Lumumba ist tot!-Es lebe Lumumba!

RICHARD BIRKEFELD

Es mag sein, dass mir heute, über fünfzig Jahre später, kein Mensch mehr glaubt. Aber ich war dabei, im Kongo, in Katanga, beim Simba-Aufstand – und ich kannte sie alle: Mad-Mike Hoare, Kongo-Müller, Tschombé und natürlich Lumumba, von dem Jean-Paul Sartre einst sagte, seitdem dieser tot sei, hätte er aufgehört, eine einzelne Person zu sein und wäre dadurch das Sinnbild für ganz Afrika geworden.

So sieht’s nämlich aus, Kollegen! Und damit ist auch gleichzeitig all diesen halbgebildeten Klugscheißern und Berufsentrüstern zum Anfang die Flaute aus ihren schlaffen Segeln gepustet: Der Lumumba, das alkoholische Mixgetränk aus Rum und Kakao, ist kein politisch inkorrektes Wort wie Negerkuss, Zigeunerschnitzel oder gar eine denunziatorische Nachäfferei der lautmalerischen Bantu-Sprache, sondern eine Reminiszenz an die Integrationsversuche von Patrice Lumumba, einem kongolesischen Politiker, der vom Juni bis September 1960 erster Ministerpräsident des neuen, unabhängigen Kongos war.

Der nach ihm benannte Cocktail ist geradezu das Symbol für das Streben der Dritten Welt nach Unabhängigkeit und Befreiung von kolonialer Ausbeutung. Gewissermaßen ein süffiges Fanal schwarzafrikanischer Emanzipation! Vergleichbar mit seinem karibischen Bruder, dem Cuba Libre!

Selbst der landsmannschaftlich geprägte Versuch, die ostfriesische Variante des Cocktails in Tote Tante umzubenennen, ist nicht nur als Beleidigung gegenüber dem ursprünglichen Lumumba oder als wirklich politisch inkorrekte, ja, geradezu diskriminierende Betitelung weiblicher Verwandten zu verstehen, sondern auch eine Missachtung meines Urheberrechtes.

Denn der Name Lumumba war meine Idee, und ich bin bis heute froh, dass er sich gegen den zweideutigen Vorschlag Kongo-Müllers, das Mixgetränk Mulatten-Latte zu nennen, durchgesetzt hat. Darüber könnte man sich heute aufregen, entrüsten und Zeter und Mordio schreien oder meinethalben auch über einen Bloody Mary, der sowohl eine frauenfeindliche Provokation darstellt, als auch die englische Monarchie aufs übelste denunziert – aber doch nicht über den Namen Lumumba! Denn wie hatte Patrice es damals formuliert, als ich ihn kurz nach der Präsidentenwahl für dpa interviewte, lange bevor ich auf die Idee kam, einen Cocktail mit seinem Namen zu veredeln? »Weißt du, Rich, in Deutschland hat man mich als Negerpremier bezeichnet, in Belgien als Schwarzer Satan, in den USA als Red Nigger – aber geschenkt. Ich halte es mit meinen Vorfahren aus Katako-Kombé, die mich schon als Kind lehrten, dass die moralische Entrüstung lediglich eine Methode sei, Idioten Würde zu verleihen. Wenn man ein Malzbier nach mir benennt oder Schokodrops, wäre mir das tausendmal lieber, als der Namensgeber einer Straße zu sein, die zum Beispiel in einen Karl-Peters-Platz oder in einen Lettow-Vorbeck-Park mündet.«

Patrice Lumumba hatte einen feinen und gebildeten Humor, das mussten sogar die Seltenfröhlichs König Baudouin I. von Belgien, US-Präsident Dwight D. Eisen howerund seine CIA neidlos anerkennen. Aber deshalb wurde er natürlich nicht ermordet.

Doch ich will nicht vorgreifen.

Also immer schön der Reihe nach, wie damals, als wir vor dem Regierungsgebäude Schlange standen, um an der Staatsfeier in Léopoldville, dem heutigen Kinshasa, teilzunehmen. Hinter mir die Kollegen Blumhöfer (Spiegel), Broomfield (Times), Heidemann (Stern), van Kreuten (La Libre Belgique), Wagner (Neues Deutschland) und Scholl-Latour (ARD), der Lumumba und dessen »Mephisto-Bärtchen und die wie Billardkugeln rollenden Augäpfel hinter den Brillengläsern« als »etwas Beängstigendes« beschrieben hatte, als etwas, das einem »afrikanischen Lenin« glich.

Als am 30. Juni 1960 der Kongo seine Unabhängigkeit von Belgien erlangte, wurde nämlich Patrice Lumumba – trotz großen Widerstandes der weißen Siedler und der führenden Oberschicht des Landes – erster Ministerpräsident der in die Freiheit entlassenen jungen Republik. Wir sollten im Auftrag unserer jeweiligen Zeitungen, Agenturen und Fernsehanstalten über dieses Ereignis berichten.

Der Sozialist Lumumba hielt eine eindrucksvolle Eröffnungsrede, in der er sich im Beisein König Baudouins noch einmal über die ehemalige Kolonialmacht Belgien beschwerte, die den Kongo mit seinen Bodenschätzen und Naturressourcen rücksichtslos ausgebeutet und sich um das Wohl der schwarzen Einwohner einen Dreck geschert hatte. Baudouin war empört, wollte sofort abreisen, wusste aber bereits, dass die westeuropäischen Staaten und die USA mit der CIA Gegenmaßnahmen ergriffen hatten, um die in die Unabhängigkeit entlassenen afrikanischen Staaten nicht widerstandslos in die Hände Chinas oder der Sowjetunion fallen zu lassen. Sozialisten, Kommunisten oder andere linke Visionäre schienen dem Westen suspekt und mussten natürlich geheimdienstlich bekämpft werden.

Siegfried Kongo Müller hatte es Jahre später in einem Interview auf den Punkt gebracht: »Wir haben für Europa gekämpft, für die Idee des Westens. Denn der Kampf im Kongo war für mich nichts anderes als die Verteidigung des Westens in Afrika.« Auf ähnliche Weise beurteilte Eisenhower, der als einer der ersten westlichen Staatschefs die Beseitigung Lumumbas unterstützte, die Situation in Zentralafrika.

Nur wenige Tage nach der Regierungsbildung brach dann folgerichtig in der Provinz Katanga die Hölle los. Ich natürlich nix wie hin, nicht ahnend, dass die Kongo-Wirren auch meine Seele verwirrten, und ich große Schuld auf mich laden würde …

Kollege Blumhöfer, heute, nach seiner Korrespondententätigkeit in Zentralafrika, selbstständiger autor unter Pseudonym, Gourmet, aber auch Whiskykenner und passionierter Hobby-Barkeeper, fragte mich vor wenigen Monaten, ob ich nicht Lust hätte, die Geschichte des Lumumba-Cocktails zu erzählen. Er hätte Verwendung dafür, und diese unglaublichen Erinnerungen verdienten es, für immer und ewig in einem Buch festgehalten zu werden. Auf meine Frage, wo ich denn beginnen sollte, antwortete er, am besten mit dem Aufstand in Katanga, als Moise Tschombé den kongolesischen Status quo infrage stellte.

Tschombé, ein bis dato unbedeutender Provinzpräsident, hatte nicht nur aus Frust, dass er nicht in der Lumumba-Administration mitregieren durfte, sondern auch auf Drängen der Belgier und der USA, den Landesteil Katanga mit all seinen Bodenschätzen für unabhängig erklärt und damit die Karten im Kongo neu gemischt. Nach der Unabhängigkeit ist vor der Unabhängigkeit, lautete die Parole, und die Internationale der Sozialistenfresser pumpte Geld, Waffen und Söldner ins Land, um Tschombé zu stärken.

Lumumba war als charismatischer Führer dem Westen von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen, und bevor seine Armee die Sezession in Katanga niederschlagen konnte, wurde Lumumba von seinen Gegnern abgesetzt, verhaftet und Tschombé ausgeliefert, der diesen auf Wunsch der USA schließlich grausam ermorden ließ, um seinerseits nach der Macht im gesamten Kongo zu greifen, denn nach dem Tode Lumumbas stand auch die Unabhängigkeit Katangas nicht mehr auf der Tagesordnung.

Da brach im Osten des Landes unter Führung moskaufreundlicher Lumumbisten die Simba-Rebellion aus, die sich rasch über weite Teile des Landes ausbreitete, bis sich das eroberte Terrain als Volksrepublik Kongo deklarierte, das von China und Russland unterstützt wurde. Denn da der Kongo als Schlüssel zur Beherrschung Zentralafrikas galt, entwickelte sich dieser Bürgerkrieg zu einem weltpolitischen Stellvertreterkonflikt, in dem nicht die Wiederherstellung einer stabilen politischen Lage im Kongo den höchsten Stellenwert einnahm, sondern vorrangig der Einfluss der beiden politischen Machtblöcke des Kalten Krieges gesichert werden sollte.

Als der neuernannte Premierminister Moise Tschombé begann, gegen die Rebellen vorzugehen, wollte er sich nicht allein auf die kongolesische Armee verlassen, die sich in den gesamten Kongo-Wirren als unzuverlässig und politisch indifferent gezeigt hatte, sondern griff auf eine Söldner-Armee zurück, den aus Engländern, Belgiern, weißen Rhodesiern und Südafrikanern sowie einer Handvoll Deutschen bestehenden so genannten Katanga-Gendarmen, unter Führung des irischen Obersten Mad-Mike Hoare, den das damalige DDR-Fernsehen als »verrückten Bluthund« bezeichnet hatte. Unter ihm dienten unter anderem die deutschen Söldner Fritz Kötteritzsch, Bernd Köhlert, Walter Nestler und natürlich Kongo-Müller, dem Gerd Heidemann 1964 im Stern einen Riesenartikel widmen sollte.

Als Tschombé die politische Gretchenfrage gestellt hatte, war ich, wie oben bereits erwähnt, sofort nach Élisabethville gefahren, um von dort aus die weitere Entwicklung der Kongo-Wirren beobachten zu können. Vor Ort konnte ich verfolgen, wie die Amerikaner Tschombé Zucker in den Arsch bliesen, damit er Lumumbas Linksregierung und der Einheit des Kongos schaden konnte. Schon damals stützte Tschombé seine militärische Macht hauptsächlich auf belgische Söldner.

Als Lumumbas Armee es nicht schaffte, das abtrünnige Katanga wieder auf nationale Linie zu bringen und er Moskau um militärische Hilfe bat, war sein Todesurteil in Washington gefallen.

Ich will hier nicht auf die unappetitlichen Umstände, die zu seinem Tode führten, näher eingehen, ich will nur so viel sagen, dass der Mord an Lumumba ein weiteres Verbrechen war, das auf das Konto der amerikanischen Weltpolitik ging, und dass sowohl die feigen Auftraggeber als auch die ausführenden Handlanger Patrice Lumumba nicht das Wasser reichen konnten, weder moralisch noch intellektuell.

Auch die Widerwärtigkeiten, die Tschombé mir in einem Interview über Lumumba zu enthüllen wusste, werde ich hier nicht wiedergeben, sondern einzig und allein die Statements jener Schergen, die brutal, aber ehrlich, ihre Meinungen abseits aller politischen Intentionen artikulierten: Die Katanga-Gendarmen, die ich während des Simba-Aufstandes begleitete, und die aus ihren kalten Herzen keine Mördergrube machten. Weder hinsichtlich ihres blutigen Handwerks, noch in Bezug auf ihre Auftraggeber oder deren Feinde.

Doch ihre Uneinsichtigkeit machte mich oft rasend, und ihre hemmungslose Brutalität färbte auf mich ab, nicht zuletzt auch wegen des Alkohols, unseres gemeinsamen Nenners. Denn wie heißt es in einem kongolesischen Sprichwort: Wer mit dem Teufel säuft, sollte schon einen langen Strohhalm haben

Während ich in den folgenden vier Jahren im Kongo blieb, um unter den Katanga-Gendarmen zu leben und über ihr Treiben zu berichten, profilierten sich die Kollegen Blumhöfer (Der Single Malt und seine Bedeutung für die Humanmedizin), Broomfield (Christine Keeler und Profumos Phimose), Heidemann (Blondi – ein Hundeleben unter dem Führer), van Kreuten (Pommes und Volkscharakter), Scholl-Latour (Lieber franko- als homophil) und Wagner (Warum der antifaschistische Schutzwall ein Bauwerk für die Ewigkeit ist) mit aufsehenerregenden Publikationen oder Features in ihren jeweiligen Heimatländern. Ich dagegen kam mit meinem Auftrag immer weniger klar, versumpfte und verkam nach und nach unter dieser international zusammengewürfelten Bande von Halsabschneidern zu einem amoralischen Arschloch und fühlte mich schließlich wie der von Marlon Brando dargestellte Colonel Kurtz in Coppolas Apocalypse Now.

Schon als ich den ersten Söldnertrupp kennenlernte, der in Kamina, im heutigen Distrikt Ober-Lomami, landete, wurde mir klar, dass ich es die nächste zeit nicht mit gottesfürchtigen Wanderpredigern zu tun haben würde, sondern mit Glücksrittern und Brutalinskis, denen nichts heilig war.

Kongo-Müller war, ob man mir es nun glaubt oder nicht, noch der Anständigste unter diesem White Trash, obwohl Mad-Mike, wie er damals häufiger bemerkte, Müller für preußischer als eine Pickelhaube hielt. Müller leitete auch gleich die erste Operation Watch Chain, die die Truppe nach Baudouinville am Tanganyika-See führen sollte, um das am anderen Ufer liegende Albertville von Simba-Rebellen zu befreien.

Schon bei dieser Aktion zeigte sich, wie die Söldner die Werte der westlichen Welt hochzuhalten gedachten. Die Schwarzen waren Briketts oder Dachpappen, die Frauen in den Rebellengebieten freie Verfügungsmasse für den persönlichen Bedarf. Es war einfach widerlich. Ich, der dieses Verhalten in den nächtlichen Diskussionen am Lagerfeuer anklagte und verurteilte, wurde nur mit beißendem Spott überzogen, als »intellektuelles Weichei« abgekanzelt und mit bösartigen Zynismen traktiert, die man gerne im Alkohol ertränkt hätte – hätte es denn zu diesem Zeitpunkt bereits welchen gegeben, denn für Waffen und militärische Ausrüstung war zwar hinreichend gesorgt, doch an Alkohol zur Betäubung der Skrupel hatte niemand gedacht.

Das änderte sich erst während des Angriffs auf Albertville, der zwar von den Rebellen zurückgeschlagen wurde, aber immerhin deswegen vom Erfolg gekrönt war, weil den Söldnern beim Rückzug ein riesiges Alkoholdepot mit unzähligen Flaschen hochprozentigen karibischen Rums in die Hände fiel, die anscheinend aus Kuba zur moralischen Unterstützung der Simba-Rebellen gespendet worden waren. Che Guevara persönlich soll sie, wie man später hörte, bei seinem Besuch der Volksrepublik im Gepäck gehabt haben.

Wie dem auch war, mit dem nun einsetzenden Alkoholkonsum änderte sich einiges bei diesem wilden Haufen. Er wurde in den folgenden Kampfhandlungen mutiger und siegreicher, die meisten Männer allerdings noch brutaler und rücksichtsloser, einige melancholisch, während ich in eine Art Gleichgültigkeit hinüberdämmerte, die mich die täglichen Gräuel ertragen ließ. Aber nicht nur das! Die Trunkenheit machte mich zum Komplizen dieser Marodeure und schemenhaft erinnere ich mich an eine Szene, die erst Jahre später durch Franz-Josef Degenhardts Lied Horsti Schmandhoff wieder an Kontur gewinnen sollte:

Da stand im Leopardenfell, den Schwanzquast an der Hand, die Fäuste in die Hüften gestemmt und um die Stirn ein Band, inmitten dreißig Weibern, alle nackt und schwarz und prall, ein fetter Horsti Schmandhoff, und der lächelte brutal. Kumpanen, da, gesteht euch ein, da wolltet ihr noch mal wie Horsti Schmandhoff sein.

Wenn ich heute daran denke, steht mir der kalte Schamschweiß auf der Stirn. Doch in jener Zeit fühlte ich mich noch wie Horsti Schmandhoff.

Aber es war nicht nur die psychische Veränderung, die uns damals zu schaffen machte, sondern auch die physische. Das Zeug war von solch schlechter Qualität, hochprozentig wie Stroh-Rum, sodass er pur kaum zu genießen war, und man sich zwingen musste, das Gesöff hinunterzuwürgen

Als sich bei den Männern die ersten Sehstörungen und Scheinschwangerschaften durch geschwollene Leber einstellten, einige sogar glaubten, ihnen wüchsen Flügel, versuchte Mad-Mike den hemmungslosen Alkoholkonsum zu drosseln, doch sofort gewannen in den Gefechten die Rebellen wieder die Oberhand.

Da hatte ich plötzlich die zündende Idee …

* * *

Bei unseren Streifzügen im nördlichen Katanga, im Regenwald in der Nähe des Örtchens Kalemie, hatte ich Wochen zuvor eine kleine Gruppe Baka-Pygmäen entdeckt, die die dort wachsenden Kokos-Palmen zu nutzen verstanden. Sie veredelten die Bestandteile des Baumes inklusive seiner Früchte zu Zucker, Kokosmilch und Palmwein.

Wir lagerten für einige Tage nicht weit von ihrem Dorf entfernt, weil wir in dieser unwegsamen Gegend Nachschubpfade der Simba-Rebellen vermuteten. In dieser Zeit suchte ich die Pygmäen auf und schoss dort einige Fotos von ihrer steinzeitlichen Lebensweise. Die BaAkmas waren nett und gastfreundlich und so lernte ich ihren mit Speichel gegorenen Palmwein kennen, zog aber aus hygienischen Gründen eine Art Kokosmilch vor, die sie aus dem getrockneten Fruchtfleisch, dem Kobra, und Regenwasser herstellten.

Mit Mad-Mikes Genehmigung fuhren Kongo-Müller und ich mit dem Jeep nach Kalemie und brachten von dort in einem stundenlangen Marsch durch den Urwald sechs leere und gesäuberte Benzinkanister zu den Baka und baten sie, diese für uns regelmäßig mit ihrer Kokosmilch zu füllen. Als Gegenleistung stellten wir ihnen Regenschirme mit Coca-Cola-Werbung und kistenweise Maggi-Würfel in Aussicht. Sie waren über den Deal begeistert, glaubten wahrscheinlich, uns über den Tisch gezogen zu haben und versprachen, bereits nächste Woche die ersten Kanister abgefüllt zu haben. Und in der Tat, als wir zehn Tage später einen Kameraden beauftragten, die erste Charge gegen die versprochenen Waren einzutauschen, kehrte er mit sechzig Liter Kokosmilch zurück.

Im Lager hatte sich zwar herumgesprochen, dass ich etwas zur Förderung des Betriebsklimas plante, aber was, blieb den Söldnern verschlossen. Nur Mad-Mike war eingeweiht, unterstützte mein Vorhaben innerhalb seiner Möglichkeiten, allein schon, um einerseits den Kampfesmut seiner Kameraden zu stärken und andererseits für deren Gesundheitszustand Sorge zu tragen.

So erlaubte er mir auch, aus Élisabethville größere Mengen von aus Kamerun importiertem Zucker und Kakaomehl zu ordern, die meine Versuche schließlich mit einem Erfolg belohnten. Denn die ersten Testreihen, in denen ich den Kuba-Rum mit der Kokosmilch vermengte, scheiterten an der anschließend einsetzenden Atemnot und dem kaum zu stoppenden Tränenfluss. Da half es auch nicht, den Rum in homöopathische Dosierungen runterzumendeln, das Zeug blieb im Abgang erdig und morastig, was wohl am unabgekochten Regenwasser liegen mochte, das von den Blätterdächern der Urwaldriesen bis zum Dschungelboden alles an Staub, Vogel- und Insektenausscheidungen, Abgestorbenem und Verfaultem auf seinen sturzbachähnlichen Wegen nach unten mitgeschwemmt hatte.

Erst die Vermengung mit dem stark gezuckerten Kakaopulver, in Verbindung mit der durch den zugebundenen Ärmel eines Nyltesthemdes gesiebten Palmmilch, schuf die Basis für trinkbare Versuche. Schließlich hatte ich das richtige Mischungsverhältnis gefunden.

Es war ein wohlschmeckender Longdrink geworden, der durch seine rehbraune Farbe bestach und durch eine Konsistenz, die wie geschmolzene Schokolade über die Zunge floss. Ich garnierte den Drink mit einer dicken Scheibe Kiwano, einer einheimischen und leicht nach Banane schmeckenden Horngurke, und präsentierte ihn das erste Mal, nachdem Kongo-Müller von Mad-Mike zum Führer des Kommandos 52 befördert wurde. Die Einheit sollte in den nächsten Tagen nach Coquilhatville fliegen, um dort die Rebellen aufzureiben. Also war das ein hervorragender Zeitpunkt, den Mut- und Muntermacher unters Volk zu bringen.

Kongo-Müller hielt eine feurige Rede, erklärte den Einsatz und endete mit den Worten: »Keine Angst, Kameraden, wir machen eine Jägerjagd. Das ist eine Art Jagd auf Neger, also keine große Sache. Keine Angst, Kameraden, das ist alles okay, wir kämpfen nur gegen schlecht bewaffnete Rebellen. Morgen geht’s los. Rührt euch. Im Kantinenzelt wartet eine überraschung auf euch! Prost!«

Und die war gelungen! Ein Glas nach dem anderen rann durch durstige Söldnerkehlen, doch nach und nach changierte die vormals ausgelassene in eine zunehmend aggressive Stimmung.

Zu Beginn des Gelages lief der Cocktail noch unter Kongo-Müllers Vorschlag Mulatten-Latte. Doch je mehr die Jungs davon tranken, um so mehr Vorschläge kursierten im Zelt, um die Stärke des Drinks mit einer besseren Bezeichnung zu würdigen. Kongo-Rum, Simba-Killer, Nonnenschwängerer, Leberhaken oder Engelmacher waren noch die harmloseren Vorschläge, während die härtere Fraktion unter Fritz Kötteritzsch entweder auf den Namen Negerblut oder Bimbopisse bestand.

Als man schließlich mich, als Créateur des Cocktails, fragte, welchen Namen ich denn dem Gesöff verleihen würde, und den Namen Lumumba vorschlug, drohte die ohnehin schon aufgeladene Stimmung zu eskalieren.

Ob ich denn von allen guten Geistern verlassen worden sei oder mir die Hitze das Hirn verbrannt hätte? Kötteritzsch schien mit meiner Namenstaufe die größten Schwierigkeiten zu haben. »Wegen diesem linken Negerarsch setzen wir hier unser Leben aufs Spiel! Oder bist du etwa auch Kommunist? Was schmarotzt du dann hier herum? Dann geh doch nach drüben in die Ostzone oder zu den Simbas und präsentier dort deinen Lumumba! Für mich heißt das Zeug Bimbopisse. Basta!«

Ich protestierte aufs Heftigste, lobte Patrice Lumumbas Versuch, den Kongo in die Unabhängigkeit zu führen und sich von der kolonialen Ausbeutung loszueisen. »Ihr kämpft doch auf der Seite der Ausbeuter, der Sklavenhalter und gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker! Tschombé ist doch nur eine Marionette des Kapitalismus und der internationalen Multis, und ihr seid deren nützliche Idioten …«

Das hätte ich nicht sagen dürfen! Das war sehr, sehr unüberlegt von mir, aber leider den vielen Lumumbas geschuldet, die auch ich zuvor in mich reingeschüttet hatte.

Nach meinen Worten brach ein Tumult aus. Man stürmte auf mich zu, beleidigte mich, und oft spritzte aus wutverzerrten Gesichtern mit Hass benetzter Speichel in mein Gesicht, während ich gleichzeitig in die Läufe der Tommy-Guns blickte, die bedrohlich auf mich gerichtet waren.

Kötteritzsch war natürlich der Ungehaltenste. Er packte mich bei den Schultern, schüttelte mich wie ein Wahnsinniger, während er mir flüsternd ins Ohr prophezeite, dass ich hier nicht mehr lebend rauskäme, sollte ich weiterhin auf meiner »Kommunistenscheiße« beharren.

Endlich ging Kongo-Müller dazwischen und trieb die wild gewordene Bande auseinander. Mir riet er im Vertrauen, nach unserer Rückkehr nach Léopoldville, den Kongo, wenn mir mein Leben lieb sei, so schnell wie möglich zu verlassen.

Das hörte sich nicht unvernünftig an, zumal ich nachts und mitten aus dem Schlaf von Kötteritzsch und zwei anderen Söldnern aus meinem Zelt geschleift, heftig durchgeprügelt und mit Tritten traktiert wurde, bis mir die zugefügten Schmerzen das Bewusstsein raubten. Erst am nächsten Tag wachte ich mit meinem zerschundenen Körper im Lazarettzelt auf.

Nun gut, ich hatte ja viel Verständnis für dieses Gesocks, aber das ließ ich mir nicht gefallen. Ich war zwar kein brutaler Schläger, aber ganz so harm- und hilflos war auch ein Mann der Schreibmaschine nicht …

* * *

Vor dem Angriff hatten sich nicht nur die Katanga-Gendarmen die Kante gegeben, auch ich hatte mir Mut angetrunken. Als wir in Coquilhatville gelandet waren und die Stadt erstürmten, mussten wir feststellen, dass die Rebellen den Ort bereits vor unserer Ankunft verlassen und sich nach Boende, der nächsten Ansiedlung, zurückgezogen hatten. Auf dem Landweg dorthin wurde weiter gesoffen, bis sich die Einheiten formierten und von Kongo-Müller für den überraschungsangriff eingeteilt wurden.

Ich heftete mich, mit meiner Kamera bewaffnet, an Kötteritzschs Fersen und folgte ihm bis zu den ersten Stellungen der Simba-Rebellen.

Kötteritzsch und die zwei Kameraden, die mich nachts mit ihm besucht hatten, lauerten lautlos hinter ihren Deckungen und warteten auf eine günstige Gelegenheit, das gegnerische MG-Nest auszuräuchern. Die drei Söldner verständigten sich die ganze Zeit über mit Handzeichen, bis ich mitbekam, dass ihr Angriff kurz bevorstand.

Da legte ich mich flach in eine Geländemulde, nahm einen erneuten Schluck Lumumba aus meiner Feldflasche, blickte hoch ins grüne Blätterdach des Dschungels, steckte zwei Zeigefinger in den Mund und stieß einen gellenden Pfiff aus, der aus keiner noch so exotischen Vogelkehle hätte stammen können.

Als die MG der Simba-Rebellen verstummten, und ich vorsichtig den Kopf über den Rand der Mulde hob, sah ich meine drei Peiniger tot und zerfetzt in den Lianen hängen. Nachdem ich den Rest Lumumba aus meiner Flasche konsumiert hatte, bemerkte ich mit einer gewissen Genugtuung, dass sich mein schlechtes Gewissen in Grenzen hielt.

Der gesamte Angriff schlug fehl, Kongo-Müller zog seine Leute zurück, ohne dass überhaupt einem der Söldner der verräterische Pfiff aufgefallen wäre. Mir war das natürlich nur recht.

In den nächsten Tagen und Wochen wüteten die Katanga-Schergen in Boendes Umgebung und machten ihrem von den Einheimischen verliehenen Namen, Weiße Teufel, alle Ehre. Jeder Sieg wurde gefeiert, jeder Skrupel nach unzähligen Folterungen und Massakern im Alkohol ertränkt.

In meinem Lumumba!

Denn Kongo-Müller hatte meinen Vorschlag akzeptiert und übernommen; allerdings mit einer anders begründeten Erklärung. Für ihn sei das Getränk eine Art Medizin, so hatte er nach irgendeinem siegreichen Gemetzel gelallt, die zwar dem Namen Patrice Lumumba huldige, letztendlich aber seine Gegner stärke, um das kommunistische Gedankengut aus Schwarzafrika zu vertreiben.

Diese Definition schmerzte sehr, auch noch, als ich bereits im Flugzeug saß, um von Léopoldville, über die Trans-Sahara-Route via Kano (Nigeria) und Rom nach Amsterdam und von dort schließlich zurück nach Hannover, zu fliegen. Meine dortigen Freunde kannten mich kaum wieder …

Denn dank des Politikers Patrice Lumumba und des gleichnamigen hochprozentigen Cocktails war ich in beiderlei Hinsicht ein anderer Mensch geworden, im Guten wie im Bösen …

* * *

Vier Jahre später, im Sommer 1968, verbrachte ich einen Arbeitsurlaub im Franco-Spanien, und zwar in Andalusien, um ein Interview mit Johannes Mario Simmel zu führen, der sich gerade von seinem Riesenerfolg Alle Menschen werden Brüder erholte. Ich wollte etwas über die Planung zu seinem nächsten Buch erfahren, herausbekommen, um was es in der neuen Geschichte ging.

Als wir in Marbella in einer sündhaft teuren Bar saßen und ich ein Getränk bestellen wollte, wurde ich nach langer Zeit zum ersten Mal wieder an mein Kongo-Abenteuer erinnert.

Dort war er aufgeführt, mit dem von mir versehenen Namen, zwischen all den bis dato international bekannten Cocktails:

Lumumba – (Bacardi con el cacao y virutas de chocolate).

Es war unglaublich!Ausgerechnet in der klerikalfaschistisch geprägten Franco-Diktatur trat der Lumumba in der westlichen Welt seinen Siegeszug an, um dem flüssig gewordenen Willen afrikanischer Freiheit und Unabhängigkeit ein Denkmal zu setzen, zu dessen Fundament ich nicht unwesentlich durch meine alkoholisierte Rachsucht gegenüber Kötteritzsch beigetragen habe.

Lumumba – ein Name wie Musik. Denn mit Mulatten-Latte, Negerblut oder Bimbopisse hätten sich Jahrzehnte später selbst die grölenden Urlauber-Prolls am Ballermann nicht den Verstand aus der Birne saufen wollen.

Simmel, durchaus kein Kostverächter alkoholischer Getränke, musste wohl mein stolzes Lächeln beobachtet haben, denn er fragte mich, ob ich auf der Getränkekarte etwas Empfehlenswertes entdeckt hätte, was einem ordinären Cerveza vorzuziehen wäre.

»Ja«, entgegnete ich, »bei allem gebotenen Respekt Ihnen gegenüber, hochverehrter Herr Simmel, aber die Bar bietet unter der Rubrik Cocktails einen Drink an, den ich nicht nur wärmstens empfehlen möchte, sondern zu dem ich auch eine abenteuerliche Geschichte erzählen könnte, die, verzeihen Sie mir bitte diese Hybris, Ihre bisherigen Romane in den Schatten stellt …«

Lumumba »Classic«

(Original Version)

Vorarbeit: Man schneide eine oder mehrere reife (orangefarbene) Kiwano (Horngurke) längs auf, löse das grüne Fruchtfleisch mit einem Löffel, trenne mithilfe eines Siebes (aber nur, wenn man das möchte) die durchaus essbaren Körner vom Saft, fülle diesen in Eiswürfelformen und lasse das Ganze im Kühlschrank gefrieren.

Dann nehme man:

4 cl weißen Rum

(Belmont Estate White Coconut-Rum, 40% besser 46%)

10 cl Kokosmilch

2 Teelöffel Kakaopulver

1 bis 2 Teelöffel Rohrzucker

Alles in einem Shaker vermengen und den Mix schließlich über zwei in einem Longdrinkglas servierte Kiwano-Eiswürfel gießen.