Allmächtiger! Nicht er! Sukis Herz schien einen Moment stillzustehen. Jeder andere, nur nicht er! Aber wer sollte es sonst sein? Sie hatte doch keine Halluzinationen. Ausgeschlossen! Unmöglich, dass er einen Doppelgänger hatte – Pasquale Caliandro! Kein Mann auf dieser Welt war so verführerisch und gefährlich wie er.
Bitte nicht! Suki rang um Gelassenheit. Hoffte, dass ihre Augen sie nicht verrieten. Aber allein der bloße Anblick dieses köstlichsten Exemplars männlicher Gattung, das sie je in ihren vierundzwanzig Jahren gesehen hatte, löste langsam und unaufhaltsam ein Kribbeln in ihrem Bauch aus. Oh, verflucht! Jedes Cover mit ihm wäre Gold wert!
Und Suki konnte das beurteilen.
Beruflich hatte sie fast tagtäglich mit Schönheit zu tun. Mit männlichen Models hatte sie zusammengearbeitet, mit Schauspielern und Popstars, deren athletisch erotische Körper auf Postern und Kalenderfotos die Schlafzimmerwände von Millionen Frauen auf aller Welt zierten. Aber nicht einer, nicht ein Einziger hatte sie auch nur annähernd so aus der Fassung gebracht wie Pasquale Caliandro. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie die anwesenden Frauen und war sich ziemlich sicher, dass nicht wenige sich den Hals nach diesem Prachtexemplar mit dem perfekt knackigen Hintern verrenkt hatten.
Ihr Puls raste. Was zum Teufel tat er hier in Südfrankreich? Und was um Himmels willen sollte sie tun? Hatte er sie gesehen? Und wenn ja, hatte er sie erkannt? Damals war sie siebzehn gewesen. Ein junges Mädchen voller Neugier auf die ersten sexuellen Erfahrungen.
Suki richtete sich auf, ohne auf die kleinen Stoffdreiecke über ihren Brüsten zu achten. Wie immer hatte sie die Träger gelöst, um an den Schultern nahtlos braun zu werden. Aber der Riesenschreck und die Erregung, die durch ihren Körper pulsierte, brachten ihr logisches Denken völlig durcheinander. Wie gebannt folgte sie ihm mit ihren Blicken, nahm wahr, wie er sich bewegte, und wie er ging …
Direkt in ihre Richtung!
Sie atmete durch und versuchte zu ignorieren, wie stark sich die Muskeln seiner Oberschenkel bei jedem Schritt anspannten. Schon in seiner offenbar maßgeschneiderten legeren Leinenhose wirkte er wie eine pralle Versuchung. In einer engen Jeans hätte sie ihm nicht widerstehen können.
Auch sonst bot der Mann einige reizvolle Details. Die cremefarbene Seide seines Hemds schmiegte sich an seinen imposant muskulösen Oberkörper und betonte seine breiten Schultern. Markant und ausgesprochen sinnlich geformte Lippen ließen sowohl auf Leidenschaft als auch auf Entschlossenheit schließen. Seine prägnante leicht gebogene Nase zeugte von Stolz und aristokratischem Selbstvertrauen.
Es ist nur eine Nase! Keine sinnliche Verheißung! Suki ertappte sich bei reichlich unziemlichen Fantasien und dabei, wie eine Kunstkennerin ein Meisterwerk zu taxieren. Wie konnte eine Nase sie bloß so antörnen?!
Höchst ungern ließ sie ihren Blick weiter aufwärts wandern zu seinen dunklen, fast schwarz schimmernden Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde hörte ihr Herz beinahe auf zu schlagen, als sie darin Kälte und unverhohlene Verachtung entdeckte. Hoffentlich kam er ihr nicht noch näher!
Aber genau das tat er, baute sich sogar direkt vor ihrer Liege auf. „Wie ich sehe, hast du dich nicht verändert, cara!“, meinte er anzüglich lächelnd, während er auf sie hinabblickte. „Allerdings warne ich dich, falls du wieder jemanden suchst, der deine wilden Fantasien bändigt … Ich stehe dafür nicht zur Verfügung!“
Mit jedem Wort, das er sprach, verletzte er sie. Suki hasste ihn dafür. Und doch, seine perfekt modulierte, ausgesprochen tiefe Stimme hatte etwas erotisch Elektrisierendes. Ihr stolzes britisches Naturell begehrte auf gegen die Provokation in seinen Latin-Lover-Augen. Sie würde es ihm schon zeigen und ihm eine Lektion erteilen.
Wenn nur nicht ihr Körper so auf ihn reagieren würde! Suki schloss kurz die Augen, um mit ihrem liebenswürdigsten Lächeln zum Angriff überzugehen. „Oh, nennst du dich neuerdings Dompteur? Dann muss ich dich warnen. Das hier ist kein Zirkus!“
Er warf den Kopf zurück und lachte. „Komm schon … warum sagst du nicht, was du wirklich willst, Suzanna?“, fragte er leise, geradezu intim. „Willst du etwa leugnen, dass du dich für meinen Körper interessierst?“
Eine entsprechende Erwiderung lag ihr schon auf der Zunge, aber sie schluckte sie herunter und verbesserte ihn nur betont freundlich. „Suki bitte, ich heiße Suki!“
Halb amüsiert, halb fragend zog er die Brauen hoch. „Oh, wie konnte ich das nur vergessen? Suki, natürlich – Suki“, wiederholte er mit einem lasziven Unterton. „Ein erfolgreiches Model wie du hat natürlich nicht nur zahlreiche Lover, sondern auch einen Künstlernamen.“
Suki sah ihn mit offenem Mund und aufbrechender Wut an.
„Aber egal, wie du dich nennst“, fuhr er ungerührt fort, während er sie von oben bis unten musterte, „deine geheimen Wünsche stehen dir ins Gesicht geschrieben. Und dort kann ich lesen, dass du mich begehrst. Jeden Zoll meines Körpers. Gib es zu!“
Mistkerl! Eine heiße Röte überzog ihre Wangen, als sie trotzig das Haar über ihre schmalen Schultern nach hinten warf. All ihre Würde raffte sie zusammen, räusperte sich und erwiderte so förmlich, wie sie nur konnte: „Und wenn du ehrlich bist, musst du zugeben, dass du ein maßlos übersteigertes Ego hast, Pasquale!“ Sie hob den Kopf, wie um ihr Urteil zu besiegeln. „Und du hast immer noch ein absolut oberflächliches Verhältnis zu Frauen!“
In der nachfolgenden Stille hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Pasquales verblüfftes Schweigen registrierte Suki mit Genugtuung.
Allmählich aber erholte er sich und schenkte ihr die Andeutung eines Lächelns, das sich allmählich zu einem Grinsen ausbreitete. „Hab ich das, Suki, hab ich das wirklich?“
Verdammter Mistkerl! Was wollte er mit diesem neuen Tonfall bezwecken? Warum zum Teufel raste ihr Puls, fühlte sie ihr Blut wie einen erotischen Stromstoß durch ihre Adern jagen? Ihre Schläfen pochten … ihre Handgelenke … während er sie musterte … von oben … bis unten … und es dann zu allem Überfluss auch noch zwischen ihren Schenkeln pulsierte.
Noch schlimmer aber war es, dass sie hilflos und wie gebannt seinem Blick ausgeliefert war, der ihren festhielt. Ungerührt und unerbittlich, so als wisse er, dass sie versuchte, sich ihm zu widersetzen.
Suki sagte sich, dass sie aufstehen und gehen sollte. Stattdessen schaute sie zu ihm auf und sah mit Herzklopfen das plötzlich aufkeimende Verlangen in seinen Augen, während er ihren Oberkörper kurz, aber elektrisierend intensiv musterte. Hitzewellen durchfluteten sie, und die Spitzen ihrer Brüste richteten sich hart auf.
Erst jetzt bemerkte sie, dass die schützenden Dreiecke ihres Bikinioberteils vollends verrutscht waren und Pasquales Blick auf ihrer nackten Haut brannte. „Nein!“ Hastig kreuzte sie schützend die Arme vor ihrer Blöße. Gleichzeitig spürte sie, dass diese Situation sie beide nicht kaltließ.
„Bitte nicht, cara mia.“ Seine Stimme war sanft. „Bitte zeig sie mir“, flüsterte er heiser. „Sie sind viel zu schön, um sie zu verstecken. Wie ich mich danach sehne, sie zu berühren, mit meinen Lippen zu liebkosen, an ihren Knospen zu saugen, bis …“
„Was sagst du da?“, fragte Suki verwirrt und erregt zugleich. „Ich dachte, du stehst nicht zur Verfügung.“ Entschlossen entzog sie sich seinem Blick, griff nach einem Handtuch und versuchte, ihre Blöße zu bedecken, als er sie von hinten sanft berührte und nach den dünnen Trägern ihres Bikinitops fasste.
„Ich denke, ich kann dir helfen.“ Behutsam schob er seine Hände nach vorn, ergriff die Schleifenbänder und band sie in ihrem Nacken wieder zusammen.
„Danke, das reicht!“, sagte sie mit einer Heftigkeit, die sie selbst überraschte, und rückte von ihm ab. Was ärgerte sie eigentlich mehr? Die Tatsache, dass sie sich peinlicherweise von ihm hatte helfen lassen müssen? Oder der sinnliche Strudel, in dessen Sog sie geraten war, seit er hier aufgetaucht war? Dabei hatte sie ihn sieben Jahre nicht gesehen, und nur zwei Minuten seiner Gegenwart hatten ausgereicht, um all ihre Vorsätze zunichtezumachen. „Geh weg! Lass mich in Ruhe!“
Aber er rührte sich nicht. Stand so nah bei ihr, dass sie die Wärme seines Körpers spüren konnte, und spielte den Gleichgültigen. Suki fühlte sich immer unbehaglicher.
„Was ist los, cara?“, fragte er in einer merkwürdigen Mischung aus Empörung und Verwirrung. Der Ausdruck des Begehrens in seinen Augen schien wie weggewischt. „Anscheinend bin ich wieder auf dich hereingefallen. Dein wie zufällig verrutschtes Top, dein sinnlich geöffneter Mund. Das war doch alles eine einzige Einladung!“
Sie warf ihm einen Blick aus ihren bernsteinfarbenen Augen zu, mit dem sie ihn am liebsten im Pool versenkt hätte. Eigentlich war sie jedoch den Tränen nahe. „Selbst wenn du der letzte Mann auf der Welt wärst, würde ich nicht wollen, dass du mich auch nur anrührst!“, hielt sie ihm tapfer entgegen.
„Soll das ein Scherz sein? Als Model weißt du doch verdammt gut deine Reize einzusetzen“, bemerkte er kühl und zuckte mit seinen Schultern, ohne sie aus den Augen zu lassen. „Und ganz unter uns, vor sieben Jahren waren deine Absichten eindeutig“, fügte er in vertraulichem Unterton hinzu.
Suki starrte ihn verblüfft an, ohne etwas zu sagen. Was hätte es auch gebracht? Sie selbst erinnerte sich nur ungern an ihre Nacht damals mit Pasquale Caliandro.
Das Handtuch noch immer wie einen schützenden Schild haltend, richtete sie sich auf, bemühte sich, ihr inneres Gleichgewicht wiederherzustellen. Sie war einfach nur eine Frau in einem Liegestuhl, die nach vielen Jahren einen Bekannten wiedergetroffen hatte. Einen nicht gerade angenehmen Bekannten. In Gedanken schüttelte sie sich, versuchte, die Erinnerung daran abzustreifen wie eine lästige Fliege, und verbot sich weitere körperliche Reaktionen.
Und wenn er ihretwegen hier war? Die Vorstellung, dass es so sein könnte, versetzte Suki plötzlich in eine Aufregung, aus der sie nicht klug wurde, und die längst Verdrängtes wieder lebendig werden ließ.
Sie beugte sich vor und fragte mit gesenkter Stimme: „Was machst du hier eigentlich? Bist du mir etwa gefolgt?“
Er warf den Kopf zurück und lachte laut auf. Ein kehliges, wunderbar melodisches Lachen, das auch andere Gäste interessiert aufmerken ließ. Als er aufhörte, fragte er sie jedoch so leise, dass nur sie es hören konnte. „Ich … soll dir gefolgt sein?“ Seine Blicke loderten immer noch heiß, verbrannten sie fast mit ihrer Glut. „Warum in aller Welt sollte ich das tun?“
Suki zuckte mit den Achseln, gab sich betont gelassen. „Um deinem Ruf als Frauenheld gerecht zu werden, zum Beispiel.“
„Ach, tatsächlich?“, meinte er süffisant. „Ich hätte nicht gedacht, dass du so ein starkes Interesse an meinem Intimleben hast.“
Pasquale lächelte so aufreizend selbstzufrieden, dass sie ihm am liebsten eine geknallt hätte. Doch dann entschied sie sich für die verbale Variante der Entgegnung. „Ich habe nur die Klatschspalten gelesen wie andere auch.“ Glaubte er wirklich, sie würde sich in ihrer knappen Freizeit mit seinen Frauengeschichten beschäftigen?
„Ach? Na dann.“ Er zog amüsiert die Brauen zusammen. „Im Unterschied zu dir, cara, habe ich aber nicht den Ruf, die Beziehungen anderer zu zerstören.“ Dabei lächelte er so provozierend, als genösse er es, sie bei seinem Vorwurf erröten zu sehen. „Wie du siehst“, fuhr er unbeirrt fort, „auch ich lese die Klatschspalten.“
Diese Schmierfinken der Yellow Press! Beinahe tagtäglich dichteten sie ihr einen neuen Lover an! „Wenn du auf diese lächerliche Sache in New York anspielst – nichts als Lügen!“, verteidigte Suki sich aufgebracht.
„Ach, wirklich?“, mokierte er sich. „Dann hat die Freundin des Fotografen die ganze Geschichte wohl erfunden, oder wie? Du hast nicht mit ihrem Freund geschlafen?“
„Nein, habe ich nicht!“
Verächtlich zogen sich seine Mundwinkel nach unten. „Und der arabische Prinz letztes Jahr? Frisch verheiratet und schon in heißem Flirt mit dir? Während seine Braut dabei war? Waren das auch nur Lügen?“
Suki seufzte innerlich, als sie sich an die bewusste Affäre erinnerte. Sie hatte Prinz Abdul auf einer Cocktailparty des Auswärtigen Amts in Paris getroffen. Er hatte ernsthaft behauptet, total in sie verknallt zu sein. Aber sie hatte alles nur für eine Art Machtspiel gehalten. Dass sie nicht auf ihn eingegangen war, hatte er als Herausforderung für sein Ego betrachtet. Schließlich hatte er immer bekommen, was er wollte.
Er hatte sie sogar gefragt, ob sie seine Gemahlin werden wolle – allerdings ohne sich von seiner ersten scheiden zu lassen! Suki war fest entschlossen gewesen, Prinz Abdul knallhart zu sagen, dass eine selbstbewusste Frau wie sie auf so jemanden wie ihn nicht hereinfalle. Doch ein Diplomat des Auswärtigen Amts hatte sie im Vertrauen um einen Gefallen gebeten. Es ging um einen Öldeal zwischen Prinz Abduls Land und Großbritannien. Der durfte auf keinen Fall gefährdet werden. Und deshalb sollte sie den Prinzen diplomatisch höflich abblitzen lassen.
Tatsächlich hatte sie später von dem Beamten erfahren, dass der Deal – dank ihrer Hilfe – geklappt hatte. Die Öffentlichkeit hatte davon nichts mitbekommen. Vielleicht aber sollte Pasquale es nun erfahren! Listig lächelnd, mit stolz erhobenem Kopf blickte sie ihm in die Augen und sagte ruhig: „Dafür gibt es eine ganz simple Erklärung.“
Pasquale aber war offensichtlich nicht an Aufklärungen welcher Art auch immer interessiert. Er betrachtete sie nur starr. „Glaubst du etwa, ein Mann wie ich ist auf jemand wie dich angewiesen?“ Er musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. „Frauen, die sich so verhalten wie du, erreichen bei mir gar nichts. Du Närrin, so verzweifelt kann ich gar nicht sein, dass ich dir hinterherlaufen würde!“
Die Worte waren so verletzend und respektlos, dass es Suki die Sprache verschlug und ihre Wangen sich röteten. Sie war gerade mal siebzehn gewesen. Unerfahren und neugierig. Konnte er ihr das in diesem Maße zum Vorwurf machen? Leise erwiderte sie: „Ich bin nicht die Sorte Frau, die …“
„… leicht zu haben ist? Meine Güte, Suki, du hast dich mir damals doch förmlich an den Hals geworfen!“ Er beugte sich ganz nah zu ihr hinunter. „Meine Traumfrau“, meinte er kühl, „hat mit dir so gut wie gar nichts gemeinsam. Vielleicht gibt es sie ja auch nicht – zumindest ist sie mir bis jetzt noch nicht über den Weg gelaufen. Nur sollte sie mir das Gefühl geben, der Einzige für sie zu sein und, vor allem, liebste Suki, mir nicht schon beim ersten Treffen freie Bahn geben. Wie die meisten Männer sehne auch ich mich nach einer Frau, die ich erobern, aus der Reserve locken kann. Eine solche Frau ist für mich des Liebens wert, wenn du verstehst, was ich meine.“
Suki wurde schwindlig. Hätte er vor Wut getobt wie andere Männer, sie hätte es ihm schon gezeigt. Seine eisig ruhige Stimme hingegen löste nur bitteren Schmerz in ihr aus. Ob es nicht möglich sei, dass er sich in ihr täusche, wollte sie ihn fragen. Aber vermutlich würde er auch das wieder falsch verstehen.
„Ich liege nicht hier, um mir so etwas anzuhören.“ Entschlossen trug sie eine Gleichgültigkeit zur Schau, die sie bei Weitem nicht empfand.
„Du musst ja auch nicht hier liegen“, sagte er langsam in seinem verrucht dunklen Timbre und musterte sie anzüglich. „Ich könnte mir durchaus noch andere nette Plätzchen vorstellen. Was hältst du von einem Ortswechsel? Wir beide gehen einfach und legen uns …“
Anstatt seinen Vorschlag gleichgültig abprallen zu lassen, ertappte sich Suki bei völlig unpassenden Gefühlen. Dieser geheimnisvolle Blick und seine erotische Stimme dazu … Trotzdem, er hatte sie beleidigt und gedemütigt!
„Primitive Anspielungen dieser Art kannst du dir sparen!“ In ihren braunen Augen blitzten grüne Punkte wie spitze Pfeile. „Außerdem habe ich das Gefühl, du weißt nicht, was du willst! Du stellst mich an den Pranger. Du bringst mir so viel Verachtung entgegen, führst dich auf wie ein Richter. Dabei willst du etwas ganz anderes von mir. Du sprichst von Liebe und meinst Sex. Typisch Mann!“ Suki schüttelte den Kopf. „Findest du das logisch? Mir zu sagen, dass ich nicht liebenswert sei, und dann mit mir ins Bett zu wollen?“
„Männer denken eben nicht immer mit dem Kopf.“ Er fixierte sie angriffslustig, aber seine Stimme klang sanft, fast ein wenig neckend.
Es reicht! „Geh mir aus dem Weg!“, zischte sie nun und schwang ihre langen leicht gebräunten Beine von der Liege auf den Boden. Nachdem sie sich vom tadellosen Sitz ihres Bikinis überzeugt hatte, legte sie das Handtuch über die Lehne und erhob sich. Salvatore, den Fotografen, der sie auf diese Party nach Cannes mitgenommen hatte, konnte sie zu ihrem Leidwesen nirgends entdecken.
Eigentlich waren sie zum Relaxen hier. Ein entspanntes Wochenende sollte es werden, der krönende Abschluss eines anstrengenden Fotoshootings für ein Hochglanzmagazin. Anfangs war es das ja auch. Unangenehm wurde es erst später. Und zwar genau in dem Moment, als Pasquale Caliandro auf die Terrasse stolzierte …
Nichts wie weg hier! schoss es ihr durch den Kopf, als sie auch schon aufsprang.
„Oh nein! So kommst du mir nicht davon!“ Geschmeidig umschlang Pasquale ihr Handgelenk und zog sie zurück.
„Was soll das? Lass mich!“, zischte sie bestürzt und bemühte sich, das Gefühl, seine warme, starke Hand zu spüren, nicht zu genießen. Verdammt! Musste er so groß sein, für einen Italiener geradezu beeindruckend? So männlich? So verführerisch?
Ohne seinen Griff zu lockern, schüttelte Pasquale den Kopf. „Nein, wir beide haben noch etwas zu bereden.“
„Ich wüsste nicht, was …“
„Ich schon“, sagte er leise.
„Ach ja? Ich will es aber gar nicht wissen.“ In Wahrheit wollte sie es natürlich doch! Verdammt, wenn sie nicht bald für einen Sicherheitsabstand sorgte, würde es noch in einer Katastrophe enden. Dabei brannte sie vor Neugier. War bereit. Und das Schlimme daran – er schien es erraten zu haben.
Amüsiert hoben sich seine Mundwinkel, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Es wäre aber besser für dich.“
Suki versuchte, sich ihm zu entziehen, doch er hielt sie immer noch ganz fest. Wollte einfach nicht lockerlassen. Nun, dann musste sie eben einen anderen Weg finden. Schließlich wusste sie inzwischen, wie man Männern eine Lektion erteilt.
„Wenn du mich nicht endlich gehen lässt, schreie ich! Du lässt mir keine andere Wahl.“ Herausfordernd warf sie den Kopf nach hinten, wobei ihre langen rotblonden Locken in der Sonne schimmerten. „Aber bitte, wenn du meinst, das könnte deinem Ruf nicht schaden.“
„Mein Ruf ist mir egal.“ Lässig hob er den Kopf und musterte ihr angespanntes Gesicht. „Doch ich warne dich, schreiende Frauen pflege ich auf meine ganz persönliche Art ruhigzustellen.“
Auf Sukis fragenden Blick antwortete er süffisant: „Mit einem Kuss natürlich. Und wenn ich mich richtig erinnere, mochtest du es, von mir geküsst zu werden. Nicht wahr, Suki? Es gefiel dir sogar sehr.“
Verdammt! Seine Stimme brachte schon wieder all ihre Sinne zum Schwingen. Wie zum Teufel schaffte er das nur? „Was willst du eigentlich?“ Suki versuchte, sich durch regelmäßiges Atmen zu beruhigen.
„Wie ich schon sagte – mit dir reden.“
„Und das ist wirklich alles?“
„Für den Moment.“ Seine Antwort verwirrte sie nur noch mehr.
Sie war noch ein junges Mädchen, als sie ihn kennenlernte. Seine Sinnlichkeit hatte sie dahinschmelzen lassen. Vor allem aber hatte sie seinen Körper bewundert, und mit welchem Selbstvertrauen Pasquale sich bewegte. Das Problem daran war, dass ihr die Erfahrung fehlte und sie nicht erkannte, welch starke Schutzmauer er gleichzeitig um sich errichtet hatte. Oberflächlich betrachtet wirkte er unerschütterlich wie ein Fels. Erst jetzt, als erwachsene Frau, wurde ihr klar, wie sensibel und verletzlich er dahinter war. Und wie entschlossen er darauf achtete, eben dies zu verbergen. Gerade jetzt würde er es nicht zulassen. Deshalb war es vielleicht geschickter, sie lenkte ein.
„In Ordnung“, gab sie sich geschlagen, „du redest. Und ich höre zu. Aber nicht mehr als fünf Minuten – dann bin ich weg!“
„Bin … ich … weg“, imitierte er sie in gespieltem Entsetzen. „Wortreicher kannst du dich nicht ausdrücken nach so einer teuren Ausbildung in der Schweiz?“
„Halt den Mund!“ Irgendwie erleichterte es sie in diesem Moment, ihre Gefühle offen zum Ausdruck zu bringen.
„Schade um die verlorene Zeit und das viele Geld“, fuhr er kühl und ungerührt fort. „Ich hoffe für dich, du gibst solche Banalitäten nur von dir, wenn du nervös bist …“
Sukis Nerven flatterten tatsächlich. Verdammt! Er machte sich über sie lustig. Genoss es, sie wie einen Fisch an seiner Angel zappeln zu sehen. Plötzlich erkannte sie, auf welches Spiel sie sich eingelassen hatte. Nur weil sie überzeugt gewesen war, mit ihm fertig zu werden. Allerdings hatte sie inzwischen eindeutig die schwächere Position.
Aber wer zwang sie eigentlich zu bleiben? Sie musste doch nicht mit ihm sprechen! Sie musste gar nichts! Sie war keine naive und unerfahrene Schülerin mehr – beruflich war sie am Ziel ihrer Träume und hatte es aus eigener Kraft geschafft. Auch finanziell war sie unabhängig und nicht auf einen Mann angewiesen.
Natürlich erregte sie Aufsehen, als sie ihn auf einmal ohne eine Erklärung stehen ließ und auf die Villa zuging. Einige Hausgäste verstummten, andere wechselten in den Flüsterton. Offenbar, um das Geschehen leise zu kommentieren. Auch spürte Suki, dass Pasquale ihr folgte.
Soll er doch! Zum Teufel mit ihm! dachte sie, während sie entschlossen weiterlief. Die Tür vor der Nase zuschlagen würde sie ihm … und dann abschließen. Sie würde es darauf ankommen lassen. Zwar hatte er behauptet, dass sein Ruf ihm egal wäre, aber das bezweifelte sie.
Aus den Augenwinkeln registrierte sie, wie die Leute sie mit irritierten Blicken fixierten. Sie wusste, dass einige Frauen nichts gegen eine Rolle als Pasquales Geliebte einzuwenden hätten. Sie war ja auch kurz davor gewesen. Verdammt! In was für eine Situation war sie geraten? Warum hatte sie nicht besser aufgepasst?
Nach einigen Metern riskierte sie einen Blick über die Schulter. Etwas weiter hinter ihr entdeckte sie Pasquale im Gespräch mit einer der Serviererinnen. Salvatore war weit und breit immer noch nicht zu sehen.
Nun, vielleicht war das auch besser so. Womöglich würde er sonst wissen wollen, woher sie Pasquale kannte. Und was sollte sie ihm dann antworten? Er ist der Bruder meiner ehemaligen besten Freundin – und damals wollte ich nichts sehnlicher, als mit ihm zu schlafen?
Aber er wollte es nicht.
Das wurmte Suki am meisten an der ganzen Geschichte.
Er hatte sie abgewiesen.
Die Erinnerung daran löste noch immer erstaunlich heftige Gefühle in ihr aus. Pasquale Caliandro war ein ausgesprochen attraktiver Mann. Wie ein unreifes dummes Ding hatte sie sich verhalten und so seinen Respekt verloren. Schon bei vielen Männern hatte sie die unterschiedlichsten Reaktionen ausgelöst, aber niemals Respektlosigkeit. Und das schmerzte sie. Immer noch, wie sie sich eingestehen musste.
Endlich hatte sie das Haus erreicht und eilte nun mit nackten Füßen über den kalten Marmorfußboden. Ihr Herz klopfte dermaßen laut, dass sie befürchtete, Pasquale könnte es hören, so nah war er ihr inzwischen wieder gekommen.
Flüchtig fragte sie sich, was sie tun würde, wenn Pasquale sie einholte, da stand sie auch schon vor ihrer Tür.
Hastig drückte sie die Klinke herunter. Die feinen Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf, als sie seinen Atem spürte, sein betörendes Aftershave roch, das ihr auch nach sieben Jahren immer noch beunruhigend vertraut war.
„Du hast ein ganz schönes Tempo am Leib.“
Entsetzt schnappte Suki nach Luft, ließ die Klinke los. Ruckartig drehte sie sich um und kniff die Augen zusammen wie eine Löwin vor dem Sprung auf ihre Beute. „Du hättest mir nicht folgen sollen.“
Während sie mit pochendem Herzen und wie zu Stein erstarrt vor der Tür verharrte, kam er noch näher. Seltsam unergründlich sah er sie an. „Doch. Ich will mit dir reden, und ich gehe erst, wenn ich es getan habe.“
Bei Suki schrillten alle Alarmglocken. Hinter dieser Tür lag ihr Schlafzimmer! „Sorry, Pasquale, aber ich halte das hier nicht für den richtigen Ort.“
Er lachte spöttisch. Sein Blick war immer noch undefinierbar. „Ich verstehe nicht, warum du dich so anstellst. Du hast keinen Grund dazu. Glaubst du etwa, mich interessiert, wie weich dein Bett ist? Wir haben etwas zu besprechen, du und ich.“
Sie schluckte. In unzähligen schlaflosen Nächten hatte sie sich in allen Einzelheiten ihr Verhalten ausgemalt, wenn sie Pasquale unerwartet wiederträfe. Wie Luft hatte sie ihn behandeln wollen … wollte so tun, als kenne sie ihn nicht … entgeistert und gedankenverloren in dieses faszinierende Gesicht blicken … sich jedoch absolut nicht erinnern können …
Als sie jetzt ganz real wie gebannt in seine großen dunklen Augen blickte, wurde ihr schlagartig klar, dass sie sich in ihren Fantasien wohl gründlich überschätzt hatte.
Der letzte Mensch aber, dem sie genau diese Erkenntnis mitteilen wollte, war Pasquale Caliandro, der immer noch mit seinem verwirrenden Grinsen und seinem undefinierbaren Blick vor ihr stand. Das durfte doch alles nicht wahr sein!
Sie atmete tief durch, straffte ihre Schultern und schenkte ihm jenes eingeübt schmelzende Lächeln, das zu ihrem Standardrepertoire als Model gehörte und das sie normalerweise bei Fotoshootings aufsetzte. „Sorry, ich hatte in letzter Zeit ein bisschen viel Stress. Ein Cover nach dem anderen, du kennst das ja.“
Seine Mundwinkel verzogen sich, und er schien zu wissen, dass sie vor ihm floh, ihm nicht die Wahrheit sagte.
„Ich … habe noch zehn Minuten Zeit. Reichen dir die?“ Demonstrativ blickte Suki auf ihre Uhr, während sie die Tür öffnete.
„Ja“, sagte er schroff. Sobald er ihr Zimmer betrat, begann ihr Puls zu rasen.
Die Luft im Raum schien vor der zwischen ihnen herrschenden Anspannung zu vibrieren. Als Pasquale zum Fenster und von dort auf den Balkon mit Blick auf den Pool ging, atmete Suki erleichtert auf.
Unten auf der Terrasse bereiteten Köche vor den Augen der Gäste frisches Sushi zu. Die ersten der appetitlich aussehenden japanischen Häppchen wurden herumgereicht.
Suki ging ein paar Schritte auf Pasquale zu. „Wie geht es eigentlich Francesca? Seit damals habe ich sie ja nicht mehr gesehen.“
Sie konnte förmlich spüren, wie sich seine Muskeln anspannten.
„Das geht dich nichts an!“
„Natürlich geht mich das etwas an! Francesca war meine beste Freundin – bis du sie von der Schule nahmst und mir verboten hast, sie jemals wiederzusehen!“
Pasquale zog nur eine Braue hoch. „Diese Entscheidung habe ich nie bereut! Meine Schwester befand sich dort in schlechter Gesellschaft.“
Suki hob das Kinn. „Damit meintest du vermutlich mich?“
„Ja, meine Liebe“, sagte er und musterte sie kühl. „Ich meinte dich.“
„Das böse Mädchen verführt das brave, oder wie?“, schnaubte sie.
„Du hast es erkannt.“
Sie sahen sich an, bis sie ihren Blick senkte, um sich ihm nicht noch mehr auszuliefern.
„Ich habe meiner Schwester den Umgang mit dir verboten, weil du einen schlechten Einfluss auf sie hattest. Jugendliche sind nun mal labil und lassen sich von Gleichaltrigen zu allem Möglichen überreden. Ich wollte und musste verhindern, dass Francesca sich dazu verleiten lässt, so zu werden wie du! Du bist doch mit jedem Typen ins Bett gesprungen, den du getroffen hast.“
Traurig und wütend wich Suki ein paar Schritte zurück. Er hielt sie immer noch für ein kleines Luder. Sie konnte machen, was sie wollte. Lag die Schuld bei ihr, dass sie sich falsch verhalten hatte, oder bei ihm?
„Wolltest du nur deshalb mit mir reden?“, fragte sie bitter. „Und die alten Geschichten wieder aufwärmen? Dann wäre ja alles klar. Du hast mir gesagt, was du von mir hältst. Aber mich interessiert das eigentlich nicht.“
„Hat es dich denn jemals interessiert?“ Lässig kam er auf sie zu und blickte in ihr angespanntes Gesicht. „Ich war doch nur einer von vielen, um den du deine wunderschönen Beine geschlungen hast, oder?“
Suki stand den Bruchteil einer Sekunde nur da, gefangen von dem erotischen Bild, das er gemalt und sogleich wieder zerstört hatte. „Was redest du denn da?“, entgegnete sie ihm. „Du warst der große Bruder meiner damals besten Freundin – ich war Gast in eurem Haus – und du hast mich einfach hinausgeworfen! Behandelt wie eine Verbrecherin hast du mich! Meiner Mutter musste ich erklären, warum ich meinen Ferienaufenthalt bei euch abgebrochen hatte …“
„Was“, unterbrach er sie etwas hastig, „hast du denn deiner Mutter gesagt?“
Sukis Blick war so kalt, dass Pasquale zu Eis hätte erstarren müssen. „Na, du hattest sie ja mit deinem Anruf schon vorgewarnt. Meine Mutter hat mir jedenfalls keine Vorwürfe gemacht und keine peinlichen Fragen gestellt. Ich weiß zwar nicht, was für ein Märchen du ihr aufgetischt hast, aber sie hat es geglaubt. Und ich hatte absolut keine Lust, ihr zu erzählen, wie es wirklich war – dass du mich schon nach so kurzer Zeit bei euch nicht nur aus eurem Haus, sondern auch aus deinem Bett geworfen hattest!“
„Sprich leiser – oder willst du, dass es alle mitbekommen?“
„Ach, Pasquale! Lenk nicht ab!“, entgegnete sie heftig. „So laut habe ich nicht geredet. Außerdem ist es die Wahrheit. Aber auch wenn ich wirklich nicht gern an diese leidige Geschichte erinnert werde: Sie ist Schnee von gestern und interessiert mich nicht mehr. Falls das der einzige Grund war, warum du mit mir reden wolltest, dann geh endlich!“
Für den Bruchteil einer Sekunde schien nun auch er sprachlos, musterte sie nachdenklich und sagte dann kopfschüttelnd: „Nein, nur deshalb wollte ich nicht mit dir reden.“
„Warum denn noch?“, fragte sie nervös.
„Ich wollte dich bitten, etwas für mich zu tun“, sagte er so gleichmütig, dass Suki ihn anblickte. Verwirrt bemerkte sie, dass sie den Inhalt seiner Worte eigentlich gar nicht mitbekommen hatte. Seine dunklen, geheimnisvollen Augen – wie gemacht, um Zeit und Ort zu vergessen … Gebannt versank sie in ihnen, und ihre Gedanken wanderten zurück – bis zu jenem Tag vor sieben Jahren, von dem sie sich geschworen hatte, ihn für immer zu vergessen …