Die Gesamtschule von Scherwutz ist ein feuchter alter Kerker von Gebäude und an Regentagen wie heute stinkt es nach alten, matschigen Kartoffelkroketten. Mich stört das vermutlich mehr als die anderen, weil Trolle zum Beispiel eine Hackfleischpastete noch drei Dörfer weiter riechen können. Kein Witz.
In der Eingangshalle der Schule wimmelte es nur so von Kindern, die lärmend herumstampften und sich den Regen abschüttelten. Ich bückte mich gerade, um mir meine durchnässten Füße abzutrocknen, als einer der Fußballriesen mir so ganz lässig meinen Rucksack über den Kopf zog, und ich fiel auf die Nase und mein Pulli rutschte mir über die Ohren.
Natürlich fanden es alle wahnsinnig komisch, wie ich da mit dem Gesicht in der dreckigen Pfütze lag, und Gelächter erfüllte die nasse Eingangshalle. Diese Barbaren! Neandertaler!
Na ja … willkommen in Scherwutz!
Lasst mich noch kurz was über die Hackordnung unserer Schule sagen. Ich hab mir die Zeit genommen, euch das alles mal aufzuzeichnen:
Ganz oben auf der Beliebtheitsskala stehen bei uns also die Prinzen und Prinzessinnen. Das sind die echten »Publikumslieblinge«. Dann kommen Ritter und holde Jungfrauen. Gleich darunter sind die Sportskanonen, das sind vor allem Ungeheuer und Riesen.
Anschließend kommen die Zauberer und Hexen. Die sind ziemlich schräg, aber sie haben auch ganz schön coole Tricks drauf. Danach kommt das niedere Volk – die normalen Leute: Elfen, Kobolde, verzauberte Tiere und so. Unter denen stehen noch die Minnesänger und Musikanten. Einige spielen in Rockminnebands, dadurch steigen sie in der Achtung der anderen ein wenig; aber eigentlich haben sie in der Rangordnung nichts zu melden. Dann endlich, ganz unten, kommen die Trolle. Die Prinzessinnen und die Holden stehen nicht gerade Schlange, um mit meinen zwei behaarten linken Füßen (Schuhgröße 44) auf den Schulball zu gehen. Ich versuche, das nicht persönlich zu nehmen, schließlich werden Trolle schon seit Anbeginn der Zeiten behandelt wie der letzte Dreck. So ist es eben.
Als ich zu meinem Schließfach kam, wartete schon mein anderer guter Freund, Joe, mit einem leicht albernen, breiten Grinsen auf mich.
Hier ein paar Worte über Joe. Erstens: Er ist mein zweitbester Freund. Streng genommen spielt er zwar in derselben Liga wie Kevin, aber Kevin kenne ich eben schon ein paar Jahre länger, also … ihr wisst schon. Er kriegt die Nr. 2 und scheint damit zufrieden zu sein. Wenn es allerdings irgendein komisches Beste- Freunde-Wettrennen gäbe, würde der Sieger nur um Haaresbreite gewinnen.
Joe heißt mit vollem Namen Joe K. Flintwater und ist der Sohn des Hofnarrs von Niegelungen.
Falls ihr nicht wisst, was ein Hofnarr macht – also, das ist so eine Art Clown, der den König zum Lachen bringt. Hofnarren erzählen Witze, zerschlagen Flaschen an ihrem eigenen Kopf, fallen auf die Nase, schieben sich Salzstangen in die Ohren und was es sonst noch für Blödsinn gibt. Sie tun eben alles, um dem Chef ein Lächeln zu entlocken.
Joe soll, wenn sein Vater in Pension geht, dessen Stelle als Hofnarr übernehmen. Das macht ihn dann zu »Joe K., dem Joker«. Mit dermaßen zwerchfellerschütternden Witzen muss man wohl rechnen, wenn man einen Clown zum Vater hat.
Es gibt jedoch ein Problem.
Mein Freund Joe, der Ärmste, ist nämlich leider der unkomischste Mensch, den ich überhaupt kenne. Dabei gibt er sich ernsthaft alle Mühe.
Und was er sich für Mühe gibt!
Andauernd steckt er seine Nase in Witzbücher, hört sich alte Aufnahmen der Sendung »Die goldenen Tage der Komik« an und übt seine Tricks. O Mann, er hat sogar immer ein Gummihuhn in der Tasche – egal, wie oft ich ihm sage, dass Gummihühner nicht lustig sind.
Ich glaube, er ist in ständiger Panik, weil er weiß, was später mal von ihm erwartet wird. Ich kann euch sagen … manchmal tut es richtig weh, das mit ansehen zu müssen!
Joe bemerkte, wie zerzaust und verdreckt ich aussah, und versuchte, einen witzigen Spruch zu bringen.
»Alter, wow. Was für ein Anblick. Du siehst nämlich aus wie ein, äh …«
Ich wartete. Es ist besser, man lässt ihn in Ruhe nach einer Lösung suchen.
»… wie ein … du siehst aus wie ein …« Seine Augen suchten den Boden ab in dem hoffnungslosen Versuch, dort etwas auch nur annähernd Komisches zu finden. Ich konnte sein Gehirn fast ächzen hören.
Endlich ließ er die Schultern sinken. »Ach, mir fällt nix ein. Aber ich war kurz davor!«
»Das schaffst du schon noch. Üb einfach weiter«, sagte ich mit zuversichtlicher Stimme und lächelte ihm zu, während ich mein Schließfach öffnete.
Plötzlich strahlte Joe und zog ein mehrfach zusammengefaltetes Blatt Papier aus seiner Hosentasche. »Hast du das gesehen?«
Was er mir unter die Nase hielt, war eine Bekanntmachung – so eine offizielle aus der Burg. Ich nahm das Blatt und las:
Ich sah Joe an und wir konnten ungefähr 1,3 Sekunden an uns halten, dann prusteten wir los.
»Sein überaus kühner Sohn Prinz Roquefort?«, wieherte ich, und Joe hielt sich den Bauch vor Lachen. »Der Himmel steh uns bei, wenn Prinz Käsekugel unser Retter sein soll. Vielleicht wollen sie den kleinen Trottel von einem Schnupfwiesel verschlingen lassen, damit es sich an ihm zu Tode kotzt!« Ich kam so richtig in Fahrt. »Der Tag, an dem ich meine Sicherheit in die Hände unseres so überaus wackeren Prinzen lege, ist der Tag, an dem ich …«
Und das, liebe Leute, war ungefähr der Moment, in dem mir aufging, dass Joe gar nicht mehr lachte. Das war der Moment, in dem ich hörte, wie sich jemand hinter mir räusperte und dann mit dieser so überaus nervigen Fistelstimme sagte: »Na, ich hoffe, du amüsierst dich prächtig, Troll.«