Ich bin zwar ein Troll, aber ich bin ein wohlerzogener Troll, und deshalb erzähle ich euch nicht, nach was für schrecklichen Dingen der Kerker stank, in den sie mich brachten.
Zuerst hielt ich den Atem an, aber dann kapierte ich, dass ich ja eine Weile dort bleiben würde, also sollte ich mich wohl daran gewöhnen. Die ersten achtzig oder neunzig Atemzüge waren die schlimmsten.
Ein vierschrötiger kleiner Ziegenbock stand vor den dicht gesetzten Gitterstäben der Zelle Wache. Er zog einen winzigen Schlüssel aus der Tasche und machte sich damit an einem riesigen Schloss zu schaffen. Nachdem die Tür sich quietschend geöffnet hatte, wurde ich eine Treppe hinuntergeworfen und landete schmerzhaft auf dem Hintern. Die Tür wurde zugeknallt und Dunkelheit umfing mich.
Ich lag auf dem feuchten Steinboden und starrte die niedrige Decke an, während sich meine Augen an das trübe Licht gewöhnten. Es kann durchaus sein, dass ich ein bisschen gestöhnt habe. Ich bin sogar ziemlich sicher, dass es so war.
Nach einer Weile setzte ich mich mit einem tiefen Seufzer auf. Ich riss mir die blöde gepuderte Perücke und die Jacke herunter und schleuderte beides in einem wirren Knäuel vor die unterste Treppenstufe. Dann stand ich auf, um die Zelle zu erforschen. Weil es so dämmerig war, gab es allerdings nicht viel zu sehen. Nur durch die Spalten in der aus Felsbrocken gebauten Mauer fiel ein wenig Licht. Ich war verwirrt, als ich in der Ecke einige Totenschädel fand, aber als ich aus Versehen einem davon einen Tritt versetzte, stellte sich heraus, dass er aus Kunststoff war – wie die billigen Teile, die man zu Halloween kaufen kann.
Sicher dachte Roquefort, dass er mir auf diese Weise Angst einjagen könnte. Neben den Schädeln hing eine Art Vogelscheuche an Ketten von der Wand. Sie hatte lange, strohige Haare und ziemlich echt aussehende Rippen, die sich unter der Haut abzeichneten. Der König hatte sich wirklich selbst zu übertreffen versucht mit der Kulisse.
Ich gestehe, dass ich ungefähr zu diesem Zeitpunkt langsam anfing, durchzudrehen. Ich lehnte mich an die Mauer und knabberte eine Weile an meinen Pfoten. An meinen Pfoten UND Füßen. Das war eine schlechte Angewohnheit von mir, die ich vor einiger Zeit aufgegeben hatte, aber jetzt schien mir ein passender Augenblick zu sein, wieder damit anzufangen.
Ich dachte angestrengt über Fluchtmöglichkeiten nach. Oder besser gesagt: über wenigstens eine. Irgendwann gab mein überarbeitetes Gehirn auf und ich schlief ein.
Diese Nacht war so ungefähr die längste in meinem Leben. Mir war kalt, ich hatte Hunger und mir war elend.
Endlich kam der Morgen und ich hörte Stimmen auf der Treppe. Es waren Joe und Goldie Locke. Joe hier zu sehen, überraschte mich gar nicht, seine Familie wohnt nämlich im Dienstbotenteil der Burg.
Aber Mrs. Locke war ein Schock. Vor allem, weil sie eine Tupperdose voller Kuchen unter dem Arm hatte. Ich gebe das nicht gern zu, aber möglichweise habe ich bei diesem Anblick ein bisschen gesabbert.
Joe sagte, auch Kevin habe mich besuchen wollen, sei an der Zugbrücke aber abgewiesen worden.
Mrs. Locke dagegen durfte die Burg betreten, weil sie hier jeden Tag Backwaren und den Königlichen Fleischklops auslieferte.
Joe war bei mir zu Hause gewesen und richtete mir von jedem Mitglied meiner Familie Grüße aus. Gramps’ Mitteilung war schlicht: »Was für eine Supersauerei!«
Als der Wachtposten gerade nicht hinschaute, steckte Joe mir ein paar Comichefte durch das Gitter zu. »Ich hab mir gedacht, dass du dich hier wahrscheinlich ganz schön langweilst.«
Ehe ich die Comics in meine Hosentasche stopfte, sah ich, dass es die letzten vier Folgen des Edelritters waren. Ich hatte schon häufiger darum gebeten, sie ausleihen zu dürfen, aber Joe hatte immer wieder »vergessen«, sie mit in die Schule zu bringen. Sich von ihnen zu trennen, war für ihn wahrscheinlich, wie eine Niere zu spenden.
Nun aber trat Mrs. Locke vor und öffnete ihre mitgebrachte Tupperdose. Sie nahm vier Kuchen heraus und drückte sie mir in die Pfoten. »Ich hab die Wachen oben bezirzt, damit ich dir dies hier bringen durfte.«
Ich bedankte mich, während ich mir zwei der Kuchen direkt in den Mund stopfte und die Krümel nur so flogen. Die anderen beiden rammte ich mir in die Hosentaschen.
»Und jetzt hör zu«, sagte sie und nahm meine Pfoten in ihre Hände. »Ich komme zurück, sobald ich kann.« Sie schaute immer wieder besorgt zu dem Wachtposten hinüber – das war jetzt ein anderer Ziegenbock als gestern, offenbar hatte es zwischenzeitlich einen Schichtwechsel gegeben. Mrs. Locke nahm den letzten Kuchen aus der Dose, legte ihn mir in die Hände und schloss meine Finger darum.
»Spotz«, sagte sie mit leiser Stimme und schaute mir fest in die Augen. »Ich hoffe, dass du in diesem Kuchen den GESCHMACK VON FREIHEIT finden wirst!«
Dann nickte sie mir langsam zu, auf eine Weise, die mir eine Gänsehaut machte.
»Hast du gehört, was ich gesagt habe?« Sie drückte meine Pfoten.
»Ich hoffe, dieser Kuchen wird deine Erinnerungen an die FREIHEIT AUFSCHLIESSEN!«
Na ja, sie war eben ein bisschen komisch. Ich dankte ihr noch einmal und dann musste ich ihr meine Pfoten mit dem Kuchen mehr oder weniger entreißen.
Der Wachtposten sagte, die beiden müssten jetzt verschwinden. Sie umarmten mich durch die Gitterstäbe und gingen. Aber vorher starrte Mrs. Locke mich noch einmal sehr unheimlich mit ihren Glupschaugen an und blickte abwechselnd mich, den Kuchen und dann wieder mich an. Ich wusste nicht so recht, was mit ihr los war. Vielleicht hatte sie sich den Magen verdorben oder so.