Kapitel 68
Die Hochzeitsvorbereitungen

Der Pelikan hatte von seinem Handy aus noch kurz auf dem Festnetzanschluss in seiner Wohnung angerufen und den Brandsatz aktiviert, bevor auch er sein Handy beim Überqueren der Aller in den Fluss warf. Er fuhr den hellen Transporter über das elektrische Tor direkt in den Garagenvorraum der Scheune. Als er die Türen zum Laderaum öffnete, hielt er seine Pistole im Anschlag, um bei einem Angriff sofort reagieren zu können. Seine Hochzeitsgäste standen aber noch so unter dem Einfluss der Medikamente, oder die Fesselung war effizient genug, dass sie eine Gegenwehr unmöglich machte. Erst holte er den OFA-Leiter aus dem Laderaum, setzte ihn auf eine lange Bank an einen überdimensionalen Esstisch und fixierte den Oberkörper und die Oberschenkel mittels Eisenketten an der massiven Holzbank. So folgten nacheinander alle Hochzeitsdienstleister samt der Klatschreporterin. Nach und nach gesellten sie sich nebeneinander und gegenüber- mit Ketten fixiert am großen Holztisch.

Nur seine Braut, Astrid Wegner, war nicht anwesend.

Emma Büthe führte er gefesselt in einen weiteren Raum, den die anderen nicht einsehen konnten. Als Thorsten das Bewusstsein langsam wiedererlangte und sich gegen die Fixierung aufbäumte, versuchte ihn der Pelikan zu besänftigen. „Thorsten, das mache ich nur, damit du nicht auf dumme Gedanken kommst. Beruhige dich!“

Der Pelikan platzierte vor jedem unfreiwilligen Gast auf dem Tisch eine PET-Flasche mit Wasser und wartete geduldig, bis alle wieder aufnahmefähig waren. In aller Ruhe ließ er die Frauen ausweinen, um ihnen dann ganz gemächlich zu erklären, wie es jetzt weiterging.

„Hallo, Leute, ich muss mich erst mal bei euch für die Umstände unseres Zusammentreffens entschuldigen. Ich habe euch engagiert, um meine Hochzeit zu einem der schönsten Tage in meinem Leben zu gestalten. Das bleibt auch so, wenn ihr wie vereinbart einfach euren Job macht. Bin ich zufrieden, bekommt ihr alle das vereinbarte Honorar und dazu noch eine Erschwerniszulage. Frau Swodicz, oder darf ich Marina sagen? Du hast die absolut seltene Gelegenheit, eine einzigartige Story weltweit zu veröffentlichen und dabei sogar reich und berühmt zu werden. – Nun zur eigentlichen Hauptzeremonie. Schade, dass ihr Männer zum Tragen nur zu zweit seid, denn das wird richtig Arbeit. Ich habe dem Figaro und den Damen einen zentralen Arbeitsplatz für die Frisuren und zum Schminken eingerichtet. Ich schlage vor, dass du – die Musikerin, Sissy, richtig? – und die Traurednerin – ich glaube, Elke, oder? – zunächst das Ankleiden der Gäste übernehmt, bevor ihr bei der Trauung euren Einsatz bekommt. Dabei kann auch Emma noch unterstützen, nicht wahr, Thorsten?“

Der Profiler versuchte sich aufzurichten, was ihm nicht einen Millimeter gelang. „Cord, was soll die kranke Scheiße hier. Du weißt selbst, dass du aus der Nummer nicht mehr rauskommst. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis deine und meine Kollegen hier sind. Wo sind die anderen Bräute? Was ist mit Yvonne Schultheiß?“, redete der OFA-Leiter, wenig hoffnungsvoll, auf den Pelikan ein.

„Ihr postmortalen Klugscheißer wollt doch alles besser wissen. Woher sollen unsere geschätzten Kollegen denn nur ansatzweise erahnen, wo sie suchen sollen? Na, analysierst du mich gerade? Glaubst du, dass ich meinen Plan jetzt aufgebe? Glaubst du, dass mir das nicht am Arsch vorbeigeht, wenn meine geschätzten Kollegen und deine Klugscheißer-OFA hier auftauchen? Glaubst du, dass mir hier noch irgendetwas Eindruck macht? Ihr habt euch die ganze Zeit so was von verarschen lassen. Ich musste mich verdammt oft zurückhalten, um mich nicht totzulachen. Insbesondere als du mir auch noch deine Pfandflaschen als Almosen in die Schubkarre auf Yvonne Schultheiß geworfen hast. Da hattest du es in der Hand, alles zu verhindern. Du hast es wieder verkackt. Mach einmal das, was du anscheinend kannst. Fotografiere einfach meine Hochzeit so, dass meine Braut und ich zufrieden sind. Macht ihr gefälligst euren Job, lasst mir meine Flitterwochen und ihr könnt danach gesund nach Hause fahren. Zickt nur einer von euch rum, nehme ich euch alle zusammen mit. Habt ihr das verstanden?“

Die Runde nickte eifrig bis auf Thorsten, der hände­ringend eine Möglichkeit suchte, die Truppe hier unverletzt rauszubringen. Bislang hatte er allerdings wenig Hoffnung.

„Na, Chef-Profiler? Soll ich meine Frage für dich extra noch mal wiederholen?“, provozierte er Thorsten.

„Cord, du kannst von mir halten, was du willst, aber ich bin nicht blöd. Ich möchte nur, dass wir hier unbeschadet rauskommen. Das gilt auch für dich.“

„Dann ist ja alles geklärt, und ich kann euch in eure Aufgaben einweisen“, kündigte der Pelikan an. Er löste erst vom Figaro die Ketten, um ihn mit Hand- und Fußfesseln neu auszustatten. Die gleiche Zeremonie wiederholte er mit Thorsten Büthe. Der Pelikan entnahm nun einen Benzinkanister aus einem Regal, öffnete den Deckel und stellte den Behälter so auf den riesigen Esstisch, dass niemand herankam. Am anderen Ende des Tisches entzündete er eine Kerze, die er mit einem nach oben offenen Glaskolben gegen Auspusten oder Zugluft schützte.

„Thorsten, du kennst dich mit sowas ja aus. Was glaubst du, wie lange benötigt das Benzin-Luftgemisch, um sich zu entzünden?“, fragte der Pelikan provokativ.

„Das kommt immer darauf an“, beantwortete er die Frage skeptisch.

„Stimmt, genau das ist das Problem. Wir sollten nach circa 5 bis 10 Minuten immer wieder intensiv lüften, bevor euch der Laden um die Ohren fliegt. Bin ich nicht pünktlich und unversehrt zurück, macht es peng! Also nur eine kleine Lebensversicherung. Und bei deiner Tochter Emma habe ich mir was Besonderes einfallen lassen. Aber keine Sorge, Thorsten. Geht’s mir gut, geht’s ihr gut. Dann wollen wir mal, wir haben ja nicht viel Zeit.“

Der Pelikan führte den Profiler und seinen Freund Levin durch einen Stall voller grunzender, erwartungsfroher Hausschweine in die Räume einer ehemaligen Schlachterei. Thorsten hatte schon viel erlebt und genug Fantasie, um sich vorzustellen, was die Begierde der hungrigen Schweine so anheizte.

Cord öffnete eine große Tür zu einem Kühlraum. Durch den Kühlnebel ließ sich kaum erkennen, was hier gelagert wurde. Doch als der Pelikan die Tür hinter sich schloss und die eiskalte Luft klarer wurde, konnten Thorsten und verzögert auch der Friseur das ganze Ausmaß des Schreckens erfassen. Etwa 20 nackte Frauenkörper waren hier mit dem Kopf nach unten an großen Fleischerhaken aufgehängt.

Thorsten sah auf das Thermometer an der Zugangstür, welches fünf Grad Celsius anzeigte. Fast beiläufig erwähnte der Pelikan, dass er die Bräute von minus 18 Grad Celsius langsam heruntergetaut hatte, um sie besser anziehen zu können. Erst jetzt wurde an den großen Nähten von den Schambeinen bis zu den Hälsen der Leichen deutlich, dass alle ausgeweidet worden waren. Auf den Rücken waren Ziffern angebracht, die sich an den Folien von Brautkleidern wiederfanden, die vor dem Kühlraum auf einem großen Kleiderständer hingen.

Während Thorsten das aus Tätersicht als ein pragmatisches Ausweiden bewertete, um den Verwesungsprozess zu verzögern, konnte Levin nicht länger an sich halten und übergab sich in der Ecke des Kühlraumes.

„Wenn du dich ausgekotzt hast, können wir dann loslegen? Wir haben nicht viel Zeit. Ihr bringt immer eine Braut zu den Mädels und nehmt das passende Kleid mit. Die ziehen sie an, schminken und frisieren sie und dann geht’s in die Kapelle. Kapiert?“, befahl er.

Levin kämpfte mit weiteren Würgereizen, was vom Pelikan entsprechend mahnend kommentiert wurde. „Figaro, entscheide dich. Weiterkotzen oder peng!“

Levin würgte die bitteren Magensäfte wieder runter, und sie kehrten zu den angeketteten Geiseln zurück. Der Raum stank penetrant nach Benzin und versetzte die Angeketteten in panische Angst. Sofort riss der Pelikan zwei Fenster auf und machte Levin verantwortlich. „Das wahr knapp, Figaro. Denk das nächste Mal daran. Und jetzt los!“, feuerte er die beiden an.

Sie gingen, so schnell es mit ihren Fesseln möglich war, in den Kühlraum. Thorsten griff sich Opfer eins, Levin das passende Kleid. Als Thorsten den nackten Leichnam auf den Stuhl für die Kosmetikbehandlung und Frisur herunterließ, schrien alle wie von Sinnen. „Okay, beruhigt euch. Da müssen wir jetzt durch. Erst das Kleid, dann die Frisur und zuletzt die Schminke“, versuchte Thorsten das Visagisten- und Friseurteam zu beschwichtigen.

Maria hatte sich schnell wieder gefangen und wies ihre Mitarbeiterinnen an: „Kommt, Mädels. An die Arbeit und wir sind hier ruckzuck durch.“ Plötzlich musste sich auch Charlene übergeben, als sie am Hinterkopf der toten Frau eine Schraube in Form eines Hakens entdeckte. Der Pelikan drückte aufs Tempo: „Schneller, ihr habt drei Minuten pro Braut.“

Als das erste Opfer fertig angezogen und geschminkt war, peitschte Cord die Männer an. „Los, Leute, die Fenster sind wieder zu, die Kerze brennt. Ihr müsst sie jetzt wegbringen und Nummer zwei holen. Ich bin gespannt“, frotzelte der Pelikan. So schnell es ging, folgten sie dem Mörder in einen Scheunentrakt, der wie eine Kapelle ausgebaut war. Vorn war mittig ein Altar aufgestellt. Auf den Bänken waren Nummerierungen und mehrere Gurte angebracht.

„Nummer eins kommt hierhin. Fixiert den Oberkörper mit dem Gurt an der Lehne und klickt die Schlaufe in den Haken am Hinterkopf. Alle müssen aufrecht sitzen und zum Altar blicken. Schneller, und denkt an die Kerze. Und jetzt Nummer zwei zum Schminken, Tempo!“, trieb er die Männer voran. Bei der Rückkehr in den Arbeitsraum wurde auch Cord schon nervös und löschte umgehend die Kerzenflamme, bevor er die Fenster aufriss. Er schrie die Männer an: „Das war beschissen knapp. Ihr seid zu langsam, sollen alle euretwegen sterben?“

Jetzt wandte er sich an die Reporterin, die völlig regungslos verharrte und außerstande schien, sich überhaupt bewegen zu können. Dieses Szenario war in irgendeiner kranken Fantasie schon kaum vorstellbar, in der hier erlebten Realität kam sie damit ganz und gar nicht klar.

„Hey, coole Pressemaus. Was ist mit deinem Engagement, ich sehe dich nicht arbeiten. Da bist du so heiß nach einer geilen Story; kaum hast du sie, kriegst du deinen Knackarsch nicht hoch. Also lass deine Kamera glühen und zeig, was du draufhast. Bleib bei mir und ich sage dir, was du fotografieren kannst.“