Joe drehte ziemlich durch und war nur noch und ausschließlich Fan.
»Kann ich dein Autogramm haben also wenn du hier fertig bist und wir einen Stift finden und könntest du für Joe schreiben weil ich finde du bist das absolut Größte aller Zeiten und oh mein Gott es ist so toll dich kennenzulernen und ich dachte eigentlich du bist tot!«
Kevin fand seine Sprache nur langsam wieder. »Wir … wir dachten, du seist bei dem Kampf gegen die Drachen am Schnupfkissenberg ums Leben gekommen! Das stand in der Zeitung!«
George befreite seine Hand aus Joes Klammergriff. »Gestorben bin ich nicht. Wäre aber durchaus möglich gewesen. Und seither war ich die ganze Zeit in diesem widerlichen Loch angekettet.«
Ich war entsetzt. »Aber wer hat dich in den Kerker geworfen, wenn es nicht König Kastanius war?«
»Nun … habt ihr mal von seinem obersten Kriegsberater gehört?«
»Pembrook. Klar weiß ich, wer das ist«, sagte Joe. Durch seinen Vater kannte er fast die komplette Gefolgschaft. »So ein Dickerchen mit Schmalztolle.«
Der Ritter lächelte. »Sagen wir mal, Pembrooks Freundin … mochte mich ganz gut leiden. Sehr sogar.«
»Und?«,
fragte ich.
»Und nichts. Ich hätte ihr natürlich nie den Hof gemacht. Der Ehrenkodex ist mir heilig. Ich heiße ja schließlich nicht umsonst edler Ritter. Oder jedenfalls so ähnlich.« Er seufzte und machte ein trauriges Gesicht. »Aber das zählte nicht. Pembrook fühlte sich bedroht und er und seine privaten Schläger haben mich mitten in der Nacht aus meinem Zelt gezerrt.« Er stopfte sich einen Puffbeermuffin in den Mund. »Der Rest ist, wie man so sagt, Geschichte«, schloss er kauend. »Wenn ich euch einen guten Rat geben darf, dann geht kleingeistigen Männern, die zu Macht gekommen sind, besser aus dem Weg.«
Ich dachte an Roquefort, wie er auf seinem Thron herumhüpfte. Wir schauten uns alle ein wenig betreten an, dann räusperte ich mich und sagte:
»Ich hab nachgedacht. Im Moment sind George und ich vermutlich die Staatsfeinde Nummer eins und zwei. Roquefort und dieser Pembrook werden unsere Köpfe auf einem Silbertablett verlangen.«
Kevin stöhnte leise und rang mit einer Ohnmacht.
»Aber was, wenn wir den Spieß umdrehen würden? Was, wenn wir auf einmal die großen Helden wären?«, fragte ich, worauf ein weiteres Wimmern von Kevin folgte.
Joe schnitt eine Grimasse. »Ich bin ganz Ohr. George ist allerdings schon ein Held – und wir sehen ja, was es ihm genützt hat.« »Ich weiß, ich weiß. Deshalb müssen wir etwas tun, das niemand herunterspielen kann … etwas Sagenhaftes …«
Kevin und Joe blickten mich abwartend an. Ich beugte mich vor und senkte die Stimme, um die unbeschreibliche Grandiosität meiner Idee zu betonen.
Und da fiel Kevin wirklich in Ohnmacht.
Joe sprach als Erster wieder. »Moment mal. Wir wissen doch gar nicht, ob der König überhaupt noch lebt!«
»Richtig«, entgegnete ich. »Wir wissen aber auch nicht, dass er nicht mehr lebt.« Seit der Flucht aus dem Kerker war ich das in meinem kleinen überforderten Trollhirn durchgegangen.
»Vielleicht ist es wirklich ein Schuss in den Ofen, vielleicht ist es aber auch unsere einzige Chance. Wir erledigen ein paar Schnupfwiesel, retten unseren guten König Kastanius, und ta-ta-ta-taaaa, George und ich klettern nach ganz oben auf der Beliebtheitsskala. Na?«
Ich blickte George an, aber der starrte nur tief in Gedanken versunken in den Wald hinüber.
Kevin kam langsam wieder zur Besinnung und setzte sich auf.
Nach ein paar Minuten drehte er sich mit einem tiefen Seufzer zu mir um und schien schon jetzt zu bereuen, was er gleich sagen würde. »Spotz, ich wollte das ja eigentlich nicht erwähnen.« Er griff in seine Hosentasche und zog ein zusammengefaltetes Stück Papier heraus. »Das ist die neueste Mitteilung aus der Burg. Sie hängt überall in der Gegend aus.« Er faltete den Zettel auseinander und reichte ihn mir zitternd.
»Fünfzehnhundert Penunzen?«, keuchte ich und starrte den Zettel an. Mein Nackenfell sträubte sich.
Ich war wirklich überwältigt. »Na, dann müssen wir das doch einfach tun. Das ist … Schicksal oder so. Wer macht mit?« Ich sah erst Kevin an, dann Joe – und beide versuchten, meinem Blick auszuweichen, starrten zu Boden oder in den Wald hinüber. »Ernsthaft, Leute?« Ich konnte es nicht fassen.
Endlich schauten sie auf. Ungefähr so:
Kevin sagte mit einer schüchternen kleinen Stimme: »Hör mal, Spotz. Ich würde alles für dich tun. Du bist mein allerbester Freund. Das ist nicht böse gemeint, Joe.« Joe verdrehte die Augen.
»Aber das hier …«, fuhr Kevin fort. »Wir könnten sterben! In echt, meine ich. Und ich hab doch überhaupt keine Ahnung davon, wie man ein Schnupfwiesel bekämpft. Ich wäre in Sekundenschnelle Hackfleisch!« Dann sprach Joe. Ich sah, wie peinlich es ihm war, vor seinem Helden George seine Angst zu gestehen.
»Du weißt, wie viel ich für einen zünftigen Zweikampf übrighabe. Aber wir reden hier über ernstere Angelegenheiten.«
Wir schwiegen allesamt eine Weile und lauschten einigen Baumgnomen, die in der Ferne ein Arbeitslied sangen. Irgendwas über kleine Hände, die große Fortschritte machen.
Endlich brach George das Schweigen. »Spotz«, krächzte er, und seine Stimme klang noch immer nach Ketten, die über einen Schotterweg geschleift werden. »Ich würde sofort mit dir in dieses Abenteuer ziehen. Aber ich kann ja kaum aufstehen und schon gar nicht laufen oder kämpfen.« Während er sprach, stemmte er zwei halbpfundschwere Packungen getrocknetes Hammelfleisch (natürlich von Kevin), um seine Muskeln aufzubauen.
Wir schwiegen mit gesenkten Köpfen. Ich pulte übellaunig an einem Grashalm herum.
»Allerdings«, fügte George hinzu (und die Art, wie er es sagte, ließ uns aufhorchen), »bedeutet das ja nicht, dass ich euch nicht trainieren könnte.«
Ich schaute zu Joe hinüber. Er sah so verzückt aus wie ein Junge, der gerade erfahren hat, dass er beim nächsten Drachen-Liga-Turnier Außenverteidiger sein darf.
»Echt?«, fragte er, und ich konnte fast hören, dass sein Herz höherschlug.
»Sicher.« George richtete sich ein wenig auf. »Ich könnte euch auch erklären, wie man in mein Haus gelangt, damit ihr meine Waffen holen könnt.«
»Wirklich?« Joe erhob sich langsam und wie gegen seinen eigenen Willen.
Kevin sah rasch zwischen uns hin und her und begriff nicht so ganz, was hier gerade passierte.
»Selbstverständlich. Klar doch!« George wurde ganz aufgeregt.
»Ich könnte in zwei Tagen einen furchterregenden Kampftrupp aus euch machen! Oder jedenfalls, ihr wisst schon … euch so trainieren, dass ihr euch nicht mehr wie Blei-Enten bewegt. Ihr könntet mich auch in diesem Karren da mitnehmen, für den Fall, dass ich doch wieder zu Kräften komme.«
Ich war schon aufgesprungen. »Großartig! Lasst uns sofort loslegen! «
Auch Joe war jetzt Feuer und Flamme. »Kann ich ein Schwert haben? Ich hab mir schon immer ein Schwert gewünscht!«
»Aber gewiss doch!« George war nun ganz im Edelritter-Modus und spornte seine Mannen an. In seiner Stimme lag auf einmal ein gebieterisches Knurren, das mir bisher nicht aufgefallen war.
»He, Kevin!«
Kevin zuckte zusammen, als er seinen Namen hörte.
»Gib mir zwei Tage, Kevin, und ich mache einen Krieger aus dir!«
»Kevin, der Unbesiegbare!«, raunte George.
Nun kam auch Kevin in die Hufe. Das hier gefiel ihm.
»Die Männer werden sein wollen wie du«, versprach der Ritter, »und die Frauen wollen mit dir ausgehen.«
Kevin machte große Augen. »Sogar … sogar Margret, die hübsche Verkäuferin aus dem Metzgerladen?«
»Sogar Margret, Kevin. Besonders Margret.« George legte den Kopf in den Nacken und musterte uns wie neue Rekruten. »Gebt mir zwei Tage und ich mache Männer aus euch dreien«, sagte er.
»Beziehungsweise, ihr wisst schon … so gut ich eben kann. Härtere Typen als ihr jetzt seid ganz gewiss.«
Kevin zitterte schon wieder ein bisschen, aber er schaute uns alle fest an, trat endlich einen Schritt zurück und schrie:
Was schon irgendwie seltsam war … aber egal.