Wir saßen beim Mittagessen im Speisesaal und Kevin hatte gerade die ganze Geschichte gehört. Mein Zusammenstoß mit dem Prinzen war natürlich bereits Schulgespräch, aber die unappetitlichen Einzelheiten erfuhr er erst jetzt.
»Du glaubst doch ständig, dass du dich gleich übergeben musst«, sagte ich und öffnete meine Proviantdose, um nachzusehen, was Mom mir heute eingepackt hatte.
»Aber das ist doch wirklich übel! Das ist so was von übel. Er ist schließlich der Prinz! Er könnte uns ins Gefängnis werfen oder so. Ich könnte im Gefängnis bei lebendigem Leibe verspeist werden! Im Ernst!«
»Reg dich ab. Und außerdem ist er doch nur auf mich sauer.« Ich tätschelte mal wieder Kevins Rücken.
Joe nickte energisch und versuchte, durch einen Mund voller Erdnussbutter und Maulbeerkompott zu sprechen: »Paschiert schonix. Wirscht scheen.«
Kevin sah wirklich ein bisschen grün um die Kiemen aus. »Spotz wird sterben! Ich kann nichts essen. Unter gar keinen Umständen kann ich irgendetwas essen!« Er schob sein Mittagessen zur Seite und ließ den Rüssel hängen. Seine Mahlzeit bestand aus einem winzigen Trog voller Abfälle, Bananenschalen und so Zeug. Ich hätte das nicht mal an einem Glückstag runterbringen können.
»Und wenn ich dir sage, dass meine Mom mir Hammelbraten mitgegeben hat?«, fragte ich und griff in meine Proviantbox. Plötzlich sah Kevin nicht mehr so leidend aus.
»Na ja, ich … wenn du … Na gut. Vielleicht könnte ich einen Bissen runterwürgen … Doch, ich glaube, das könnte ich.«
Ich gab ihm den Hammelbraten und mein ängstlicher kleiner Freund machte sich darüber her wie ein Velociraptor. Ich packte den Rest meines Lunchpakets aus – eine Tüte voller Mungokäfer und eine Tupperdose mit drei Feldmäusen.
Ehe ihr mich jetzt zu streng verurteilt, denkt bitte daran, dass ich ein Troll bin, und Trolle sind nun mal Fleischfresser. Tut mir leid – aber Feldmäuse sind einfach köstlich! Vor allem mit Barbecuesoße zum Stippen. Als ich allerdings gerade einen Käfer verspeiste, öffnete eine der Feldmäuse ein Auge, sah, dass die Bahn frei war, und schoss davon.
Bestimmt hatte sie gerade ein Schläfchen gehalten, als Mom sie fing.
Da ich nun plötzlich mein halbes Mittagessen eingebüßt hatte, ging ich hinüber in die Schulmensa, um zu sehen, was Mrs. Locke auf der Speisekarte stehen hatte. In neun von zehn Fällen gibt es Porridge und selbst gebackenes Brot. Dazu haben Mrs. Locke und ich unser kleines Porridge-Ritual. Ich gehe zu ihr und frage ganz unschuldig: »Wie ist denn heute der Porridge? Zu heiß? Zu kalt?« Und sie antwortet mit ihrer mürrischsten Essensausgeberinnenstimme:
Sie tut immer so, als würde meine Frage sie total wütend machen, aber ich habe schon öfter bemerkt, wie sie kichert, wenn ich weggehe. Ein paarmal hat sie mir auch schon zugezwinkert. Das gefällt mir, denn viele meiner Mitschüler haben Angst vor ihr. Mrs. Locke ist nicht gerade klein, und wenn eines der Kinder sich nicht anständig benimmt, droht sie bisweilen, sich auf es draufzusetzen. Außerdem ist sie angeblich eine ziemlich erfolgreiche Bärenjägerin, und es wird sogar gemunkelt, dass sie früher mal eine Hexe gewesen ist.
Das mit der Hexe glaube ich nicht; ich nehme an, dass sie das Gerücht womöglich selbst gestreut hat, um für gute Manieren zu sorgen. Also lasse ich mich von ihr anknurren, aber es ist unser kleiner Dauerwitz.
Als ich an diesem Tag jedoch endlich an die Reihe kam, beugte sie sich vor und packte mich an der Schulter. »NA, HEUTE HAST DU ABER ÄRGER!«, verkündete sie mit lauter Stimme, und alle anderen konnten es hören. Sie zog mich um den Tresen herum und weiter in die Küche, hinter die Kessel. Dann beugte sie sich mit besorgtem Lächeln zu mir herunter.
»Alles in Ordnung?«
Ich war total überrascht. »Was? Ach. Wegen des Zweikampfes, oder wie?«
»Ja. Hab davon gehört. Jemals einen Zweikampf gehabt?«
»Eher nicht«, nuschelte ich.
»Hör gut zu, geh früh hin! Und sorg dafür, dass du dir deinen Schwammfrosch aussuchen kannst. Wenn du gewinnen willst, brauchst du einen kräftigen Frosch. Lass bloß nicht den Prinzen entscheiden!«
»Okay.« Ich schaute mich um und wäre gern zurück zu Kevin und Joe gegangen. Nichts kann dir den guten Ruf schneller ruinieren, als am Rockzipfel der Mensafrau erwischt zu werden. Na ja, als ob ich einen guten Ruf zu verlieren gehabt hätte ...
»Und lass dir von dem kleinen Dreckskerl keinen Ärger machen, klar?« Sie schüttelte mich ein bisschen. »Wenn er das versucht, bestell ihm einen schönen Gruß von Goldie, ja? Ich war nämlich schon Babysitterin bei seinem Daddy, dem König, als der sich noch in die Windeln gemacht hat.«
Sie schaute mich bedeutungsvoll an, dann ließ sie mich los.
Ich ging rückwärts aus der Küche heraus und rieb mir dabei den Arm. »Danke … «
Als ich an unseren Tisch zurückkam, sah es dort aus wie nach einem kleinen Hammelmassaker. Kevin hielt den abgenagten Knochen in der Pfote und bohrte sich damit übellaunig zwischen den Zähnen herum.
Joe saß ihm gegenüber und war so sehr in ein Buch mit uralten Witzen und Streichen vertieft, dass er gar nicht bemerkte, dass ein großes, schleimiges Stück Fleisch von seiner Narrenkappe baumelte.
»Und das«, sagte ich zu ihm, als ich mich setzte, »ist wirklich ganz schön komisch.«