Freitag, 25. August
Bei der ersten Orchesterprobe des Jahres nahm ich wie immer hinter den Flöten und neben den Posaunen Platz.
«Willkommen zurück, und auch alle Neuankömmlinge heiße ich herzlich willkommen», sagte Juan Pablo, der Dirigent und Professor für Musiktheorie, von seinem Pult aus. «Dann wollen wir mal.»
Ich befeuchtete mein Rohrblatt und wartete. Meine Schenkel klebten an dem kalten Metallstuhl.
Fürs Fagott hatte ich mich entschieden, weil Mrs. Hays, die Leiterin der High-School-Band, mich darum gebeten und mir dafür die sofortige Aufnahme im Pineville County Youth Orchestra versprochen hatte. Sie brauchte dringend einen Fagottisten, da sie die Schulleitung überredet hatte, ein Fagott anzuschaffen, und die Ausgabe rechtfertigen musste.
In einem Orchester zu spielen klang viel interessanter und extravaganter als nur in einer High-School-Band, außerdem gefiel mir, dass ich mir ein Instrument von der Schule leihen konnte und meine Eltern nicht mit den Kosten belasten musste. Der Rest war Geschichte.
Mit dem Fagott war ich also kostengünstig aufs College gekommen und hatte mir jetzt sogar meine Beine in Ordnung bringen lassen können. Das Instrument war wohl die beste Entscheidung meines Lebens gewesen. Trotzdem war ich es nach fünf Jahren ziemlich leid.
Um mein Stipendium zu behalten, musste ich allerdings im Orchester bleiben. Es zu verlassen, konnte ich Juan Pablo ohnehin nicht antun. Ein Orchester ohne Fagott? Wie sollte das gehen?
Für Juan Pablo mit seinen ewigen Khakihosen und Sportschuhen hatte ich schon von Anfang an eine Schwäche, als ich nicht zum Orchesterausflug ins Spaßbad mitkommen wollte (Badeanzug) und er mich in sein Büro rief, um mich nach dem Grund zu fragen. Den ich ihm natürlich nicht verriet. Stattdessen schützte ich Arbeit vor.
Dennoch verkündete er bei der nächsten Probe, das Orchester würde doch nicht ins Spaßbad, sondern in einen Freizeitpark gehen. Ich fragte mich, woher er es wusste – wenn er es denn wusste. Aber irgendwie war ich mir sicher.
Jetzt fingen wir an, ein neues Stück vom Blatt zu spielen: die Titelmelodie eines Films namens October Sky, von dem ich noch nie gehört hatte. Und als die Musik anschwoll, war ich froh, wieder hier zu sein, obwohl wir uns beim ersten Versuch oft verspielten und den Rhythmus nicht halten konnten.
Nach der Probe trottete das ganze Orchester zum alljährlichen Begrüßungspicknick auf dem Campusrasen. Um mich herum unterhielten sich alle über den Sommer in ihren heimischen Orchestern, die Stundenpläne und die Größe und Lage ihrer neuen Zimmer, aber das ungewohnte Lüftchen an meinen nackten Beinen lenkte mich so ab, dass ich Mühe hatte, mich zu konzentrieren. Falls die anderen das, was von meinen Narben übrig geblieben war, bemerkten, zeigten sie es nicht.
Dann lag ich in der Sonne, geschützt von unsichtbarer Zinkcreme mit extrem hohem Lichtschutzfaktor. Ich schloss die Augen. Zwar wusste ich nicht, was mich erwartete, aber ich spürte, es war etwas Gutes.
Die Carter Progressives veranstalteten am selben Abend eine Roller-Skate-Party zum Semesteranfang, und ich hatte Matty überredet, mich zu begleiten.
Für Matty waren Veranstaltungen mit vielen Menschen nicht besonders verlockend, wie ich rasch merkte, nachdem wir uns in meinem allerersten Seminar, ‹Einführung in die Philosophie›, kennengelernt hatten.
«Gibt es noch Lektüreempfehlungen für diejenigen, die die Bücher auf der Liste schon gelesen haben?», erkundigte sich der schmächtige Junge mit penibel zurückgegeltem Haar. Ich überflog die vor mir liegende Literaturliste: Drei Dialoge zwischen Hylas und Philonous. Dialoge über natürliche Religion. Über die Freiheit. Und so weiter und so fort, drei Seiten lang: lauter Titel, von denen ich noch nie gehört hatte.
«Ich kann etwas für Sie zusammenstellen», antwortete der Dozent, ein energiegeladener Doktorand mit Fliege, der höchstens dreißig sein konnte. Der Junge dankte ihm.
Als ich nach dem Seminar zurück zum Wohnheim ging und mich fragte, ob ich es sausen lassen sollte, tauchte der Junge neben mir auf.
«Hey. Ich bin Matty. Woher kommst du?»
«Aus Pineville. Georgia», antwortete ich und blieb stehen.
«Klingt ja mondän», erwiderte er grinsend. Dann bemerkte er, immer noch lächelnd: «Du findest mich blöd.»
«Was?»
«Du hast kein besonders gutes Pokerface.»
«Ich finde nur, wenn du für die Einführung in die Philosophie schon alles gelesen hast, musst du den Kurs vielleicht gar nicht belegen», erklärte ich.
«Stimmt auch wieder», nickte er und streckte die Hand aus, um mich zu begrüßen, als wären wir Erwachsene.
«Ich heiße Annie», sagte ich.
«Also, wie groß ist Pineville?», fragte er.
Ich hatte keine Ahnung, wie viele Einwohner es hatte. Pineville war zwar nicht so klein wie Argyle oder Jenkinsburg, aber auch nicht so groß wie Augusta.
«Medium?», erwiderte ich.
Er lachte. «Sehr witzig! Medium. Als wäre es ein T-Shirt. Sollen wir einen Kaffee trinken?»
Und so überrumpelte mich Matty Tuttle, mit ihm Freundschaft zu schließen.
Im Café erfuhr ich, dass er als Einzelkind in Washington D.C. aufgewachsen war, wo sein Vater als Abgeordneter aus New Hampshire und seine Mutter als Vorsitzende etlicher gemeinnütziger Organisationen arbeitete. Matty hielt nichts von Regierungen oder Religionen, auch nichts von Institutionen wie dem College. Mit dreizehn hatte er sich geoutet und erinnerte sich gerade mal an eine einzige schwulenfeindliche Reaktion in seiner kleinen, liberalen Privatschule in der Nähe der Hauptstadt.
Schon am Tag unseres Kennenlernens erklärte mir Matty, dass er nur aus einem einzigen Grund am Carter war: um für die Unizeitung zu schreiben. Er wollte unbedingt Journalist werden und betrachtete seine Artikel für das täglich erscheinende Blatt als mühsamen, aber notwendigen ersten Schritt in diese Richtung. Übers College redete er, als hätte er es schon hinter sich. Da ich unsere Kommilitonen einschüchternd fand und er sie langweilig, passten wir mit unseren Einsiedlerneigungen perfekt zusammen.
Deshalb war es ein ziemlicher Kraftakt, ihn zu einer Roller-Skate-Party mitzuschleifen, und als wir da waren, weigerte er sich, Rollschuhe anzuziehen.
Wir setzten uns auf eine Bank, Matty in seinen Halbschuhen, die er ohne Socken trug, und ich in meinen braunen, geliehenen Rollschuhen, deren Schnürsenkel ich sehr straff zugebunden hatte. Der johlende Studentenpulk tummelte sich munter auf der Rollschuhbahn.
«Komm, geh fahren, wenn du willst», sagte Matty schon zum dritten Mal.
«Alleine habe ich keine Lust», antwortete ich, ebenfalls zum dritten Mal.
«Na schön», sagte er schließlich und stand auf. «Jetzt hab ich Schuldgefühle. Hauptsache, du hörst auf zu schmollen!» Er verschwand und tauchte kurz darauf mit Rollschuhen und zwei Halbliterbechern Bier wieder auf. «Da ich nicht Rollschuhfahren kann, müssen wir uns vorher betrinken.»
Eine halbe Stunde später machten Matty und ich uns auf der Rollschuhbahn unkontrollierbar kichernd zu Idioten. Wie sich herausstellte, war Matty in der einen Sache, die er nicht konnte, wirklich grottenschlecht.
«Nur Mut», brüllte ich und zog ihn mit beiden Händen. Als er vorwärtsrollte, drifteten seine Beine auseinander, sein Oberkörper neigte sich gefährlich vor, und Panik blitzte in seinen Augen auf, bis er langsam das Gleichgewicht wiedergewann. Wir blieben auch beim Hokey Pokey, beim Limbo, beim Rückwärts- und Paarlaufen und bei einer Figur namens ‹Shoot the duck› auf der Bahn, wo man in die Hocke gehen und nur auf einem Rollschuh fahren musste, während das andere Bein nach vorne gestreckt wurde. Wir fielen ständig hin, vor allem Matty, der sein Bein nicht ausstrecken konnte, weil er so steif war wie ein Opa.
So ist mir der erste Teil dieses Abends in Erinnerung geblieben: Ich hatte den Spaß meines Lebens.
Als Matty aufs Klo musste, rollte ich außer Atem zu unserer Bank und ließ mich darauf sinken.
Der Junge war mir zum ersten Mal beim Hokey Pokey aufgefallen, da stand er mir gegenüber in dem riesigen Menschenkreis, der fast die Wand der ovalen Bahn berührte. Zuerst bemerkte ich ihn, weil er der Einzige ohne Rollschuhe war. Er tänzelte in seinen leuchtend blauen Converse-Sneakern herum, während eine quäkende Stimme aus dem rauschenden Lautsprecher plärrte: «Und jetzt im Kreis rumdrehen, und das war’s.»
Er sah auf diese Art gut aus, wie ein Klassennerd, der langsam erwachsen wird, gut aussieht. Er war schlaksig, hatte einen wilden, rotblonden Haarschopf und Wadenmuskeln, die sich beim Gehen verformten, das sah ich sogar aus der Entfernung. Später erfuhr ich von seinen Verbindungsbrüdern, dass er ‹Shaggy Tyler› genannt wurde, wegen seiner Wuschelhaare und um ihn von ‹Big Tyler› und ‹Gay Tyler› zu unterscheiden (der gar nicht schwul war, bloß ziemlich schmächtig, und damit natürlich Zielobjekt der latenten Homophobie in jeder Studentenverbindung).
Als die Menge immer ausgelassener und die Rollschuhbahn immer dunkler wurde, weil nur noch die Discokugel und die trübe Lampe im Anmeldeschuppen am Eingang für Licht sorgten, merkte ich, dass ich mir mit dem Bier tatsächlich Mut angetrunken hatte: Ich stand auf und ging zu ihm rüber. Er lehnte an der Bande und war allein. Ich glaube, er trug eine dieser pastellfarbenen Strandshorts, die Studenten gerne im Sommer tragen, aber die Farbe habe ich vergessen.
«Nettes Hokey Pokey eben», bemerkte ich.
Seine Augenwinkel knitterten, wenn er lächelte.
«Danke», erwiderte er. «Aber ich hätte mich danach dehnen sollen. Will doch keinen Krampf kriegen.» Er beugte sich vor und berührte seine Zehen.
Ich lachte.
Da richtete er sich wieder auf und strich sich die Haare aus der Stirn. «Ich bin Tyler. Und du?»
«Annie Stoddard», sagte ich, sofort peinlich berührt, weil ich Vor- und Nachnamen genannt hatte.
«Mit Nachname, damit ich dich online stalken kann?», fragte er.
«Nur, wenn du willst», gab ich zurück und spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Ich war wirklich betrunken. Zum Glück war es ziemlich dunkel.
«Lass uns ein Spiel spielen, Annie Stoddard», sagte er. «Würdest du lieber …» Er blickte sich nachdenklich um. «Hände statt Füßen oder Füße statt Händen haben?»
«Hände statt Füßen», antwortete ich. «Auf jeden Fall. Ich spiele Fagott, da brauche ich meine Hände. Außerdem, wer würde schon vier Füße wählen?»
«Da hast du recht. Du bist dran.»
Ich kannte das Spiel, bei langen Autofahrten hatte ich es jahrelang mit meinem Bruder gespielt.
«Würdest du lieber den Rest deines Lebens stinken oder eine echt schrille Stimme haben?», fragte ich.
Er dachte darüber nach.
«Wie sehr würde ich denn stinken?»
«Auf jeden Fall wäre klar, dass du es bist.»
«Dann die Stimme. Wenn du Todesphantasien hast: Stirbst du selbst, oder sterben andere?»
«Wow …», setzte ich an.
«Okay, ich antworte zuerst. Ich selbst. Jetzt bist du dran.»
Ich zögerte.
«Leugnen ist zwecklos. Jeder hat Todesphantasien», sagte er.
«Beides», erwiderte ich, merkte aber, dass er damit nicht zufrieden war. Also fuhr ich fort: «Aber öfter andere Menschen. Mein Dad. Ich glaube, davor habe ich am meisten Angst.»
Eine Gruppe Mädchen rollte vorbei. Tyler hielt einem von ihnen die Hand zum Abklatschen hin.
«Du hast also Phantasien über deinen eigenen Tod?», fragte ich ihn.
Er nickte. «Ich überlege ständig, wie ich wohl sterben werde. Schon seit ich zwölf bin. Aber trotzdem bin ich noch da. Das schockiert mich irgendwie.»
«Wieso?», fragte ich.
Er zuckte die Achseln.
«Weil ich der Welt eigentlich noch nichts gegeben habe. Ich habe bisher nur genommen. Für die globalen Ressourcen bin ich eine Belastung.»
Das fand ich komisch: Wie sollte man etwas Bedeutsames geleistet haben, wenn man noch nicht mal das College beendet hatte?
«Aber du studierst doch noch», wandte ich ein.
«Na und?», gab er zurück. «In meinem Alter hatte Mark Zuckerberg schon Facebook erfunden.»
«Das ist der Einzige, der das College geschmissen und trotzdem was Großes geschaffen hat!» Eigentlich wollte ich lachen, aber mit seiner Ernsthaftigkeit und seinen Ambitionen wirkte er irgendwie verletzlich.
«Ist das dein Freund?», erkundigte er sich, und als ich seinem Blick folgte, sah ich Matty auf uns zukommen.
«Nein, mein bester Kumpel», erklärte ich.
«Wie ist er denn so?», fragte er.
Eine Welle der Panik überflutete mich, während Matty immer näher kam. Auf ein Gespräch wie dieses würde Matty nicht einsteigen. Unsicherheit kannte er nicht – er schien immun dagegen oder irgendwie ein Experte darin, sie abzuwehren. Das erfüllte mich mit ehrfürchtigem Staunen und gab mir oft ein Gefühl von Sicherheit, aber manchmal konnte man sich an seiner Seite auch genau deshalb ziemlich einsam fühlen.
«Witzig», sagte ich.
Plötzlich kam ein Mädchen mit langem Zopf rasend schnell auf uns zugeschlittert, krachte gegen Tyler und zog ihn mit sich auf die Bahn. Er winkte mir zu, als er in Laufschritt verfiel, um mit ihr mitzuhalten. Mir fiel auf, dass sie für eine Kollision viel zu gut Rollschuh fuhr.
Als ich sah, dass Matty einen Umweg machte, um noch ein Bier zu holen, ging ich auf die Toilette und durchforstete im Schutz einer Kabine Instagram, bis ich Tylers Profil fand, das öffentlich war. Ich scrollte durch seine Fotos: Freunde auf Partys, der Familienhund, Ferien in Cabo. Die Mädchen auf den Fotos hatten große, bunte Longchamp-Taschen, die ich am Carter zum ersten Mal gesehen hatte und mir persönlich nicht leisten konnte, aber wenigstens entdeckte ich in seinem Feed kein besonderes Mädchen, das immer wieder auftauchte.
Dann googelte ich ihn. Er war im vierten Studienjahr, in der Studentenverbindung PiKa und im Vorstand des Intrafraternity Council, einer Dachorganisation der Studentenverbindungen. Abteilung Multikulturalität. Im Vorjahr war er vom Carter Chronicle, der täglich erscheinenden Campuszeitung, interviewt worden, und zwar im Rahmen einer Serie zum Thema ‹Unsere Campusgrößen›. Sein Traumurlaub war ein Segeltörn rund um Südamerika, weil er als Junge während der Familienferien in Nantucket von seinem Vater das Segeln gelernt hatte. Sein Sternzeichen war Fische, aber er glaubte nicht an Astrologie. Seine Eltern hatten beide in den 80ern am Carter studiert, waren hier auch zusammengekommen und lebten jetzt in Houston. Sein Dad hatte ein Unternehmen gegründet, das sich um Suchtbehandlung kümmerte. Tylers Hauptfach war Geschichte und sein Nebenfach Kunst. Er wollte Jura studieren.
Während Matty und ich langsam zum Campus zurückschlenderten, summte mein Handy. Matty stöhnte auf und spähte mir über die Schulter. Tyler hatte mich ebenfalls auf Instagram gesucht, folgte mir jetzt und hatte mir eine Nachricht geschickt.
«Musstest du dir unbedingt den Typen aussuchen, der sich fürs Skaten zu fein ist?»
«Dich musste ich auch zum Skaten zwingen!», gab ich zurück. Ich wollte so schnell wie möglich die Nachricht lesen, ohne dass er sie sehen konnte.
Matty ignorierte die Bemerkung.
«Ist das so einer, der bei Campus-Partys einen Bierstand organisiert? Denn wenn du mit einem Bierstandtypen zusammenkommst, schreibe ich schon mal den Nachruf auf unsere Freundschaft.»
«Nein, er organisiert keinen Bierstand», gab ich gereizt zurück, weil Mattys Snobismus mich plötzlich nervte. Das war oft so: Seine Selbstgefälligkeit störte mich eigentlich nicht, aber dann auf einmal schon. «Er ist im Vorstand für Multikulturalität. Von einer Studentenverbindung.»
Matty schnaubte und rief dann: «Oh ja – im Dienste der Menschheit!»
«Halt die Klappe», murmelte ich. Es war immer besser, wenn man auf Mattys Ansichten gar nicht einging. Man musste sie anhören, würdigen und vergessen.
«Jetzt lenk nicht mit Führungsqualitäten ab», sagte er. «Du findest ihn nur heiß.»
«Ist er doch auch, oder nicht?», grinste ich.
«Nicht mein Typ. Viel zu ungepflegt.»
Das einzig Ungepflegte an Tyler waren vielleicht die Haare – der diametrale Gegensatz zu Mattys manieriertem Stil, der so aufwendig war, dass er mir nicht mal verraten wollte, wie viel sein Haarschnitt kostete. Dazu sagte er nur: «An meine Haare lasse ich hier niemanden ran», und ging ausschließlich zu Hause bei seinen Eltern zum Friseur.
«Ich finde ihn cool», erwiderte ich.
«So, so.» Matty verlor schnell das Interesse an dem Gespräch, worüber ich nur froh war. Schon bald würde er das Thema wechseln. «Aber wie du ihn als Vorbild in Sachen Toleranz dargestellt hast, war mein Höhepunkt des Abends. Der weiße Martin Luther King vom Carter College.»
Darauf reagierte ich nicht.
«Können wir was zu essen besorgen?», jammerte Matty. «Ich brauche Kohlehydrate zum Aufsaugen des Alkohols.»
Mein Handy summte wieder. Noch eine Nachricht von Tyler.
Ich verdeckte das Display mit meiner Hand.
«Klar», nickte ich.
Als ich später im Bett lag, leuchtete mein Handy im Dunkeln. Immer wieder rief ich die Nachrichten auf.
Ich mag deine Stimme, und du stinkst nicht.
Und: Gute Nacht, Annie.
Vielleicht hatte Matty recht. Vielleicht fand ich ihn einfach nur heiß.
Aber das war er auch. Und er mochte mich.
Den Kopf voller prickelnder Möglichkeiten schlief ich ein. Ich hatte das Gefühl, das alles passieren konnte. Ich weiß noch, dass mir nichts unmöglich erschien.