27. KAPITEL

Entbärliche Zwischenfälle

Wir ließen den Wagen stehen und schlugen uns mit allen Waffen, die wir tragen konnten, durch den dichten Wald. Als wir kurz anhielten, um uns zu orientieren, ertönte links von uns ein leises Stöhnen. Wir rannten hin und da lag neben einem Bächlein einer von Roqueforts schlagenden Ungeheuern flach auf dem Rücken. (Buddy, da bin ich mir ziemlich sicher.)

Wir richteten ihn auf und lehnten ihn an eine Kiefer. Auf seiner Stirn bildete sich eine Beule so groß wie eine Stummelkröte.

»Harr, harr.« Buddy betastete vorsichtig seine Stirn. »Wir sind überfallen worden. Von Schrammelbären. Richtig gemeinen!« Kevin und ich sahen Joe mit einem bedeutungsvollen Blick an. Joe zuckte mit den Schultern und wandte sich ab.

Ich möchte hier mal eins klarstellen. Schrammelbären sind vielleicht klein, aber was ihnen an Größe fehlt, machen sie durch Gemeinheit und Blödheit wieder wett. Grauenhafte Viecher!

»Sie haben König Roquefort und den anderen Wächter mitgenommen. « Das Ungeheuer schaute beschämt zu Boden. »Ich hab versucht, sie aufzuhalten.«

Kevin fand langsam seine Sprache wieder. »Na, nimm dir das nicht so zu Herzen. Die haben dich ja ganz schön zugerichtet.«

Buddy schien noch weiter in sich zusammenzusinken. »Nein, ich bin einfach durchgedreht. Einfach nur rumgerannt.«

Wir brauchten einen Moment, um diese Mitteilung zu verdauen. »Habt ihr ein Handy?«, murmelte Buddy. »Ich hab versucht, dem Prinzen … ich meine, König Roquefort eine SMS zu schicken, aber ich hab hier kein Netz.«

»Echt nicht? Bei welchem Anbieter bist du denn?«, fragte Joe.

»Grimm, leider.«

Kevin hob empört die Hufe. »Typisch! Grimm ist der schlimmste. Das hab ich euch doch immer schon gesagt!«

Ich zog mein Handy hervor – natürlich hatte ich Empfang – und reichte es dem verletzten Ungeheuer.

»Kannst du das nicht machen?«, fragte er. »Mein Kopf schmerzt wie … wie … wie eine Schmerztablette. « Was keinen Sinn ergab, aber der arme Kerl war schließlich eben erst mit dem Schädel gegen einen Baum geknallt.

Während ich Roquefort eine SMS schrieb, erklärten Kevin und Joe dem Ungeheuer das mit dem Taschenanruf und wie wir dadurch den Überfall mitangehört hatten. Was hier folgt, ist eine Mitschrift des SMS-Wechsels zwischen dem amtierenden König Roquefort und mir:

Wir wanderten alle vier los und folgten dem fast leeren Bachbett. Buddy (gehen wir jetzt einfach mal davon aus, dass es Buddy war – ich hätte ihn ja gefragt, aber inzwischen wäre es doch etwas peinlich gewesen), Buddy jedenfalls war zuerst ein bisschen wacklig auf den Beinen, aber er hielt mit uns Schritt. Schon bald erspähten wir einen großen Flatschfruchtbaum und gleich dahinter lag der Honigsumpf.

Ich hatte noch nie einen Honigsumpf gesehen, aber ich hatte genug darüber gehört, um zu wissen, dass sie unglaublich gefährlich sind – und lecker. Sumpfhonig ist so ungefähr der dickste, klebrigste Honig auf der Welt und der grauenhafteste Leinsamenkeks schmeckt himmlisch damit. Aber ein Kampf gegen Treibsand wirkt im Vergleich zu einem Bad im Honigsumpf geradezu, wie aus einem Planschbecken zu steigen.

Ernsthaft.

Ein Honigsumpf lacht über Treibsand.

Wir gingen bis zum Rand des Sumpfes und achteten sorgfältig darauf, dass wir nicht einmal einen Zeh in die Klitsche tunkten. Über den Sumpf war ein toter Baum gefallen, und an einem der Äste hing, ungefähr einen Meter vom Ufer entfernt, ein Käfig. Er sah aus wie der Käfig, in dem vor dem Zweikampf die Schwammfrösche gesessen hatten. Nun steckte Roquefort darin, jammernd und fluchend wie ein riesiges klebriges Baby mit schlechten Manieren, und war bereits halb untergegangen. Im Käfig befand sich auch eine Art eleganter, antiker Stuhl, was ich nun überhaupt nicht begriff.

»Holt mich sofort hier raus! Das ist eine Honigfalle!«

Unweit des Käfigs ragte die Kralle eines winzigen Schrammelbären aus dem Honig. Daneben ein Bärenhintern. Den Schrammelbären war das Moor nicht gut bekommen.

Dann entdeckte ich das zweite Ungeheuer, oder ich sollte vielleicht sagen, ich entdeckte gerade noch seine äußerste Nasenspitze, die dichter am Ufer aus dem Honig ragte. Mit großer Anstrengung brachte es einen Satz heraus:

Buddy stieg vorsichtig auf den umgekippten Baum. Aber das Ungeheuer war zu schwer und der Baum kippte ganz um und presste den Käfig mit Roquefort tiefer in den klebrigen Matsch. Roquefort winselte.

Dieser ganze Belford-Stil ging mir inzwischen reichlich auf die Nerven.

Dennoch balancierte ich nun selbst über den Baumstamm und hatte die Hälfte bereits hinter mich gebracht, als er sich unter mir bewegte.

Ich schwankte, fuchtelte mit den Armen und wackelte mit den Hüften, als ob ich einen neuen, albern aussehenden Tanz erfunden hätte – trotzdem stürzte ich ab. Ich versank langsam, und alles, was einmal versunken war, saß fest. Durch und durch fest. Aber ich bin schließlich ein Superhirn, und deshalb griff ich mit der Hand nach einem meiner Füße, um ihn wieder herauszuziehen – und die Hand blieb ebenfalls stecken. Ich fühlte mich, als würde ich versuchen, in Sekundenkleber Volleyball zu spielen.

Nun wurden meine Freunde aktiv. Es war wie Fernsehen im Zeitraffer. Plötzlich stand Joe oben auf dem Flatschfruchtbaum und riss die längsten Schlingpflanzen ab, die er erreichen konnte. Kevin band sich eine davon um den Bauch und kroch auf den Baumstamm hinaus, wobei er die anderen Schlingpflanzen hinter sich herzog, während Joe den Baum festhielt.

Die erste Schlingpflanze ließ Kevin direkt über dem Maul des untergegangenen Ungeheuers fallen und es packte sie mit den Zähnen. Dann zog Buddy vom Ufer aus mit aller Kraft.

Roquefort sah es und drehte durch. »WAS FÄLLT EUCH EIN …?«, brüllte er. »Dieses Ungeheuer kann ERSETZT werden! ICH bin euer König!!«

Kevin konzentrierte sich jedoch ungerührt weiter auf seine Aufgabe und ich staunte nicht schlecht: Sollte das wirklich mein Hasenfuß von einem Freund sein? Als er mir eine der Schlingpflanzen zuwarf, ging mir auf, dass es eben daran lag, dass ich in Gefahr war; er hatte keinen Augenblick darüber nachgedacht, was er da tat – und in meiner von Panik zusammengeschnürten Kehle setzte sich ein Kloß von der Größe eines Lavadrachen fest. Dann wurde ich ebenfalls ans Ufer gezogen.

Als Nächstes band Kevin eine Schlingpflanze um die Gitterstäbe von Roqueforts Gefängnis, lehnte sich zurück und trat den Käfig los. Die Wucht seines Trittes erschütterte den Baumstamm erneut und Kevin fiel herunter. Mein Herz wurde schwer, als er mit dem Gesicht nach unten im Honig landete – mit einem Klatschen, als wäre ein Kürbis in eine Schüssel Pudding gefallen.

Joe zog, so fest er nur konnte, an der Schlingpflanze um Kevins Bauch. Ein lautes, schmatzendes Geräusch erklang, als Kevins mit Honig bedecktes Gesicht frei kam.

»OH! OH, DAS IST SO SCHRECKLICH KLEBRIG«, keuchte er.

Schließlich zogen Joe und Buddy auch Roquefort in seinem Käfig aus dem Sumpf.

Sowie Kevin aus dem Moor gerettet war, drehte ich mich auf die Seite und legte einen klebrigen Arm um ihn. Wir schnappten gemeinsam nach Luft. Schließlich sagte ich: »Danke, Kevin. Du hast mir das Leben gerettet.« Vor Rührung traten mir Tränen in die Augen. »Das war einfach umwerfend!«

Kevin setzte sich auf. »Ist schon gut, Spotz. Meine Güte. Ich hab es echt geschafft, was?« »Absolut, Kumpel. Das war der pure Wahnsinn. Du hast dein Leben für uns alle aufs Spiel gesetzt!«

Und dann fing Kevin an zu zittern. »Ich hab wirklich … mein Leben aufs Spiel … ich …« Er atmete heftig, und der kalte Schweiß brach ihm aus, als er begriff, was gerade passiert war.

Die Augen quollen ihm fast aus dem Kopf. »HEILIGE HAMMELKEULE, ICH HÄTTE STERBEN KÖNNEN!!« Und dann fiel er zur Abwechslung mal in Ohnmacht.

Zehn Minuten später, als Kevin wieder bei Bewusstsein und Verstand war, trotteten wir vom Ufer des Honigsumpfes zum nahe gelegenen Bach. Wir sahen aus wie klebrige Sumpfmonster und jede Fliege im Königreich schien uns entdeckt zu haben. Wir setzten uns ins Wasser und ließen uns vom Bach langsam den Honig abwaschen. Roquefort schnüffelte in Kevins Richtung.

Ich schnitt ihm das Wort ab. »Das reicht. Wir sind alle total kaputt, also mach mal halblang.«

Roquefort kicherte vor sich hin, bis ich fragte: »Wieso warst du eigentlich mit diesem Stuhl in dem Froschkäfig?«

Der Minikönig leckte sich Honig vom Handgelenk. »Das geht dich zwar nichts an, Troll, aber das ist das Königsmobil. Der König muss sicher und komfortabel reisen können. So steht es geschrieben und so soll es sein.«

Ich wandte mich zu den beiden Ungeheuern um. Sie starrten den König an – es hatte ihnen offenbar nicht so recht gefallen, dass er sie für »ersetzbar« hielt.

»Wir haben ihn darin getragen«, sagte Buddy und schaute weg.

»Und ihr werdet mich wieder darin tragen, du Ungeheuer!«, fauchte Roquefort.

Kaum waren seine Worte verklungen, erhob Buddy sich aus dem Wasser und marschierte hinüber zu dem Käfig, von dem immer noch der Honig tropfte. Er packte ihn und hielt ihn hoch, damit wir ihn alle gut sehen konnten. Dann drehte er sich ohne ein Wort um und schleuderte ihn mit seiner geballten Kraft davon. Ich rede hier nicht von ein paar Metern. Der Käfig mitsamt Stuhl jagte durch die Luft wie ein Ass beim Tennis.

Als der Käfig in die Krone des Flatschfruchtbaumes geknallt war, kehrte Buddy gelassen zum Bach zurück und setzte sich wieder zu uns. Und der König rastete aus.

»Dafür wirst du bezahlen, du dummer, überdimensionaler Sumpfschwamm! « Die nackte Panik stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Wie soll ich, der König, denn jetzt ohne Schutz reisen? Da könnte mir doch … da könnte mir Schreckliches widerfahren! Das ist … ich kann nicht …«

Wir ließen uns mit geschlossenen Augen ins Wasser zurücksinken und gaben uns alle Mühe, sein Geschrei einfach zu überhören. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie ein ganz kleines Lächeln über Buddys Gesicht huschte.

Vielleicht steckte in dem Riesenkerl ja doch mehr, als ich angenommen hatte.