Am Abend des Schlagballturniers war Spiekeroog eine einzige Partyinsel. Im kleinen Dorf, an den Stränden, auf dem Campingplatz und vor allem im „Old Laramie“ war die Hölle los.
Das Schlauchboot mit dem starken Außenborder, welches sich von der Seeseite Norderneys über Baltrum und Langeoog dem Weststrand am Campingplatz näherte, nahm niemand so richtig wahr. Die Küstenwache hatte die Landseite Spiekeroogs im Visier. Auf der Seeseite konnte eigentlich kein Boot anlegen. Das Schlauchboot jedoch fuhr direkt auf die Sandbank, setzte zwei Männer mit großen Rucksäcken am Strand ab und fuhr ohne Positionslichter wieder in Richtung Westen davon.
Die beiden stiegen auf zwei Mountainbikes am Campingplatz und fuhren über das Palisadendiek und Westend in das Inseldorf. Durch einen Hintereingang gelangten sie ins „Watt nu“ und wurden von der Inhaberin Susi begrüßt. „Endlich, die warten alle schon.“
Die jungen Observationskräfte des Mobilen Einsatz-kommandos fielen als Pärchen im „Watt nu“ überhaupt nicht auf. Hier hatte eh jeder ein Smartphone in der Hand, schrieb WhatsApp-Nachrichten oder schoss Handyfotos von der Partystimmung. Beim Einsatzleiter gingen Nachrichten ein wie: „Die warten hier auf irgendetwas und fragen die Betreiberin ständig, ob schon was da ist.“ Und aktuell: „Hier ist plötzlich eine Riesenhektik an der Theke, und es gehen Tüten mit Gras und wohl auch Crack oder Ecstasy über den Tisch.“
Plötzlich kam die Nachricht „Zielperson erkannt!“ samt Foto von Vanja Radov über den Ticker. Der Einsatzleiter gab seinem Zugriffsteam und den Ermittlern, die alle auf Position waren, das Stichwort „Zugriff!“ Die MEK-Beamten stürmten im Vollschutz samt Schutzwesten und Helmen mit vorgehaltenen Waffen den Hintereingang des „Watt nu“. Die Observationskräfte in der Kneipe schrien „Zielperson ist bewaffnet!“ in das Funkgerät, als schon die ersten Schüsse fielen. In der Kneipe brach die totale Panik aus, und alle Gäste versuchten hinauszurennen. Vanja Radov hatte das Feuer auf das MEK eröffnet, das wegen der Gefährdung der Gäste allerdings nicht zurückfeuerte. Die Ermittler Elke, Karl und Cord näherten sich bewaffnet vom Kneipeneingang dem Thekenbereich, hinter dem sich Vanja verschanzt hatte und weiter auf die Einsatzkräfte auf der anderen Seite schoss. Mehrere Schüsse gab der heißblütige Cord Brammer auf den Thekenaufbau ab, als sich der Bulgare umdrehte, um auch die Ermittler zu attackieren. Er behielt die Ruhe, schoss dem Bulgaren direkt in die Stirn und rief den MEK-Kräften zu: „Feuer einstellen! Täter gestellt!“ Dann sprang Cord über die Theke und sicherte die Waffe des Bulgaren. Erst da bemerkte er eine weitere verletzte Person am Boden, die eine Pistole auf ihn richtete. Cord ließ sich zur Seite fallen, konnte im letzten Moment zwei Schüsse auf den Oberkörper des Angreifers abgeben und auch dessen Waffe sichern. Erst in diesem Moment kamen die Spezialkräfte hinzu und kontrollierten die Lage endgültig. „Das war verdammt knapp“, stellte Cord aufatmend fest. Als die MEK-Kräfte den Thekenbereich komplett ausleuchteten, stellten sie fest, dass Vanja Radov einem Kopfschuss erlegen war und es sich bei dem zweiten Täter um Boris Kalandev handelte, dem zwei Schüsse in den Oberkörper offensichtlich die Brustarterie zerrissen hatten. Wie sich weiter herausstellte, war ein MEK-Beamter durch einen Beinschuss verletzt worden. Wie durch ein Wunder blieben alle Gäste unversehrt, und die Inhaberin Susi konnte festgenommen werden.
Als der Inselsheriff das zerstörte „Watt nu“ betrat, frotzelte Karl Münter in seiner trockenen Art: „Das ist jetzt dein Tatort, Andreas.“
Elke Bothe nahm ihren jungen Kollegen Cord Brammer in den Arm: „Alles okay, Cord?“, der teilnahmslos nickte. „Das hätte aber auch ins Auge gehen können. Du bist beim FK 1 und nicht beim SEK! Wir kommen eigentlich erst, wenn es Tote gegeben hat, und sorgen nicht selbst für unsere Tatorte“, gab Elke weiter zu bedenken. „Hätte ich mir auch anders gewünscht“, bemerkte Cord kleinlaut.
Karl Münter beugte sich zu den toten Bulgaren herunter und suchte mit Handschuhen nach Ausweispapieren. „Ach du Scheiße!“, brach es aus ihm heraus. Aus der Innentasche von Vanja hatte er ein Polaroid-Foto herausgezogen.
Es zeigte Nele in ihrem Brautkleid mit aufgerissenen Augen, einem panischen Blick und einem Haushaltsschwamm im Mund, als Knebel mit einem Kabelbinder fixiert.
Vor ihnen lag der Pelikan oder besser die beiden Pelikane. Nur konnten sie jetzt keinem mehr verraten, wo sich die entführten Bräute aufhielten.
Kristin und Carlotta traten erst jetzt in die Szene ein und erwarteten nun in der Vernehmung von Susi, den Aufenthaltsort der Bräute zu erfahren.
Hoffentlich war es noch nicht zu spät.