Nachdem der Bundestag einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Vorkommnisse rund um die Medikamententests eingesetzt hatte, kam es in der Folge zwar zu einer weitgehenden Offenlegung der Geschehnisse, aber wegen Verjährung zu keinen Verurteilungen.
Zwei der insgesamt 37 betroffenen Pharmaunternehmen leisteten Zahlungen unbekannter Höhe in einen dafür geschaffenen »Ausgleichsfonds«.
Victor André wurde über einen DNA
-Abgleich (ein Haar auf der Krankenbettdecke) posthum des Mordes an Stefan Krohn überführt.
Die Verbindung von Ariane Lemmes’ Unfalltod mit dem gesamten Fall wurde nie aufgeklärt. Und der Unbekannte aus dem Parkhaus Riemannshöhe wurde trotz Erhöhung der Belohnung und zahlreicher Hinweise aus der Bevölkerung ebenfalls nicht identifiziert.
Die Untersuchungen hinsichtlich der doppelten Schussverletzung von Stefan Krohn legte Staatsanwalt Rost mangels rechtlicher Handhabe zu den Akten. Das galt auch für den Verdacht der Vorteilsnahme im Amt durch Elling.
In beiden Angelegenheiten lebte einfach niemand mehr, der dabei gewesen war und den Aussagen der beiden Kriminalkommissare hätte widersprechen können
.
Wie es Meike Bender gelungen war, mit dem Revolver ihres Mannes, den sie offenbar in einer Plastiktüte mit sich getragen hatte, das Zuhause von Christian Rathe zu erreichen, konnte nicht rekonstruiert werden.
Sie wurde unter großer Anteilnahme auf dem alten Friedhof von Marnow neben ihrem Mann und damit in der Nähe ihrer Tochter beigesetzt. Lona und Elling standen am Pavillon, unter dem sie bei dem Gewitter Schutz gesucht hatten, und sahen aus der Ferne zu. Erschüttert ob der Unerbittlichkeit dieses Rachefeldzugs und gleichzeitig mit tiefer Empathie für das, was diese Frau an der Seite ihres Mannes hatte erleiden müssen.
Lona und Elling sprachen den Gleichtakt ihrer Empfindungen nicht aus, sie wussten es auch so voneinander.
Susanne zog nicht nach Hamburg.
Nachdem Mareike – am Tag ihrer Rückkehr mit der Trennung ihrer Eltern konfrontiert – Zeter und Mordio geschrien hatte, kaufte Susanne sich eine schmucke Eigentumswohnung am Wasser, oben in Warnemünde. Und zwar von dem Geld, mit dem Elling sie aus dem Haus im Ringelrankenweg herausgekauft hatte.
50000 der 330000 Euro, die inzwischen in seinem Besitz waren, legte er ohne deren Wissen für Lona an. Von dem Rest zahlte er Suse aus, dann die Bank – und danach leistete er sich einen brandneuen Volvo Kombi. Mit Navigationsgerät und Regensensor.
Lona Mendt fand den Bauern, dem die Wiesen auf dem Mühlendamm gehörten, einer Insel auf der Warnow, die über zwei Brücken zugänglich war. Sie stellte ihr Wohnmobil ans östliche Ufer, dort, wo die gegenüberliegende Seite nicht bebaut war und sie daher niemand beobachten konnte.
Der Bauer legte ein Kabel für den Strom auf die Insel und bastelte Lona sogar eine Wasserleitung. Es schien, er mochte sie.
Dort schlug sie ihr Herbst- und Winterlager auf. Mit Blick auf die Warnow. In Einsamkeit und Natur, aber nur einen
Katzensprung von Rostock entfernt – und dem Ringelrankenweg. Zu Fuß waren es zweieinhalb Kilometer zu Elling.
Am Tag von Mareikes Auszug mitten im Winter saßen Lona und Elling nach getaner Arbeit verschwitzt auf der Terrasse. Mareike zog zu ihrem neuen Schwarm, sie hatten ihre Sachen bis in den verflixten dritten Stock geschleppt. Er hieß Muriel (das war sein Künstlername, wie Mareike ihrem Vater erklärte, er machte was mit Musik, sein richtiger Vorname lautete Klaus-Dieter). Nicht ganz so blass wie Luc, fand Elling, aber im schwarzen Gothic-Stil und natürlich gepierct.
Nun ja.
Elling hatte ein paar Holzscheite in der Feuerschale von den Krauts nebenan angezündet, sodass es auf der Terrasse trotz des einsetzenden Regens angenehm warm war.
Er rauchte, Lona saß auf der anderen Seite des Tisches, beide hatten sie ihre Gesichter dem Garten zugewandt und sahen den Tropfen beim Fallen zu.
Eine Weile. Und ohne, dass ihnen dabei langweilig geworden wäre.
Die intensive Suche nach dem Täter, diese hitzigen Tage im Sommer 2003 erschienen Elling wie eine Kluft in der Zeit, aus der es von Stunde zu Stunde immer weniger Entrinnen gegeben hatte.
Wie eine Schallplattennadel, die hängt, wie bei seiner Mutter, wenn sie nicht das richtige Wort fand und auf der Stelle trat. So hatte die Nadel ihn und Lona eisern in der Rille gehalten.
Und manchmal brauchte es im Leben eben einen Schubser.
Und dann war man wieder froh.