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Etwas Spitzes sticht in meine Schulter.

Wärme strömt durch meine Adern. Fast sofort wird mein Herzschlag langsamer, meine Fäuste entkrampfen sich. Das ist kein normaler Happy Juice, das Zeug hier ist stärker.

Ich wache auf, bin aber gleich wieder weg.

Ich bin bei Bewusstsein, aber irgendwie auch nicht.

Die Lichter sind wieder an. Ich sitze in einem Rollstuhl und werde den Flur hinabgefahren, doch ich weiß nicht, wo ich mich befinde, denn ich sehe nur den Boden. Ich kann den Kopf nicht heben, um mich zu orientieren.

Ich spüre warmes Wasser. Eine Schwester hält mich fest, während eine andere meine Haut schrubbt. Blut lässt sich so einfach abwaschen, wenn es jemand anderem gehört. Ich sehe zu, wie meine Haut wieder sauber und weiß wird.

Die Schwestern wickeln mich in flauschige Handtücher und ziehen mir saubere Kleider an.

Krankenhauskleidung. Etwas stimmt hier nicht. Ich möchte mich darauf konzentrieren, aber es gelingt mir nicht.

Ich werde in ein Bett gesteckt, aber es ist nicht meines. Die Laken sind kühl und mein Körper glüht darin. Ich versuche, meine Augen offen zu halten. Die Lider flattern, dann schließen sie sich.

»Kyla, komm schon. Wach auf …«

Mir ist warm, ich bin glücklich und schwebe. Ich will nicht zurück. Lasst mich in Ruhe. Ich gleite durch Schichten der Dunkelheit, die Stimmen werden leiser …

Überall um mich herum sind Steine. Auch über mir, soweit ich sehen kann. Ich kratze am Mörtel. Er beginnt zu bröckeln. Stück für Stück. Jetzt dauert es nicht mehr lang …

Bald bin ich frei.

Ich nehme eine andere Stimme wahr: »Na komm, Kyla. Es ist Zeit, nach Hause zu fahren.«

Mum?

Meine Lider klappen auf.

Wir fahren durch das Klinikparkhaus nach oben zum Ausgang.

Mum wirkt völlig gelassen. Sie hat mir auf dem Weg zum Auto erzählt, dass sie beim ersten Einschlag im Büro ihrer Freundin waren. Sie haben sich eingeschlossen und unter dem Tisch versteckt.

Als es vorbei war, konnte sie mich nicht finden. Niemand wusste, wo ich war. Das Stockwerk, in dem ich meinen Termin gehabt hatte, und das darunter – mit den Ärztezimmern und Versammlungsräumen – waren die Hauptziele der Terroristen gewesen. Aber niemand von den wichtigsten Angestellten ist verletzt worden, sondern sie sind in Sicherheit gebracht worden, so wie Dr. Lysander. Aber als ich noch einmal nachhake, gibt Mum zu, dass einige Schwestern und ein paar Lorder gestorben sind. Und alle Terroristen.

Als Mum mich endlich gefunden hatte, schwebte ich in einem geistigen Niemandsland. Der Schock hatte mein Levo-Level mit Verzögerung sinken lassen – das nahmen zumindest die Schwestern an. Sie konnten mir gerade noch eine Spritze geben, bevor ich ohnmächtig wurde. Weil ich ruhiggestellt worden war, wollten sie mich nicht gehen lassen, ohne eine Komplettuntersuchung und Scans meines Gehirns vorzunehmen.

Mum sagte, sie hätte irgendwelche Fäden gezogen. Ein paar wichtige Freunde in höheren Stellen angerufen, damit sie mich mit nach Hause nehmen konnte. Alle in der Klinik waren anscheinend so unter Strom, dass sie schließlich einwilligten und mich entließen.

Nach Hause.

Ich nicke im Auto ein und stelle mich nach dem Aufwachen schlafend. Die Wirkung der Spritze klingt ab. Langsam fallen mir die Ereignisse wieder ein – in Bruchstücken zuerst, dann alles auf einmal.

Ich kann nicht glauben, dass die Terroristen es ins Krankenhaus geschafft haben – ganz zu schweigen davon, was sie dort anrichten konnten, bevor sie gestoppt wurden: Sie haben Menschen getötet. Vergeude keine Kugeln. Wenn sie mehr Munition gehabt hätten, wäre ich jetzt vielleicht auch tot. Das ganze Blut. Die Schwester, an deren Gesicht ich mich nicht erinnere …

Ich zwinge meine Gedanken weg von ihr und bin wieder in Dr. Lysanders Büro. Ihr Computer sagte: Gremium stimmt für Abbruch, Dr. Lysander lehnt ab. Was bedeutet das?

Und am seltsamsten ist: Trotz allem blieb mein Levo-Wert die ganze Zeit im grünen Bereich. Das ergibt einfach keinen Sinn.

Erst als ich Phoebe gesehen habe, kippte alles.

Mum zeigt Nerven wie Drahtseile, bis wir zu Hause angekommen sind, dann bricht sie zusammen. Sie rollt sich auf dem Sofa wie ein Baby zusammen und heult hemmungslos.

»Was sollen wir machen?«, frage ich.

»Dad anrufen«, schlägt Amy vor. Mum schüttelt vom Sofa aus abwehrend den Kopf.

»Wie wär’s mit Tante Stacey?« Das scheint für Mum in Ordnung zu sein, also ruft Amy sie an, damit sie vorbeikommt.

Stacey kann einen Teil der Geschichte aus Mum herausbekommen. Ich selbst habe ihr nichts Genaueres erzählt – und auch sonst niemandem: Dass mich zwei der Terroristen in Dr. Lysanders Büro gefunden haben und dass mich einer der beiden beinahe erschossen hätte, behalte ich für mich. Auch die tote Krankenschwester habe ich mit keinem Wort erwähnt. Amy ist völlig fasziniert von Mums Bericht und will auch von mir jedes Detail wissen – doch damit bewirkt sie nur, dass ich umso beharrlicher schweige.

Am Abend wird der Angriff in den Nachrichten erwähnt – ganze fünf Sekunden lang: Heute haben bewaffnete RT versucht, einen brutalen Anschlag auf das Personal eines der führenden Londoner Krankenhäuser zu verüben. Die Tat misslang.

Das sollten sie mal der Krankenschwester sagen, die in ihrem eigenen Blut gestorben ist.