Kapitel 16
Der Durchbruch

Während der ersten Besprechung der neu strukturierten Soko Pelikan, die erstmals von ihrer neuen Leiterin, Kriminal­oberrätin Iris Höppner moderiert wurde, unterbrach ein Anruf von Doktor Gans, dem Leiter der DNA-Abteilung des LKA, die Anspannung der Ermittler. Doktor Gans teilte ihnen mit, dass zwei Personen, die den sichergestellten Zigarettenkippen auf dem Pelikan-Gelände zugeordnet werden konnten, identifiziert worden wären.

Beide Personen waren bereits in der DNA-Analysedatei (DAD) erfasst.

Es handelte sich um die beiden bulgarischen Staatsangehörigen Vanja Radov, 36 Jahre, und Boris Kalandev, 42 Jahre. Beide hatten Vorstrafen im Bereich des Menschen- und Drogenhandels. Sie waren bereits bundesweit aufgetreten und an Gastronomiebetrieben im Steintorviertel, dem hannoverschen Rotlichtbezirk, beteiligt.

Bingo!

Die Sokoleiterin schloss ihre Falleinweisung ab und wies ihre Kollegen an: „Trotz aller Euphorie besorgen wir uns erst einmal Informationen über die beiden Personen, um uns ein umfassendes Bild zu machen. Die Kriminalakten befinden sich hier in Hannover. Mona, besorgst du uns bitte die Unterlagen und stellst uns um 14 Uhr die Personen vor. Karl, sprich bitte mit den Kollegen vom Milieu, die können zur Szene und der geschäftlichen Einbindung sicher noch etwas ergänzen. Von der Analysestelle benötige ich die aktuellen und ehemaligen Wohnsitze, Fahrzeuge, Telefon- und Handynummern. Alles, was ihr bekommen könnt. Ich kümmere mich um die erforderlichen Beschlüsse bei der Staatsanwaltschaft. Die Celler und Hildesheimer Kollegen checken bitte in ihrem Bereich, ob die Bulgaren dort schon eine Rolle spielen. Das Gleiche könnt ihr bitte über euer OFA-Netzwerk veranlassen, Thorsten. Wir sehen uns um 14 Uhr.“

Nach so frustrierenden erfolglosen Wochen war es für die Soko enorm wichtig, ein neues Ziel vor Augen zu haben, dem man folgen konnte. Diese Nachricht wirkte wie ein Adrenalinschub. Sämtliche Ermittler gerieten in Hochstimmung, endlich ein riesiges Stück weitergekommen zu sein.

Jedes Soko-Team versuchte aktuell, vollständige Informationen über die beiden Tatverdächtigen zu erhalten, zu strukturieren, um sie dann zu einem möglichen Gesamtbild zu verknüpfen.

Punkt 14 Uhr trafen sich die Ermittler samt des OFA-Teams und des zuständigen Staatsanwalts Doktor Jessen.

Mona Bogner fasste als Erstes die Informationen der Kriminalakten zusammen.

Vanja Radov und Boris Kalandev sind 2013 aus Warna in die Bundesrepublik eingereist. Sie sind Cousins und haben sich schon in der Hafenstadt am Schwarzen Meer einen Namen in der Szene als Drogenhändler und Zuhälter gemacht. Warna hat etwa 350.000 Einwohner und ist in Bulgarien ein absoluter Touristenort mit entsprechendem Potenzial für Drogen und Prostitution. Beide sollen nach Revierkämpfen in Warna nach Deutschland gekommen sein und haben insbesondere in Hannover und Norddeutschland einschlägige Kontakte gepflegt. Sie sollen in Warna an einer Schießerei im Hafenviertel beteiligt gewesen sein, in der es auch Tote gegeben haben soll. Das ist aber nicht offiziell bestätigt worden. Bei der Rekrutierung von Prostituierten aus dem Ostblock sollen sie äußerst brutal vorgehen und stets bewaffnet sein. Beide haben bereits wegen Drogenhandel in Untersuchungshaft gesessen. Im Prozess sind aber alle Zeugen umgekippt und wollten sich an nichts mehr erinnern.

Ein Beamter des Milieukommissariats konnte noch ergänzen, dass sie ihre erwirtschafteten Drogengelder in der Gastronomie und vermutlich auch Prostitution in Tourismusgebieten investiert und nach aktuellen Erkenntnissen einen Betrieb im Hafen von Kühlungsborn und eine Kneipe auf Spiekeroog eröffnet hatten.

Das OFA-Team musste dabei schmunzeln und Udo Strahl konnte sich seinen Spruch: „Ich weiß schon, wer dort die Ermittlungen führt“, nicht verkneifen.

Nicht nur einer der letzten spektakulären OFA-Fälle des Serienmörders Lukas von Beuten, sondern auch die jahrelange Affinität von Familie Büthe zu Kühlungsborn war zumindest den Hannoveranern durchaus bekannt.

Iris Höppner stellte den ermittlungsleitenden Staats­anwalt Doktor Jessen vor und teilte mit, dass diesbezügliche Beschlüsse zur Telefonüberwachung, Observierung und Durchsuchung passender bekannter und genutzter Räumlichkeiten der Tatverdächtigen beim Gericht beantragt worden waren.

Die Sokoleiterin hatte sich im Vorfeld mit dem Staatsanwalt, den Ermittlungsführern und der OFA so abgestimmt, dass sie die Personen und relevanten Örtlichkeiten erst gründlich beleuchten müssten, um dann gezielt sinnvolle und gut geplante Aktionen durchzuführen. Blinder Aktionismus würde das Leben von den entführten Opfern jetzt nur gefährden.

So bitter die Erkenntnis über die beiden Bulgaren war, desto wahrscheinlicher mutete es jedoch an, dass die bisherigen Opfer zwar der Prostitution zugeführt worden sein konnten, aber sich so die Chance bot, sie noch lebend aufzufinden.

Zur weiteren Vorgehensweise wurde eine Aufteilung des Ermittler- und OFA-Teams vereinbart.

Aufgrund einer erforderlichen Kooperation mit dem LKA Mecklenburg-Vorpommern und der dortigen OFA war Thorstens Team mit Nina Bachmann, Thomas Schulte und den Ermittlern Mona Bogner, Hans Wiener und Astrid Wegner für Kühlungsborn prädestiniert.

Das Inselteam der OFA Kristin Bäumer, Maik Holzner, Carlotta Bayer-Westhold übernahm mit den Ermittlern Elke Bothe, Karl Münter und Cord Brammer den Part auf Spiekeroog.