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Der USB -Stick war fast komplett schwarz und das Metall schmolz und verbog sich in der Glut des Grills.
Lona legte zwei Würstchen auf den Rost, die bei dem Kontakt mit dem heißen Eisen zischten.
Sie hatte sich im Wohnmobil umgezogen und Elling in Bungalow Nummer zwei. Hinter ihnen flatterte die pitschnasse Wäsche an der Leine in der sanften Brise, die über den See strich.
Die Camperfamilien badeten im See oder sonnten sich auf ihren Decken davor und aßen Eis oder Pommes mit Ketchup und Mayo.
Der eine oder andere hatte das erste Dosenbier geöffnet.
Der Volvo stand keine zehn Meter entfernt. Da er über Ledersitze verfügte, war die Sauerei überschaubar. Elling hatte alle Fenster und die Heckklappe geöffnet, damit die kleinen Pfützen, die sich aus dem Wasser der Sprinkleranlage auf der Fahrt hierher im Fußraum gebildet hatten, möglichst schnell verdunsteten.
Unterm Strich betrachtet hatten sie gerade einen guten Lauf. Sowohl die Erpressung durch Ariane Lemmes als auch die mögliche Zeugenaussage von Stefan Krohn waren vom Tisch.
Wie es sich mit der Situation in der Gaststätte verhielt, in der er die 20000 Euro von ihr entgegengenommen hatte, wusste er nicht. Sie hatte gesagt, sie hätte es auf Film. Tatsächlich? Denn gezeigt hatte sie ihm nichts. Sie hatte bloß diese Behauptung in den Raum gestellt. Schwer zu sagen, ob es diese Aufnahme von ihm und ihr wirklich gab. Oder ob Ariane Lemmes einfach geblufft hatte.
Elling war bei den Benders vorbeigegangen und hatte noch zwei Brötchen bekommen, während Lona den Grill angeworfen hatte. »War das früher hier eine normale Klinik?«, hatte er gefragt, während Bender die Brötchen fein säuberlich einpackte. Dieser hagere, große Kerl mit seinen feinen Pranken.
»Na ja, die einen sagen so, die anderen so, Herr Elling.«
»Wie meinen Sie das?«
»Die Leute in Marnow haben so dies und das erzählt, was sie vom Klinikpersonal gewusst haben. Dass hier Leute aus dem Westen herkommen. Spezialisten oder so, ich weiß nicht. Und welche aus der DDR behandeln. Vielleicht sogar aus dem Ostblock. Schwerkranke oder Reiche oder so. Manchmal hat man geguckt, ob man jemanden aus dem Fernsehen kennt.«
»Und?«
»Nein. Da hätten wir uns sonst ein Autogramm geholt.«
Elling hatte genickt, die Brötchen genommen und sich auf den Weg zurück gemacht.
Und da saßen sie jetzt vor den brutzelnden Würstchen.
»Also: Frau Lemmes hat mich erpresst«, sagte Elling, während Lona die Würstchen wendete, »aber die war nur der verlängerte Arm von Iris Fichte. Die Frage ist doch: Warum wollte Iris Fichte, dass der Fall einschläft?«
Lona nickte – sah dabei aber nicht so aus, als würde sie sich das auch fragen. »Follow the money«, antwortete sie und stellte zwei kleine Teller samt Senf auf den Campingtisch zwischen ihnen.
Elling musterte sie: »Du weißt schon, warum?«
»Ich habe eine These, einerseits, was Fichtes, und andererseits, was Becks Rolle in dem ganzen Konstrukt war – und ist«, gab sie zurück.
»Willst du es mir nicht sagen?«
»Nein, ich will wissen, ob wir zum gleichen Schluss kommen. Das Geld. Es geht nur um das Geld, glaube ich.«
Elling nickte.
»Geld«, nahm er den Ball an, »Geld. Schön: Fichte war es viel Geld wert, das Tatmotiv zu vertuschen. Dafür hat sie Frau Lemmes benutzt, um mich kaltzustellen. Uns.«
»Genau. Und jetzt muss man das nur noch ins Verhältnis zu Alexander Beck setzen. Auf der einen Seite ein milliardenschwerer Konzern wie Wilmer, auf der anderen Seite ein Sozialhilfeempfänger. Beide stehen in einem engen Zusammenhang. Ein Zusammenhang, den Wilmer sich offenbar nicht ausgesucht hat.«
»Nicht ausgesucht?«
»Beck und Wilmer können auf zwei Arten miteinander in Kontakt treten«, half Lona ihm, »sie zu Beck oder Beck zu ihnen.«
Sie hatte den Satz noch nicht beendet, als er erfasste, wovon sie die ganze Zeit sprach. Natürlich. So betrachtet lag es auf der Hand. Niemals wäre ein Weltkonzern auf ein kleines Licht wie Alexander Beck zugekommen. Das machte nur andersherum Sinn. Und dann passte es plötzlich: »Beck hat Wilmer erpresst.«
Lona nickte: »Genau. Er wusste von den Testreihen. Er hat von den Menschenversuchen gewusst. Aber er ist mit diesem Wissen nicht zur Polizei gegangen.«
»Ja, weil bei der Polizei für ihn nichts abgefallen wäre – also hat er beschlossen, sein Wissen zu vergolden. Er wollte Geld von Wilmer.«
Lona nickte: »Eine Erpressung, bei der Iris Fichte sich nicht an die Behörden wenden konnte. Ansonsten hätten die Behörden von den Medikamentenversuchen erfahren. Sie stand mit dem Rücken an der Wand.«
Lona beförderte die Würstchen mithilfe einer Grillzange auf ihre Teller. Elling nahm das Würstchen, verbrannte sich dabei fast die Finger, tunkte es in Senf und biss ab. Herrlich. Auch wenn er das Stück im Mundraum hin und her rollen musste, um sich nicht zu verbrühen.
»Du kannst das schon essen?«, fragte Lona ungläubig.
Elling nickte. Es war eine Thüringer, und selbstverständlich schlug sie alles andere um Längen. »Wenn er davon gewusst hat, wird das jemanden wie Iris Fichte nicht besonders beeindruckt haben, schätze ich. Die würde die Sache nur ernst nehmen, wenn sie wüsste, dass er das auch beweisen konnte.«
Jetzt biss auch Lona von der Wurst ab. »Das stimmt. Vielleicht hatte er so eine Liste mit Todesfällen, wie wir sie von Dr. Fichte angefordert haben. Und ich kann mir gut vorstellen, dass er deswegen hier gewesen ist. In Marnow. Das könnte den Ausreißer aus den üblichen Urlaubswochen erklären. Alexander Beck könnte hier gewesen sein, um sich die Liste zu beschaffen.«
»Von wem? Von Hildebrandt?«
»Ja, das ist denkbar. Die beiden kannten sich von früher. Siehe das Foto. Aber in die Testreihen war auch einiges an Personal involviert. Wir sollten Hildebrandt jedenfalls besuchen. Vielleicht ist er zu Hause.«
Elling nickte. Hatten sie anfangs noch vor einem völligen Rätsel gestanden, zeigten sich nun mehr und mehr Konturen, ganz so, als trete eine Gestalt aus einer Nebelwand.
»Und Krohn?«, fragte er.
»Was meinst du, Elling?«
»Wer hat den geschickt? Fichte, die sagt, sie kennt ihn nicht? Oder Rathe, den er aus Becks Wohnung angerufen hat?«
»Die Person, die ihn hat umbringen lassen, damit er im Zweifelsfall nicht gegen seinen Auftraggeber aussagen kann«, antwortete Lona.