6. KAPITEL

Du drachst mich fertig!

In unserer Gegend gibt es mehrere Arten von Drachen. Wir haben zum Beispiel Nachtdrachen und Sumpfdrachen … und diese richtig coolen Lavadrachen. Das ist die Sorte, die alle auf ihre Stiftemäppchen zeichnen und von denen man sich Poster im Schlafzimmer aufhängt. Sie sehen echt fies und gefährlich aus und können geschmolzenes Magma speien. In jedem richtig guten Geschichtsbuch gibt es haufenweise Storys über Kämpfe gegen Lavadrachen.

Dann sind da noch die kleineren Nervdrachen, Kugeldrachen und Dachdrachen. Letztere sehen eher aus wie riesige Ratten oder Vögel als wie echte, furchterregende Drachen. Mein Dad hat Trollscheuchen um unsere Brücke herum aufgestellt, damit die Dachdrachen nicht das ganze Haus vollkacken. Und dann gibt es leider noch die Stinkdrachen. Ein Stinkdrache ist so ungefähr das widerlichste, übelst riechende Wesen auf der ganzen Welt.

Ein einziger Stinkdrache kann den Grundstückswert eines ganzen Dorfes senken. Sie gleiten durch die Gegend und hinterlassen überall eine grässliche, nach Schwefel stinkende Schleimspur. Das Dorf Hautzen ist vor zwei Jahren von Stinkdrachen heimgesucht worden, das hat die Leute da glattweg ruiniert. Am Ende mussten sie den ganzen Ort abfackeln und neu bauen, nur um diesen grauenhaften, unausrottbaren Furzgestank loszuwerden.

Niemand kann Stinkdrachen ausstehen.

Schluss, fertig.

So ist das eben.

Und deshalb ist es eine solch gemeine Beleidigung, jemanden einen Stinkdrachen zu nennen, dass selbst ich noch nie zuvor so genannt worden war. Als Prinz Roquefort »Stinkdrache« zu mir sagte, schien alle Luft aus der Schule zu entweichen. Plötzlich wurde vor meinen Augen alles rot, die Haare in meinen Ohren standen zu Berge, und ich tat etwas, von dem ich geschworen hatte, dass ich es niemals tun würde: Ich gab Roquefort einen Schubs. Ganz feste.

Nun ist Roquefort nicht gerade riesig. Er ist, ehrlich gesagt, noch kleiner als Kevin, und das heißt ja wirklich etwas. Na gut, er ist auch ziemlich rundlich, aber ich hätte dennoch nicht gedacht, dass er so leicht zu Boden gehen würde. Doch Roquefort ging zu Boden. Fiel voll auf seinen blöden Hintern. Sein Krönchen flog davon, und ich wusste sofort, dass ich Ärger kriegen würde.

Eines der gehirntoten Ungeheuer wurde aktiv und packte meine beiden Arme, während das andere schnell nachsah, ob der Prinz verletzt war. Als es ihm wieder auf die Füße geholfen hatte, war das Gesicht unseres Minityrannen dunkelrot angelaufen, fast schon lila. Ich bin nicht sicher, ob vor Verlegenheit oder vor Wut, oder vielleicht war es ja beides. Er war so wütend, dass ich dachte, sein Kopf könnte jeden Moment platzen wie ein Luftballon (und irgendwie hoffte ich, dass genau das passieren würde).

Er fuhr zu seinen Leibschlägern herum und schrie: »Hoch! Hoch! Hoch!« Das größere der beiden Ungeheuer, ich glaube, es hieß Buddy oder so, hob den Prinzen hoch und hielt ihn dicht vor mein Gesicht.

»Du hast dir gerade einen Feind eingehandelt, Nager«, fauchte er, dass die Spucke nur so flog. (Streng genommen gehören Trolle gar nicht zur Gattung der Nagetiere, aber ich beschloss, das jetzt nicht so genau zu nehmen.) »Ich fordere dich zum Zweikampf!« Ich kann euch sagen, die Menge war hin und weg! Das Gemurmel um mich her glich einem Sturm. Na ja, ein Zweikampf an einer Gesamtschule ist natürlich etwas anderes als das, was Ritter in Rüstung im Film so vorführen. Bei uns reitet man dabei auf riesigen Schwammfröschen und die Lanzen sind aus Nerf-Schilf. Das heißt aber nicht, dass es nicht trotzdem ganz schön gefährlich ist! Schwammfrösche hüpfen mit einem irren Tempo und eine Nerf-Lanze kann dich glatt aus dem Sattel hauen. Also nahm ich die Forderung des Prinzen nicht gerade auf die leichte Schulter.

»Von mir aus«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Ich weiß nicht, was ich mir dabei dachte. »Wann? Gleich nach der Schule?«

Roquefort stemmte die Hände in die Hüften und überlegte kurz. »Nein, da muss ich zum Spinett-Unterricht. Wie wäre es mit morgen früh, vor der Schule?«

Darüber musste ich kurz nachdenken. »Vor der Schule? Nee, ich bin eher ein Morgenmuffel.«

Roquefort zog sein Handy heraus und tippte ein wenig darauf herum.

»Hmmm. Was ist mit heute Abend? So gegen sechs? Hinter der Turnhalle?«

Das konnte ich schaffen. »Geht klar.«

Rasch tauschten wir unsere Nummern aus.

Als Roquefort und seine Schläger abzogen, spürte ich, wie die Spannung aus mir hinauslief, und ich kam mir vor wie ein riesiger, dampfender Haufen Dummheit.

Dann ging die Menge auseinander.

Auf dem Weg in meine Klasse hörte ich, wie jemand leise kicherte und sagte: »Stinkdrachen. Perfekt!«

Das hätte mich sicher nicht so sehr verletzt, wenn es mir nicht so wahr vorgekommen wäre.