Team Hannover
Die Hannoveraner mit Mona Bogner und Karl Münter erhielten von Thorsten Büthe tatkräftige Hilfe, da er sein Hochzeitsnetzwerk ideal einbinden konnte und zudem die meisten Locations sowie auch Brautläden persönlich kannte. Obwohl dienstliche und nebenberufliche Tätigkeiten stets zu trennen waren, wurde mit der LKA-Leitung abgestimmt, diese Netzwerke insofern zu nutzen, dass Thorsten Büthe als Hochzeitsfotograf seine Messestände entsprechend, direkt gegenüber den Anbietern für Brautkleider, platzieren konnte. Diese Stände wurden sowohl durch den OFA-Leiter als auch seine beiden Töchter Celina und Emma und mit Einsatz weiterer Nachwuchsfotografen, die im echten Leben als Observationskräfte der Polizei arbeiteten, unterstützt. Im Fokus dieser Personen standen Messebesucher, die gerade nicht mit ihren zukünftigen Bräuten und Brautjungfern oder Müttern unterwegs waren, sondern primär männliche Einzelgänger, die auf der Suche nach geeigneten Opfern Ausschau hielten.
Ein solches Event wurde an einem Samstag als ‚Wedding Day‘ in der eigentlich beschaulichen Stadt am Deister, in Bad Nenndorf, gefeiert. Der einst ruhige Kurort hatte sich in den letzten Jahren durch einen engagierten neuen Stadtdirektor und eine Neuausrichtung des Kultur- und Tourismusbereiches in eine rundherum innovative Stätte vor den Toren der niedersächsischen Landeshauptstadt gewandelt. Öffentliche Veranstaltungen im Kurpark sowie eine Umbildung des einst verschlafenen und nun zur Eventlocation mutierten Schlösschens hatten Bad Nenndorf über die Region Hannover hinaus bekannt gemacht. Die Ausstellungen und Events in der Wandelhalle hatten plötzlich enormen Zulauf, selbst aus dem Stadtgebiet von Hannover. So feierte Bad Nenndorf den Wedding Day mit verschiedenen Anbietern in der großen Wandelhalle, aber auch eine bereits seit Jahren etablierte Hochzeitsmesse bei Möbel Henning, einem großen, familiengeführten Möbelhaus in Bad Nenndorf. Das Schlösschen warb parallel mit der Möglichkeit, sich dort nicht nur standesamtlich trauen zu lassen, sondern auch gleich seinen Gästeempfang und ebenfalls die gesamte Hochzeitsparty zu feiern. Alles war stilvoll eingedeckt, und die Gäste konnten die dort präsentierten Kanapees sogar kostenlos genießen.
Thorsten hatte seinen Fotografenstand direkt gegenüber dem Brautgeschäft White Dreams aus Stadthagen eingerichtet. Kristin und Mona Bogner unterstützten ihn, wobei sie Karl Münter als älteren Kollegen beim Limousinenservice und den Bandleader Maik bei „Carry Me“, einem wunderbaren Akustikduo, nebenan untergebracht hatten. Die Observationskräfte mischten sich als Brautpaare getarnt unter das Publikum.
Bei Möbel Henning hatten Thorstens Töchter Celina und Emma einen Stand gegenüber einem Brautladen aus Barsinghausen aufgebaut. Nina und Thomas standen ebenfalls zur Verfügung. Auch hier waren Polizisten undercover als turtelnde Brautpaare unterwegs und interessierten sich für die Angebote der Hochzeitsdienstleister.
Jeweils ein Observationsteam hielt sich direkt im Eingangsbereich auf, um verdächtige Personen schon an dieser Stelle aufzunehmen und entsprechende Erkenntnisse an die Messekräfte weiterzuleiten.
Dann geschah es: Ein solcher Funkspruch wurde von den Einsatzkräften von Möbel Henning an die Beobachtungsposten übermittelt.
„Person männlich, circa Mitte dreißig, ein Meter achtzig, blaue Jeans, helles T-Shirt, darüber braune Lederjacke und blaue Basecap von Nike. Person ist allein unterwegs und passiert jetzt den Eingangsbereich.“
Team I meldete sofort: „Okay, Kontakt zum Team I steht, wir sind dran, wer kann unterstützen?“, wobei sich Team III sofort anbot. Interessant an diesem Gast blieb, dass er sein Handy an einem langen Selfiestick montiert hatte und bei einer Brautmodenschau und an den Ständen Videos drehte.
Die Observationskräfte teilten plötzlich mit: „Zielperson ist in eine Umkleidekabine gegangen und filmt vermutlich die weiblichen Kundinnen, die in den Nachbarkabinen Brautkleider anprobieren. Frage: Zugriff?“
Thorsten Büthe hatte die Funksprüche mitverfolgt und wies an: „Nein, noch kein Zugriff. Bleibt unauffällig an ihm dran. Könnt ihr ein Foto in die Gruppe schicken? Lasst ihn nicht aus den Augen. Wenn Zugriff, dann erst draußen oder im absoluten Notfall.“
Die Observationskräfte bestätigten: „Verstanden“, und gaben stets aktuelle Statusmeldungen.
„Zielperson verlässt das Möbelhaus und begibt sich auf den Parkplatz“, meldeten die konspirativen Verfolger.
„Habt ihr die Möglichkeit, ihn auch mit dem Pkw weiterzuverfolgen?“, fragte Thorsten als Einsatzleiter.
„Positiv“, bestätigten sie.
„Dann bleibt bitte dran“, wies Thorsten an.
Die Zielperson bestieg einen geschlossenen VW Caddy, verließ den Parkplatz des Möbelhauses und bog beim Baumarkt erst nach rechts auf die B 442 und dann sofort nach links in die Buchenallee Richtung Kurpark ab, wo sie ihren Caddy abstellte. Dann schlenderte die männliche Person am Minigolfplatz durch den Kurpark direkt zum Schlösschen und begab sich direkt zur eigentlichen Hochzeitsmesse mit über 80 Ausstellern in die Wandelhalle. Das Observationsteam hatte den Mann beständig unter Kontrolle und der Verfolgte wurde in der Wandelhalle durch Team V abgelöst.
Bei dieser Besatzung handelte es sich um zwei junge Beamtinnen, die als Braut und Brautjungfer unterwegs waren. Sie tauschten sich mit Team VI aus und beschlossen nach Rücksprache mit dem Einsatzleiter, dass sie sich der Zielperson provokativ anbieten würden. Dafür setzten sich die attraktiven und ausgelassen wirkenden Beamtinnen vor ihr „Objekt“ und steuerten direkt den Brautmodenstand White Dreams an. Auf diese Weise kamen sie in das Blickfeld des OFA-Teams, welches den Mann nun auch beobachten konnte.
Die jungen Beamtinnen entschieden sich für zwei Brautkleider und suchten eine Kabine zur Anprobe auf. Jetzt hatten sowohl Team VI als auch das OFA-Team vom Stand des Fotografen und des Akustikduos die Zielperson im Visier. Das Gewusel dort war derartig groß, dass es eigentlich niemandem auffiel, dass sich der Einzelgänger mit einem willkürlich gegriffenen Brautkleid in eine Nachbarkabine begeben hatte.
Team VI teilte den beiden Beamtinnen mit: „Er ist jetzt in der Kabine rechts von euch. Passt auf!“
Eine der beiden Beamtinnen zog sich bis auf den Slip und BH aus, wobei sie ihre Dienstwaffe und das Funkgerät in einer Gürteltasche im Vorfeld abgelegt hatte. Ihre Kollegin konnte das Handy, welches unter der rechten Kabinenwand durchgeschoben wurde, wahrnehmen und stellte sich provokant zwischen Handy und ihre fast nackte Kollegin. Sie kreischten und probierten authentisch noch das zweite Modell aus, wobei der Spanner vergeblich versuchte, sich mit seinem Handy freie Bahn zu verschaffen. Nachdem sich die fingierte Braut wieder angekleidet hatte und beide Beamtinnen die Kabine verlassen hatten, folgte ihnen der Typ weiterhin.
Team VI meldete die aktuelle Verfolgungssituation. „Team V, ihr verlasst jetzt bitte beide die Halle, trennt euch theatralisch auf dem Parkplatz und die Braut geht allein zu dem vorbereiteten Pkw. Team VI, ihr bleibt dran und passt lediglich auf, wir folgen euch, bleiben aber vorerst im Hintergrund. Kein Risiko. Sobald er die Braut angreift, Notzugriff. Habt ihr das?“, forderte Thorsten ein.
„Team V bestätigt. Team VI dito“, erklang es im Funk.
Team V verließ die Wandelhalle, trennte sich mit einer herzlichen Umarmung, und die Braut begab sich zu ihrem Parkplatz am Wald beim Kurgarten. Der Spanner folgte ihr und sah sich sichernd um. Team VI meldete, dass selbst während der Verfolgung die Videokamera seines Handys auf die Braut gerichtet war.
Der Abstand zwischen ihr und ihrem Verfolger verringerte sich. Als die Beamtin auf den präparierten Dienstwagen zuging, wurde ihr immer mulmiger, als sie die Nähe des Täters spürte. Plötzlich kam ihnen aus einem Waldweg ein lachendes Pärchen entgegen, sodass der Mann die Straßenseite wechselte und er seinen Weg in Richtung seines Pkw fortsetzte.
Mist, dachte nicht nur die Braut, sondern auch Team VI, welches sich gerade auf den Notzugriff vorbereitet hatte und die Statusmeldung an die Einsatzleitung durchgab: „Wir benötigen sofort zwei mobile Teams in der Brunnenallee! Wer kann anfahren?“, rief Thorsten in den Äther.
„Sprinter II und III sind auf Stand-by, wir ziehen hoch“, meldeten zwei mobile Observationsteams.
„Team VI an alle: Zielperson besteigt hellen Pkw VW Caddy ohne Aufschrift mit hannoverschem Kennzeichen H-MO ... Die Ziffern können wir nicht erkennen. Wenn wir näher rangehen, fliegen wir auf. Pkw bewegt sich aktuell in Richtung B 442“, brachte Team VI die Einsatzkräfte auf Stand.
„Für die mobilen Teams: Hängt euch unauffällig ran. Vielleicht führt er uns zu dem Ort, wo die anderen Opfer festgehalten werden. Ich brauche umgehend das vollständige Kennzeichen für die Halterfeststellung“, wies der Einsatzleiter an.
„Okay, sind auf Sichtweite. Es lautet: H-MO 8878“, gaben die Observationskräfte bekannt. Über die Einsatzzentrale konnte als Halter der 33-jährige Rolf-Dieter Birnbaum identifiziert werden, was Thorsten unmittelbar an die Verfolger weitergab. „Er wohnt in Hope, Am Schacht 23a. Das ist ein Kaff zwischen Lindwedel und Schwarmstedt. Wir versuchen, eine SEK-Einheit schon an das Grundstück zu ziehen. Lasst ihn nicht ins Haus, Zugriff möglichst, sobald er vor dem Objekt anhält. Wir dürfen die Opfer nicht weiter gefährden. Ist das verstanden?“, ordnete Thorsten an.
„Das ist so verstanden“, bejahten die Verfolgungs- und Zugriffskräfte.
Der Caddy fuhr ruhig über die Landesstraßen durch beschauliche Orte in der Wedemark, sodass sie kein Problem hatten, dranzubleiben.
Sie steuerten auf ein abgelegenes Haus aus zu, welches von außen einen stark renovierungsbedürftigen Eindruck hinterließ. Die Observationskräfte versuchten sich mit dem SEK abzustimmen.
„Die Zielperson biegt in die Grundstückseinfahrt. Steht die äußere Absperrung? Wir brauchen euch hier!“, fragten sie nicht ohne eine erhebliche Anspannung in der Stimme nach.
„Sorry, wir sind noch auf der Anfahrt und benötigen noch circa drei Minuten“, musste das SEK die Verfolger vertrösten.
„Mist!“, fluchte der Leiter des Observationsteams und wies das zweite Team an: „Sprinter III. Sobald er stoppt, nehmen wir ihn in die Zange und führen den Notzugriff durch, er darf nicht ins Haus gelangen. Habt ihr das verstanden?“ Sprinter III bestätigte und beschleunigte den Audi S6, um aufzuschließen.
„Was ist das denn?“, fluchte der Beifahrer von Sprinter II.
Vor dem Caddy öffnete sich ein von außen baufällig erscheinendes Garagentor plötzlich elektrisch wie in einem James-Bond-Film und schloss sich genauso wieder, nachdem der VW Caddy in der Garage verschwunden war. „Scheiße! Sprinter III, Abbruch! Abbruch und unauffällig abdrehen. Zielperson ist bereits im Gebäude“, wies er das zweite Verfolgungsfahrzeug an und fuhr am Grundstück vorbei.
„Einsatzleitung von Sprinter II. Zielperson ist samt Fahrzeug im Gebäude verschwunden. Notzugriff war nicht möglich“, meldete das Observationsteam an Thorsten Büthe.
„Verstanden. Hat er euch bemerkt?“, hakte er nach.
„Können wir nicht beurteilen, aber auf den Landstraßen war auch nicht viel los. Sein Fahrverhalten hat der Fahrer allerdings nicht verändert“, meldete Sprinter II.
„Okay, die SEK-Kräfte übernehmen vorerst die äußere Absperrung. Der SEK-Leiter, die Observations- und nachgeführten Kräfte treffen sich mit uns in Lindwedel am Sportplatz“, wies der OFA-Leiter an.
Er hatte parallel Iris Höppner und die Staatsanwältin, Doktor Anne Borgward, in Kenntnis gesetzt, die ebenfalls auf der Anfahrt waren.
Nina Bachmann und Thomas Schulte hatten sich zwischenzeitlich mit dem Fahrzeughalter beschäftigt, der bereits als bekannter Wäschedieb, Voyeur und Exhibitionist im Großraum Hannover in Erscheinung getreten war. Eine Überprüfung der Anschrift ergab, dass auch Elfriede Birnbaum, 83 Jahre alt, seit 1957 dort wohnte. Es handelte sich vermutlich um die Mutter der Zielperson.
Weiterhin konnten sie in Erfahrung bringen, dass der ehemalige Bauernhof aus mehreren Nebengebäuden und Stallungen sowie dem Wohnhaus bestand.
Die Absperrkräfte meldeten, dass sie über Ferngläser zwei Personen – eine männliche und ältere weibliche Person – im Erdgeschoss, vermutlich einer Küche, ausmachen konnten.
Nach einer gemeinsamen Einsatzbesprechung mit der Sokoleiterin Iris Höppner und der Staatsanwältin wurde die Lage erörtert und auf telefonische Anordnung des zuständigen Gerichtes bestimmt, in das Haus einzudringen, um mögliche Geiseln aus einer konkreten Gefahr zu retten und einen möglichen Tatverdacht gegen Rolf-Dieter Birnbaum zu überprüfen.
Das SEK teilte mit, dass beide Personen weiter am Küchentisch saßen. Hinweise auf andere Personenbewegungen im Haus hatten sich nicht ergeben.
Die SEK-Beamten schlichen sich sichernd an das Haus, als sich in dem Stallanbau hinter dem Küchentrakt lautstark mehrere Gänse bemerkbar machten. Die ältere Dame und der Mann erhoben sich vom Küchentisch.
Elfriede Birnbaum öffnete eine Terrassentür und begab sich mit einer Schale mit Essensresten in Richtung der Stallungen. Ein SEK-Beamter ergriff sie plötzlich von hinten, hielt ihr den Mund zu und zerrte die betagte Dame aus dem Gefahrenbereich. Als dabei die Schale mit dem Gänsefutter schallend auf den Steinboden der Terrasse polterte, rief der Sohn: „Mutti, ist alles okay?“
Gleichzeitig stürmten schwer bewaffnete und maskierte SEK-Beamte in die Küche und schrien Herrn Birnbaum an: „Polizei! Hände hinter den Kopf und runter auf die Knie!“, wobei er allerdings nicht den Ansatz einer Chance hatte, sich selbst in diese Position zu bringen.
Herr Birnbaum wusste nicht, wie ihm geschah, und sah sich plötzlich gefesselt und durch kräftige SEK-Beamte bäuchlings auf dem Küchenboden fixiert. Völlig perplex wurde auch er nach draußen gezerrt und in einen Polizeibulli gebracht, in dem auch seine Mutter gründlich durchsucht wurde.
Weitere Spezialkräfte durchkämmten mit Pumpguns und Maschinenpistolen im Anschlag systematisch das Wohnhaus samt aller Nebengebäude. Gleichzeitig fuhren mehrere Rettungswagen und ein Notarztfahrzeug auf das Gelände.
Als die Durchsuchungskräfte nach mehreren Minuten meldeten: „Wohnhaus und Nebengebäude sind sicher. Keine weiteren Personen angetroffen“, betraten die Sokoleiterin mit der Staatsanwältin sowie das OFA-Team die Räumlichkeiten. Der Zustand im Innern des Wohngebäudes war mit den äußeren Umständen nicht zu vergleichen. Alles wirkte gepflegt und war relativ konservativ, aber sauber und geschmackvoll eingerichtet.
Ein SEK-Beamter begleitete die Mitglieder der Soko und machte sie auf einen Kleiderschrank im Zimmer von Rolf-Dieter Birnbaum aufmerksam, durch den man komplett in einen nächsten fensterlosen Raum gelangte. Hier fand sich verhältnismäßig moderne Computertechnik mit mehreren Monitoren sowie eine große beleuchtete Glasvitrine, in der geordnet eine Vielzahl offensichtlich benutzter Damenslips und BHs präsentiert wurde.
Auf einem Schreibtisch war ein Handy mittels Kabel mit einem Computer verbunden. Auf dem Monitor erschien die Meldung ‚Download abgeschlossen, Datenträger entfernen‘.
Nach Aktivieren der Returntaste auf dem Computer öffnete sich ein Fotoordner mit diversen Aufnahmen, unter anderem auch diejenigen, die von der fingierten Braut in der Kabine des Brautmodenstandes unter der Kabinenwand aufgenommen wurden.
Die beiden Personen wurden getrennt in die Räumlichkeiten des LKA Niedersachsen gebracht, wo eine umfängliche Vernehmung durchgeführt wurde. Parallel wurde das Wohnobjekt mit seinen Nebengebäuden akribisch nach den entführten Frauen und entsprechenden Hinweisen auf Tatzusammenhänge durchsucht. Der VW Caddy wurde in die Fahrzeughalle des Kriminaltechnischen Institutes des LKA geschleppt und – in der Hoffnung, Spuren oder DNA-Material von den Entführungsopfern zu finden – komplett auf links gedreht.
Sämtliche Durchsuchungen und kriminaltechnische Untersuchungen verliefen negativ. Es konnten weder im Haus und im Pkw Spuren von einem der Entführungsopfer noch irgendein Ansatz auf eine Verbindung zu Hochzeiten oder Hochzeitskleidern gefunden werden. Die Auswertung der Computer, Datenträger, Fotokameras und Handys ergab konkrete Hinweise auf mehrjährigen Voyeurismus und Diebstahl von gebrauchter Damenwäsche, was sowohl durch die Vernehmung der Mutter als auch das komplette Eingeständnis des Spanners bestätigt wurde.
Sie hatten den Falschen und standen mal wieder ganz am Anfang.
Team Celle
Astrid Wegner und Cord Brammer waren seit vier Jahren ein eingespieltes Team. Auf die Frage der Sokoleiterin an Astrid Wegner, wie sich Cord nach dem Schusswaffengebrauch wieder eingearbeitet hatte, konnte seine Kollegin nur Positives berichten. „Es ist, als ob nie etwas gewesen wäre. Eigentlich ist er wieder ganz der Alte, nur ein bisschen nachdenklicher und zurückhaltender. Den Heißsporn hat er abgelegt“, beschrieb Astrid ihrer Chefin den neuen Cord. Auf dem Flur wandte sich Iris Höppner unbeschwert an ihren Mitarbeiter. „Ich habe gerade mit Astrid gesprochen und sie gefragt, ob du wieder auf die Menschheit losgelassen werden kannst. Über ihre Antwort habe ich mich gefreut. Willkommen zurück“, dabei nahm Iris Höppner Cord kollegial in den Arm. „Wenn du irgendetwas brauchst, bin ich für dich da“, versprach die Chefin.
„Dann lockt den Pelikan mal aus seinem Nest“, motivierte sie ihr Celler Team.
Gemeinsam mit dem Social-Media-Team werteten sie Inserate für Brautmoden aus. Gezielt kontaktierten sie Inserenten, die Brautkleider im Netz anboten, und fragten nach deren Erfahrungen mit Interessenten. Des Weiteren berieten die Beamten die meist weiblichen Anbieterinnen, wie sie sich verhalten sollten, wenn sie einfach nur ein mulmiges Gefühl nach einem Anbahnungsgespräch spürten oder der Anrufer und Abholer ein Mann war.
Die Soko hatte rund um die Uhr eine Beratungs- und Notruf-Hotline eingerichtet, aber es blieb relativ ruhig, denn in der Regel suchte die angehende Braut selbst ihr Kleid aus und überließ das nicht ihrem Bräutigam.
Cord spürte das Misstrauen der Anbieterinnen hautnah. Bei jedem zweiten Anruf, den er tätigte und auf den er Bezug auf das Inserat des Brautkleides nahm, wurde sofort wieder aufgelegt. Die höflicheren Inserentinnen boten an, gern mit der künftigen Braut einen Termin zu vereinbaren, jedoch nicht mit dem Bräutigam.
Das polizeiliche Präventionskonzept schien aufzugehen. Jetzt benötigten sie nur noch den richtigen Hinweis zur richtigen Zeit.
Team Hildesheim
Elke Bothe und Hans Wiener saßen mit dem Social-Media-Team zusammen und verfassten Lockinserate zu Brautkleidern.
Thorsten hatte Kontakt zu seinen ehemaligen Hochzeitspaaren aufgenommen und sie gebeten, ob er die Fotos mit den Einzelporträts der Bräute für diese Inserate nutzen durfte. Natürlich wurden die Gesichter mit Photoshop so bearbeitet, dass sie nicht im Ansatz zu erkennen waren. Die meisten Bräute hatten unter diesen Voraussetzungen einer absolut anonymen Veröffentlichung zugestimmt. Auf diese Weise hatten sie authentisches Fotomaterial in wechselnden Locations.
Dem Hildesheimer-Team standen mehrere Handynummern zur Verfügung. Sie hatten sogar eine möblierte Wohnung angemietet, in der man die interessierten männlichen Käufer einladen und dann auch polizeilich überprüfen konnte.
Also hieß es abzuwarten und sich auf den einzig Richtigen zu konzentrieren, um dann zuzuschlagen. Das konnte doch nicht so schwer sein.
Die Analysestelle der Zentralstelle Gewalt des LKA
Die Analysestelle der Zentralstelle Gewalt wertete die Kriminalitätslage Niedersachsens, beginnend in der Region Hannover, akribisch aus. Sämtliche Vermisstenfälle, primär junger Frauen, und alle polizeilichen Sachverhalte, die nur im Ansatz etwas mit dem Thema ‚Hochzeit‘ oder ‚Brautbekleidung‘ zu tun hatten, waren relevant.
Bundesweit wurden die für solche Fälle zuständigen Zentralstellen der Landeskriminalämter über die aktuellen Erkenntnisse der Soko Pelikan informiert und um entsprechende Analysen in ihren Bundesländern gebeten. Die OFA-Analytiker recherchierten dazu parallel in der Datenbank ViCLAS, in der besondere Tötungs- und sexuelle Gewaltdelikte sowie Vermisstenfälle mit der Wahrscheinlichkeit auf eine Straftat bundesweit abgebildet waren. Das Netz wurde ausgeworfen, jetzt mussten sich nur der richtige Fisch oder die richtigen Fische darin verfangen.
Die OFA
Das OFA-Team aktualisierte die bisher gesicherten Erkenntnisse und versuchte daraus brauchbare Tathypothesen aufzustellen. Neben der Bewertung der möglichen Tatmotivation, dem möglichen Aufenthaltsort des Pelikans und seinem nächsten Aktionsraum war natürlich die drängendste Frage, wo und in welchem Gesundheitszustand würden die bisherigen Opfer zu finden sein.
Bei der gegenwärtigen Bestandsaufnahme musste die OFA allerdings feststellen, dass sie ohne eine objektive Datenbasis kaum Ansätze hatten, um zu einem dieser Punkte eine fachlich valide Aussage zu treffen.