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Am nächsten Morgen ist Sebastian immer noch verschwunden.

Normalerweise liegt er jeden Morgen auf meinem Bett. Aber das ist jetzt schon der zweite Tag, an dem ich aufwache und ihn nicht neben mir finde oder zumindest die warme Stelle, auf der er gerade noch lag.

Er ist auch nirgendwo zu sehen, als Amy und ich die Treppe hinuntergehen. Doch wir sind überrascht, als wir Dad Zeitung lesend im Esszimmer antreffen, während Mum in der Küche hantiert und in Windeseile das Frühstück vorbereitet. Sebastians Fressen vom Vorabend liegt immer noch unberührt in seiner Schale.

»Wo ist Sebastian?«, frage ich Mum.

»Keine Ahnung. Ich hab genug zu tun, da kann ich nicht auch noch diesen dummen Kater suchen. Wahrscheinlich jagt er gerade eine Maus oder besucht einen Freund.«

Amy sieht von ihrem Müsli auf. »Ich hab ihn auch schon seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen. Dad, warst du bereits im Schuppen?«

Dad schaut von seiner Zeitung auf. »Ich suche nach ihm, wenn ich aufgegessen habe«, sagt er und verschwindet wieder hinter seiner Lektüre.

»Manchmal versteckt sich Sebastian dort und wird dann versehentlich eingesperrt«, erklärt mir Amy.

Aber ich werde mein ungutes Gefühl nicht los. Wenn Kinder verschwinden können und nichts dagegen unternommen wird, was passiert dann erst mit Katzen?

Ich mache mich besonders schnell für die Schule fertig und suche dann im Garten nach Sebastian. Der Schuppen hinter dem Haus ist abgeschlossen und es gibt kein Fenster. Ich rufe nach ihm und lausche an der Tür – keine Reaktion.

Ein Tuut-tuut ertönt von der Straße: Jazz ist da.

Ich laufe ums Haus herum und sehe, dass Amy schon eingestiegen ist.

»Los, beeil dich. Wenn wir zu spät zur Schule kommen, will Mum bestimmt, dass wir wieder den Bus nehmen.«

Während der Fahrt suche ich mit den Augen die Gärten und Gehsteige nach Sebastian ab, entdecke aber nichts. Allmählich bekomme ich Angst um ihn, weil hier so viele Autos unterwegs sind.

Amy dreht sich um und bemerkt meinen suchenden Blick. »Mach dir keine Sorgen! Ich bin mir sicher, dass er wieder zu Hause ist, wenn wir heimkommen.«

»Was ist denn los?«, erkundigt sich Jazz.

»Sebastian ist verschwunden«, erkläre ich ihm.

»Katzen sind Entdecker, genau wie ich. Sie wollen die Welt erkunden.«

Amy rollt genervt mit den Augen. »Du musst es ja wissen, Kolumbus.«

»Was ist mit dem Schuppen im Garten?«, erkundige ich mich.

»Was meinst du?«, fragt Amy.

»Es gibt keinen Schlüssel dazu, ich hab überall nachgesehen. Jedenfalls konnte ich ihn nicht bei den Hausschlüsseln finden, die im Flur hängen.«

Amy zuckt gelangweilt mit den Schultern. »Keine Ahnung. Nur Dad benutzt den Schuppen.«

»Wahrscheinlich ist er voller Männerkram«, meint Jazz. »Gartengeräte und Rasenmäher und so.«

»Nein. Die sind in einem anderen Schuppen«, entgegne ich. Ich weiß das, weil ich vor ein paar Tagen Laub zusammenkehren musste. Mir ist nicht wohl bei der Sache. Seit ich hier wohne, ist mir Sebastian wie ein Schatten gefolgt. Wo steckt er bloß?

Jazz drückt aufs Gas und wir kommen sogar noch vor dem Schulbus an. Weil ich noch Zeit habe, gehe ich vor dem Unterricht in die Lernabteilung, um etwas anderes, das mir ständig durch den Kopf geht, zu recherchieren: Ich möchte mehr über Keswick herausfinden, wo Lucy gelebt hat, ehe sie verschwunden ist. Ich muss einfach wissen, ob es diese Berge auf meiner Zeichnung wirklich gibt.

Während ich mich einlogge, vergleiche ich den Schulcomputer mit Macs Gerät. Dieser hier ist wie alle anderen Rechner, die ich je gesehen habe – bis gestern. Zu Hause haben wir den gleichen, und ich bin mir sicher, dass die Computer, die Dad installiert und wartet, ähnliche Modelle sind. Auf der Such-Oberfläche stehen oben links die beiden verschlungenen Buchstaben. Sie fallen mir erst jetzt auf: ZK für Zentralkoalition. Doch auf Macs Bildschirm war dieses Logo nicht zu sehen.

Ich will gerade Keswick eintippen, als mich ein Gedanke innehalten lässt. Gestern hat mich Mac davor gewarnt, auf anderen Computern nach Vermissten oder etwas, das mit ihnen in Zusammenhang stehen könnte, zu suchen, denn alle Geräte werden von der Regierung überwacht. Ich logge mich wieder aus. Plötzlich wird mir mulmig, und ich überlege, was passiert wäre, wenn eine Kyla Davis Keswick eingetippt hätte – wo vor sechs Jahren eine Lucy Connor verschwunden ist. Ich hätte sicherlich irgendwo einen Alarm ausgelöst.

Minuten später schlage ich in einem staubigen, alten, bebilderten Atlas des Vereinigten Königreichs nach, den ich im Sachbuchregal gefunden habe. Ich habe Lucy doch mit einer Katze gesehen: Catbells: ein bei Wanderern beliebter Gebirgskamm, der leicht von Keswick aus zu erreichen ist und entlang des Ufers von Derwentwater verläuft. Das Foto sieht genau aus wie meine Zeichnung vom Vorabend.

Vielleicht habe ich irgendwo ein Bild von Catbells gesehen und es einfach unbewusst in meines eingebaut. Oder vielleicht erinnert sich ein Teil von mir daran, ein Teil von Lucy.

Ich versuche, mir die Fotografie im Buch einzuprägen, und schließe dann die Augen. Ich möchte in Gedanken dorthin gelangen. Aber es funktioniert nicht, denn das Bild, das vor meinem geistigen Auge erscheint, ist zweidimensional. Ich habe keine Erinnerung an den Ort. Meine linke Hand scheint mehr zu wissen als mein Gehirn.

Eine Bibliothekarin sieht neugierig durch den Raum zu mir herüber und stellt ihre Teetasse auf den Tisch. Ich schließe das Buch, stelle es wieder ins Regal zurück und verschwinde schnell.

Mr Gianelli möchte, dass wir heute mit unseren Zeichenblöcken ins Freie gehen. Der Wetterbericht, den ich gestern bei Mac gesehen habe, war wohl falsch: keine Spur vom Regen, Regen, Regen, den sie für heute angekündigt haben.

Unser Kunstlehrer läuft mit uns den kurzen Weg herunter zu dem Wald um Cuttle Brook und lässt sich mit seiner Thermoskanne voller Tee auf einer Bank nieder. »Los! Husch, husch! Zeichnet etwas. Wir treffen uns in einer Stunde wieder hier und ihr überrascht mich mit euren Werken.«

Alle laufen los, die meisten in Zweier- oder Dreiergruppen. Verschlungene Pfade führen in alle möglichen Richtungen. Ich beobachte, in welche Richtung Phoebe läuft, und gehe dann in die entgegengesetzte.

Pfade kreuzen sich, und ich wähle den aus, der in den dichtesten Teil des Waldes führt. Ich laufe eine ganze Weile, um so viel Abstand wie möglich zwischen mich und die anderen zu bringen. Als ich zu einem großen Stein gelange, setze ich mich und beginne, die Bäume zu skizzieren, die jetzt im Herbst fast kahl sind. Das Gras entlang des Baches ist vertrocknet und verwelkte Blätter liegen überall auf dem Waldboden.

Ich bin völlig allein und wechsle den Stift in die linke Hand. Was passiert, wenn ich zeichne und mich nicht darauf konzentriere, sondern meinen Geist frei wandern lasse?

Ich denke an Lucys Kätzchen. Es war grau gefleckt und hatte kurzes Fell, wie ein kleiner Ball, der jederzeit sprungbereit ist. Ich zeichne das Kätzchen, wie es einem Stück Faden hinterherspringt. Die Kleine stellt sich unsicher auf die Hinterbeine, richtet sich auf und springt. Die Kleine? Ja, irgendwie bin ich mir sicher, dass es eine Katze ist und kein Kater.

Aber heute gelingt es mir nicht, mich in meiner Zeichnung zu verlieren. Statt eines grauen Kätzchens erscheint Sebastian auf meinem Blatt. Besorgt und nervös klappe ich meinen Zeichenblock zu und laufe den Pfad zurück.

Laut unserer Biologielehrerin wurden die Bäume in diesem Wald vor über 50 Jahren im Rahmen eines Naturschutzprojekts gepflanzt. Ein Teil davon wurde während der Aufstände in den 20er-Jahren abgebrannt, konnte aber inzwischen wieder aufgeforstet werden. Allerdings wachsen die Bäume und Pflanzen nun unkontrolliert und wuchern wild.

Im Unterholz raschelt und knistert es und Vögel hüpfen durch die Büsche. Vom Weg zweigt ein kaum vorhandener schmaler Trampelpfad ab, der sich in die Richtung schlängelt, aus der ich vor einer Stunde gekommen bin.

Als ich um eine Kurve biege, bemerke ich sie erst gar nicht, weil sie so still ist: Phoebe. Sie sitzt allein auf dem Boden an einen Baum gelehnt, mit dem Skizzenblock auf den Knien und völlig in ihre Zeichnung vertieft. Ein Rotkehlchen hüpft über den Boden – vermutlich ihr Motiv. Es zwitschert, und Phoebe scheint sich mit ihm zu unterhalten, indem sie leise vor sich hin murmelt. Das Vögelchen kommt immer näher zu ihr und springt schließlich auf ihren Schuh.

Ein Lächeln verwandelt Phoebes Gesicht. Ihre Augen sind schmal und stehen weit auseinander. Ihre Haare haben ganz offensichtlich seit einiger Zeit keine Bürste mehr gesehen und sie hat viele Sommersprossen. Doch als sie das Rotkehlchen anlächelt, sieht sie irgendwie anders aus – süß. Nicht wie Phoebe.

Mir ist klar, dass Phoebe nicht lächeln würde, wenn sie wüsste, dass ich hier bin. Ich trete leise zurück, um mich nicht zu verraten, aber sie muss die Bewegung wahrgenommen haben und erschrickt. Das Rotkehlchen fliegt sofort davon.

»Verdammt!«, flucht Phoebe leise. Sie dreht sich um, weil sie wissen will, wer sie gestört hat. Als sie mich entdeckt, verzieht sie das Gesicht. »Wieso hast du dich angeschlichen?«

Ich zögere und bin hin und her gerissen zwischen Antworten und Wegrennen.

»Angeschlichen? Ich hab mich nicht angeschlichen«, verteidige ich mich. »Ich bin den Weg zurückgelaufen, und dabei habe ich zufällig mitbekommen, wie du mit dem Rotkehlchen gesprochen hast. Wie machst du das?« Wieder hat meine Neugier die Oberhand gewonnen.

»Ich habe mit keinem Rotkehlchen geredet«, antwortet Phoebe abwehrend. »Und du hast dich angeschlichen, sonst hätte ich dich ja gehört.«

Und ich merke, dass sie recht hat. Ich habe mich angeschlichen, wie sie es ausdrückt, allerdings nicht absichtlich. Ich habe – ohne darüber nachzudenken – versucht, nicht auf knackende Zweige zu treten und jedes Geräusch zu vermeiden.

»Kannst du mit Vögeln sprechen?«

»Sch.« Ich sehe, dass das Rotkehlchen zurück ist. Phoebe lächelt wieder, aber natürlich nicht wegen mir. Wenn ich mich bewege und der Vogel wieder wegfliegt, bekomme ich Ärger mit ihr, aber wenn ich bleibe, passt es ihr auch nicht. Was soll ich bloß tun?

Phoebe zeichnet weiter, und ich verrenke mir den Kopf, um das Bild erkennen zu können. Es ist ziemlich gut. Das überrascht mich, denn sie ist in der Klasse sonst eher Durchschnitt.

Wenig später legt das Vögelchen den Kopf zur Seite und fliegt davon. Phoebe schließt ihren Block.

»Hör mal zu: Du sagst niemandem ein Sterbenswörtchen, dass ich mit einem Rotkehlchen gesprochen habe, kapiert? Oder du wirst es bereuen.«

Ich zucke mit den Schultern. Warum sollte ich das ausplaudern und wen würde es überhaupt interessieren? Ich will gerade gehen, als ich mich doch noch einmal dazu entschließe, mich zu ihr umzudrehen und eine Sache zu klären, die mir keine Ruhe lässt und mich nervt. Es ist die Gelegenheit, hier sind wir unter uns.

»Was hast du eigentlich für ein Problem mit mir? Ich habe dir doch gar nichts getan.«

»Das weißt du nicht? Bist du wirklich so dumm, du Spitzel?«

Ich spüre, wie sich meine Hände zu Fäuste ballen, aber ich zwinge mich zu entspannen und atme tief ein. Ein flüchtiger Blick auf mein Levo sagt: 4,8 – also noch halbwegs okay.

»Hier ist niemand, der dir helfen kann, wenn du explodierst, Spitzel.« Sie lacht.

»Warum nennst du mich so?«

»Weil du einer bist. Völlig egal, wer du früher warst – jetzt bist du kein richtiger Mensch mehr. Mit dem Chip in deinem Kopf bist du ein wandelnder Regierungsspitzel, der alles registriert, was andere tun und sagen. Dir kann man nicht trauen. Wir anderen würden niemals einem Erwachsenen etwas verraten – aber ihr könnt gar nicht anders, stimmt doch, oder? Du und die anderen Slater, ihr spioniert Menschen aus und als Nächstes sind sie verschwunden. Das ist deine Schuld.«

Sie steht auf und stapft auf mich zu. Ich bin wie erstarrt, als sie mich beiseitestößt, um auf den Pfad zu gelangen.

Mein Levo vibriert. Ich bin kein Spitzel.

Oder doch?

Ich komme gerade noch rechtzeitig bei Mr Gianelli und der Gruppe an. Gianelli sammelt die besten Skizzen ein und hält sie hoch, damit alle sie sehen können. Phoebes Zeichnung von dem Rotkehlchen gehört auch dazu. Meine Arbeiten sind eher bescheiden ausgefallen, und ich versuche, mich hinter ein paar Mitschülern zu verstecken, allerdings ohne Erfolg. Gianelli nimmt mir meinen Zeichenblock aus den Händen und findet nur ein paar grobe Skizzen von Bäumen, Gräsern, Lucys Kätzchen und Sebastian.

Er schnaubt und gibt sie mir zurück. »Ich nehm mal an, dass du deine pelzigen Freunde nicht unter einem Baum gefunden hast.«

»Nein, ich …«

»Ich hole euch junge Künstler aus dem Klassenzimmer, damit ihr malen könnt, was ihr um euch herum in der freien Natur seht. Normalerweise muss ich Phoebe dafür rügen, dass sie ihre ganze Haustierschau malt.«

»Sorry«, sage ich.

Gianelli macht sich auf den Rückweg zur Schule und die anderen folgen ihm. Ich packe gerade meine Malutensilien in meine Tasche, als eine Hand nach meinem Zeichenblock greift: Phoebe.

»Gib ihn zurück!«

Sie hält den Block so weit hoch, dass ich nicht an ihn herankomme, und schlägt ihn auf. Ein seltsamer Ausdruck huscht über ihr Gesicht, als sie Sebastian sieht. Sie glättet die Seite und gibt mir meine Skizzen zurück.

Beim Abendessen klingelt das Telefon. »Lass doch den Anrufbeantworter drangehen«, sagt Mum genervt, aber Dad nimmt trotzdem ab.

Ich picke in meinem Essen herum, weil ich nicht hungrig bin. Immer noch keine Spur von Sebastian. Nach zwei Tagen macht sich sogar Mum langsam Sorgen.

Dad kommt mit dem Mantel im Arm wieder herein. »Wer will mit mir die Katze abholen?«

Alles Weitere erzählt er mir im Auto: Sebastian wurde bei einem Tierarzt ein paar Meilen entfernt abgegeben. Er hat sich bei einem Kampf – vielleicht mit einem Fuchs? – verletzt. Aber es geht ihm zum Glück gut.

»Woher wusste die Praxis, dass er uns gehört?«

»Er trägt einen Chip, den man scannen kann. So kann man herausfinden, wie er heißt und wo er wohnt.«

Oh! Also hat Sebastian auch einen Chip, genau wie ich. »Hätten wir ihn orten lassen können, wenn ihn niemand gefunden hätte? Geht das?«

»Kommt auf die Art von Chip an«, sagt Dad und sieht mich von der Seite an, während er fährt. »Bei Sebastians Chip ist das nicht möglich. Aber es gibt auch Navi-Chips, die zum Beispiel die Hunde der Lorder aufspüren können. Warum fragst du?«

Ich zucke mit den Schultern.

»Sag mir bitte, was du auf dem Herzen hast.« Ein scharfer Unterton in Dads Stimme lässt mir keine andere Wahl, als ihm zu antworten.

»In der Schule hat jemand etwas Seltsames zu mir gesagt. Ein Mädchen meinte, ich sei ein Regierungsspitzel, weil ich einen Chip im Kopf habe, und dass man mir nicht trauen kann.«

»Ein Spitzel? Hoppla, dann passe ich wohl mal besser auf, was ich in deiner Gegenwart so daherrede.«

»Stimmt es denn? Nimmt der Chip Dinge auf, die ich tue oder sage?«

»Natürlich nicht«, lacht Dad, aber ich habe das Gefühl, dass das nicht die ganze Wahrheit ist.

Die Tierarztpraxis ist geschlossen, aber wir werden trotzdem eingelassen.

»Hey, Doppel-D, wie läuft’s?«, begrüßt der Arzt meinen Dad. Doppel-D? Für David Davis?

»Ach, du weißt schon, alles wie immer.« Sie wechseln einen Blick.

Der Tierarzt stößt eine Schwingtür hinter der Theke auf. »Miss Best, können Sie den Kater bringen?«, ruft er.

»Geht’s ihm gut?«, frage ich. »Wo haben Sie Sebastian denn gefunden?«

»Nicht ich. Das Mädchen, das hier aushilft, hat ihn bei sich zu Hause aufgenommen und ihn heute hergebracht. Sebastian geht es gut. Er wurde mit ein paar Stichen genäht und hat eine Spritze bekommen, für alle Fälle.«

»Was schulde ich dir?«, fragt Dad.

»Geht aufs Haus. Komm, schau dir das mal kurz an.« Sie verschwinden in seinem Büro.

Hinter der Theke geht die Schwingtür auf und Phoebe kommt mit Sebastian auf dem Arm heraus. Selbst von der anderen Seite des Zimmers aus kann ich sein Schnurren hören. Doch sein Fell ist an einer Seite rasiert und die Stiche sind deutlich zu sehen. Armer Sebastian.

Aber was macht Phoebe hier? Meine Augen werden vor Erstaunen groß, und mein Mund klappt auf, als ich kapiere, was passiert sein muss.

»Mund zu, es zieht, Slater«, sagt sie.

»Er war bei dir, und als du meine Zeichnung gesehen hast, wusstest du, dass Sebastian mir gehört. Deswegen hast du ihn hergebracht.«

Sie zuckt mit den Schultern. »Jemand hat ihn gestern verletzt auf der Straße gefunden und ihn mir gebracht, damit ich mich um ihn kümmere. Ich habe ihn heute mit in die Praxis genommen und dem Arzt gesagt, wem die Katze gehört. Aber er hat ihn trotzdem gescannt, nur um sicherzugehen, dass ihr wirklich die Besitzer seid.«

»Vielen, vielen Dank.«

Sie legt mir Sebastian in den Arm.

»Du brauchst dir deshalb nicht einzubilden, dass wir nun Freunde sind. Das ändert gar nichts, Chip-Kopf«, sagt sie, sieht mich finster an und verschwindet durch die Tür.

Ich drehe mich um. Dad ist wieder im Raum und hebt eine Augenbraue. Er sieht nachdenklich aus.

Er hält mir die Tür auf. »Komm, wir fahren heim.«

Wir steigen ins Auto und sind fast schon zu Hause, als Dad sagt: »Das war sie, oder.« Es ist eine Aussage, keine Frage.

»Wer?«

»Das Mädchen, das zu dir gesagt hat, du wärst ein Spitzel.«

Ich antworte nicht. Wenn ich Ja sage, bin ich tatsächlich ein Spitzel.