francisco? Über die Golden Gate Bridge?« Sie hatte sich an seinen Hals geschmiegt und blickte zu ihm auf. Sein Mädchen. Das ihm jetzt wie beiläufig die Hand in den Schoß legte.
»Ja«, sagte er etwas heiser, »über die will ich unbedingt drüber. Und wer weiß, ob Mareike danach noch mal mit uns verreist, überhaupt.«
»Ja. Die Tickets, Elling … das war eine großartige Idee. Ich freu mich drauf.«
Das klang ein wenig aufgesagt, aber er klammerte sich lieber an eine nette, kleine Notlüge als an eine hässliche Wahrheit. Außerdem öffnete sie ihm gerade die Hose und fuhr mit ihrer Hand hinab. Sein Mund war plötzlich sehr trocken, er schluckte.
»Erinnerst du dich noch an unser erstes Wochenende oben an der Ostsee?«, fragte Susanne. Sie küsste seinen Hals. »Es war kalt.«
»Und die Luftmatratzen hatten so einen Gummigeruch. «
»Es war eine.«
»Stimmt, eine«, sagte Elling.
»Aber das war egal«, flüsterte Susanne.
»Was ist mit Benedik und dem Wahlkampf – machst du da weiter? Oder ist das jetzt vorbei?«
»Das ist vorbei.« Sie nahm ihn sanft in die Hand. »Ich habe mich in ihm getäuscht, Elling«, sagte sie und blickte ihm in die Augen: »Aber irgendwann gibt es einen Neuen, ganz sicher. Einen, der gut ist für Rostock. Einen, den ich wieder im Wahlkampf begleite und in dem ich mich nicht getäuscht hab.«
Sie wollte ihn küssen, aber er wich aus. Er hielt den Blickkontakt. Sah Erstaunen und Irritation. Die Finger um seine Erektion kamen zum Stillstand. Sie ahnte es schon.
Elling zog den Reißverschluss seiner Hose zu und glitt dann samt Hose, Hemd und Schlips in den Pool und zog eine Bahn quer. Das Wasser erfrischte ihn. Den Pool nur von außen zu sehen oder eins mit ihm zu sein – und dann bei dieser Beleuchtung! – waren zwei Welten.
Als er sich von der anderen Seite abstieß und wieder Kurs auf seine Frau nahm, betrachtete sie ihn in einer Mischung aus Amüsement und echter Neugier. »Elling, du bist verrückt«, ließ sie ihn wissen und schmunzelte. Sie öffnete noch zwei Knöpfe und ließ das Oberteil des Kleides an sich herabgleiten.
Es war perfekt. Das Hinabrollen des Stoffes, ihre Brüste in dem Licht, ihr Gesichtsausdruck. Ein Traum. Er war genau dort, wo er seit Monaten hinwollte. Er hatte es geschafft.
Elling erreichte den Beckenrand. Er schnaufte und blickte zu ihr auf. »Ich wollte den Pool wenigstens einmal benutzt haben«, sagte er.
Susannes Lächeln geriet ein klein wenig durcheinander: »Es ist deiner, Elling, du kannst ihn rund um die Uhr benutzen.«
»Ich werd ihn nicht mehr benutzen, Suse.«
Damit erhob er sich aus dem Pool. Das Wasser floss aus seinen Kleidern auf den Beckenrand und ins Gras.
»Mir ist etwas klar geworden, Suse. Du bist mein Traum. Und ich, ich bin nur noch der Trostpreis für dich. Das passt nicht zueinander. Wir können noch ’ne Weile so tun, als ob, aber … das ändert ja nix.«
Susanne war zu stummer Verblüffung erstarrt, während Elling triefend neben ihr stand.
»Ich, ähm … ertrag das kein zweites Mal … Du kannst das Haus behalten.«
Und damit ging er ins Schlafzimmer und packte seine Siebensachen. Kleidung, Kulturtasche, die Armbanduhr, so was.
Als er mit einem Koffer und einer Sporttasche zur Pforte ging, hob Susanne nicht mal den Kopf. Sie saß immer noch am Pool und starrte aufs Wasser.
Sie starrte noch dreißig weitere Minuten wie betäubt.
Und auch, als sie irgendwann spät nachts ins Bett ging, konnte sie es nicht glauben. Es kam ihr unwirklicher vor, als wenn Elling bei dem Banküberfall vor knapp einem Jahr ums Leben gekommen wäre.