Kapitel 65
Vermisst

Der Celler Kommissariatsleiter Steffen Lange probierte vergeblich, Thorsten Büthe auf seinem Handy zu erreichen. Als auch Cord Brammer nicht ans Telefon ging, hatte er die Leiterin der Soko Pelikan, Iris Höppner, am Draht. „Hallo, Iris, sind bei euch alle ausgeflogen? Ich kann von uns weder Astrid Wegner noch Cord Brammer erreichen. Thorsten geht auch nicht dran. Habt ihr eine Aktion, von der ich nichts weiß?“, fragte Steffen Lange.

„Da kann ich dir im Moment auch nicht helfen. Meine Leute habe ich nach langer Zeit mal wieder in ein freies Wochenende geschickt. Thorsten wird gesehen haben, dass du angerufen hast, und meldet sich sicher zeitnah“, beruhigte die Kriminaloberrätin ihren Celler Kollegen.

Steffen Lange sagte zu, sich zu melden, falls er etwas erfuhr, und bedankte sich.

Iris Höppner unternahm auch einen zwecklosen Anwahlversuch bei ihrem OFA-Leiter und schickte ihm eine WhatsApp hinterher mit der Bitte um Rückruf. In ihrem zweiten Anruf erreichte sie Kristin Bäumer, die gerade Grillbesuch in ihrem Garten verwöhnte und von Thorsten auch nichts gehört hatte. Kristin gab ihr noch die Festnetznummer ihres OFA-Leiters und Iris hatte dann seine Frau Vicci in der Leitung. „Hallo, Vicci, ich will euch an dem freien Wochenende nicht nerven, versuche aber Thorsten zu erreichen. Ist er zu Hause?“, begrüßte sie seine Ehefrau. „Hey, Iris, nein, der ist mit Emma zu einem Probeshooting bei einer Hochzeit in der Nähe von Celle. Er hat das Handy bestimmt auf lautlos oder ganz ausgestellt. Der Bräutigam ist ein Kollege aus eurer Soko und hat total geheimnisvoll getan. Das sollte wohl keiner wissen“, klärte Vicci auf.

„Na, das ist dann aber auch gelungen. Hast du zufällig den Namen des Kollegen, Vicci?“, wollte die Soko-Leiterin wissen.

„So viel zu einem eurer Geheimnisse. Ich glaube, es war Cord“, schmunzelte sie.

Iris bedankte und verabschiedete sich und wollte alles auf sich beruhen lassen, als sich Steffen Lange wieder meldete. „Hallo, Iris, ich mache mir jetzt doch langsam Sorgen. Astrid ist nach ihrer Spätschicht schon gestern Abend nicht zu Hause angekommen. Ihr Handy ist aus, WhatsApps von gestern Abend sind nicht mehr beantwortet worden.“ Iris Höppner versuchte ihn zu beruhigen. „Steffen, ich habe soeben mit Thorstens Frau gesprochen, der mit ihrer Tochter gerade bei einem Probeshooting einer Hochzeit im Raum Celle ist. Alles sollte geheim bleiben. Der Bräutigam ist Cord. Mach es ihnen nicht kaputt.“

Der Kommissariatsleiter brüllte ins Telefon: „Waaaaas! Nie im Leben. Cord stand vor drei Jahren mit seiner großen Liebe, einer Kollegin, vor dem Traualtar. Beim Jawort hatte sie sich plötzlich entschuldigt und ist, wie in einem Hollywoodstreifen, ausgerechnet mit seinem besten Kumpel und Trauzeugen aus der Kirche raus und durchgebrannt. Cord ist ausgerastet und war ein Jahr in psychiatrischer Behandlung. Er wird nie wieder heiraten, schon gar nicht Astrid. Sie war die beste Freundin seiner Braut und wusste von alledem. Ich wollte sie und auch Cord schon aus dem Kommissariat nehmen. Sie haben mich jedoch beide angebettelt, wenigstens den Job in der Mordkommission behalten zu können; und ich Blödmann habe mich weichklopfen lassen. So ’ne Scheiße!“, schrie er wieder verzweifelt in den Hörer.

„Steffen, komm mal runter! Das muss alles noch nichts heißen“, unterbrach sie den erregten Redeschwall des Kommissariatsleiters, als in diesem Moment Iris Höppner eine Nachricht über den Polizeimessenger bekam. „Steffen! Pass auf. Wir kommen schnellstmöglich nach Celle. Kümmere dich um die gesamte Handyortung, wir brauchen Durchsuchungskräfte, das SEK und einen Hubschrauber. Wir sind in einer Stunde bei euch“, wies die Soko-Leiterin an.

„Jetzt doch? Was ist denn los?“, wunderte sich plötzlich der Leiter der Celler Mordkommission. „Ich habe aus unserer Analyseeinheit gerade ein Foto bekommen, auf dem Cord mit einer GoPro-Kamera auf einer Bank am Herrenhäuser Schloss filmt, während er eigentlich auf einer Mountainbiketour in den Voralpen sein sollte“, stellte Iris Höppner überrascht fest.

Der nächste Anruf galt Kristin Bäumer. „Hallo, Kristin, mobilisiere dein Team, wir haben vermutlich ein Riesenproblem und treffen uns in einer Stunde im Lageraum in Celle!“ Thorstens Stellvertreterin erkannte schon an der Stimme der Soko-Leiterin, dass es hier keinen Platz für Diskussionen gab, und trommelte ihr OFA-Team mit Carlotta Bayer-Westhold zusammen. Iris Höppner rief bei Vicci an, erklärte ihr kurz die Lage und fragte nach Emmas Handynummer. Vicci konnte zusätzlich ergänzen, dass auch ein bekanntes Friseurteam, zwei Musiker und eine Traurednerin von Thorsten zu dem Treffen gebeten worden waren. „Hat dein Mann gesagt, wo genau sie sich verabredet haben?“, hakte die Chefin nach.

„Bleib mal dran, Iris. Wir haben einen verknüpften Terminkalender. Hier steht ‚Hambühren, Aller, am Klärwerk‘“, gab Vicci durch. Sie wollte noch viele Fragen stellen, aber Iris Höppner hatte schon aufgelegt.

Die Soko-Leiterin gab den Treffpunkt an Steffen Lange und die Piloten der Hubschrauberstaffel durch, die gerade vom Flughafen Langenhagen abhoben. Auch die Soko-Chefin sprang in ihren Audi TT und raste direkt nach Celle. Sie spürte, dass der Umweg über das LKA zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Sie war direkt per Freisprecheinrichtung mit dem Celler Einsatzleiter und der Hubschrauber­besatzung verbunden, als die erste Sichtung gemeldet wurde.

„Wir sind unmittelbar über einem kleinen See an der Aller nördlich des Hambührener Klärwerks. Hier sind zwei Pavillons und mehrere Fahrzeuge geparkt. Eine Person in Rückenlage liegt leblos am Boden. Sollen wir die Stelle bis zum Eintreffen der Einsatzkräfte markieren?“, erkundigten sich die Piloten. „Steffen, wie lange brauchen eure Leute noch?“, rief Iris Höppner ins Mikrofon. „Sie werden in etwa fünf Minuten vor Ort sein“, berichtete der Celler Kommissariatsleiter. „Okay, Phönix, ist unter den Fahrzeugen ein schwarzer 1er-BMW?“, fragte die Soko-Leiterin jetzt und fügte nach der Bestätigung aus dem Hubschrauber hinzu: „Okay, bitte fahnden Sie im Umfeld nach einem hellen Lieferwagen oder Klein-Lkw. Wir müssen es versuchen!“, wies die Soko-Chefin intuitiv an. „Steffen, veranlasst sofort eine Ringalarmfahndung ‚Ring 20‘ mit Schwerpunkt nördlich von Hannover und Fokus auf einen Lieferwagen, Lkw oder großen Transporter!“, ergänzte Iris Höppner bestimmend.