Vor zwei Wochen, an einem verregneten Dienstagmorgen, holte mein Freund Kevin mich wie immer auf dem Weg zur Schule von zu Hause ab. Sein vollständiger Name ist Kevin Kleinschwein, er entstammt der weltberühmten Schweinchensippe. Bestimmt habt ihr schon mal von denen gehört. Seine Familie wohnt einige Straßen weiter in einem prachtvollen Gebäude namens Villa Kleinschwein.
Nach den bekannten Zusammenstößen mit einem gewissen hustenden und pustenden Wolf sind Kevins Dad und seine Onkel in die Baubranche eingestiegen und haben ein kleines Vermögen gemacht. Sie quatschen Kevin die ganze Zeit damit voll, dass er unbedingt Bauingenieur werden soll. Und bei ihrer Familiengeschichte kann man ihnen aus diesem Wunsch wohl auch keinen Vorwurf machen.
Kevin ist mein bester Freund, seit ich in der zweiten Klasse die Hammelkeule, die meine Mom mir als Pausenbrot mitgegeben hatte, gegen eine Extratüte Milch mit ihm getauscht habe. Mom macht den besten Hammelbraten auf dieser Seite von Burg Niegelungen, da könnt ihr alle fragen! Kevin hat ewig von der Hammelkeule geschwärmt. Er redet sogar heute noch davon – wie eine Schallplatte mit Sprung.
An dem Morgen, von dem ich jetzt erzählen möchte, sah er zwar ziemlich fertig aus, als er zur Tür hereinkam, aber er schnüffelte dennoch in unserer Küche herum. So für alle Fälle, nehme ich an. Echt, manchmal wirkt er wie ein Zombie im Hammelrausch!
Kevin hat so seine Probleme. Jede Menge Probleme sogar. Zum Beispiel seine Größe. Sein Nachname, Kleinschwein, könnte nicht passender sein. Er reicht einem Bergfrettchen so ungefähr bis ans Knie, und Mannomann, das ist ihm ja so peinlich! Einmal hat er Pfannkuchen bestellt, und die Kellnerin fragte, ob er eine »kleine Portion« wollte – und schon ist er in Tränen ausgebrochen!
Kevin ist außerdem das wahrscheinlich nervöseste Wesen der Welt. Das kann ganz schön lästig sein, weil er sich immer Sorgen macht und seinen Rüssel hängen lässt. Wenn es eine Stress-Olympiade gäbe, würde er eine Goldmedaille nach der anderen einheimsen – und anschließend vermutlich einen Panikanfall bekommen und vom Siegertreppchen kippen.
Glaubt mir, letztens hat er sogar zugegeben, dass er sich Sorgen macht, weil er sich nicht genug Sorgen macht! Ich krieg schon Kopfschmerzen, wenn ich nur daran denke. Damit könnte er wirklich im Zirkus auftreten.
Kevin holte mich also zu Hause ab, und als wir durch den ewigen Nieselregen zur Schule gingen, merkte ich, dass er mal wieder Kummer hatte. Wenn er total fertig ist, wimmert er nämlich leise vor sich hin und zuckt dauernd zusammen.
»Was ist denn los? Du benimmst dich wie ein Furz in der Pfanne!«
Er sah mich mit großen Augen an. »Ich weiß nicht, was das bedeutet. Ist das schlimm? Das ist schlimm, oder?«
»Nein, das bedeutet bloß, dass du einfach nicht stillhalten kannst. Worüber machst du dir schon wieder Gedanken?«
Und als wir dann über das Verzauberte Feld gingen, berichtete Kevin mir nervös von den neuesten Nachrichten. Eine Gruppe Holzfäller aus Wallitz, dem Nachbardorf, war von einer Herde Schnupfwiesel überfallen worden. Es blieb ungewiss, wie schwer die Holzfäller verletzt worden waren, aber die Leute im Ort drehten natürlich durch. Seit über zehn Jahren war kein Schnupfwiesel mehr gesichtet worden, und alle waren sehr glücklich darüber. Falls ihr euch damit nicht auskennt – also, Schnupfwiesel sind echt nicht witzig.
Sie gehören zur Gattung der Gemeinen Riesenwiesel, sind über zwei Meter groß und haben Zähne wie Glasscherben. Sie sind ein bisschen wie Sumpfwiesel, nur eben viel schnupfiger.
»Ich hab gehört, dem einen Typen haben sie Gesicht und Zehen weggefressen«, sagte Kevin schaudernd.
»Das ist ja fantastisch«, murmelte ich.
»WAS? Wie kannst du so was sagen?«
»Nein!« Ich ruderte erschrocken zurück. »Es ist natürlich entsetzlich, dass die Holzfäller angegriffen worden sind. Aber dass da überhaupt Schnupfwiesel rumwuseln, ist doch fantastisch! Ich hatte gedacht, die wären quasi ausgestorben.«
»Na, du hast gut reden!«, grunzte Kevin. »Du bestehst ja auch nicht aus köstlichem Speck. Ich habe gehört, die schwärmen geradezu für Schweinefleisch!«
Kevin war wirklich total außer sich, und deshalb klopfte ich ihm einfach beruhigend den Rücken und behielt meine Gedanken für mich, bis wir in der Schule ankamen.