Kapitel 56
Die kalte Braut

Der Pelikan hatte seinen Van wieder in die Scheune gefahren und die hübsche Braut auf dem Edelstahltisch abgelegt. Seine Schweine waren schon ganz aufgeregt und grunzten erwartungsvoll. Er durchtrennte die Kabel­binder, entnahm den Knebel und zog das Brautkleid aus. Darunter war das Model mit teuren Dessous bekleidet, die er allerdings noch nicht abstreifte. Er kennzeichnete das Kleid mit der Nummer 21 und hängte es auf einen Bügel auf den Kleiderständer in der entsprechenden Reihenfolge. Vor dem Ausbluten wollte der Pelikan die Braut sicherheitshalber noch einmal mit dem Elektroschocker betäuben, wusste aber nicht mehr, wo er ihn hingelegt hatte. An seinem Stammplatz lag er nicht mehr. Vielleicht hatte ihn die Begegnung mit dem Profiler doch mehr beeindruckt.

Als der Täter zum Skalpell griff und den Träger des Bustiers durchtrennte, verspürte er am Oberschenkel einen kräftigen Stromschlag, der ihn komplett umhaute. Yvonne hatte die Unaufmerksamkeit des Pelikans genutzt, um den Elektroschocker an sich zu nehmen und gegen ihn einzusetzen. Sie sprang von der Schlachtbank auf und lief an den grunzenden Schweinen vorbei in die Scheune, in der der Transporter abgestellt war. Sie öffnete die Fahrertür und schaute, ob der Schlüssel steckte oder irgendwo im Fahrerraum lag. Sie fand ihn nicht. Auch als sie versuchte, das große Scheunentor zu öffnen, gelang es ihr nicht. Aus dem Schlachtraum hörte sie den Entführer schnaufen und verhielt sich ganz still. Er schlurfte angeschlagen und schwer atmend in die Garage und sah sich suchend um. Der Braut fiel es schwer, ruhig zu atmen, sodass sie ihren Mund weit aufriss, um die Atemgeräusche zu minimieren.

Er schlich um den Transporter und näherte sich. Sie kam aus der Garage nicht heraus und war unsicher, ob es aus dem Schlachtraum oder dem Schweinestall noch eine Fluchtmöglichkeit gab. Sie musste es versuchen und tappte leise zurück. Dabei hatte sie eines völlig unterschätzt. Die Schweine grunzten plötzlich lautstark und liefen in ihren Ställen aufgeregt hin und her. Sie hatte keine Wahl und sprintete so schnell sie konnte in den Stall. Allerdings bot sich hier keine Möglichkeit zur Flucht. Dort wo früher anscheinend eine Öffnung eingelassen war, sah sie frische Klinkersteine gemauert. Sie musste weiter in den gefliesten Raum treten, in dem es nur noch eine Tür mit Metallbügel gab.

Plötzlich stand der Täter in dem Zugang zur Garage und blockierte den Weg zurück. Er hielt ein großes Messer in der Hand und griff sich vor Schmerzen an sein linkes Bein, was er hinter sich herzog. Vor Wut und Schmerzen schäumend kam er mit erhobenem Messer auf Yvonne zu, die keine Chance gegen den Mann hatte. Ihr blieb nur noch dieser Ausgang mit einem kleinen Fenster, durch das man von außen aber nichts sehen konnte. Schlagartig legte sie den Metallbügel um, stürmte hinein und zog die Tür hinter sich zu. Panisch schaute sie durchs Fenster und sah den schadenfrohen Blick des Entführers, der einfach nur den langen Türhebel umlegte und die Metalltür von außen verriegelte. Sie hatte sich verkalkuliert und verloren. Barfuß in Dessous stand sie in einem Kühlraum, der komplett vernebelt und eiskalt war. Sie sah zwar die Hand vor Augen nicht, ahnte es aber: Hier war sie nicht allein.

Der Pelikan hatte am eigenen Leib die Wucht seines Elektro­schockers spüren müssen und war beeindruckt. Er sah nach Patrick Holberg und tauschte die Campingtoilette aus. Er aß zu wenig, doch der Pelikan hoffte, dass er durchhielt. Der Entführer schob sich eine Tiefkühlpizza in den Ofen und verfolgte die aktuellen Nachrichten über die Traumhochzeit des berühmten Paares. Die Medien berichteten über den gesundheitlichen Zusammenbruch des Bräutigams. Von der Entführung der Braut war auf keinem Sender die Rede. Er war geduldig, zumal Marina Swodicz die Hochzeitsfeier als Reporterin aktiv begleitet hatte und die Entführung allein dadurch nicht länger geheim gehalten werden konnte.

Der Pelikan stellte Dr. Google die Frage, wie lange ein Mensch bei minus 18 Grad Celsius überleben konnte, und wurde dann doch unsicher. In einer dicken Daunenjacke betrat er den Tiefkühlraum. Die Braut hatte sich in eine Ecke gekauert und war nicht mehr in der Lage, sich selbstständig zu bewegen. Der Pelikan zog sie raus, legte ihr seine Daunenjacke über und brachte sie in einen weiteren präparierten Kellerraum. Dort setzte er die bibbernde junge Frau auf eine Matratze, die auf zwei Europaletten lag, und wickelte sie in zwei Wolldecken ein. Der Entführer brachte ihr einen Liter heißen Tee und verband die Metallmanschetten um Fuß- und Handgelenke mit den Ketten, die in der Wand verankert waren. Über die Kameraüberwachung stellte er zufrieden fest, dass sie sich zitternd den Tee nahm und nach und nach austrank.

Er widmete sich wieder seiner Pizza und rückte von seinem eigentlichen Plan ab, Nummer 21 zu den anderen zu hängen.