Als ich nach Hause kam, pochte mein Herz gegen meine Rippen, mein Kopf dröhnte und ich blutete aus allerlei Schrammen und Schnitten. Auf dem Sportplatz hatte sich überall wildes Drachengras ausgebreitet, das kann einen aufschlitzen wie ein erstklassiges Küchenmesser. Ich war der lebende Beweis.
Mom entdeckte mich auf halbem Wege zwischen Haustür und Treppe. Mit einem mütterlich-besorgten Keuchen brachte sie mich zum Stehen.
»SPOTZ! Was ist passiert?«
Sie ließ das Putzfrettchen fallen, mit dem sie gerade staubgewischt hatte, und eilte herbei. Das Frettchen rannte in Richtung der Hügel davon und hinterließ eine Spur kleiner Staubwolken.
Bevor ich mir etwas aus den Fingern saugen konnte, drückte Mom mich an sich, und da konnte ich ihr keine Lügengeschichte mehr auftischen. Also erzählte ich es ihr. Alles.
Das mit dem Prinzen, dem Schubser, dem Zweikampf und der Prügelei. Das mit meinem Jähzorn. Alles brach nur so aus mir heraus, während sie mit mir ins Badezimmer ging und anfing, meine Schrammen zu säubern.
Und dann … dann griff sie zur Trollknete. Trollknete ist scheußlich, müsst ihr wissen. Sie stinkt wie ein Sack voller verfaulter Melonen und unser Bach bei Niedrigwasser, alles auf einmal. Sie ist angeblich ein Heilmittel, denn alle Trollmütter wenden sie an, aber wenn sie auf eine Wunde gestrichen wird, fühlt man sich, als ob man in einem Feuersturm gebraten würde. Das überlebt man am ehesten, indem man losschreit und dabei dramatisch um sich schlägt, und das tat ich also.
Während ich auf dem Boden lag und mich daran zu erinnern versuchte, wie man atmet, ließ langsam der Schmerz nach, und ich fragte meine Mom, woher dieser schreckliche, unbezähmbare Zorn in mir kam.
»Das ist einfach dein Trollblut, Spötzchen.«
Ich sah sie vorwurfsvoll an. »Spotz, Mom. Nicht Spötzchen.« Natürlich hatte ich von Trollblut gehört. Im Laufe der Zeit ist Trollblut für jede Menge schlechtes Benehmen verantwortlich gemacht worden. Es war sozusagen die übliche Entschuldigung, wann immer ein Troll durchdrehte.
»Ja, ich weiß, Trollblut«, murrte ich. »Ich hasse Trollblut. Ich will das nicht.« Ich setzte mich auf und pustete auf mein Knie, das linderte den stechenden Schmerz ein bisschen.
In diesem Moment kam Gramps ins Badezimmer. Er verschränkte die Arme und lehnte sich an den Türrahmen. Man konnte das Holz unter seinem Gewicht stöhnen hören.
»Wie? Haste gesagt, du hasst dein eigenes Blut? Is doch lächerlich!« Ich wandte mich ab. Ich wollte seinem Blick nicht begegnen. »Ja, von mir aus, dann bin ich eben lächerlich «, murmelte ich. »Aber in der Schule habe ich mich heute in den Unglaublichen Hulk verwandelt, und alle haben mich angestarrt, als ob ich in einen Käfig gehörte.«
Ich konnte Gramps aus den Augenwinkeln sehen. Er lachte nicht, aber er hatte so ein schiefes Grinsen im Gesicht. »Haste den Kleinen jetzt wieder zusammengeflickt, Beatrice?«, fragte er.
»Klar doch.« Mom kratzte mich hinter dem Ohr und küsste mich auf den Kopf, dann erhob sie sich vom Badewannenrand. »Er gehört dir.«
»Gut. Spotz und ich fangen uns was zum Abendessen.«
Einige Minuten später standen wir bis zur Hüfte im Bach. Noch ein Vorteil von unserem Zuhause unter der Brücke ist nämlich, dass wir gleich neben einem der besten Fischgründe im ganzen Königreich wohnen.
Keine zehn Meter von unserer Haustür entfernt können wir jede Menge Fische fangen: Lila Lachse, Blaue Knurpselfische, Klumpige Schnapper … so ungefähr jeden Fisch, den man sich denken kann.
Allerdings ist das, was wir machen, eher »Fischeklatschen« als »Fischefangen«. So wie Bären das tun, falls ihr manchmal Naturdokus guckt. Wir warten ganz ruhig, stehen total still im Wasser und hoffen, dass ein Fisch uns für einen bemoosten Stein oder einen Fellbaum hält. Wenn dann einer angeschwommen kommt, um an unseren Beinen zu knabbern, holen wir aus und klatschen ihm die Gräten aus dem Leib. Mit etwas Glück landet der sehr verdutzte Fisch oben im Ufergras.
Es macht Spaß, einen Nachmittag so zu verbringen – na ja, den Fischen vielleicht nicht so.
Wir starrten also seit ungefähr zehn Minuten schweigend ins Wasser, als Gramps endlich etwas sagte. »Weißte, deine Trollahnen waren harte Krieger.«
Ich sah für den Bruchteil einer Sekunde auf und verpasste so einen Blauen Knurpsel, der gerade durch meine Beine wischte. »Je vom Großen Trollaufstand gehört?« Gramps ließ sich beim Reden Zeit, er sagt sowieso nur dann etwas, wenn es sich auch lohnt. »Oder von der Schlacht am Krassen Grund? Weißte, wie diese Kämpfe gewonnen wurden?«
In diesem Moment ging ein Leuchten über sein Gesicht, und er schlug energisch auf das Wasser, worauf eine Fontäne aufspritzte und ein total verwirrter Gelber Glattkiem in unseren Hof flog.
»Wie wurden die denn gewonnen?«, fragte ich, ohne das Wasser aus den Augen zu lassen.
»Trollblut. Diese Schlachten wurden mit demselben Blut gewonnen, das durch deine Adern strömt. Das is dein Geburtsrecht.« »Ja, aber was ist, wenn ich das gar nicht will?«, fragte ich und schlug träge nach einem Blatt, das ein bisschen aussah wie ein Karpfen.
»Dein Pech. Das wirste nich los. Und leider biste grad in dem Alter, wo es erstmals sein grimmes Haupt erhebt. Du musst einfach lernen, damit fertigzuwerden. Es zu kanalisieren und zu guten Zwecken zu benutzen.«
Langsam watete Gramps im Bach umher und suchte nach einer noch besseren Fischstelle. Als ich keine Antwort gab, fügte er bedächtig hinzu: »Unsere Ahnen haben sich vor einem Kampf regelrecht in Wut gesteigert. Dann waren sie so außer sich, dass sie sogar Felsen zerkauen und Bäume wie Baseballschläger schwingen konnten!«
Gramps griff erneut an und ein weiterer Fisch landete mit einem Plopp am Ufer. »Etwas von diesem Wahnsinn und dieser Wut is auch noch in uns vorhanden. Die sind von einer Generation zur nächsten weitergereicht worden.«
»Aha«, sagte ich und beschränkte mich jetzt darauf, Gramps beim Fischen zuzusehen. »Das hatte ich mir schon fast gedacht. Ich komme mir vor wie eine tickende Zeitbombe.«
»Etwas darfste nicht vergessen, Spotz. Du bist ein Belford. Und wir Belfords …« In diesem Moment schlug er so fest nach einem Fisch, dass dem fast der Schwanz abfiel. »Wir Belfords tun alles, was wir können, um mit unserer Wut anderen zu helfen.«
Inzwischen fragte ich mich, ob Gramps sich heute ein bisschen zu früh am Grummelbeerenschnaps vergriffen haben könnte. »Das ergibt doch keinen Sinn.«
»Tut es doch«, sagte er, hörte auf zu fischen und sah mich an. »Das is eben der Belford-Stil, wenn du’s so nennen willst.« Er wandte sich wieder den Fischen zu.
»Der Belford-Stil«, sagte ich laut.
»Du musst auf diese Augenblicke achten und daran arbeiten, aber dann wirste schon sehen. Du bist ein Belford und die Belfords helfen. Mein Großvater war so und sein Großvater auch schon. Wir ham eine Kraft, und wir sind dazu verpflichtet, diese Kraft im Guten anzuwenden.«
Das brachte Gramps zum Lachen – er stieß ein gewaltiges, zwerchfellerschütterndes Gebrüll aus, das die Brücke über uns erzittern ließ. »Nicht so ganz«, grinste er dann. »Ich weiß zufällig genau, dassde ein Belford bist.«
Wir fischten eine Weile schweigend weiter, während ich versuchte, das alles zu verdauen.
»Warst du oft wütend, als du jünger warst?«, fragte ich.
»Aber klar doch. Bin ich noch immer! Neulich auf dem Marktplatz bin ich über einen Torkelgnom gestolpert.«
»Ich war so sauer, ich hab ihn zwei Straßen rauf und runter gehetzt, bis der kleine Heini hinfiel. Und dann tat er mir so leid, dass ich ihn aufgehoben und zu einem Kaffee eingeladen hab.« Gramps seufzte. »Hör zu, Spotz. Du bist ein zivilisierter, intelligenter Troll, in dem ganz tief drinnen ein blutrünstiger Jähzorntroll steckt. Und da musste diese wilde Trollwut in dir einfach so gut unter Kontrolle kriegen, wie du nur kannst.«
Ich gähnte. Es war ein langer Tag gewesen.
»Ja, aber darin bin ich eben noch nicht so gut«, erinnerte ich Gramps. »Irgendeinen Vorschlag?«
»Ach … das Übliche«, antwortete er. »Augen zumachen. Bis zehn zählen. Geh ein paar Minuten aus dem Raum. Streichel deine Ohren. Reib dein Bauchfell. Schon ein paarmal tief durchatmen kann verhindern, dassde irgendwem die Rübe abhaust.«
»Stimmt«, sagte jemand hinter mir. Ich fuhr herum und da stand Dad am Ufer und hielt zwei Handtücher in seinen Riesenpfoten. »Es funktioniert, wenn du es wirklich willst. Du musst nur immer wieder üben.« Er duckte sich, als Gramps einen weiteren Fisch in seine Richtung haute. »Fertig zum Abendessen, Jungs?«
Ich watete ans Ufer und ließ mir von ihm ein Handtuch geben. Dad legte mir den Arm um die Schultern und Gramps sammelte die Fische auf und dann gingen wir alle zusammen ins Haus.