4.1 Einführung
Nach der Behandlung des Impulsbegriffs fragt der Lehrer seinen Oberstufenkurs: „Wir haben in den letzten Wochen die Begriffe Kraft, Energie und Impuls mühsam auseinandergepuzzelt – Physiker legen darauf viel Wert. Wie seht ihr das? Ist diese genaue Unterscheidung unbedingt notwendig?“ Paul meldet sich: „Ja natürlich! Es handelt sich schließlich um drei unterschiedliche Kräfte!“
Diese Szene bringt das bei Lernenden verbreitete Clusterkonzept von „Kraft/Energie/Wucht/Schwung“ auf den Punkt: Viele Schülerinnen und Schüler besitzen auch nach dem Mechanikunterricht ineinander verwobene Vorstellungen von ‚Kraft‘ als einer universellen Wirkungsfähigkeit mit Elementen von „Kraft haben“, „Kraft übertragen“, „Kraft ausüben“. Erst im jeweiligen Anwendungskontext lassen sich Schüleraussagen konkreter dahingehend deuten, ob in einer physikalischen Interpretation eher Energie oder Impuls oder auch die Newton’sche Wechselwirkungsgröße gemeint ist. Bei den Schülerinnen und Schülern liegt dabei nicht einfach eine Verwechslung von Wörtern vor. Das könnte man als Lehrkraft unter der Annahme, die Lernenden hätten wohl das Richtige gemeint, zurechtrücken oder sogar übergehen. Tatsächlich sehen viele Schülerinnen und Schüler jedoch gar keinen grundlegenden Unterschied zwischen den physikalisch klar differenzierten Begriffen. Hinter den Schüleraussagen steht ein umgangssprachlich geprägtes Verständnis von ‚Kraft‘ als einer universellen Wirkungsfähigkeit. Es wird aus dem Alltag in den Physikunterricht übernommen und beeinflusst dort die Verarbeitung der Lernangebote. ‚Kraft‘ wird im Alltag mit der Fähigkeit verbunden, auf etwas einwirken zu können, und nicht mit dem Vorgang des Einwirkens selbst.
Grundlegende Lernschwierigkeiten in der Mechanik ergeben sich aus der vermeintlich leichten Erlernbarkeit des Themengebiets; die Vorgänge und ihre Beschreibungen scheinen aus der Erfahrungswelt bereits gut bekannt zu sein. Geschwindigkeit und Beschleunigung werden als „schnell/langsam“ bzw. „schneller werden“ verstanden. Nach dem Unterricht wird zum Teil auch „langsamer werden“ als Beschleunigung angesehen. Den im Unterricht eingeführten und für die Physik zentralen Vektorcharakter sehen Schülerinnen und Schüler als untergeordnete Zusatzeigenschaft an und messen ihm wenig Bedeutung zu. Das wird z. B. bei der Kreisbewegung zum Problem, wenn Schülerinnen und Schüler eine nach innen gerichtete Beschleunigung erkennen sollen.
Schülerinnen und Schüler betrachten die Welt mit Denkmustern, die sich im Alltag bewährt haben. Dazu gehört die Einbeziehung von Intentionen, wie in der Überlegung, die Motorkraft wolle das Auto beschleunigen. Bestimmten Körpern, z. B. dem Motor, wird eine aktiv handelnde Rolle zugeschrieben, anderen, z. B. einem Baum am Straßenrand bei einem PKW-Unfall, eine lediglich passive. Dieses Aktivitätskonzept wirkt sich auf die Frage aus, welche Körper aus Schülersicht tatsächlich Kräfte ausüben können.
Viele Lernende durchdenken Fragestellungen, die als Gedankenexperimente konstruiert sind, in vorgestellten alltagsnahen Realisierungen. Es fällt ihnen daher schwer, sich vollkommen reibungsfreie Bewegungen vorzustellen – und wenn sie sich darauf einlassen, sehen sie den Sinn solcher Betrachtungen in der Regel nicht ein („realitätsfremd!“).1 Für sie liegt die eigentliche Aufgabe der Physik darin, konkrete Realitätserfahrungen genau zu erklären. Der Physikunterricht konzentriert sich demgegenüber oftmals auf die theoretische Beschreibung von Klassen idealtypischer Bewegungen (z. B. die gleichmäßig beschleunigte Bewegung). Lernschwierigkeiten, die mit diesen unterschiedlichen Perspektiven verbunden sind, bleiben im Unterricht verborgen, wenn dort die quantitative Berechnung physikalischer Größen im Vordergrund steht (physikalische Rechenaufgaben). Probleme treten erst zutage, wenn es um das qualitative Verständnis von Bewegungsphänomenen geht.
Ein weiteres Denkmuster liegt im Eigenschaftsdenken. Schülerinnen und Schüler neigen dazu, mechanische Größen den Körpern direkt als Eigenschaft zuzuordnen. Das ist in der klassischen Mechanik bei der Masse gerechtfertigt. Bei Ort, Geschwindigkeit, Beschleunigung und Impuls handelt es sich jedoch nicht um invariante Eigenschaften, sondern um relationale Größen. Sie setzen die Festlegung eines Bezugssystems voraus. Kraft ist auf die Wechselwirkung zweier Körper bezogen. Auch Energieangaben sind auf ein System zu beziehen. Wenn wir im Unterricht vereinfachend davon sprechen, ein Körper „habe“ ein Gewicht, eine Geschwindigkeit oder eine potenzielle Energie, werden jeweils bestimmte Bezugssysteme vorausgesetzt. Dies wird oftmals nicht genügend deutlich gemacht.
Schülervorstellungen zur Mechanik sind innerhalb der Schülervorstellungsforschung das am umfangreichsten bearbeitete Forschungsgebiet. Die Bibliografie STCSE (Duit, 2009) enthält dazu 612 Einträge. Die zentralen Befunde zu den Vorstellungen stammen bereits aus den 1980er und 1990er Jahren.2 Wir stellen im Folgenden den erreichten Forschungsstand zur Kinematik und Dynamik vor.
4.2 Vorstellungen zur Kinematik
„Geschwindigkeit ist Schnelligkeit.“
Im Alltagsgebrauch bezieht sich „Geschwindigkeit“ darauf, wie schnell oder langsam ein Körper sich bewegt. Richtungen – z. B. bergauf/bergab oder vorwärts/rückwärts – werden, wenn überhaupt, gesondert angegeben. Unter der Richtung einer Bewegung wird oft nur deren Ziel verstanden („Er fährt mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h auf der Autobahn nach Hamburg.“), nicht die momentane Orientierung. Für Schülerinnen und Schüler gibt die Geschwindigkeit an, wie schnell ein Körper ist; sie sehen also nur das, was die Physik den Betrag der Geschwindigkeit nennt. Dies wird durch den Physikunterricht verstärkt, wenn er in der Kinematik lange Zeit bei eindimensionalen Bewegungen verharrt. Die Einführung eines negativen Vorzeichens verdeutlicht den Richtungsaspekt der Geschwindigkeit nur rudimentär. So erscheint die Angabe einer Richtung Schülerinnen und Schülern nicht als integrales Merkmal des physikalischen Konzepts, sondern als sekundäre Zusatzeigenschaft. Curricula, die auf Ergebnissen der Schülervorstellungsforschung aufbauen, behandeln die Geschwindigkeit daher von Beginn an zweidimensional (Wiesner et al., 2011; Abschn. 4.4). Um das Alltagsverständnis der Geschwindigkeit klar abzugrenzen, sollten Lehrkräfte für den skalaren Schnelligkeits- bzw. Betragsaspekt den Begriff „Tempo“ verwenden.
„Große Beschleunigung heißt hohes Tempo.“
„Der Ferrari beschleunigt von 0 auf 100 in 2,8 Sekunden.“ Solche Angaben in Medien teilen den Betragsaspekt der Beschleunigung in die Tempoänderung und den Zeitraum auf. Physikalisch ist die Beschleunigung eine eigenständige Verhältnisgröße, die durch Quotientenbildung die Geschwindigkeitsänderung und die dabei vergangene Zeit in Beziehung setzt. Schülerinnen und Schüler betrachten Beschleunigung hingegen im Wesentlichen als eine Bilanzgröße, die aus der Differenz von Anfangs- und Endgeschwindigkeit ermittelt wird. Mit einer großen Beschleunigung assoziieren sie das Erreichen einer großen Endgeschwindigkeit statt eine intensive zeitliche Änderung der Geschwindigkeit, die auch bei kleinen Tempodifferenzen groß sein kann. Beschleunigung ist für Schülerinnen und Schüler somit eine der Geschwindigkeit bzw. dem Tempo ähnliche Größe und sie beantworten manche Aufgaben zur Beschleunigung, als wäre nach dem Tempo oder der Geschwindigkeit gefragt worden. Außerdem können die Schülerinnen und Schüler so nicht zwischen verschiedenen Bewegungsarten, wie der gleichförmigen und der gleichmäßig beschleunigten Bewegung, unterscheiden.
„Beschleunigung ist Schnellerwerden.“
Physikalisch ebenfalls problematisch ist die Gleichsetzung von Beschleunigung mit Schnellerwerden (das Tempo erhöhen), die man häufig im Alltag findet. Eine negative Beschleunigung erscheint Schülerinnen und Schülern damit unlogisch. Für Rechnungen werden zwar negative Werte akzeptiert („“), doch ohne dass damit das Verständnis der Beschleunigung weiterentwickelt wird.
„Beschleunigung ist Tempoänderung.“
Wenn Schülerinnen und Schüler Beschleunigung mit der Änderung des Geschwindigkeitsbetrags statt mit der Geschwindigkeit verbinden, wird Schnellerwerden von ihnen als „positive Beschleunigung“ und Langsamerwerden als „negative Beschleunigung“ angesehen. In der Physik wird das Vorzeichen jedoch vom gewählten Koordinatensystem bestimmt: Schnellerwerden in negative Koordinatenrichtung ist z. B. eine negative Beschleunigung, d. h. eine Beschleunigung in Richtung der negativen Koordinatenrichtung. Im Alltagsgespräch spielt der Richtungsaspekt der Beschleunigung hingegen keine Rolle.
In der Physik ist jede Änderung des Geschwindigkeitsvektors eine Beschleunigung, also auch eine Änderung der Bewegungsrichtung. Schülerinnen und Schüler können sich nur schwer vorstellen, dass – wie bei der gleichförmigen Kreisbewegung – ein Körper kontinuierlich beschleunigt werden kann, ohne dass sich sein Tempo ändert. Für die Lernenden bleibt Beschleunigung die Änderung des Tempos.
„Zu einem Zeitpunkt kann keine Beschleunigung vorliegen.“

„Ein Jongleur arbeitet mit zwei Bällen gleichzeitig. Die Bälle befinden sich gerade in der Luft auf der gleichen Höhe. Zeichnen Sie die Beschleunigung ein!“ (Aufgabe in Anlehnung an Viennot, 1979).
Kasten 4.1: Kinematik
Kinematik formal betrachtet
Die Bewegung eines Körpers lässt sich in der Translation durch drei Vektoren für Ort, Geschwindigkeit und Beschleunigung beschreiben (,
,
). Die Ortskoordinate
sollte klar von Ortsverschiebungen
und dem zurückgelegten Weg s (skalare Summe der Wegelemente
) unterschieden werden4. Bei diskreter Betrachtung mit endlichen Zeitintervallen
gibt die Durchschnittsgeschwindigkeit
die Ortverschiebung
im Zeitintervall
an (für die x-Komponente
). Beim Grenzübergang
wird die Geschwindigkeit
– ebenso wie der Ort
– auf Zeitpunkte bezogen. Geschwindigkeit und Beschleunigung sind eigenständige physikalische Größen. Die Existenz einer Geschwindigkeit setzt nicht das Vorhandensein einer endlich großen Ortsverschiebung
voraus. Die Vektorfunktion für die Geschwindigkeit
lässt sich ermitteln, wenn die Ortsfunktion
bekannt und zeitlich differenzierbar ist:
(Ableitung des Ortes nach der Zeit). Für die Beschleunigung gelten entsprechende Überlegungen: Die Durchschnittsbeschleunigung im Zeitintervall
ist
(für die x-Komponente
). Die Beschleunigung zu einem Zeitpunkt ist die Ableitung der Geschwindigkeitsfunktion nach der Zeit:
.5
Kinematik vereinfacht betrachtet
Die Bewegung eines Körpers beschreibt man mit den Größen Ort , Geschwindigkeit
und Beschleunigung
, jeweils mit x-, y- und z-Komponenten. Betrachten wir als Beispiel eine Fallbewegung in y-Richtung: Im Zeitintervall
ändert sich die Ortskomponente y um eine Strecke
Die Durchschnittsgeschwindigkeit in diesem Zeitintervall berechnet man aus der im Zeitintervall zurückgelegten Strecke:
. Bei einem sehr kleinen Zeitintervall
kann man näherungsweise von einer Momentangeschwindigkeit
sprechen und diese den Zeitpunkten
oder t
2 zuordnen (genauer dem Zeitpunkt in der Mitte des Zeitintervalls
). Ganz entsprechend wird die Durchschnittsbeschleunigung
. berechnet. Geschwindigkeit und Beschleunigung sind eigenständige physikalische Größen. Körper haben zu jedem Zeitpunkt t eine Geschwindigkeit und eine Beschleunigung. Nur wenn deren Werte experimentell aus Orts-Zeit-Messungen bestimmt werden sollen, bildet man aus den Messdaten Zeitintervalle
.
Wenn man eine Gleichung kennt, die eine Ortskurve in Abhängigkeit von der Zeit konkret beschreibt (z. B. mit
), kann man diese Funktion differenzieren und so die Geschwindigkeits-Zeit-Funktion herleiten.
ergibt für das Beispiel
.
„Für einen Zeitpunkt kann man keine Geschwindigkeit bestimmen.“
Diese Vorstellung korrespondiert mit der oben geschilderten Vorstellung zur Beschleunigung. Sie beruht auf dem gleichen Problem des Grenzwerts immer kleinerer Zeitintervalle .6 Schülerinnen und Schüler meinen, da der Körper zu einem Zeitpunkt keinen Weg zurücklege, könne man auch nicht von einer Geschwindigkeit sprechen. Das Problem des fehlenden Intervalls
ist allerdings bei der Geschwindigkeit weniger tief verankert als bei der Beschleunigung, da Schülerinnen und Schüler die momentane Geschwindigkeitsanzeige (besser Tempoanzeige) eines Tachometers kennen.
Ein Teil dieser Lernschwierigkeit ist lehrbedingt. Bei Experimenten zur Einführung des Geschwindigkeitsbegriffs werden für die Berechnung der (Intervall-)Geschwindigkeiten Differenzenquotienten gebildet. Auch bei diskreten numerischen Berechnungen mit Tabellenkalkulation oder Modellbildungssoftware wird mit endlichen Intervallen gerechnet. Der Grenzübergang zur Momentangeschwindigkeit
ist erst Thema des Mathematik- bzw. Physikunterrichts der gymnasialen Oberstufe. Um dies in der Sekundarstufe I vorzubereiten, sollten verkürzende Formulierungen wie „v gleich s durch t“ vermieden werden. Weil die Intervalle
und
darin nicht erscheinen, wird der Eindruck erweckt, man könne die Änderungsratengröße Geschwindigkeit durch Quotientenbildung von Momentangrößen (Ortskoordinate und Zeitpunkt) bestimmen. In dem „s“ werden Ortskoordinate und Ortsverschiebung vermengt. Besser ist es also, auch bei einer eindimensionalen Bewegung für die Berechnung der Geschwindigkeit die Größengleichung
zu verwenden.
„Die Bewegungsform prägt sich dem bewegenden Objekt ein.“

Links: „Ein im Kreis herumgeschwungener Ball wird losgelassen. Welchen Weg nimmt der Ball?“ Rechts: „Eine Bowlingkugel fällt aus dem Frachtraum eines Flugzeuges. Wenn man den Vorgang von der Erde aus beobachtet: Welche Kurve beschreibt die Flugbahn der Kugel am besten?“ (beide Aufgaben in Anlehnung an Hestenes, Wells & Swackhamer, 1992a; Abschn. 4.4).
4.3 Vorstellungen zur Dynamik
„Kraft ist eine universelle Wirkungsfähigkeit.“
im Sinne von kinetischer Energie (in der Translation und Rotation), wenn Schülerinnen und Schüler davon sprechen, eine rollende Kugel habe ‚Kraft‘ gespeichert, die beim Aufprall auf ein Hindernis sichtbar werde;
im Sinne der Newton’schen Kraft, wenn es heißt, die Erde übe auf eine fallende Kugel eine Kraft aus;
im Sinne des Impulses bei Aussagen wie „Beim Stoß überträgt die rollende Kugel einen Teil ihrer Kraft auf die ruhende“.
Bei solchen Re-Interpretationen sollte man nicht davon ausgehen, die Schülerinnen und Schüler hätten lediglich das falsche Wort für eine eigentlich korrekt verstandene physikalische Größe verwendet. Es handelt sich für sie vielmehr um einen Sammel- oder Clusterbegriff der ‚Kraft‘ als Energie/Stärke/Wucht/Schwung. Jung (1981, S. 87) spricht beim Schülerverständnis der ‚Kraft‘ von einer „vagen Ganzheit“, die mit „Anstrengung“ verbunden sei. ‚Kraft‘ ist im Schülerverständnis ein umfassender, aber doch vager Begriff, der für ein ganzes Bündel verschiedener Bedeutungen steht. Was Schüler damit gerade meinen, hängt vom jeweiligen Verwendungskontext ab. Für ein Newton’sches Kraftverständnis fehlt die zentrale Idee der Wechselwirkung (Kasten 4.2) und für ein Impulsverständnis fehlt der Vektoraspekt. Am ehesten überlappt das Kraftverständnis der Schülerinnen und Schüler mit der kinetischen Energie. Das Newton’sche Kraftkonzept kann erst dann verstanden werden, wenn die Beziehungen und die Abgrenzungen zu kinetischer Energie und Impuls im Unterricht explizit thematisiert werden. In der Wissenschaftsgeschichte der Physik dauerte es nach der Veröffentlichung von Newtons Grundlagenwerk zur Mechanik7 1687 bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, bevor es zu einer klaren begrifflichen Unterscheidung zwischen Kraft und Energie kam.8
In der Physik wird mit Kraft die Stärke und Richtung einer äußeren Einwirkung auf einen Körper bezeichnet. Hat ein Körper eine konstante Masse, ändert die Kraft dessen Geschwindigkeit, d. h., sie macht ihn schneller oder langsamer und/oder ändert seine Bewegungsrichtung. Wirken mehrere Einzelkräfte, dann ergibt sich die Beschleunigung als Summe aller auf einen Körper einwirkenden Kräfte (resultierende Kraft). Praktisch wird die Newton’sche Bewegungsgleichung (2. Axiom) auf zwei Weisen verwendet: Bei Kenntnis aller einwirkenden Einzelkräfte kann man den Bewegungsverlauf vorhersagen (Kasten 4.2). Umgekehrt kann man aus der gemessenen Beschleunigung auf die wirkende Gesamtkraft schließen. In einfachen Fällen, in denen nur eine einzige Einzelkraft wirkt, kann man diese direkt ermitteln (z. B. die Federkraft bei einer Federschwingung).
Der Clusterbegriff ‚Kraft‘ ist als Schülervorstellung auch nach dem Mechanikunterricht noch häufig präsent. Die Fähigkeit, mit der Gleichung „“ physikalische Größen korrekt zu berechnen, erwerben Schülerinnen und Schüler unabhängig davon, ob sie auch verstehen, dass Kraft in der Physik eine spezifische Bedeutung hat, die sich vom Alltagskonzept ‚Kraft‘ grundlegend unterscheidet. Dies mag einer der Gründe dafür sein, dass Lehrkräfte den Erfolg ihres Mechanikunterrichts systematisch überschätzen. Beim FCI-Test (Abschn. 4.5), der konzeptuelles Verständnis testet, sagen sie einen deutlich höheren Anteil richtiger Antworten voraus, als die Schülerinnen und Schüler im Test tatsächlich erreichen.9 Eine Abb. 4.4 ähnliche Aufgabe zählte zu den schwierigsten Aufgaben des Tests zur voruniversitären Physik in der Third International Mathematics and Science Study (TIMSS)10, obwohl andere Aufgaben formal-rechnerisch deutlich höhere Anforderungen stellten.
Kasten 4.2: Newton’sche Dynamik
- 1.
Gib Ort und Geschwindigkeit des Körpers zum Zeitpunkt
an:
,
.
- 2.
Finde die auf den Körper zum Zeitpunkt
wirkenden Einzelkräfte
und gib jeweils Betrag und Richtung an.
- 3.
Addiere diese Einzelkräfte
vektoriell zu einer resultierenden Gesamtkraft
.
- 4.
Berechne die Beschleunigung des Körpers:
.
- 5.
Berechne die Geschwindigkeitsänderung des Körpers, wenn die resultierende Kraft über einen Zeitraum
wirkt:
- und daraus die neue Geschwindigkeit:
.
- 6.
Berechne die Ortsverschiebung
- und daraus den neuen Ort:
.
- 7.
Beginne mit den neuen Werten für
und
wieder bei Schritt 2.
Die Geschwindigkeit eines Körpers ändert sich dann – und nur dann –, wenn eine resultierende Kraft auf ihn einwirkt (1. Axiom).
Der Körper erhält eine Zusatzgeschwindigkeit in Richtung der resultierenden auf ihn einwirkenden Kraft (2. Axiom).
Kräfte treten nur auf, wenn zwei Körper miteinander wechselwirken (z. B. sich gegenseitig anziehen oder zusammenstoßen). Während der Wechselwirkung hat die von Körper A auf Körper B ausgeübte Kraft den gleichen Betrag wie die von B auf A ausgeübte Kraft. Die an B angreifende Kraft und die an A angreifende Kraft haben entgegengesetzte Richtungen:

„Trägheit lässt sich überwinden.“
Für die Physik sind Ruhe und Bewegung lediglich eine Frage der Wahl des Bezugssystems (Kasten 4.3). Für Schülerinnen und Schüler, die aus dem Alltag an natürliche feste Bezugssysteme gewöhnt sind (z. B. das Zimmer oder die Straße), macht es hingegen einen wesensmäßigen Unterschied, ob man sich in Ruhe befindet oder sich gleichförmig bewegt. In Ruhe zu sein oder zur Ruhe zu kommen, ist für sie der natürliche Zustand bzw. die natürliche Bewegungstendenz. Hieraus ergeben sich gravierende Lernschwierigkeiten beim 1. Newton’schen Axiom (Beharrungsprinzip, Trägheitssatz). Schülerinnen und Schüler sehen ‚Trägheit‘, wie im Alltag, als einen Zustand, den man überwinden kann und muss. Hat man einen Körper erst einmal aus dem Zustand der Ruhe in eine gewisse Bewegung versetzt, sinkt in dieser Vorstellung die ‚Trägheit‘ und es wird einfacher, den Körper weiter zu beschleunigen. Eine mögliche Ursache dieser Schülervorstellung sind Erfahrungen beim Schieben von Gegenständen am Übergang von der Haft- zur Gleitreibung.
Selbst von Fachleuten wird ‚Trägheit‘ teilweise so verwendet, als handele es sich um eine quantitative Größe und eine Eigenschaft des Körpers. Dabei wird wohl an die (träge) Masse und das 2. Newton’sche Axiom gedacht. Im Unterricht sollte man den Begriff „Trägheit“ nicht verwenden, denn wer im Alltag träge ist, wird langsamer und bleibt nicht gleich schnell. Besser ist es vom „Beharrungsprinzip“ zu sprechen und von der Masse als quantitativem Maß für das Beharren im aktuellen Bewegungszustand.
Kasten 4.3: 1. Newton’sches Axiom
Ruhe und Bewegung unterschieden sich aus physikalischer Sicht nur bezüglich des Bezugssystems. Zwei Körper, die sich relativ zueinander gleichförmig bewegen, können – je nachdem, welchen Körper man als Bezugssystem wählt – in Ruhe oder in Bewegung sein. Man spricht hier von Inertialsystemen, d. h. Systemen, in denen das Beharrungsprinzip gilt („inert“: träge, beharrend; 1. Newton’sches Axiom). Führt jedoch ein Körper in einem Inertialsystem eine beschleunigte Bewegung aus und legt man das Bezugssystem jetzt auf diesen Körper, so liegt kein Inertialsystem mehr vor. Die Newton’schen Axiome gelten nicht mehr. Es treten im beschleunigten Bezugssystem Änderungen des Bewegungszustands auf, ohne dass sich dafür reale Newton’sche Kräfte, d. h. Kräfte, die auf einer Wechselwirkung zwischen zwei Körpern beruhen, finden lassen. Um solche im beschleunigten Bezugssystem messbaren Geschwindigkeitsänderungen zu erklären, erfindet man Kräfte, die sogenannten Scheinkräfte, wie die Zentrifugalkraft oder die Corioliskraft. Die Bewegungsgleichungen werden in einem Nicht-Inertialsystem deutlich komplizierter. Deshalb sollte man in der Schule immer aus einem Inertialsystem heraus argumentieren, also aus der Sicht eines außenstehenden, ruhenden Beobachters und nicht aus der Sicht des mitbewegten, beschleunigten Beobachters. Insbesondere sollte nicht mit der Zentrifugalkraft argumentiert werden, die eine mitbewegte Person zu spüren glaubt.
„Ein bewegter Körper hat Kraft.“
Wenn ein Körper in Bewegung versetzt wird, meinen Lernende, dass er dabei ‚Kraft‘ aufnimmt und speichert. Die gespeicherte ‚Kraft‘ sei notwendig, um die Bewegung fortzusetzen. Sie wird aus Schülersicht deutlich, wenn der Körper auf ein Hindernis stößt und dieses verschiebt oder verformt. Man spüre die Kraft beispielsweise, wenn man einen geworfenen Medizinball auffängt. Schülerinnen und Schüler koppeln ‚Kraft‘ gedanklich stärker an die Geschwindigkeit als an die Beschleunigung: „Die ‚Bewegungskraft‘ wird allmählich verbraucht, sodass der Körper langsamer wird und schließlich zur Ruhe kommt – es sein denn, der Kraftverlust wird durch eine Antriebskraft ausgeglichen.“
Es liegt nahe, diese Vorstellung als Speicherung kinetischer Energie zu re-interpretieren, die durch Reibung in innere Energie umgewandelt wird. An eine Wechselwirkung mit der Unterlage oder dem Medium denken die Schülerinnen und Schüler jedoch kaum: Es ist nach ihrer Alltagserfahrung natürlich, dass Körper langsamer werden. Dafür bedarf es für sie keiner speziellen Begründung: „Die Bewegungskraft nimmt einfach immer ab.“
„Je schwerer, desto stärker.“

Der LKW und der PKW haben das gleiche Tempo; typische Schülerantwort: „Der LKW übt beim Zusammenstoß eine größere Kraft auf den PKW aus als der PKW auf den LKW.“ (Aufgabe Nr. 30 aus dem Force and Motion Concept Evaluation-Test, Abschn. 4.4).
„Zur Aufrechterhaltung der Bewegung bedarf es einer Kraft in Bewegungsrichtung.“


„Ein Flummiball hüpft auf dem Boden von links nach rechts. Zeichne an den Punkten P, S, Q und R die Kräfte ein, die auf den Ball wirken! Gib jeder Kraft eine Bezeichnung!“ Die Aufgabe ist in Anlehnung an Warren (1979a) und eine ähnliche Aufgabe im Test zur voruniversitären Physik in der Third International Mathematics and Science Study (TIMSS) formuliert (Mullis et al., 1998); die Schülerlösungen stammen aus Schecker (1985, S. 301).
Die Kraft-Bewegungs-Kopplung drückt sich nicht nur in theoretischen Beschreibungen von Bewegungen aus, sondern auch beim konkreten Handeln. Fordert man Schülerinnen und Schüler auf, einen in der Hand gehaltenen Ball während des Laufens so loszulassen, dass er ein auf dem Boden markiertes Ziel trifft, dann wird der Ball direkt über dem Ziel freigegeben. Die Schülerinnen und Schüler gehen davon aus, dass nach Wegfall des Bewegers (der Hand) der Ball senkrecht nach unten fällt.
„Die stärkere Kraft gewinnt.“
Wenn mehrere Kräfte auf einen Körper einwirken (einschließlich seiner ‚Bewegungskraft‘), entscheidet nach Vorstellung von Lernenden die stärkste Kraft über den weiteren Bewegungsverlauf. Für die Wahl von Bahnkurve E in Abb. 4.2 (rechts) können Schülerinnen und Schüler davon ausgegangen sein, dass zunächst die ‚Vorwärtskraft‘ überwiege und die horizontale Fortbewegung bestimme; erst wenn sie zum Teil aufgebraucht und zu schwach geworden sei, wirke sich die Gravitationskraft aus und zwinge die Kugel zum senkrechten Fall.
Das im Kasten 4.4 wiedergegebene Unterrichtsgespräch bringt in den Aussagen Michelles und Marvins die Vorstellung vom Kräftewettstreit zum Ausdruck. Es zeigt sich darin ebenso die Vorstellung von der „gespeicherten und aufzubrauchenden Bewegungskraft“.
Kasten 4.4: Unterrichtsgespräch zur Wurfbewegung

Tafelskizze zur Bewegung einer Kugel, die eine Schanze herunterrollt.
Lehrerin:
Was wissen wir denn über die Bahn, die die Kugel beschreibt? Irgendwo muss die ja herrühren. Die Kugel wird ja irgendwie gezwungen, sich so zu bewegen.
Michelle:
Also die Erdanziehung wirkt ja erst – also, ich würde sagen die Kugel geht erst runter, wenn die Erdanziehung größer ist als der Schwung, den die Kugel mitgebracht hat. Also wenn der Schwung kleiner ist als die Erdanziehungskraft geht sie ja erst runter oder? Weil vorher geht sie ja nicht runter.
Michelle betrachtet die „Erdanziehung(-skraft)“ und den „Schwung“ beide als Einwirkungen auf die Kugel (Cluster-Vorstellung Kraft/Schwung/Wucht/Energie/…). Sie geht von einem Kräftewettstreit zwischen mitgebrachtem „Schwung“ und „Erdanziehungskraft“ aus. Erst wenn der „Schwung“ etwas aufgebraucht und „kleiner“ als die Erdanziehung geworden sei, beginne die Kugel zu fallen.
Lehrerin:
Vielleicht kann das ja jemand anders ausdrücken?
Roger:
Ähm, vielleicht wirkt auf die Kugel auch so ’ne gewisse Hangabtriebskraft, würd’ ich sagen. Je größer die Hangabtriebskraft, desto größer ist die Geschwindigkeit und umso größer ist die Weite, die die Kugel nach dem Absprungpunkt zurücklegt. Also, das ist ja relativ logisch.
Roger verbindet die (Hangabtriebs-)‚Kraft‘ direkt mit der Geschwindigkeit: je größer die Kraft, desto höher die Geschwindigkeit. Es bleibt offen, ob er davon ausgeht, dass die „Hangabtriebskraft“ in der Kugel gespeichert ist und sich beim Abwurf weiter auswirkt, oder ob er das Wirken der Hangabtriebskraft beim Rollen auf der Schanze meint. Seine Aussage, die Flugweite sei proportional zur Geschwindigkeit am Schanzentisch, ist korrekt.
Marvin:
Jetzt noch mal: Wenn die jetzt gleich oder größer wird, diese Kraft – ähm, also die Beschleunigung oder Geschwindigkeit – größer halt als die Erdanziehungskraft, dann würde sich die Kugel gerade weiterbewegen, eigentlich –
Marvin ringt damit, was mit „dieser Kraft“ gemeint sein kann: Drückt sie sich in der Geschwindigkeit aus oder in der von der Kugel erfahrenen Beschleunigung? Marvin denkt vermutlich nicht an den Prozess der Beschleunigung, sondern vermengt im Sinne eines Clusterkonzepts ‚Geschwindigkeit‘ und ‚Beschleunigung‘ und koppelt daran einen ‚Kraft‘-Aspekt. Jedenfalls sieht auch er einen Wettstreit zwischen „dieser Kraft“ und der Erdanziehungskraft. Wenn „diese Kraft“ größer wäre als die Erdanziehungskraft, dann würde sich – so seine erste Überlegung – die Kugel „eigentlich“ gerade weiterbewegen. Das „eigentlich“ deutet an, dass Marvin hier ins Grübeln kommt.
Michelle:
Ja, diese Beschleunigungs- – diese Noch-nicht-nach-unten-Fall-Kraft ist am Anfang größer als die Erdanziehungskraft, glaub’ ich. Und deswegen fliegt die nicht gleich runter. (…) Ich mein’ der Schwung ist ja noch da. Das ist ja nicht so, dass sie gegen eine Wand rollt, sondern sie muss sich ja ausleben.
Schöner als mit Michelles Formulierung der „Noch-nicht-nach-unten-Fall-Kraft“ kann man die Vorstellung einer gespeicherten Bewegungskraft kaum ausdrücken. Die durch das Rollen auf der Schanze aufgenommene ‚Kraft‘ „muss sich ja ausleben“, meint Michelle und denkt dabei an das allmähliche Aufbrauchen der ‚Bewegungskraft‘ während der Bewegung bzw. durch sie. Äußere Einwirkungen sind dafür nach Schülersicht nicht zwingend notwendig.
„Das Beharrungsprinzip gilt nur für Spezialfälle.“ (1. Axiom)
Eine verkürzte Formulierung des 1. Newton’schen Axioms lautet: „Ein Körper ändert seinen Bewegungszustand nicht, solange keine äußere Kraft auf ihn wirkt“11. „Keine Kraft“ wird von Schülerinnen und Schülern interpretiert als „überhaupt keine Kraft“, d. h. als Abwesenheit jeglicher Einzelkraft. Das ist allenfalls für exotische Spezialfälle im Weltraum fernab aller Planeten denkbar. Somit kann der Eindruck entstehen, das 1. Axiom sei in der Anfass- und Vorzeigerealität irrelevant. Klarer sind Formulierungen, in denen die Resultierenden berücksichtigt sind, z. B.: „Wirkt auf einen Körper keine äußere Kraft oder heben sich die angreifenden Kräfte gegenseitig auf, so behält der Körper seinen Bewegungszustand nach Tempo und Richtung bei“. Damit erschließt das 1. Axiom alle Bewegungen unter Normalbedingungen. Die Bilanzierung von äußeren Reibungs- und Antriebskräften vermeidet Diskussionen mit Schülerinnen und Schülern über idealisierte Bedingungen oder Grenzfälle der Reibungsfreiheit. Die Vorstellung einer vollkommen reibungsfreien Bewegung fällt Schülerinnen und Schülern sehr schwer: „Ja, wenn da wirklich überhaupt keine Reibung wäre, dann würde der Schlitten auf einer Luftkissenbahn vielleicht weiterfahren. Aber ein bisschen Reibung ist immer da.“ (Schecker, 1985, S. 309).
„F = m · a ist eine von vielen Kraftformeln.“ (2. Axiom)
Jede Schülerin und jeder Schüler kennt nach dem Mechanikunterricht die Gleichung „“ (meist in dieser nichtvektoriellen Schreibweise). Kaum jemand ist sich jedoch ihrer fundamentalen Bedeutung bewusst. Die „Formel“ wird mit Größengleichungen wie
(Federspannkraft) oder
(Erdanziehungskraft) auf eine Stufe gestellt.
ist aus Schülersicht lediglich eine Kraftformel von vielen. Das Problem liegt in der mangelnden Unterscheidung zwischen der resultierenden Kraft (schülergemäß zu benennen als „Gesamtkraft“), die auf einen Körper wirkt, und den speziellen Einzelkräften, die dabei eine Rolle spielen können.12 Im Unterricht müssen die fundamentalen Grundideen der Mechanik deutlich hervorgehoben werden (Kasten 4.2).
Hilfreicher als die Formulierung sind für das Verständnis des 2. Axioms die Größengleichungen
bzw.
. Diese Formulierungen verdeutlichen, dass die resultierende Kraft über einen bestimmten Zeitraum wirken muss, um den Bewegungszustand zu ändern.13 Das Curriculum von Wiesner et al. (2011) verwendet die Grundidee einer durch äußere Einwirkung erzeugten Zusatzgeschwindigkeit
bereits im Mechanikunterricht der 7. oder 8. Jahrgangsstufe (Abschn. 4.4).
„Kraft und Gegenkraft greifen am gleichen Körper an.“ (3. Axiom)
Ebenso wie beim 1. und 2. Axiom können auch beim Wechselwirkungsprinzip ungeschickte unterrichtliche Darstellungen Schülerinnen und Schüler zu Fehlinterpretationen verleiten. Das beginnt bei der Kurzform „Actio gleich Reactio“, die eine zeitlich leicht versetze Antwort auf eine aktive Wirkungsursache nahelegt. Tatsächlich wirken aber beide Kräfte gleichzeitig und gleichwertig und keine ist „zuerst da“. Die Formulierung „Kraft gleich Gegenkraft“ ist noch problematischer. Schülerinnen und Schüler bringen dies zum einen mit einem inneren Sträuben des Körpers gegen die von außen angreifende Kraft in Verbindung (eine Art passiver Widerstand, siehe unten). Zum anderen wird das Schema des Kräftewettstreits (re-)aktiviert, sodass Schülerinnen und Schüler meinen: „Kraft und Gegenkraft greifen am gleichen Körper an. Solange sie gleich sind oder die Kraft kleiner als die Gegenkraft ist, passiert nichts. Erst wenn die aktive Kraft etwas größer wird als die Gegenkraft, zeigt sich eine Wirkung.“ Diese Vorstellung wird z. B. beim Anschieben einer schweren Kiste aktiviert. Schülerinnen und Schüler gehen davon aus, dass die auf die Kiste ausgeübte Kraft am Beginn kleiner sei als die Haftreibungskraft. Ab einer gewissen Stärke überwinde die ‚aktive Schubkraft‘ den ‚Widerstand‘ und die Kiste komme in Bewegung. Wenn Kraft und Gegenkraft stets gleich groß seien, könne es nach Meinung der Lernenden nie zu einer Bewegung der Kiste kommen. Die Wechselwirkungskraft der Kiste auf die schiebende Person wird von Schülerinnen und Schülern nicht als Gegenkraft im Sinne des 3. Axioms in den Blick genommen.
Statt von „Kraft und Gegenkraft“ sollte beim 3. Axiom von „Wechselwirkungskräften“ gesprochen werden und beim Kräftegleichgewicht von „Kraft und Kompensationskraft“. Dass die Wechselwirkungskräfte an zwei unterschiedlichen Körpern – den beiden Wechselwirkungspartnern – angreifen, kann in Diagrammen verdeutlicht werden, wenn man an der Tafel und auf Arbeitsblättern getrennte Skizzen für die beteiligten Körper erstellt und darin die angreifenden Kräfte für jeweils nur einen Körper einzeichnet (z. B. ,
). In einer gemeinsamen Skizze lassen sich Kraftvektoren nur schwer zuordnen, insbesondere wenn weitere Wechselwirkungen einbezogen werden (im vorliegenden Fall z. B. zwischen der Kiste und dem Boden).
„Nur aktive Körper können Kräfte ausüben, passive leisten Widerstand.“
Objekte, die sich in stabiler, entspannter Lage befinden, können nach Schülermeinung keine Kräfte ausüben; sie leisten lediglich Widerstand. Kräfte werden dieser Vorstellung nach nur von aktiven Körpern ausgeübt. Dazu zählen Lebewesen und Maschinen, gespannte Federn, sowie Magnete, elektrisch geladene Körper und die Erde mit ihrer Gravitation. Eine Straße, die „einfach nur so da ist“, übt demnach keine Beschleunigungskraft auf einen PKW aus; „der PKW stößt sich mit seiner Motorkraft aktiv daran ab“ (Kasten 4.5). Gleiches gilt für den Startblock beim 100-m-Sprint. „Tische üben keine Kraft auf ein darauf liegendes Buch aus; der Tisch leistet einen Widerstand gegen das Herunterfallen“14. Reibungskräfte werden von Schülerinnen und Schülern nicht als richtige Kräfte, sondern als Widerstände konzeptualisiert.
Kasten 4.5: Schülerinterview zu Kräften beim Anfahren eines PKW
Im folgenden Interviewauszug äußert sich ein Leistungskursschüler zum Anfahrvorgang eines PKW (aus Jung & Wiesner, 1981, S. 168f.). Insgesamt wurden zwölf Schülerinnen und Schüler befragt. Niemand gab die korrekte Beschreibung, dass die Straße den PKW beschleunigt.
Interviewer (I.):
Machen Sie eine grobe Skizze mit den auftretenden Kräften.
Schüler (S.):
(zeichnet) Kraft nach vorn zum Fahren, Erdanziehungskraft, Reibung, und dann müsste noch eine Gegenkraft da sein (zeichnet vor und hinter das Auto Pfeile).
I.:
Wer übt die nach vorne gerichtete, am Reifen angreifende Kraft aus?
S.:
Der Motor.
I. versucht zu erklären, dass der Motor als Bestandteil des Autos nur eine innere Kraft auf das Auto ausüben kann und es als Ganzes nicht direkt beschleunigen kann.
S.:
(wird schwankend) Ein guter Kontakt zwischen Boden und Reifen ist notwendig, damit sich die Reifen nicht durchdrehen; dann kann man sagen, dass der Motor die Antriebskraft ist. Die Kraft nach hinten ist die Trägheitskraft.
I.:
Wie beurteilen Sie die Aussage, dass die Straße die nach vorn beschleunigende Kraft ausübt?
S.:
Das finde ich sehr ungewöhnlich.
Der Automotor wird vom Schüler eindeutig als aktiver und damit die beschleunigende Kraft ausübender Körper betrachtet. Dass die „passive“ Straße diese Kraft ausüben solle, kann sich der Schüler nicht vorstellen. In einem anderen Interview sagte ein Schüler: „Die Straße beschleunigt nicht als Täter das Auto, ja? … Sondern das ist ähnlich wie bei dem Raumschiff, das ist jeweils eine gegenseitige, also Notwendigkeit, ja, also ohne Straße keine Beschleunigung des Autos, aber ohne Auto … “
„Bei Kreisbewegungen wirkt die Zentrifugalkraft.“
Die Vorstellung des Wirkens einer Zentrifugalkraft bei Bewegungen auf gekrümmten Bahnen gehört zu den hartnäckigsten Vorstellungen bei Schülerinnen und Schülern. „Alle Schüler zeichnen eine Zentrifugalkraft ein und zwar als erste Kraft“, schreiben Jung und Wiesner (1981, S. 177) über eine Interviewstudie mit zwölf leistungsstarken Schülerinnen und Schülern aus Physikleistungskursen (erhöhtes Anforderungsniveau). Die Dominanz einer Zentrifugalkraft wird durch populärwissenschaftliche Darstellungen und Fehlinterpretationen von Alltagserfahrungen genährt. Ein Beispiel: Beim Durchfahren einer scharfen Linkskurve lässt sich das Druckempfinden am rechten Arm des Beifahrers so deuten, als werde dieser durch die Zentrifugalkraft nach außen gegen die Beifahrertür gedrückt. Die im Sinne der Newton’schen Mechanik korrekte Interpretation, dass die Beifahrertür eine Kraft auf den Arm des Mitfahrers ausübt und dazu beiträgt, die Person auf der Linkskurve zu halten, liegt außerhalb des intuitiven Verständnishorizonts.




„Eine Raumsonde bewegt sich auf einer elliptischen Bahn um die Erde. Zeichnen Sie die Kräfte ein, die an der Sonde in den Punkten A und B angreifen.“ (Aufgabe und typische Lösung aus einem Seminar zu Schülervorstellungen mit Lehramtsstudierenden; die Exzentrizität des Orbits ist bewusst überzeichnet).
In der Newton’schen Mechanik widerspricht die Zentrifugalkraft dem 3. Axiom: Man kann keinen Körper benennen, der sie ausübt; es fehlt somit der Wechselwirkungspartner. Versuche zwischen dem ruhenden und einem beschleunigten Bezugssystem zu differenzieren und im beschleunigten Bezugssystem Newton’sche Kräfte und Scheinkräfte zu behandeln, führen im Unterricht eher zu Verwirrungen als zu Klärungen. Das beginnt schon, wenn man davon spricht, der sich im Kreis bewegende Körper erfahre im beschleunigten Bezugssystem eine (Schein-)Kraft: Im beschleunigten System bewegt sich der Körper nicht auf einer Kreisbahn – ruhendes und beschleunigtes System werden unzulässig vermengt (Kasten 4.3). Die Unterrichtszeit kann besser für Newton’sche Betrachtungen verwendet werden. Kurvenbewegungen lassen sich aus der Sicht des außenstehenden ruhenden Beobachters konsistent behandeln und mit Alltagserfahrungen in Beziehung setzen: Notwendig ist eine Re-Interpretation der Erfahrungen (siehe oben). Das irreführende Gefühl, man werde beim Durchfahren einer Kurve nach außen gezogen, wird dann zwar angesprochen, aber es wird nicht in einem System mit Scheinkräften argumentiert, sondern mit realen Kräften (Druckkraft nach innen). In Kasten 4.6 geben machen wir Vorschläge zur Auswahl von Inhalten für den Mechanikunterricht.
Kasten 4.6: Essenzielles und Verzichtbares in der Mechanik
Mechanik ist ein schwieriges Thema. Manche der als Schülervorstellungen bezeichneten Denkmuster findet man auch bei Physikstudierenden. Als Lehrkraft muss man die Sachverhalte selbst physikalisch korrekt verstehen und sich gleichzeitig der Lernanforderungen bewusst sein, die damit an Schülerinnen und Schüler gestellt werden. Angesichts der begrenzten Unterrichtszeit stellt sich die Frage nach den realistisch im Unterricht anzustrebenden Zielen. Die komplementäre Frage lautet: Worauf kann man im Zweifelsfall verzichten?15
In der Sekundarstufe I ist es auch im Gymnasium ausreichend, mit endlichen Zeitintervallen zu arbeiten. Wesentlich in der Kinematik ist das Verständnis von Geschwindigkeit als Größe mit Betrag und Richtung. Dafür ist die Behandlung von Bewegungen in zwei Dimensionen unabdingbar. Entsprechend haben Geschwindigkeitsänderungen immer einen Betrag und eine Richtung. Betrachtungen, die einen Wechsel von Bezugssystemen erfordern, sind in der Sekundarstufe I verzichtbar. Das Konzept Geschwindigkeitsänderung bzw. Zusatzgeschwindigkeit
ist für das grundlegende Verständnis wichtiger als die formale Einführung des Begriffs Beschleunigung. Eine Geschwindigkeitsänderung wird dadurch verursacht, dass eine Kraft über einen gewissen Zeitraum auf den Körper wirkt. Das 2. Newton’schen Axioms in der Formulierung
lässt sich experimentell vielfältig veranschaulichen. Der Begriff „Trägheit“ ist dagegen entbehrlich. Es reicht die Einführung der Masse – ohne explizite Unterscheidung zwischen träger und schwerer Masse – und des Beharrungsprinzips. Unverzichtbar ist die Thematisierung des 3. Axioms nur im Zusammenhang mit der Impulserhaltung. Für die Vorhersage von Bewegungsverläufen reicht das 2. Axiom aus. Auch in leistungsstarken Lerngruppen ist der Zeitaufwand für die genaue Analyse der Wechselwirkungen bei scheinbar einfachen Vorgängen wie „ein Pferd zieht eine Kutsche“ kaum gerechtfertigt.
Schwieriger ist die Frage nach Essenziellem für Unterricht mit max. drei Wochenstunden in der Einführungsphase der (dreijährigen) gymnasialen Oberstufe und bei einer Mehrzahl von Lerngruppen, die Physik in der Qualifikationsphase nicht als Leistungskurse fortführen werden. In der Eingangsphase (Klasse 10 beim achtjährigen Gymnasium) fehlen weiterhin die mathematischen Voraussetzungen für infinitesimale Betrachtungen der Momentangeschwindigkeit oder -beschleunigung. Früher hat die Physiklehrkraft (die oft in der gleichen Lerngruppe auch Mathematik unterrichtete) entsprechende Inhalte der Analysis im Physikunterricht vorgeholt. Das ist im heutigen Kurssystem kaum noch möglich. Der gedankliche Übergang zu Momentangrößen im Übergang ist für das physikalische Grundverständnis qualitativ wichtig. Eine mathematische Formalisierung ist im Physikunterricht entbehrlich.16 Der Wechsel zwischen zwei Inertialsystemen sollte behandelt werden. Für ein wirkliches Verständnis und eine physikalisch korrekte Beschreibung von Bewegungen im beschleunigten Bezugssystem ist der Zeitaufwand hingegen nicht vertretbar. Kreisbewegungen können und sollten besser von einem ruhenden Bezugssystem aus beschrieben werden.
4.4 Unterrichtskonzeptionen
Mechanik in der Sekundarstufe I
Wiesner, H., Wilhelm, T., Rachel, A., Waltner, C., Tobias, V. & Hopf, M. (2011). Mechanik I: Kraft und Geschwindigkeitsänderung. Köln: Aulis.
Wilhelm, T., Wiesner, H., Hopf, M. & Rachel, A. (2013). Mechanik II: Dynamik, Erhaltungssätze, Kinematik. Köln: Aulis.
Grundlage des vollständig ausgearbeiteten und erfolgreich erprobten Konzepts für die Mechanik in der Sekundarstufe I ist der Forschungsstand über Schülervorstellungen. Zu den Konsequenzen zählen die Behandlung der Kinematik mit Tempo und Richtung von Beginn an, das Konzept der Zusatzgeschwindigkeit als Ergebnis einer zeitlichen Krafteinwirkung und die explizite Unterscheidung zwischen Wechselwirkungsgesetz und Kräftegleichgewicht. Das Curriculum beruht auf einem langjährigen Projekt mit Forschungs-, Entwicklungs- und Erprobungsphasen (Wilhelm & Hopf, 2014). Anwendungsbezüge aus Alltag und Technik spielen eine wichtige Rolle. Dafür werden u. a. Bewegungsvideos computergestützt analysiert.
RealTime Physics/Workshop Physics
Sokoloff, D. R., Thornton, R. K. & Laws, P. W. (2012). RealTime Physics. Active Learning Laboratories. Module 1 Mechanics. Hoboken, NJ: Wiley. (Leseprobe unter: https://www.physport.org/images/examples/SampleRTPlab.pdf; Zugriff am 15. 1. 2018)
Laws, P. W. (2004). Workshop Physics Activity Guide, The Core Volume: Mechanics I: Kinematics and Newtonian Dynamics (Units 1–7), Module 1. New York: Wiley.
Computergestützte Schülerexperimente zu Bewegungsvorgängen (Microcomputer-based Labs) sind das zentrale Merkmal curricularer Konzeptionen, die in den 1990er Jahren in den USA für Colleges und Universitäten entwickelt wurden (Sokoloff, Laws & Thornton, 2007). Viele Ideen lassen sich mithilfe der inzwischen in Schulen weit verbreiteten Messwerterfassungssysteme leicht übertragen. Lehrerzentrierter Unterricht wird zugunsten einer Serie angeleiteter Schülerexperimente deutlich reduziert. Die Unterrichtseinheiten sind auf typische Verständnishürden abgestimmt. Ein Beispiel zur Vorstellung „je schwerer, desto stärker“: Kraftsensoren, die bei einem Stoßexperiment an den Fronten zweier Fahrbahnwagen unterschiedlicher Masse angebracht sind, messen die betragsmäßig gleichen Kräfte während des Stoßes, also .
4.5 Testinstrumente
Es gibt eine Reihe von Standardinstrumenten, um konzeptuelles Verständnis der Mechanik und Lernzuwächse durch Unterricht zu untersuchen. Vergleichsdaten liegen aus zahlreichen Studien vor. Aus den Tests kann man zudem Aufgaben für Unterrichtsmaterialien verwenden.
Force Concept Inventory (FCI)
Der FCI (Gerdes & Schecker, 1999; Hestenes et al., 1992a) ist seit den 1990er Jahren der international am häufigsten verwendete Test zu Schülervorstellungen in der Kinematik und Dynamik.17 In der überarbeiteten Version von 1995 enthält er 30 Aufgaben mit fünf Auswahlantworten (Multiple Choice, eine korrekte Antwort). Die vier Distraktoren sind auf typische Schülervorstellungen abgestimmt. Rechnungen sind für die Lösungen nicht erforderlich. Der FCI eignet sich als Vor- und Nachtest für die Erfassung des Lernzuwachses im Einführungsunterricht. Abb. 4.2 und Abb. 4.4 zeigen Beispiele für FCI-Aufgaben. Die Aussagekraft von FCI-Testergebnissen wurde kontrovers diskutiert (Huffman & Heller, 1995). Dennoch bleibt der FCI-Test ein Standardinstrument, um den Erfolg von Mechanikunterricht zu evaluieren (z. B. Wilhelm, 2005b). Eine deutsche Fassung des FCI ist verfügbar.18
Rath (2017) hat Gruppengespräche von Studierenden über Lösungen ausgewählter Aufgaben des FCI aufgezeichnet. Videos und Transkripte sind online verfügbar.19 In den Abwägungen der Studierendenden zwischen den Antwortoptionen kommen Schülervorstellungen klar zum Ausdruck.
The Force and Motion Concept Evaluation (FMCE)
Der FMCE-Test ist ähnlich aufgebaut wie der FCI. Er bezieht Vorstellungen zur Energie mit ein (Thornton & Sokoloff, 1997; 43 Multiple-Choice-Aufgaben, Beispiel Abb. 4.3). Die Ergebnisse des FCI und des FMCE korrelieren hoch (Thornton, Kuhl, Cummings & Marx, 2009).
Mechanics Baseline Test (MBT)
Der MBT setzt die Einführung der Begriffe Impuls und kinetische Energie voraus und stellt höhere formale Anforderungen als FCI und FMCE (Hestenes, Wells & Swackhamer, 1992b). Er enthält neben qualitativen Fragen auch einige Aufgaben, deren Lösung rechnerische Abschätzungen erfordern. Anders als der FCI sollte er fairerweise nicht bereits vor dem Mechanikunterricht eingesetzt werden. Der MBT ist ein Multiple-Choice-Test mit 26 Aufgaben und fünf Auswahlantworten. Der Test ist in der Materialsammlung von Mazur (1997) enthalten. Eine deutsche Übersetzung liegt bisher nicht vor.
Aufgabenzusammenstellungen
Jung, Reul und Schwedes (1977) zeigen im Anhang ihres Buches zahlreiche Aufgaben zur Kinematik.
Der Anhang in Jung, Wiesner und Engelhard (1981) enthält Beispielaufgaben aus den verwendeten Tests zur Kinematik und Dynamik.
Warren (1979a) beinhaltet formal aufwändigere Aufgaben mit Rechenanteilen.
Einige Aufgaben aus dem FMCE finden sich auf der CD-ROM in Wilhelm (2005a).
Aufgaben zur Beschleunigung sind abrufbar über Wilhelm (2007).
4.6 Literatur zur Vertiefung
Jung, W., Wiesner, H. & Engelhard, P. (1981). Vorstellungen von Schülern über Begriffe der Newtonschen Mechanik. Bad Salzdetfurth: Franzbecker. Auszüge sind in Müller et al. (2004) abgedruckt.
Schecker, H. (1985). Das Schülervorverständnis zur Mechanik. Universität Bremen (auf Anfrage beim Autor als PDF-Datei erhältlich).
Warren, J. W. (1979a). Understanding Force. London: Murray.
Aus der Perspektive des Physikdozenten erläutert Warren den physikalischen Kern der klassischen Mechanik und beschreibt die damit verbundenen Lernschwierigkeiten bei Studierenden und Schülerinnen und Schülern. Der besondere Wert des Buches liegt in der engen Verzahnung mit fachlichen Erörterungen.
4.7 Übungen
Die erste Übung 4.1 entspricht in leicht überarbeiteter Fassung einer Aufgabe von Riese (2009, Anhang S. V). Übung 4.2 beruht auf einer abgewandelten Aufgabe aus dem FMCE-Test (Thornton & Sokoloff, 1997).
Übung 4.1
Bei der Einführung des 3. Newton’schen Axioms versucht der Lehrer, dieses Prinzip mithilfe einer Anordnung aus Schraubenfeder und Gewichtsstück zu demonstrieren. In der 9. Klasse eines Gymnasiums spielt sich dabei folgende Szene ab:
Lehrer:
Wenn ich das Gewichtsstück an diese Feder hänge, wird sie ein bestimmtes Stück ausgelenkt. Nehme ich das Gewicht weg und ziehe stattdessen mit einem Kraftmesser an der Feder nach unten, dann muss ich mit etwa 10 N ziehen, damit die Feder genausoweit ausgelenkt wird. (Lehrer demonstriert entsprechend.) Das ist die Kraft, mit der das Gewicht an der Feder gezogen hat. Wie ihr seht, muss ich – bzw. die Feder – mit derselben Kraft am Gewichtsstück nach oben ziehen, damit es nicht nach unten fällt. Die Kraft, mit der die Feder am Gewicht zieht, ist also genauso groß.
Die Klasse signalisiert Zustimmung.
Lehrer:
Stellt euch jetzt einmal vor, ein Apfel hängt an einem Baum. Wo haben wir hier jetzt Actio und Reactio?
Johannes:
Na, ist doch klar, der Apfel zieht am Ast und der Ast hält den Apfel oben!
Lehrer:
Ja richtig – schön, ihr habt es verstanden! Was ist denn dann, wenn der Apfel jetzt herunterfällt? Also während des Fallens, wo ist da Actio und Reactio?
In der Klasse stellt sich ein Gemurmel ein.
Mike:
Ja gilt das denn dann überhaupt noch? Ich meine, das gilt doch immer nur ideal, wenn alles in Ruhe ist?!?
Johannes:
Klar hast du noch Actio und Reactio, nur Actio ist halt größer, der Apfel wird ja schließlich schneller beim Fallen!
Mike:
Ich dachte, die müssen gleich sein? Wo willst du überhaupt Reactio haben, der fällt doch frei und wird nicht mehr gehalten!?!
Johannes:
Hm. Na, Actio hast du auf jeden Fall schon mal, er bewegt sich ja. Und er wird ja auch nicht beliebig schnell, die Luftreibung bremst ihn ja. Das ist deine Reactio!
Übungsaufgabe:
- a.
Hat der Lehrer für das 3. Newton’sche Axiom am Beginn ein geeignetes Beispiel (Gewichtsstück, Feder, Kraftmesser) gewählt? Begründen Sie Ihre Einschätzung in einigen Sätzen. Gehen Sie dabei auch auf die physikalisch korrekte Beschreibung des Vorgangs ein.
- b.
In den Aussagen von Johannes und Mike werden typische Verständnisprobleme beim 3. Axiom deutlich. Beschreiben Sie die Probleme und die dahinterstehenden Schülervorstellungen!
Übung 4.2
Ein Schlitten bewegt sich auf einer Eisfläche. Die Reibung und der Luftwiderstand sind bei dieser Bewegung so klein, dass sie vernachlässigt werden können. Auf dem Schlitten befindet sich Propeller, der sich per Fernsteuerung aus- und einschalten lässt, auch die Drehzahl kann so geregelt werden. Dadurch lassen sich unterschiedliche Kräfte bewirken, die auf den Schlitten ausgeübt werden.
Welche Kräfte gelten für folgende Situationen:
- 1.
Der Schlitten bewegt sich nach rechts bei konstanter Geschwindigkeit.
- 2.
Der Schlitten bewegt sich nach rechts und wird gleichmäßig immer langsamer.
- 3.
Der Schlitten bewegt sich nach links und wird gleichmäßig immer schneller.
Wähle jeweils die eine Kraft (A bis G), die den Schlitten so bewegt, wie es in den Situationen 1 bis 3 beschrieben ist. Du kannst jede der Kräfte A bis G mehrmals für die Fragen 1 bis 3 auswählen oder auch gar nicht, aber wähle jeweils nur eine Kraft pro Frage. Wenn Du meinst, dass keine Antwort richtig ist, antworte mit H.


Übungsaufgabe:
- a.
Wie lauten die korrekten Lösungen?
- b.
Mit welchen physikalisch falschen Schülerantworten ist in dieser Situation zu rechnen? Welche Schülervorstellungen sind dafür verantwortlich? Gehen Sie dabei auf spezielle Vorstellungen ebenso ein wie auf übergeordnete Denkmuster.