Kapitel 31
Vermisst

Beim Bremer Polizeipräsidenten klingelte das Mobil­tele­fon. „Hallo, Knut, wir haben lange nichts mehr voneinander gehört, was kann ich für dich tun?“, freute sich der Präsident über den Anruf von Knut Holberg, einem Freund aus dem Bremer Lions Club, der eine Bremer Reederei leitete.

„Guten Morgen, Helmut, entschuldige, dass ich dich direkt anrufe, aber wir sorgen uns um Greta. Sie war gestern bei einer Kommilitonin auf einer Party und ist bis heute noch nicht zurückgekehrt. In der Uni ist sie nicht erschienen und ihre Freundinnen wissen auch nicht, wo sie ist. Greta hatte heute nach ein Uhr die Party allein verlassen. Telefonisch oder per WhatsApp ist sie nicht zu erreichen. Das ist für sie total untypisch, da muss etwas passiert sein“, sorgte sich der Reeder.

Helmut Pape war ein Macher und niemand, der in einer solchen Situation einen Freund mit hinhaltenden Floskeln abwimmelte. Ihm gingen gerade mehrere Szenarien durch den Kopf, wobei er neben einer harmlosen Liebesnacht auch eine mögliche Entführung der Tochter eines stadtbekannten millionenschweren Reeders nicht ausschließen konnte.

„Kannst du mit einem möglichst aktuellen Foto schnellstmöglich ins Clubhaus kommen? Das ist erst mal neutraler als direkt zu mir ins Präsidium und besser, als würden wir bei dir aufschlagen“, schlug der Präsident vor. Der besorgte Reeder verstand sofort und sagte zu: „Gib mir 30 Minuten.“

Helmut Pape war in seiner Behörde ein anerkannter Praktiker und wusste, wen er jetzt anrufen musste, um so sensibel und kompetent wie möglich in das vereinbarte Gespräch einzusteigen.

Der Präsident ließ sich von der Leiterin der Verhandlungsgruppe, Sabine Bertram, begleiten, die für solche Einsätze und Gespräche prädestiniert war.

Nachdem sich die Lionsfreunde und Sabine Bertram begrüßt hatten, bemerkte der Bremer Polizeipräsident: „Knut, du kannst offen sprechen. Frau Bertram hat mein vollstes Vertrauen und alles bleibt erst mal unter uns.“

Knut Holbergs Besorgnis war ihm anzusehen. „Vielen Dank, dass du es so schnell und persönlich möglich machst, Helmut. Auch Ihnen vielen Dank, Frau Bertram“, eröffnete der Reeder das Gespräch, begründete gegenüber den beiden Beamten seine Sorge und schilderte ausführlich die letzte Begegnung mit seiner Tochter.

„Herr Holberg, gab es in der letzten Zeit Andeutungen oder Begegnungen, über die Ihre Tochter mit Ihnen oder Ihrer Frau gesprochen hat? Ich meine dabei auch angenehme, wie ein neuer Freund oder Ähnliches. Vielleicht lässt sich das Fernbleiben Ihrer Tochter harmlos erklären“, startete Sabine Bertram mit einer Basisanalyse. Als der Vater von Greta den Kopf schüttelte, fuhr sie fort. „Gab es Ihrerseits Anrufe, Begegnungen, Beobachtungen oder Äußerungen, die die Annahme einer möglichen Entführung begründen könnten?“

Der Reeder schüttelte weiter den Kopf. „Wissen Sie, Frau Bertram, wir sind eine sicherlich vermögende und bekannte Bremer Familie, leben aber ganz normal seit Jahrzehnten in der Stadt, ohne dass wir jemals bedroht worden sind. Wir haben keinen Chauffeur oder Bodyguard und nutzen sogar oft öffentliche Verkehrsmittel. Es gab bislang keinen Grund, Angst vor irgendwem zu haben“, versuchte sich der Millionär fast zu rechtfertigen.

„Was schlagen Sie vor, Frau Bertram?“, fragte der Polizeipräsident seine leitende Mitarbeiterin.

„Wir beginnen mit den Basics. Handyortung und Befragung der Gäste von der gestrigen Party. Wir rekonstruieren einen wahrscheinlichen Weg, den Greta um die Zeit gewählt haben dürfte, um nach Hause zu kommen. Wir werden Ihr Haus technisch für Telefonmitschnitte vorbereiten und bereiten parallel eine Ermittlungsgruppe für eine mögliche Entführung mit Lösegeldforderung vor. Die ersten Maßnahmen treffe ich mit meinem Team, davon wird vorerst niemand etwas erfahren“, plante die Chefin der Verhandlungsgruppe.

„Sie haben meine volle Unterstützung, Frau Bertram“, stimmte der Polizeipräsident zu und richtete sich an den besorgten Reeder: „Bist du damit auch einverstanden, Knut?“

Der nickte mit einem leisen „Danke, vielen Dank“.

Sabine Bertram legte nach. „Haben Sie uns ein Foto von Greta mitgebracht? Und ihre Handynummer benötige ich noch für die Fahndung.“

Nachdem Knut Holberg der Beamtin beides ausgehändigt hatte, verabschiedeten sie sich untereinander, wobei der Polizeipräsident wünschte: „Ich drücke die Daumen, dass alles ganz harmlose Gründe hat. Ich melde mich, sobald wir etwas erfahren oder ich ein Team zu euch schicke.“

Nach allen erforderlichen Beschlüssen zur Handyortung stellte sich heraus, dass das Mobiltelefon von Greta letztmalig um 1.17 Uhr in einem Funkturm nahe der Richard-­Boljahn-Allee auf Höhe des Vahrer Sees eingeloggt war. Seitdem verlor sich die Spur des Handys.

Der direkte Weg von der Party zum Deliusweg war das nicht mehr. Sabine Bertram war sehr erfahren und hatte ein mulmiges Gefühl, in dem der Begriff vom harmlosen Fernbleiben keinen Platz mehr fand.

Nach Aufklärung der Möglichkeiten, ob man vom Partyort aus auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln in der Nacht noch nach Hause kommen konnte, und der Negativmeldung aus den Bremer Taxizentralen rief die Ermittlerin ihren Präsidenten an. „Herr Pape, wir sollten das Team losschicken und eine Ermittlungsgruppe einrichten.“