23. KAPITEL

Stählerne Fäuste ...
oder so ähnlich

Wenn dies ein Film wäre, würde ich an dieser Stelle eine Montage einblenden, in der man sehen könnte, wie wir in den nächsten beiden Tagen trainierten. Ich würde ein passendes Lied unterlegen – vielleicht einen Klassiker wie »Eye of the Tiger« oder einen anständigen Rap oder so was. Ich würde zeigen, wie wir uns im Schutze der Dunkelheit ins Dorf schleichen wie Ninjas und eine ganze Wagenladung von Georges coolen alten Waffen holen.

Dann würde ich einige Szenen zeigen, in denen Joe die edle Kunst des Schwertkampfes erlernt, Kevin Liegestütze macht und ich durch einen schwierigen Parcours renne. Und natürlich den Moment, wo ich endlich kapiere, wie diese richtig fies aussehenden Nunchakus funktionieren.

Ich würde zwischendurch auch einblenden, wie tapfer George immer wieder versucht, auf die Füße zu kommen, um dann frustriert gegen den Stamm des Wunschbaums zurückzusinken. Und damit alle Zuschauer einen dicken Kloß im Hals kriegen, würde ich die Musik ganz leise drehen und zeigen, wie ich auf der Rückseite der königlichen Bekanntmachung einen Brief an meine Familie schreibe:

Als Nächstes würde die Kamera auf Kevin schwenken, der meine Eltern besuchen geht und meiner Mom beim Abschied den Brief in die Tasche steckt.

Dann könntet ihr sehen, wie Kevin auf dem Rückweg bei seinen Eltern vorbeischaut und ihnen erzählt, dass er das Wochenende bei Joe verbringen wird. Und natürlich würdet ihr auch sehen, wie Joe seinem Dad sagt, dass er am Wochenende mit Kevin Zelten geht.

Endlich würde die Musik ganz verklingen, und nun würden wir alle vier zu sehen sein, wie wir im Sonnenuntergang unter dem Wunschbaum sitzen und reden und unseren Kram einpacken.

Das alles wäre wirklich fantastisch, wenn das hier ein Film wäre. Aber es ist ja leider keiner und deshalb spule ich jetzt zurück zu … »Schon gut, schon gut. Nur noch einen!« Joe hatte uns eine Reihe von Klopf-Klopf-Witzen erzählt, einer schlimmer als der andere.

»Klopf, klopf!«

Brav riefen wir:

»Wer da?«

»Harry.«

»Harry wer?«

Wir stöhnten, aber ich sah genau, dass Kevin sich heimlich umschaute, einfach sicherheitshalber.

»Hört mal.« Georges Lächeln verschwand. »Wenn uns wirklich ein riesiges, haariges Schnupfwiesel mit Reißzähnen und allem begegnet, dann müsst ihr eure besonderen Stärken einsetzen.«

Wir murmelten: »Unsere Stärken einsetzen.«

Kevin schob sich einen Streifen Hammeldörrfleisch in den Mund.

»Und was ist, wenn unsere besonderen Stärken eher blöd sind?« George erwiderte: »Keine Stärke ist blöd.«

Wir saßen ein paar Minuten schweigend da, um diese Information zu verarbeiten.

»Ich glaube, ihr seid so weit, Jungs«, sagte George dann und haute seine Zähne in eine riesige Flatschfrucht.

»Na ja«, sagte George mit vollem Mund. »Ich meine, besser wäre es natürlich, ich hätte noch zwei Jahre, um euch in Form zu bringen. Aber immerhin, zwei Tage sind auch nicht schlecht. Ich denke, wir können das schaffen. Es macht mich zwar ganz krank, dass ich nicht mehr helfen kann, aber ich werde ja die ganze Zeit über bei euch sein.«

Am Tag zuvor hatte George zu demonstrieren versucht, dass er aufstehen und herumlaufen konnte. Er war mühsam auf die Beine gekommen und dann gleich wieder auf den Felsenboden gestürzt. Sein Gesicht war total verschrammt und aus seinen Nasenlöchern ragten noch immer zwei zusammengerollte Papiertaschentücher.

»Ihr habt wirklich Einsatz gezeigt«, bekräftigte George und schaute in den Sonnenuntergang. »Denn ihr wisst, dieses Abenteuer wird kein Spaziergang. Wir werden uns einigen Ängsten stellen müssen. Diesem furchtbaren Fauchmoor zum Beispiel und den grauenhaften Dingen, die dort hausen. Aber ich habe so das Gefühl in den Knochen, dass alles gut gehen wird und wir die Gestade des Morgenmeeres erreichen werden, wenn wir nur zusammenhalten. Wenn ich das nicht glaubte, dann würde ich euch ehrlich sagen, wir sollten lieber darauf verzichten.«

George hatte uns eine Karte des Königsreichs gezeichnet. Sie sah so aus:

Er erzählte uns, dass er auf einer seiner einsamen Reisen einmal auf den Hauptbau der Schnupfwiesel gestoßen war. Der Bau lag versteckt in den Hügeln am Ufer des berühmten Morgenmeers. George senkte die Stimme, als er weitersprach, obwohl außer uns niemand in der Nähe war. »Ich garantiere euch, die Suchtrupps werden es alle in den Glimmerbergwerken versuchen. Die Leute scheinen diese Bergwerke für den Rückzugsort der Schnupfwiesel zu halten. Aber ich kann euch sagen, da irren sie sich. Nun jedoch«, schloss er, und seine Stimme krächzte immer noch ein bisschen, »braucht ihr euren Schlaf, denn ihr dürft das Fauchmoor auf keinen Fall betreten, wenn ihr nicht total konzentriert seid. Glaubt mir!«

Und das taten wir.

Und legten uns schlafen. Oder versuchten es zumindest.