URSULA SCHMID-SPREER
Ist auch Zeit geworden, dass du mich deiner Familie vorstellst. Der Besuch bietet sich dafür richtiggehend an. Siehst du Liebling, der Wettbewerb der Bartender ist eine gute Gelegenheit. Noch dazu, wo der Wettstreit in deiner Heimatstadt ausgetragen wird. Schließlich wollen wir ja auch bald heiraten.«
Doris nickte und lächelte schief.
»Ach Schatz, wie soll ich es sagen, meine Familie ist ein bisschen speziell.«
»Du schämst dich doch nicht etwa für deine bucklige Verwandtschaft?« Peter drosselte die Geschwindigkeit, um nicht auf einen Laster aufzufahren, setzte den Blinker und überholte.
»Bucklige Verwandtschaft, da hast du recht«, seufzte Doris. »Stimmt, bevor wir heiraten, solltest du sie schon kennenlernen.«
Peter spitzte den Mund, schmatzte und gab seltsame Laute von sich.
»Da vorne musst du links abbiegen und dann noch ein paar Kilometer und wir sind da.«
Konzentriert fuhr Peter weiter. Zwischendurch schnalzte er immer wieder mit der Zunge.
»Peter, du schnalzt.«
»Mach ich nicht.«
»Doch!« Da Peter aufmerksam fuhr und versuchte den Schlaglöchern auszuweichen, sah er nicht, wie sich Doris Mundwinkel verzogen.
»Du merkst das schon gar nicht mehr. Wir sind da. Hier kannst du das Auto abstellen.«
Peter parkte überkorrekt ein, rangierte vor und zurück, bis er endlich so stand, wie er dachte, dass es richtig sei. Formvollendet half er Doris aus dem Wagen, nahm die Blumen von der Rückbank und rückte Krawatte und Jackett zurecht.
»Da bist du ja endlich, mein Kind.« Eine attraktive Endvierzigerin hielt die Arme weit geöffnet. Doris umarmte ihre Mutter herzlich, hauchte ihr einen Kuss auf die Wange und rief: »Ich geh gleich mal zu Oma.«
Peter stand etwas verloren mit seinem Blumenstrauß in der Hand herum.
»Du musst Peter sein.« Braune Augen musterten ihn von oben nach unten. »Wie charmant. Sind die für mich?«
»Ja, natürlich. Herzlichen Dank für die Ein …«
»Das ist selbstverständlich, wo du jetzt mein Schwiegersohn wirst. Ich bin Alice.«
Doris‘ Mutter drückte ihn ganz fest an sich. »Komm rein, Peterle, danke für die Blumen.« Sie riss ihm den Strauß aus der Hand und schubste ihn ins Wohnzimmer. Die Kaffeetafel war festlich gedeckt. Wenn Peter eines hasste, dann war es die Verniedlichung seines Namens zu Peterle. Er sagte nichts und schnalzte stattdessen mit der Zunge.
»Setz dich schon mal«, rief Alice. »Ich hol nur eine Vase.«
Peter sah sich in dem geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer um. Wie magisch angezogen blieb er vor der Hausbar stehen. In einer Vitrine stand alles, was man für einen guten Cocktail benötigte: Gin, Brandy, Orangenlikör.
Ich werde denen heute zeigen, dass ich der wahre Cocktail Champion bin! Ich werde gewinnen …Tut mir ja leid um Doris …
Er lockerte seinen Schlips, zog die Jacke aus und nahm auf dem gepolsterten Stuhl Platz.
»So ist es gut, mach es dir bequem. Doris ist bei ihrer Oma. Sie kommt gleich.«
Irrte sich Peter, oder hatte Alice einen weiteren Knopf ihrer Bluse geöffnet? Sie setzte sich auf seinen Schoß, sah ihn strahlend an und meinte: »So ein fescher Bursch', den unsere Doris sich da geangelt hat! Du bist auch Barkeeper?«
Peter wurde es heiß und er schluckte schwer. Alice machte keinerlei Anstalten von seinem Schoß aufzustehen. So krächzte er mehr, als er sagte: »Ja, wir arbeiten sogar beide im gleichen Lokal. übrigens haben Sie eine tolle Hausbar. Darf ich Ihnen einen Cocktail …?«
»Peterle!« Alice stand auf, hob den Zeigefinger und meinte: »Du kannst, nein, du musst mich duzen. Wir sind doch jetzt bald eine Familie. Ja natürlich darfst du.« Sie zeigte auf die diversen Flaschen, die in dem Spiegelschrank gut zur Geltung kamen. »Ich mag am liebsten einen Ladykiller. Kannst du den mixen?«
»Natürlich!« Peter war nun auf sicherem Terrain. Mit zwei schnellen Schritten eilte er auf die Vitrine zu, froh der frivolen Umarmung seiner zukünftigen Schwiegermutter entkommen zu sein.
Ein Pfiff ließ Peter zusammenzucken.
»Das Wasser kocht«, beeilte sich Alice zu sagen. »Der Kaffee schmeckt besser, wenn er von Hand gebrüht wird.« Sie schwang ihren Hintern hin und her und lächelte breit. »Bin gleich wieder da.«
Peter nahm den Cocktailshaker und maß die Zutaten ab.
»Äh, was machst du da?« Ein junger Mann mit langen Haaren, die fettig glänzten, und einem zerzausten Bart, war in das Zimmer geschlurft. »Lass deine Finger von meiner Hausbar.«
»Entschuldige. Ich bin Peter, der Verlobte von Doris. Alice meinte, ich kann ruhig einen Cocktail mixen.«
»Stefan«, brummte dieser. Die Hose hing ihm in den Kniekehlen, er nieste, zog hörbar den Rotz hoch. »Aha, also mein zukünftiger Schwager. Du wirst schon wissen, was du tust. Hast du auch genau darüber nachgedacht, wenn du da heiratest? Ich an deiner Stelle …« Er ließ offen, was er damit meinte. Dann schlug er Peter kräftig auf die Schulter. »Sie spinnt ein bisschen, hast du das schon bemerkt?«
Peter lächelte gequält. Welch ein Glück, dass ich keine Geschwister habe, dachte er. Doris' Bruder Stefan war ein Herzchen. Verwandtschaft konnte man sich halt leider nicht aussuchen.
Welch ein Glück, dass ich das nicht mehr lange ertragen muss.
Jetzt wusste er, was Doris mit dem Wort speziell gemeint hatte.
»Jungchen«, krächzte eine Stimme.
»Das ist Peter, mein Verlobter, liebe Oma.«
Peter schätzte Oma auf etwa achtzig. Sie trug Brillengläser so dick wie Flaschenböden. Das graue Haar war zu einem Knoten geschlungen.
»Guten Tag. Ich freue mich Sie kennenzulernen«, sagte Peter höflich. Er deutete eine kleine Verbeugung an.
»Hä? Was sagt er?«
»Er freut sich, dass er dich kennenlernt, Oma.«
»Nichts Genaues weiß man nicht.« Sie schlug Peter fest auf die Schulter, so dass er zusammenzuckte. So viel Kraft hätte er der alten Dame gar nicht zugetraut.
»Dann mach uns mal einen Cocktail, ich mag am liebsten Ladykiller. Alice sagt, du kannst das?« Es klang wie eine Frage. Peter beeilte sich, dem Wunsch – oder war es ein Befehl? – nachzukommen.
»In jedem Mann steckt etwas Gutes; und wenn es nur das Küchenmesser ist! Brauchst du eins, Peterle? Geh in die Küche und hole die Orangen, Doris.«
»Es wäre mir recht, wenn Sie das ›le‹ weglassen. Ich heiße Peter.«
»Ich bin die Oma für dich, Peterle. Was hast g'sacht? Ich hör nämlich a bissel schlecht.«
Peter rollte mit den Augen und suchte nach Ananassaft in der Hausbar. Doris hatte nicht übertrieben, was ihre Familie anbelangte.
Seine Verlobte brachte ihm ein Brettchen, ein Küchenmesser, eine Orange und Ananassaft. »So, jetzt kannst du loslegen, Peterle!« Sie formte einen Kussmund und ließ sich von seinem missmutigen Gesicht nicht beeindrucken.
Alice kam mit einem Tablett in das Wohnzimmer und zwitscherte vergnügt: »Ich habe einen Kuchen mit Rosinen gebacken. Den mag die Familie so gerne. Ist der Cocktail schon fertig?«
Peter schüttelte den Shaker kräftig. »Kann sich nur noch um Sekunden handeln. Gläser?« Sein Blick ging zu Alice. Wie zufällig streifte ihre Brust seinen Oberarm. Sie ignorierte den entsetzen Gesichtsausdruck und flötete: »Nimm doch die hier.« Sie deutete auf langstielige Cocktailschalen. Nahm fünf davon heraus und stellte sie Peter zum Befüllen hin. Er tat wie geheißen. Jeder nahm sich ein Glas, auch Stefan, der seinem zukünftigen Schwager ins Gesicht nieste. Peter griff nach dem letzten Ladykiller. Sie prosteten sich zu.
»Ja, ja, lieber Rosinen im Kopf als Haare im Kuchen«, sagte Oma und trank den Cocktail auf einen Zug aus. »Wo bleibt der Kaffee?«
»Oma, der steht schon auf dem Tisch. Riechst du es nicht?« Doris hakte sich bei der alten Dame unter und geleitete sie zum Tisch.
»Du hast Zimt reingetan, Alice. Hmm! Schenk ein!« Oma schnupperte an ihrer gefüllten Kaffeetasse, während Doris jedem ein großes Stück Kuchen auf den Teller legte.
»Peter, nimm doch bitte hier Platz. Möchtest du Sahne zum Kuchen?«
Peter nickte, biss herzhaft in das Gebäck, hustete und hätte sich beinahe verschluckt. Schnell griff er zum Cocktail und spülte den Brocken mit einem großen Schluck hinunter. Oma hatte die Rosinen aus dem Kuchen geklaubt und sie fein säuberlich auf das Tischtuch gelegt. Danach biss sie in das Kuchenstück. Spreizte geziert den kleinen Finger ab und las die Rosinen auf. Bevor sie den Löffel zum Mund führte, legte sie ihre Gebiss auf dem Teller ab. Alice nahm den Zahnersatz und gab ihn in ein Wasserglas.
»Das ist aber schön, dass ihr zwei bei uns noch vor dem großen Wettbewerb heute Abend vorbei kommt.« Alice lächelte ihre Tochter an. »Ich wünsche natürlich euch beiden, dass ihr gewinnt.«
»Es kann nur einer gewinnen.« Peter lächelte nun auch – süffisant.
»Weißt du, warum Doris heute Abend den Ladykiller zubereiten wird, Peterle?«
Die Augen des so Angesprochenen verengten sich. »Peter, bitte. Nein, ich weiß es nicht.«
»Gib mir meine Kauwerkzeuge wieder, Alice. Ich will weiteressen.«
»Brav jetzt, Oma.« Stefan hielt ihr das Glas mit dem Gebiss hin.
»Dann erzähle ich dir das doch gerne, mein lieber Schwiegersohn.« Alice wandte sich ihrer Tochter zu. »Meine Süße, mixt du uns noch so einen Drink? Damit du für heute Abend bestens vorbereitet bist.«
Doris nahm noch einen Bissen vom Kuchenstück, rückte ihren Stuhl zurück und meinte strahlend: »Wäre doch gelacht, wenn ich es nicht auch so gut hinbekommen würde wie du, Peter. Vielleicht sogar besser? Heute ist mein großer Tag!«
»Wenn du meinst«, antwortete Peter mit verkniffenem Gesicht.
»Hör zu«, meinte Alice, »und du Oma isst jetzt brav deinen Kuchen auf. Also … Ladykillers ist ein britischer Spielfilm aus dem Jahr 1955.«
»Ich mag den Schauspieler Alec Guinness so gerne«, mischte sich Oma ein. Sie tätschelte Peters Hand, die dieser sofort zurückzog. »Du siehst ihm ähnlich. Mach dir nichts draus, die persönliche Ausstrahlung wirkt viel stärker als das Aussehen«, meinte Oma mitfühlend.
»Wollt ihr jetzt die Story hören, oder nicht?« Alice machte ein grimmiges Gesicht.
»Ja, ja«, beeilte sich Peter zu sagen. »Bin ganz Ohr. Ich kenne die Geschichte nicht.«
»Der Film erzählt von einem genialen Gauner, dem Professor Marcus, der sich mit seinen Komplizen bei einer ahnungslosen alten Dame einnistet.«
Peter lächelte gequält und setzte sich plötzlich stocksteif auf. Jemand füßelte mit ihm unter dem Tisch. Oma grinste ihn an.
»Haben wir noch Maracujasaft?«, rief Doris in die Runde.
»In der Küche auf der Anrichte. Bring doch gleich frischen Kaffee mit.«
Stefan schlürfte geräuschvoll, stopfte sich das letzte Stückchen Kuchen in den Mund, mampfte, hielt seiner Mutter den Teller hin. »Kuchen, Mama.«
»Ab einem Pfund wird’s undeutlich, Bruderherz!«
Ein Grunzen war die Antwort.
»Darf ich das erledigen?« Peter stand schnell auf, um Saft und Kaffee zu holen. Doris bewegte den Shaker rhythmisch.
Lebhaft erzählte Alice weiter, während sie ihrem Sohn ein neues Stück Kuchen auf den Teller legte.
»Peterle hörst du mir zu?«
»Ja«, kam es aus der Küche.
»Alec Guinness plant einen überfall auf einen Geldtransport. Also nicht er, sondern die Figur, die er verkörpert. Die ältere Dame ist eine freundliche, etwas schrullige Kapitänswitwe. Sie lebt allein in einem alten schiefen Haus und hat drei Papageien.«
»So ein Vieh würde uns auch noch fehlen«, unterbrach Stefan. Peter war wieder zurückgekommen, reichte seiner Verlobten den Saft und stellte die Wärmekanne auf den Tisch.
»Wär das was für dich Oma? Mit so einem Papagei könntest du dann den ganzen Tag quatschen. Was sagst du dazu, Kumpel?« Stefan klatschte mit der flachen Hand auf den Tisch, so dass die Tassen tanzten.
Peter hustete, denn der zweite Schlag, der folgte und auf seinem Rücken landete, kam unvorbereitet.
»Die Cocktails sind fertig.« Doris goss die Gläser voll, erhob ihr eigenes und prostete der Kaffeerunde zu. »Auf unsere Hochzeit – und auf den Wettbewerb, nachher.«
»Steter Tropfen höhlt die Leber«, rief Oma freudig. »Diesmal hast du zum Cointreau noch Maracuja- und Ananassaft reingetan.«
»So gehört es sich auch, nicht wahr, Peter?«
»Ich bin mit meiner Geschichte noch nicht zu Ende. Hört zu.« Die anderen schlürften an ihrem Ladykiller, während Alice weitererzählte.
»Die alte Dame, sie ist über siebzig …«
»Ich bin schon fast achtzig«, rief Oma dazwischen, »Prost, Peterle, mein Schwiegerenkel.«
Was war das bloß für eine Familie? In Peters Bauch grummelte es.
»Irgendwie ist mir merkwürdig«, meinte Doris. »So a bissl schlecht.«
»Jetzt, wo du es sagst.« Alice griff sich mit einer theatralischen Geste an den Bauch.
»Hier riecht es komisch. Sag mal, Peter, hast du etwa …?« Doris schnüffelte in seine Richtung.
»Macht die Verdauung Probleme?« Oma bewegte ihr Gebiss im Mund.
»Die Geschichte ist noch nicht zu Ende«, sagte Alice. »Diese ältere Dame ist laufend zur Polizei gerannt und hat denen was von Ufos erzählt. Was ihr natürlich niemand glaubte.«
»Würde ich auch nicht«, meinte Stefan. Er langte mit der Gabel, die er vorher abgeleckt hatte, ungeniert zu Peters Teller und nahm sich einen Bissen.
»Jedenfalls vermietet Misses – hab jetzt den Namen vergessen – an Alec Guinness zwei Zimmer. Er gibt vor, dass er und seine Freunde ein Streichquartett wären, das sich zum üben trifft. Aber eigentlich wollen sie einen überfall auf einen Geldtransporter machen.«
»Und die Dame hat mit ihren Freundinnen immer so gerne diesen Cocktail getrunken. Stimmt's oder habe ich recht?« Peter lachte Alice freundlich an.
»Stimmt. Prost, Peterle!« Alice ließ die Gläser klingen, beugte sich vor und gewährte einen tiefen Einblick in ihren Ausschnitt.
»Nur Peter, bitte, ohne ›le‹. Entschuldigt mich. Wo ist die Porzellanabteilung?«, versuchte Peter besonders witzig zu sein.
»Haben wir hier nicht. Wir sind ja schließlich kein Kaufhaus«, sagte Oma streng.
»Er meint dosch dasch Klöchen«, Stefan zeigte erste Anzeichen von Alkohol. »Du hascht mehr Brandy rein, Schwesterlein, gelle?«
Doris nickte freudig. »Schmeckt's?«
Peter stand auf, kniff die Beine zusammen und trippelte in Richtung Bad.
»Das ist vielleicht ein Schwachmat. Kann ich verstehen, dass du so eine Type loswerden willst.« Stefan sprach leise, jetzt ganz artikuliert.
»Na, wie war ich?«, meinte Oma, und Alice fügte hinzu: »Die Rolle fängt langsam an, mir Spaß zu machen. Soll ich noch einen Knopf öffnen?«
»Und ich noch ein bisschen mit meinem Gebiss klappern?«
Die Familie lachte verhalten. Doris legte den Finger an den Mund und wies mit dem Kopf Richtung Tür.
»Also Schwesterlein, wenn du diesen Langeweiler heiratest, bekommst du es mit mir zu tun«, sagte Stefan. »Prost allerseits.« Alle hoben das Glas und zwinkerten sich verschwörerisch zu.
»Er hat überhaupt nicht bemerkt, wie du ihm das Rizinus ins Glas gekippt hast«, kicherte Oma.
»Ich hoffe, ich vertreibe ihn mit meiner ›unmöglichen Familie‹. Ehrlich, ich würde es nicht tun, wenn ich einfach mit ihm Schluss machen könnte. Aber dieser Klugscheißer würde das nicht verkraften und mir nachstellen«, antwortete Doris. »Ich kenne ihn schließlich. Sein Ego verträgt eine Abfuhr nicht.«
»Und wenn du dann heute noch bei diesem Cocktailwettbewerb gewinnst …« Alice rülpste leise, redete nicht mehr weiter.
Doris nickte: »Ich muss ihn dazu bringen, dass er mit mir Schluss macht.« Sie nahm einen Schluck aus dem Cocktailglas und zuckte leicht zusammen, als Peter wieder ins Zimmer wankte.
»Entschuldigung«, hauchte er. »Irgendwas habe ich nicht vertragen.«
Oma rümpfte die Nase. »Hast wohl gedacht, wir merken es nicht, hä? Die Leisen stinken immer am lautesten.«
Stefan lachte schallend und boxte seinem zukünftigen Schwager in den Magen.
»Doris! Mix uns doch nochmal den Ladykiller.« Alice deutete auf die Bar. »Ich könnte mich in das Gesöff reinlegen.« Beflissen stand Doris auf und wollte die Zutaten bereitstellen. Peter kam ihr zuvor. »Darf ich das übernehmen?«
»Der beste Schatz für eine Frau, das ist ein Mann, der g'scheite Cocktails mixen kann«, johlte Oma. Ungeniert stocherte sie mit dem Fingernagel in ihrem Gebiss herum.
Angewidert drehte sich Peter um und begann die Cocktailzutaten zusammenzumischen. Er schenkte sich ein großes Glas Maracujasaft ein, trank es aus ohne abzusetzen. Dann schnitt er Orangen in Scheibchen und dekorierte die Gläser. Er reichte Doris ein Glas und gab ihr einen Kuss.
»Für dich, Schwiegeroma.« Er verbeugte sich.
»Und für dich, die liebste Schwiemu der Welt.« Er trat hinter die Frauen und legte seinen Arm um ihre Schultern. Dann wandte er sich dem letzten Glas auf dem Tablett zu. Niemandem fiel sein grimmiges Gesicht auf.
»Liebster Schwager, auch für dich einen Ladykiller. Auf dass wir eine schrecklich nette Familie werden!« Er griff zum Glas und prostete seinen zukünftigen Angehörigen zu. Alle führten ihre Gläser an die Lippen.
»Entschuldigt bitte. Ich muss noch mal.« Steifbeinig verließ er das Zimmer. Die Tür war nur angelehnt. Stefan legte den Finger auf den Mund.
»Dass der immer noch nicht genug hat«, flüsterte Alice.
»Er hat ein großes FTP«, raunte Doris zurück.
»Ein was?« Oma schüttete ihr Glas in den Philodendron.
»Frustrationspotential, Oma das weiß man doch!« Auch Stefan goss sein Glas aus.
»Mir ist schlecht.« Alice schluckte. Ihr Kopf fiel auf die Tischkante. Auch Doris würgte, ihr Kinn sank herab. Stefan sackte in seinem Stuhl zusammen. Omas Kopf kippte nach hinten.
Peter schob die Türe auf, hinter der er gelauscht hatte. Ein zufriedenes Lächeln lag auf seinem Mund.
»Da müsst ihr schon früher aufstehen, ihr Bagage.« Sein zufriedenes Lächeln wandelte sich, wurde diabolisch. »Das Gesöff heißt Ladykiller und nicht Männertöter.« Peter nahm sein Glas und begann die Fingerabdrücke davon abzureiben, ebenso von dem Shaker und dem Küchenmesser. »Ich gehe jetzt alleine zu dem Wettbewerb. Und noch etwas.« Er hob Doris' Kinn an. »Die Hochzeit kannst du dir abschminken.«
»Da musst du früher aufstehen, du Spacko!«, hörte er eine Stimme hinter sich. Der Schlag traf ihn völlig unvorbereitet. »Schlaf süß!« Oma hielt einen dicken Wälzer in der Hand.
»Welch ein Glück, dass ich das Buch Cocktails mixen leicht gemacht nicht weggeworfen habe.«
»Oma, du bist wirklich genial.« Alice schloss die Knöpfe ihrer Bluse. Alle scharten sich um Peter, der ohnmächtig am Boden lag.
»Greif ihm mal in die Tasche, Stefan!«, sagte Doris. »Da wirst du was Nettes finden!«
»K.O.-Tropfen. Meine Güte! Woher wusstest du?« Stefan schüttelte sich entsetzt.
»Ich kenne meinen ›Verlobten‹.« Doris machte Gänsefüßchen in die Luft. »Vom Ehrgeiz zerfressen. Er hat es nicht ertragen, dass ich bessere Cocktails mixe als er. Unser Chef hat immer mich gelobt und nicht ihn. Er hat mir sogar für den Wettbewerb mehr Chancen eingeräumt als ihm. Wie gut, dass ich den Saft ausgetauscht habe.« Alice betrachtete Peter, dessen Gesicht eine rötliche Farbe angenommen hatte. Er atmete schwer. Seine Augen flackerten.
»Ein Mann, der nicht verlieren kann. Und wenn du heute Abend gewinnst, wovon ich ausgehe«, sie lächelte ihre Tochter liebevoll an, »hätte er dir den Gewinn nicht gegönnt, mein liebes Kind.«
»Er wollte dich außer Gefecht setzen, Doris. Und uns gleich dazu.« Oma stupste Peter mit der Schuhspitze an.
Doris nickte. »Der Schuss ging nach hinten los. Ich weiß, dass Peter neugierig ist und lauschen würde. Und so, wie er sich in letzter Zeit mir gegenüber verhielt, habe ich mit dem Schlimmsten gerechnet.«
»Wir haben ihm das perfekte Theater vorgespielt. Dass wir ihn um die Ecke bringen wollen.« Alice betrachtete ihren Beinahe-Schwiegersohn interessiert.
»Er hat das Glas Saft in einem Zug ausgetrunken«, grinste Stefan. »Mein Abführmittel hat gute Dienste geleistet.«
»Soll ich es mal mit Mund-zu-Mund-Beatmung versuchen?« Oma leckte sich die Lippen.
Peters Augenlider zuckten, dann öffnete er sie ganz und blickte verwirrt in lächelnde Gesichter.
»Mund-zu-Mund-Beatmung? Hab ich richtig gehört?« Er versuchte sich aufzusetzen.
»Nein!«, schrie er und übergab sich röchelnd. Ein kurzes Aufbäumen, ein Japsen, ein Keuchen, dann fiel er um und blieb leblos liegen.
Und Stefan meinte zu seiner Schwester gewandt: »So schlecht war dein Ladykiller nun auch wieder nicht.«
Ladykiller
3 cl Gin
1 cl Apricot Brandy
1 cl Cointreau
5 cl Ananassaft
5 cl Maracujasaft
Zutaten mit Eis shaken und das Getränk in eine langstielige, gewölbte Cocktailschale füllen, mit einer Orangenscheibe dekorieren.