Der Atem des Teufels

FENNA WILLIAMS

Die Picknickdecke lag eine Handbreit vom Abgrund entfernt. Entgegen den Wünschen ihrer jüngeren Schwestern hatte Asta diesen Platz gewählt, obwohl nur ein morsches Geländer sie alle drei vor dem Sturz in den Tod bewahrte.

»Können wir bitte etwas näher an die alte Mauer da hinten rücken?«, fragte Marie vorsichtig. Sie zeigte auf eine in sicherem Abstand liegende Ruine, die vor zweitausend Jahren zum Palast des römischen Kaisers Tiberius gehört hatte und damit heute zu den touristischen Höhepunkten eines Urlaubs auf Capri zählte.

»Wieso? Was ist da besser als hier?« Astas gereizter Tonfall verlangte nach einer unwiderlegbaren Begründung, denn sie kniete bereits vor der Kühltasche und öffnete den Reißverschluss auf. Konzentriert zog sie eine Flasche Alkohol nach der anderen aus dem Eis und schuf damit ein sichtbares Argument gegen einen Umzug, bevor die jüngste der drei die Chance gehabt hatte zu antworten.

»Die Sonne scheint mir in die Augen«, log Marie, um nicht zugeben zu müssen, wie wenig ihr die Felskante in ihrer unmittelbaren Nähe behagte.

»Das Problem erledigt sich in den nächsten zehn Minuten von selbst.« Asta machte eine Kopfbewegung über Klippen und Meer hinweg zur Festlandseite, wo die einsetzende Dämmerung den Vesuv bereits in einen majestätischen Schatten verwandelte.

»Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt …«, intonierte Tania und fing sich dafür von der jüngeren einen verzweifelten und von der älteren einen ihrer seltenen anerkennenden Blicke ein. Sichtbar zufrieden mit sich stellte Asta drei Cocktailgläser aus echtem Kristall auf ein Tablett und nahm dann die Flasche Limoncello, die durch die Kälte der Kühltasche mit Reif überzogen war. »Dieser Likör ist flüssiges Capri. Er wird aus Aberhunderten von Zitronen hergestellt«, erklärte sie. »Den hier hat Pauls Haushälterin extra für ihn angesetzt. Er schmeckt viel intensiver als die industriell gefertigten. Ich werde mir von ihr das Rezept geben lassen.« Mit leicht zusammengekniffenen Augen goss sie zwei Finger breit der gelben Flüssigkeit in jedes Glas und rieb dann die Hände aneinander, um ihre Finger wieder aufzuwärmen. Dann sah sie ihre Schwestern fragend an. »Was wollt ihr für die zweite Schicht? Aperol oder Campari?«

Tania zuckte die Achseln, aber Marie beeilte sich zu sagen: »Was du nimmst, Asta. Gerne, was du nimmst.«

Asta nickte und goss vorsichtig dieselbe Menge Campari ins Glas, so dass sich der Bitterlikör nur am übergang mit dem Limoncello vereinigte, sonst aber wie ein roter Gürtel über gelbem Band wirkte.

Tania stöhnte vor Ungeduld. Sie konnte nie länger als fünf Minuten stillsitzen, aber noch weniger gelang es ihr, langsamen, planvollen Bewegungen zuzusehen, ohne unruhig zu werden. Sie sprang auf, stellte sich an die Balustrade und begann, einen unregelmäßigen Takt auf die morsche Querstrebe zu trommeln.

Asta ließ sich nicht stören. Ebenso vorsichtig, wie sie Limoncello und Campari übereinandergegossen hatte, ohne die Flüssigkeiten zu vermischen, füllte sie jetzt die Gläser mit Wodka auf. Das letzte Licht des Tages fing sich in dem fein geschliffenen Kristall und ließ die Farben leuchten: zitronengelb, blutrot, klar wie ein Diamant. Asta bedeutete Marie, das Tablett zu Tania hinüberzutragen, während sie selber nach Strohhalmen und Streichhölzern suchte.

»Ich hasse Paul«, sagte Tania unvermittelt und verlieh jedem Wort mit einem Schlag auf das Geländer Nachdruck. »Ich hasse ihn. Ich hasse ihn.«

»Dann sind wir schon drei.« Asta stand auf und gesellte sich zu den Schwestern. »Deshalb ist dies genau der richtige Cocktail für uns: Devil’s Breath. Er ist sauer so wie du, Tania, so bitter wie Marie und so hart wie ich.« Asta zündete ein Streichholz an und betrachtete aufmerksam die kleine blaue Flamme. »Wir sollten Paul bei Gelegenheit auch einmal den Atem des Teufels spüren lassen. Findet ihr nicht?«

»Sag doch so was nicht. Du machst mir Angst.« Marie sah die ältere Schwester bittend an. »Paul ist schließlich unser Bruder und hat …«

»Genau«, unterbrach Asta. »Und von einem Bruder erwarte ich ein anderes Verhalten. Solidarität, Familiensinn, Zusammengehörigkeitsgefühl. Aber Paul kümmert sich nur um sich. Er ist geradezu widerwärtig selbstsüchtig. Habgierig, knauserig …«

»Raffgierig«, warf Tania ein. »Geizig.«

Asta nickte Tania bestätigend zu. »So viel Egoismus muss bestraft werden.«

Marie öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder, ohne ihre Meinung kundgetan zu haben, während Asta mithilfe eines weiteren Streichholzes Flämmchen auf den Cocktails tanzen ließ.

»Ganz deiner Meinung. Strafe muss sein«, sagte Tania inbrünstig und griff sich ein Glas, bevor Asta einen Strohhalm hineinstecken konnte. »Paul ist ein Mistkerl. Ich könnte ihn umbringen.«

»Das ist doch mal ein schöner Trinkspruch.« Asta prostete den Schwestern zu, aber Tania hatte bereits getrunken – und sich den Mund verbrannt.

»Verdammt!«, fluchte sie. »Verdammt, verdammt, verdammt.« Vor Schreck und Schmerz glitt ihr das Glas aus der Hand und segelte im freien Fall in die Tiefe.

»Man trinkt diesen Cocktail durch einen Strohhalm«, sagte Marie und klang dabei wie eine altkluge Vorschülerin. »Oder man pustet die Flammen vorher aus.«

»Was du nicht sagst.« Tania riss der Jüngeren ihr Glas aus der Hand und sog die Flüssigkeit geräuschvoll durch den Strohhalm, bis es leer war. Dann ließ sie es demonstrativ dem ersten folgen. »Das dauert aber, bis es unten aufschlägt«, sagte sie ehrlich erstaunt. »Wie hoch ist das denn?«

»Hoch. Sehr hoch.« Asta sah triumphierend in die Tiefe, als wäre die Höhe der Klippen ihr zu verdanken. »Wisst ihr, wie dieser Platz genannt wird?«

»Nein. Kultur interessiert mich nicht.« Tania machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich bin völlig zufrieden, wenn ich auf Capri den besten Espresso Macchiato, durchgestylte Klamotten und feurige Italiener finde.«

Asta verzog unwillig das Gesicht. »Ich habe mich vor unserer Abreise aus Deutschland umfassend über Capri … und seine Möglichkeiten informiert. Man sieht nur, was man weiß. Man kann nur Chancen ergreifen, die man vorbereitet.«

»Wie du das nur immer alles behältst. Ich lese und notiere und führe Listen, aber im richtigen Moment …«

Asta achtete nicht auf Marie, sondern zeigte auf die Felsen direkt vor ihnen. »Dies ist der berüchtigte Salto di Tiberio, der Sprung des Tiberius. Von diesem Felssporn geht es dreihundert Meter senkrecht in die Tiefe. Kaiser Tiberius, nicht gerade bekannt für Zimperlichkeiten, schätzte diesen Platz ganz besonders. Alle unliebsamen Gäste und Bediensteten, die nicht hundertprozentig seine Interessen vertraten, lernten hier das Fliegen – unfreiwillig, versteht sich.«

Marie schluckte trocken und wich zwei Schritte vom Geländer zurück.

Astas Lippen umspielte ein hartes Lächeln: »Capri ist ein Kleinod, wie es im Mittelmeer seinesgleichen sucht. Hierher kommen die Reichen und die Schönen, hier flaniert durch die Gassen, wer sehen und gesehen werden will – und wer es sich finanziell leisten kann. Und unser glücklicher Bruder gehört zu diesen Auserwählten, diesen vom Schicksal Begünstigten. Paul kann sich leisten, für immer hier zu bleiben.«

»Ohne zu arbeiten, einfach in den Tag hineinleben.« Marie seufzte sehnsüchtig. »Beneidenswert.«

»Ich wüsste zu gerne, wie er das geschafft hat.« Tania rüttelte am Geländer, als könnte es ihr erklären, wie ihr Bruder zu genug Geld gekommen war, um sich auf Capri häuslich einzurichten. Prompt hielt sie ein Stück Geländer in der Hand. Irritiert sah sie das morsche Holzstück an und ließ es dann den Gläsern folgen. Dennoch trat sie danach einen Schritt vom Klippenrand zurück. »Eben ist Paul noch kleiner Angestellter und verkauft in einem mickrigen Reisebüro Träume von der großen weiten Welt, und im nächsten Moment erfüllt er sich selber einen. Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugegangen sein«, sagte sie.

Asta verdrehte genervt die Augen. »Ihr wollt mir doch nicht erzählen, dass keine von euch ahnt, woher unser lieber Bruder das viele Geld hat?«

»Gespart?« Tania klang weder überzeugt, noch überzeugend.

»Na ja, ich hab mir so meine Gedanken gemacht …« Marie legte eine vorsichtige Pause ein.

»Und«, fragte Asta unwillig, »zu welchem Ergebnis bist du gekommen?«

»Nur, dass er von einem Tag auf den anderen seine langjährige Stellung kündigte und jetzt auf Capri lebt, mitsamt Köchin und Haushälterin, und jede Woche mit einem Privatboot nach Ischia übersetzt, um sich dort in die heißen Quellen zu legen und sich von Masseuren verwöhnen zu lassen.«

»Fünfundvierzig. Kein schlechtes Alter, um sich zur Ruhe zu setzen.« Tania konnte den neidischen Unterton in ihrer Stimme nicht unterdrücken. »Bis dahin stehen mir noch fünfzehn Jahre langweiliges Büro bevor.«

Asta schnaubte. »Seid ihr blind oder seht ihr tatsächlich nicht, was wirklich passiert ist? Niemand kommt ganz von allein an so viel Geld. Jedenfalls nicht mit ehrlicher Arbeit und nicht ohne Gerede.«

»Aber Paul hat noch nie viel gesprochen, nur für Capri hat er immer geschwärmt. Wenn er von der Insel redete, wurde er gesprächig.« Tania zog die Stirn kraus, als könne sie sich dadurch besser erinnern. »Er hat mal gesagt, dass er alles tun würde, um längere Zeit hier leben zu können. Ganz gleich, was. Und irgendwie hat es ja jetzt geklappt.«

Asta wurde zornig: »Sechs Monate ist er bereits hier – und kein Ende abzusehen. Er hat sich sogar ein größeres Haus gemietet. Eine Villa mit Garten und Meerblick, der reine Luxus.«

»Und uns eingeladen, diesen Luxus mit ihm zu teilen«, versuchte Marie den Bruder zu verteidigen.

Asta begann, die Kühltasche zu packen und bedeutete den Schwestern, die Picknickdecke zusammenzufalten. »Für zwei lächerliche, kurze Wochen. Der alte Knauser.«

»Ist doch besser, als immer nur an die Nordsee zu fahren, jedes Mal pudelnass zu werden …«, begann Marie, und Tania vollendete: » … und keine echte Sonnenbräune mit nach Hause zu bringen.«

Asta strafte die seltene Eintracht der jüngeren Schwestern mit Nichtachtung und überlegte stattdessen laut: »Es kann nur ein Lottogewinn gewesen sein. Pauls wöchentliches Abenteuer. Was gab es in seinem Leben früher schon anderes als Bingo und Lotto? Und von Bingo wird man nicht reich.«

Marie nickte eifrig: »Wisst ihr noch, wie er vor etwas mehr als einem halben Jahr das ganze Haus auf den Kopf gestellt hat, weil er seinen Monatstippschein nicht finden konnte? Was für ein Aufstand! Wegen drei Richtigen!«

»Und danach hat er plötzlich aufgehört zu spielen«, bestätigte Tania. »Ich erinnere mich genau. Bringt alles nichts, hat er gesagt, und dass er sein Geld genauso gut verbrennen könne.«

Asta schüttelte den Kopf über die Leichtgläubigkeit ihrer kleinen Schwestern: »Drei Richtige! Von wegen! Der hat damals den Hauptgewinn getroffen.« Asta sah triumphierend von einer zur anderen. »Und natürlich hat er danach nicht mehr gespielt. Die Chancen, beim Lotto einen Hauptgewinn zu landen, stehen eins zu was-weiß-ich-wie-viel-Millionen. Gleich zweimal zu gewinnen, konnte sich selbst unser geiziger Glücks-Paul nicht vorstellen.«

»Meinst du wirklich?« Tania schnappte nach Luft.

»Wacht auf! Unser Bruder ist Millionär, und alles, was er uns davon abgibt, sind drei lächerliche Flugtickets.«

»Du denkst also wirklich …«

»Na, selbstverständlich. Woher soll er sonst das Geld haben, sich auf Capri eine Villa …«

» … ein Haus …«

» … eine Villa zu mieten, ständig mit dem Privatboot nach Ischia zu fahren, um sich dort durchkneten zu lassen, und nach dieser anstrengenden Tätigkeit wieder dem dolce vita zu frönen?«

Asta schlug den Heimweg ein, drehte sich dann aber noch einmal um und warf einen letzten abschätzenden Blick zurück auf die marode Absperrung und die Klippen dahinter: »Wir sollten Paul sehr bald einmal hierher bringen.«

»Wenn er überhaupt mitkommt. Mit mir will er jedenfalls nie spazieren gehen. Ich glaube, er kann mit mir nichts anfangen. Ich bin ihm einfach zu jung.« Marie klang verletzt. »Zwischen Paul und uns ist einfach ein viel zu großer Abstand. Eltern sollten nicht so lange warten, bis sie das nächste Kind bekommen. Wir konnten gar keine emotionale Bindung zum großen Bruder aufbauen. Und er nicht zu uns.« Marie war stolz auf ihre Analyse der geschwisterlichen Diskrepanzen und folgerte: »Und jetzt ist er eben Millionär und wir gehen leer aus.«

»Nicht, wenn ich es verhindern kann«, zischte Asta. »Ich will meinen familiären Anteil, und den werde ich auch bekommen.«

»Ah ja«, Tania war sofort interessiert. »Und wie willst du das anstellen?«

Asta zeigte mit dem Daumen über ihre Schulter zurück zum Salto di Tiberio. »Ich denke, es wird Zeit, dass Paul sich in aller Kürze – und Tiefe – mit römischer Geschichte vertraut macht.«

Drei Tage später klingelte es an der eleganten Villa mit Blick auf die berühmten Faraglioni-Felsen. Die Gemeindepolizei in Gestalt von Agente Musella und Dottor di Stefano fanden die drei Schwestern auf der Terrasse, wo die Älteste den beiden anderen fürsorglich Cocktails reichte.

Devil’s Breath, dachte der gute Doktor. Für ihn zu viel alkohol, so früh am Tag, Aber die drei würden den steifen Drink gleich gut gebrauchen können. Er blinzelte und betrachtete die jungen Frauen angelegentlich. Sie wirkten genauso, wie sein Patient sie ihm beschrieben hatte: die Älteste stets um das Wohl der anderen bemüht, die Mittlere agil und immer in Bewegung, und die Jüngste verträumt und etwas verhuscht – aber alle drei auf ihre Art äußerst liebenswert.

›Meine Schwestern sind etwas ganz Besonderes. Sie werden es erleben, Dottore, und werden mir recht geben. Auf meine Schwestern lasse ich nichts kommen – und sie nicht auf mich‹, hatte Signor Paul gesagt.

Dottor di Stefano unterdrückte einen Seufzer und war froh, nicht selber der überbringer der schlechten Nachricht zu sein. Er schob die kleine Dolmetscherin nach vorne und hörte zu, wie diese den drei Frauen in mitfühlendem Ton eröffnete, dass man die Leiche ihres Bruders gefunden hätte. Im Wasser unterhalb des Salto di Tiberio. Dreihundert Meter freier Fall – da sei nichts mehr zu machen gewesen.

Marie heulte sofort los. Tania vergrub ihr Gesicht so tief in den Händen, dass keine Gemütsregung nach außen dringen konnte. Asta stellte ihr Glas sehr langsam auf den kleinen Terrassentisch und demonstrierte dabei bewundernswerte Selbstbeherrschung. Sie fuhr sich kurz, aber wirkungsvoll mit der Hand über die Augen und fragte dann mit leiser Stimme: »Wie ist es passiert? Schonen Sie uns nicht. Wir wollen alles genau wissen. Er war schließlich unser Bruder.«

Agente Musella räusperte sich und ließ übersetzen: »Eindeutig ein Sprung vom Felsen. Wir haben keine Zeichen von Fremdeinwirkung gefunden.« Er wählte seine nächsten Worte mit Bedacht. »Deshalb wird es auch keine weiteren Untersuchungen geben. Schließlich war ja im Falle Ihres Bruders mit Selbstmord zu rechnen.«

»Selbstmord?« Marie stieß einen spitzen Schrei aus, während Tania ihr Glas auf Ex leerte, als wolle sie sich durch das Trinken vor einem Gefühlsausbruch bewahren.

»Was veranlasst Sie zu dieser Annahme?« Nur wer Asta schon lange kannte, hätte einen Hauch von überraschung in ihrer Stimme wahrgenommen.

»Die Expertise des Hausarztes Ihres Bruders.« Musella zeigte auf Dottor di Stefano. »Nach seiner Aussage, Signorina, hatte Ihr Bruder schließlich nur noch wenige Wochen zu leben.«

Marie schnappte hörbar nach Luft und sah entsetzt zum Dottore hinüber. »Wenige Wochen?«

»Ja, Signorina, wussten Sie denn nicht? Krebs. Ihr Bruder brachte aus Deutschland detaillierte Untersuchungsergebnisse mit: Metastasen im ganzen Körper. Deshalb hatte er ja beschlossen, seine letzten Tage auf Capri zu verbringen. Er sagte immer: ›Sterben muss ich überall, da kann es auch unter südlicher Sonne sein.‹ Der Dottore warf einen schnellen Blick auf Asta und glaubte, in deren unbewegter Miene lesen zu können, dass man der jüngsten Schwester die Wahrheit vorenthalten hatte, um sie zu schonen. Jetzt war es seine Aufgabe, allen dreien ebenso vorsichtig reinen Wein einzuschenken. Er seufzte: »Es tut mir sehr leid, meine Damen. Ich hätte gerne mehr geholfen, aber ich konnte nur noch palliativ tätig werden. Letzte Nacht hat Signor Paul wohl geglaubt, dass es nun an der Zeit wäre …« Dottor di Stefano sah erst den Agente, dann die Dolmetscherin Hilfe suchend an, aber die nickten nur bestätigend.

Asta schluckte. Sie setzte sich sehr langsam auf den eleganten Sessel, auf dem ihr Bruder am Abend zuvor ihrer Aufforderung zu einem einsamen Spaziergang im Mondschein zugestimmt hatte, und schwieg.

Dottor di Stefano räusperte sich: »Ich habe versucht, Signor Paul seine letzten Tage auf Erden so angenehm wie möglich zu machen. Ich verordnete ihm die allerbesten schmerzlindernden Medikamente und schickte ihn regelmäßig zu regenerierenden Kurmaßnahmen auf die Nachbarinsel.«

»Nach Ischia«, hauchte Marie.

»In die Thermen«, stöhnte Tania.

»Genau. Als Schwestern wird es Ihnen ein Trost sein, dass er die ihm verbliebene Zeit sehr genoss.«

Marie unterbrach sich mit vielen Schluchzern: »Und … wir … hatten … nicht die … geringste … Ahnung.«

»Ja«, sagte Dottor di Stefano, »er trug sein Schicksal mit Würde. Immer, wenn ich auf meine Rechnung zu sprechen kam, winkte er ab und sagte: >Um all diese Sachen werden sich meine geliebten Schwestern kümmern. Ich werde sie einfliegen lassen, wenn ich keinen anderen Ausweg mehr sehe.‹

Tania und Marie sahen fragend zur älteren Schwester hinüber, aber auch Asta war ganz gegen ihre Gewohnheit verwirrt. »Rechnung? Schwestern? Ausweg?«

Dottor di Stefano zuckte mit den Schultern. »Genaues weiß ich natürlich auch nicht. Nur so viel: Er hatte eine Hypothek auf seinen Anteil des Elternhauses aufgenommen. Eine wirklich beachtliche Summe, wie es scheint. Als das Geld ausgegeben war, haben ihm alle Kredit gewährt: die Haushälterin, der Gemüsehändler, die Masseure, der Hausbesitzer, meine Wenigkeit … einfach alle. Wir wussten ja, dass Sie kommen. Mit dem Geld der restlichen Anteile.« Der Dottore faltete zufrieden die Hände über dem Bauch und wartete, bis die Dolmetscherin alles übersetzt hatte: »… Und jetzt sind Sie ja da!«

Astas Stimme klang belegt: »Hat er denn nichts von einem Lottogewinn gesagt? Einem sehr großen Lottogewinn?«

»Von einem Lottoriegewinn weiß ich nichts. Mir hat er nur gesagt, dass seine Schwestern bereit wären, ihre Anteile vom elterlichen Erbe ebenfalls zu beleihen oder, wenn nötig, das Haus zu verkaufen, damit er eine schöne Zeit hätte. Das ist alles.«

»Wirklich großzügig, wenn ich das einwerfen darf. Wir bewundern Sie alle sehr.« Agente Musella nickte beeindruckt. »Einfach so für die Schulden Ihres Bruders einzustehen!«

»Und über die Höhe dieser Außenstände würden wir Sie jetzt gerne informieren.« Dottor di Stefano überreichte Asta ein Papier, auf dem eine säuberlich ausgeschriebene, exorbitante Summe verzeichnet stand – Zahlungsziel dreißig Tage.

Beim Anblick der phantastischen Zahl war keine übersetzerin mehr nötig: Marie erlitt einen Heulkrampf, Tania bekam Sprachhemmung, und die starke, sonst unerschütterliche Asta fiel sang- und klanglos in Ohnmacht. Gerade so, als hätte sie plötzlich der Atem des Teufels gestreift.

Devil’s Breath

2 cl Limoncello Zitronenlikör

(am Besten aus der Gegend um den Golf von Neapel)

2 cl Roter Bitterlikör – Campari oder Aperol

2 cl Wodka

Den eisgekühlten Limoncello, den Bitter (wer es gerne weniger bitter haben möchte, sollte nur 1 cl verwenden) und den Wodka in dieser Reihenfolge in ein Shotglas (= großes Schnapsglas) oder ein Whiskyglas füllen. Den Wodka mit einem Streichholz anzünden. Einen Strohhalm hineinstecken, nicht schütteln, nicht rühren – nur genießen.

Tipp: Je langsamer und vorsichtiger die »Schichten« eingefüllt werden, desto weniger vermischen sich die Zutaten. Aber auch hellorange sieht der Cocktail sehr lecker aus – und schmeckt auch so. Der Drink kann auch in einem Longdrinkglas über Crushed Ice genossen werden.