Kapitel 18 

Unter sechs Augen spreche ich mit Niridia und Riden. »Ich möchte keine falschen Hoffnungen wecken, falls es nicht funktioniert.«

»Die Mannschaft braucht jetzt Hoffnung«, wendet Niridia ein. »Wie wäre es, wenn ich sie informiere, nachdem du losgezogen bist?«

Sie weiß, dass ich meinen Leuten nicht gegenübertreten möchte. Nicht, nachdem ich ihnen die Chance verwehrt habe, an Wasser zu kommen. Ich möchte ihnen keine neue Idee schmackhaft machen. Wie sehr würden sie mich hassen, wenn es nicht klappt?

»Also gut«, antworte ich und wende mich dann an Riden. »Bist du damit einverstanden?«

»Ich bin bereit, es zu versuchen, wenn du es auch bist«, sagt er.

»Dann lass uns los.«

Zu zweit nähern wir uns der Lücke in der Reling, der, die dazu dient, zu den Ruderbooten hinunterzuklettern. Wir treten an den Rand, schauen auf die blaue Weite hinaus. Vermutlich Tausende von Fuß tief. Der Ozean ist solch ein angsteinflößendes Mysterium.

Nervös sehe ich Riden an.

»Es wird genauso laufen wie in der Wanne«, versichert er.

»Besser wär’s.«

Die Mannschaft muss hinter uns sein und uns beobachten, sich fragen, was wir da im Schilde führen.

»Das ist deine letzte Chance, um …«, fange ich an.

Er schlingt die Arme um mich, und wir fallen.

Warmes Salzwasser umfängt uns nach dem Eintauchen. Riden hat beide Arme und Beine fest um mich gewickelt, das Gesicht an meines gedrückt.

Die Sirene ist nirgendwo zu entdecken. Nicht, solange er bei mir ist.

Ein zutiefst erleichtertes Seufzen entfleucht meinen Lippen, als ich uns mit den Füßen rudernd zur Oberfläche befördere. Die Macht des Ozeans flutet mich, besänftigt die Schuldgefühle, die Ängste. Sie sind immer noch da, irgendwo in meinem Hinterkopf, bereit, hervorgeholt zu werden, wenn ich es wünsche. Aber im Augenblick wären sie nicht hilfreich.

Ich spüre Ridens Atem an meinem Ohr. Er kitzelt auf meiner nassen Haut. Seine Arme und Beine umfangen mich so fest, es ist, als fürchtete er, ich könnte ihn verlassen – könnte für immer verloren sein.

»Riden, ich kann leichter schwimmen, wenn du mich etwas lockerer hältst.«

Er drückt sich ein bisschen von mir weg und fixiert mein Gesicht. »Du bist noch da.«

»Ich bin da.«

Wir starren einander bloß an, halten uns gegenseitig fest, und Wasser läuft über unsere Gesichter.

Jedes Mal, wenn ich mit ihm im Wasser war, war uns die Gefahr dicht auf den Fersen. Aber jetzt gibt es keine unmittelbare Bedrohung, auch wenn wir eine Aufgabe zu erledigen haben.

Also nehme ich mir einen Augenblick Zeit, um die Sache zu genießen. Mich vom Ozean gestärkt zu fühlen. Riden so dicht bei mir zu haben, Riden, der darauf vertraut, dass ich ihn über Wasser halte, dass ich ihm nicht wehtun werde.

Für mich ist schwimmen so einfach wie gehen. Und Ridens Gewicht kann mich kaum aufhalten. Ich könnte ewig so mit ihm bleiben.

Geflüster dringt von oben herab. Ich blicke auf und sehe, dass der größte Teil der Mannschaft an der Reling steht und auf uns herabschaut.

»Wir kommen wieder«, sage ich.

Dann fange ich an zu schwimmen.

Ich weiß nicht, wie schnell ich schwimmen kann. Ich hatte nie die Gelegenheit, es herauszufinden. Aber ich weiß, ich bin schneller als ein Schiff. Viel schneller. Und wenn ich erst im Wasser bin und all seine Macht zu mir strömt, dann werde ich auch nicht ermüden. Wenn es nötig ist, kann ich für immer mit der gleichen Geschwindigkeit weiterschwimmen.

Das Wasser ist warm – das Schiff hat uns in ein tropisches Klima getragen. Was gut ist, denn Riden würde anderenfalls erfrieren.

Während ich schwimme, ist er still. Ich achte darauf, seinen Kopf über Wasser zu halten, während meine Arme und Beine stille Schwimmzüge durch die See führen. Die Nacht bricht bald an, und ich hoffe, wir werden die Schiffe erreichen, wenn es dunkel wird. Wir dürfen nicht riskieren, im Wasser gesehen zu werden, und ich kann nicht tauchen, wenn ich Riden bei mir habe.

Als der Himmel schließlich vollends dunkel wird, erreichen wir die Flotte. Die Ausgucke werden uns nicht sehen können, ganz abgesehen davon, dass sie in ihrer Unwissenheit so oder so nicht nach uns Ausschau halten würden.

Ich wähle eines der kleineren Schiffe am Rand der Formation. Auf diese Weise ist die Gefahr, gesehen zu werden, geringer. Und sollten wir doch erwischt werden, ist auch die Mannschaft, derer wir uns erwehren müssten, kleiner.

Die Serpent ist die perfekte Wahl. Laternen brennen auf Deck, aber es rührt sich kaum etwas. Der Großteil der Mannschaft muss unter Deck sein und schläft hoffentlich bereits.

Ich finde etwas, woran ich mich festhalten kann, eine Leine, die an der Seite herabhängt. Riden greift nach oben und fängt als Erster an zu klettern, und ich folge ihm.

An einer Stückpforte hält er inne und streckt den Kopf hinein. Nach einigen Atemzügen zieht er sich hinein, und wieder folge ich ihm.

Das Batteriedeck ist zwar leer, aber nicht still. Von unten können wir Stimmen hören, die durch den offenen Niedergang auf der anderen Seite des Schiffes heraufhallen.

Das Wasser aus meinen Kleidern bildet eine Pfütze am Boden. Ich flüstere einen Gesang der Macht, ehe ich das Wasser absorbiere und wieder trocken werde.

Riden schnaubt leise und zeigt auf sich.

Wir werden nicht weit kommen, wenn seine Sohlen quietschen oder Wasser hörbar von ihm herabtropft.

Ohne ein weiteres Wort presse ich ihn an eine leere Wand zwischen zwei Kanonen und bedecke seinen Körper mit meinem. Mehr Worte gleiten über meine Lippen, viel zu leise, um von irgendjemandem außer Riden gehört zu werden. Dann fange ich an, das Wasser von ihm zu saugen.

Er keucht leise, als er langsam trockener wird. Aus Angst oder Ehrfurcht oder einem ganz anderen Grund, ich weiß es nicht. Mein Kopf ist über seiner Schulter, meine Hände streifen durch sein Haar, während ich auch noch den letzten Tropfen aufsauge.

»Meine Kehrseite ist immer noch nass«, frotzelt er.

»Du wirst es überleben.«

Ich schlage ihm auf die Schulter und erhasche einen Blick auf sein amüsiertes Gesicht, ehe ich mich abwende. Nun erst wird mir bewusst, dass ich, na ja, viel von ihm berührt habe. Etwas, das ich nicht mehr getan habe, seit wir uns das letzte Mal geküsst haben.

Was eine Ewigkeit her zu sein scheint.

Aber für diese Art Gedanken haben wir jetzt keine Zeit. Durstige Mannschaft, fällt mir ein. Ich habe eine durstige Mannschaft.

Die Kombüse befindet sich ein Deck über uns. Vorsichtig steigen wir die Stufen hinauf und behalten die unteren Decks im Auge, um uns zu vergewissern, dass niemand zu uns aufblickt. Von hier aus kann ich zwei Haarschöpfe erkennen. Ein paar Männer sitzen auf dem Niedergang und lachen laut über den Witz einer anderen Person, die ich nicht sehen kann.

Wir gehen um Tische und Bänke herum zu den Vorratskammern auf der Rückseite der Messe. Getrocknetes Fleisch hängt in der Kombüse an der Decke. Im Ofen ist nichts als Ruß und Asche. Die Teller vom Abendessen sind bereits gesäubert und weggeräumt worden.

Eine verschlossene Tür bereitet uns wenig Probleme. Ich habe zwar mein Schlossknackerwerkzeug nicht mitgenommen, aber die Scharniere kann ich ganz einfach mit einem Messer lösen.

Mehr als ein leises Kratzen ist nicht zu hören. Dennoch erstarren wir, aber niemand kommt herbeigelaufen. Nicht, solange das ganze Geschwätz dort unten alles überdeckt, was wir tun.

In der Vorratskammer finden wir diverse Lebensmittel: Brote, in Essig eingelegtes Gemüse, Mehl, Zucker und andere Zutaten.

Und ganz hinten: Wasserfässer.

Riden öffnet eines, steckt den ganzen Kopf hinein und trinkt.

»Vorsichtig, pass auf, dass dir nicht schlecht wird«, mahne ich.

»Mir doch egal«, sagt er und steckt den Kopf erneut hinein.

Als er fertig ist, tragen wir die Fässer (immer nur eines auf einmal, dafür brauchen wir unsere vereinte Kraft) die Stufen hinab und zum Batteriedeck. Dort binden wir sie mit einem Seil, das wir auf dem Schiff gefunden haben, zusammen und werfen sie aus der Stückpforte.

Riden will gerade durch das Loch klettern, als ich ihn aufhalte.

»Nur einen Moment.«

Ich öffne die Stauräume außerhalb des Batteriedecks, die alle unverschlossen sind, und lächele, als ich finde, wonach ich gesucht habe.

Ich klemme mir eine Axt hinter den Gürtel, den ich um mein Korsett geschnürt habe.

Riden beäugt sie, stellt aber keine Fragen, sondern umklammert mich nur, ehe wir zurück ins Wasser springen. Als wir wieder auftauchen, strahlen wir beide vor Freude über den gelungenen Coup.

»Kannst du noch einen Augenblick hier warten?«, frage ich ihn.

»Wo willst du hin?«

»Die Flotte aufhalten.«

»Mit einer Axt?«

Ich grinse noch breiter, ehe ich abtauche, tief unter die Schiffe, die Rümpfe mustere, bis ich den längsten finde, ganz vorn an vorderster Stelle.

Und dann schwimme ich wie bei dem Kampf auf See blitzartig auf die Dragon’s Skull zu und halte die Axt mit beiden Händen so vor mich, dass die scharfe Seite zuerst aufprallen wird. Sie trifft das Ruder, und der Aufschlag jagt eine heftige Erschütterung durch meine Arme. Das ganze Schiff muss geruckelt haben. Ich frage mich, was sich mein Vater wohl dabei denkt.

Ich stemme die Füße gegen den Rumpf und zerre an dem Einschnitt, bis das Ruder sauber abbricht. Nach getaner Arbeit kehre ich zu Riden und den Fässern zurück.

Schwimmen war nie so schön wie auf dem Weg zurück.

Ich bin ich. Ich habe die vollkommene Kontrolle. Ich ziehe das Wasser, das meiner Mannschaft das Leben retten wird, hinter mir her. Vier prachtvolle Fässer. Und das Beste ist, dass Riden und ich die gleiche Sache auch noch bei einem anderen Schiff wiederholen können, sollten wir mehr brauchen.

Es dämmert fast, als wir die Ava-lee erreichen.

»Werft einen Haken und eine Leine runter«, rufe ich.

Meinem Befehl wird Folge geleistet und ich lege den Haken um das Seil, mit dem die Fässer aneinandergebunden sind.

»Zieht!«

Sie ziehen die Fässer aus dem Wasser. Ich höre, wie sie auf Deck prallen. Eine weitere Leine wird herabgelassen, um Riden und mir hinaufzuhelfen.

Als wir auf Deck treten, empfängt uns eine Geräuschkulisse aus Schlürfen, Schlucken und Gelächter. Gelächter!

Sie wechseln sich ab, teilen freigiebig, reichen Becher herum.

Und als sie fertig sind, umzingeln sie mich. Umarmen mich. Klopfen mir auf den Rücken. Murmeln Entschuldigungen und Dank.

»Ohne Riden hätte ich das nicht tun können«, sage ich und schon lassen sie von mir ab und umzingeln ihn.

Niridia zieht meinen Blick auf sich, und ich gehe zu ihr. Sie kratzt an dem Verband an ihrer linken Hand.

»Captain, ich leiste Abbitte«, sagt sie. »Ich hätte nicht vor der Mannschaft mit dir streiten dürfen. Ich hätte nicht so offen sprechen sollen. Ich …«

»Komm mir nicht mit ›Captain‹. Nicht gerade jetzt«, unterbreche ich sie und nehme sie in die Arme.

Sie hebt den Kopf von meiner Schulter und schaut nach achtern. »Die Flotte ist weg.«

Ich grinse. »Das liegt daran, dass ich mir das Ruder der Dragon’s Skull geholt habe, ehe Riden und ich zurückgeschwommen sind.«

»Was auch sonst?«

Ich wäre gern geblieben, um mit den anderen zu feiern, aber ich war schon die ganze Nacht wach. »Ich gehe schlafen. Kümmerst du dich hier draußen um alles?«

»Natürlich.«

Ich höre sie auf Deck, ihr Gelächter, ihren Gesang. Jemand muss Haelis Laute hervorgeholt und ein Lied angeschlagen haben. Es wärmt mein Herz, dass sie sie auf diese Weise ehren. Indem sie das, was sie am meisten geliebt hat, am Leben erhalten.

Ich bin so müde und immer noch voll bekleidet mit Korsett und Stiefeln. Ich streife Letztere ab und tappe zu meinem Kleiderschrank.

Es klopft.

Ich hoffe, Niridia hat jetzt keine schlechten Nachrichten für mich.

»Herein«, sage ich und suche nach Nachtbekleidung.

Ich halte inne, als ich sehe, dass nicht Niridia, sondern Riden mein Quartier betritt.

»Bist du nicht müde?«, frage ich ihn. Ich wurde heute stundenlang von der See genährt, wenn ich also schon schläfrig bin, dann müsste er eigentlich völlig ausgelaugt sein.

»Ich glaube nicht, dass ich jetzt schlafen kann«, sagt er.

»Warum nicht?« Ich wende mich vom Schrank ab und sehe ihn an.

»Ich kann nicht aufhören, darüber nachzudenken, was wir zusammen geschafft haben. All diese Übungen. Ich kann nicht aufhören, darüber nachzudenken, warum ich der Faktor bin, der imstande ist, dich menschlich …«

Mein Herz pocht heftiger in meiner Brust, aber ich zucke nur mit den Schultern. »Eines der Mysterien des Lebens«, sage ich.

Ich widme mich wieder den Kleidungsstücken vor mir, als sich seine Schritte nähern.

Vor mir bleibt er stehen, baut sich zwischen mir und meinen Kleidern auf. Plötzlich löst sich mein Schlafbedürfnis in Luft auf.

»Ich glaube, du hast eine Idee, was das betrifft«, sagt er. »Wie wäre es, wenn du sie mit mir teilst?«

»Ich weiß nicht, woran es liegt«, flüstere ich.

Aber das ist eine Lüge. So eine Lüge.

»Warum ich?«, flüstert nun er so endlos sanft. So einladend.

Ungefragt steigt die Wahrheit in meinem Bewusstsein auf.

Weil du mich liebst, stelle ich fest, spreche es aber nicht laut aus. Das ist der Grund. Diese besondere Beziehung – eine, die mächtiger ist als alles andere. Die das Menschlichste ist, was es nur geben kann. Dies ist der Grund.

»Alosa?«, hakt er nach.

»Meine … Beziehung zu dir ist anders als die zu jedem anderen.«

»Anders«, wiederholt er amüsiert. »Wie anders?«

»Das weißt du.«

»Ich möchte es aus deinem Mund hören.«

Vielleicht ist es die Begeisterung darüber, dass ich unter Wasser ich selbst bleiben kann. Vielleicht ist es die Erkenntnis, warum er dafür sorgen kann, dass ich menschlich bleibe. Oder die, dass es diese Beziehung zwischen uns gibt, ob ich sie nun beim Namen nenne oder nicht. Ich muss mich nur entscheiden, ob ich das will oder nicht.

Er ist mir gegenüber so offen gewesen. Wenn ich diesen Sprung mit ihm wagen will, dann muss ich nun den nächsten Schritt tun.

»Ich glaube, du liebst mich«, sage ich.

»Das tue ich.«

»Und ich glaube, ich liebe dich.«

»Du glaubst?«

»Ich weiß es.«

Er tritt noch näher. Eine Hand gleitet von meiner Hand bis zur Schulter den Arm hinauf. Dann greift er eine Strähne meines Haars und wickelt sie um seine Finger, ehe er sie an seine Lippen führt.

»Woran denkst du jetzt?«, fragt er.

»Nur an dich.« Nicht an irgendetwas, das mir Sorgen oder Kummer bereiten würde. Da ist nur Riden.

Seine Hand gleitet zu meinem Hinterkopf, und er führt seine Lippen an meine, küsst mich sanft, träge, genießt die Zeit, in der sich unsere Lippen berühren. Unter dem sachten Druck schmelze ich dahin, schaffe es aber immer noch, an seinem nach wie vor nassen Hemd zu zerren. Er hilft mir, es auszuziehen. Ich streiche mit beiden Händen über seine glatte Brust. Ein Torso, so vollkommen wie der von Riden, sollte niemals bedeckt sein.

Seine Lippen gleiten zu meiner Kehle hinab und ich lege den Kopf in den Nacken. Er hält mich mit beiden Händen im Kreuz.

»Und was ist mit diesem mädchenhaften Kerl?«, fragt er.

»Hmm?«

»Deinem Liebhaber.«

»Oh, da habe ich gelogen. Ich kann Tylon nicht ausstehen.«

Er weicht zurück, gerade weit genug, um mir in die Augen zu sehen. »Warum hast du gelogen?«

»Du warst gemein zu mir, und ich wollte dich eifersüchtig machen.«

»Ich glaube, es lässt sich trefflich darüber streiten, wer zu dem Zeitpunkt gemeiner war.«

Lächelnd nähere ich mich mit den Lippen seiner Schulter. »Willst du mir sagen, dass es funktioniert hat?«

Statt mir zu antworten, hebt er mich mit einer Hand unter jeder Hüfte hoch und presst mich an die Wand. Seine Lippen liegen wieder auf meinen, fest und drängend, dieses Mal. Ich verschränke die Unterschenkel hinter seinem Rücken. Meine Arme spannen sich um seinen Nacken.

Ich kann kaum atmen und es kümmert mich kein bisschen. Luft ist nicht das, was ich zum Leben brauche. Er ist es. Es war immer er. Warum habe ich so lange gebraucht, das zu begreifen?

Riden stellt mich wieder auf die Füße, damit er mit seinen Händen über meinen Körper fahren kann. Sie gleiten an meinen Seiten hinauf, vergraben sich in meinem Haar und wandern den Rücken hinunter.

Das ist normalerweise die Stelle, an der ich mir ausrede, was ich zu tun im Begriff bin. Aber nicht dieses Mal. Es gibt einfach keinen Grund, Riden nicht zu küssen. Es gibt überhaupt keinen Grund, ihn nicht an mich heranzulassen. Keinen Grund, ihm nicht zu vertrauen. Er ist das, was ich will.

Ich wirbele ihn herum, sodass er mit dem Rücken an der Wand steht, knabbere an seinen Lippen, folge ihren Konturen mit der Zunge, lausche darauf, wie sein Atem stockt, spüre, wie sich seine Muskeln spannen.

Ohne den Kuss zu unterbrechen, ziehe ich ihn langsam rückwärts mit mir in Richtung Bett. Aber ich muss wohl zu langsam gewesen sein, denn er hebt mich wieder hoch und trägt mich den Rest des Weges.

Er legt mich auf mein Lager und sich selbst auf mich, aber der Druck seiner Lippen lässt nie nach, der Kuss gerät nicht ins Stocken, und ich möchte auch nicht, dass er das tut.

Mir fällt auf, dass sich mein Korsett lockert. Seine Finger zupfen geschickt und federleicht an den Bändern, ziehen sie durch eine Schnüröse nach der anderen. Als es dann endlich offen ist, breitet er die Finger über meinem Bauch aus, der nun nur noch von einer dünnen Bluse bedeckt ist.

Seine Lippen verlassen die meinen. Ich will gerade zu einem Protest ansetzen, als ich sie da spüre, wo gerade noch seine Hände waren. Sanft gleiten sie tiefer, und ich fühle, wie meine Bluse langsam aufwärts rutscht. Geflutet von Gefühlen schließe ich die Augen.

Die Lippen an meinem Nabel, hält Riden inne.

Und dann setzt er sich auf.

»Was tust du da?«, frage ich. »Komm zurück.«

Er sieht mich nicht an. Stattdessen starrt er zur Tür.

»Riden …«

Und da höre ich es.

Gesang.

Oh, verdammt!