2. KAPITEL

„Meinst du wirklich, sie haben nichts dagegen?“ Suzanna legte den Stift aus der Hand, warf einen Blick auf ihre Freundin, auf die Zeichnung, und war so weit ganz zufrieden mit dem Ergebnis. Nur ein paar Konturen zog sie nach, während der Flieger zur Landung ansetzte und Rom mit seinen Kirchtürmen und Kuppeldächern immer näher kam.

„Wer?“ Francesca war zu sehr damit beschäftigt, den einzigen männlichen Flugbegleiter an Bord mit koketten Augenaufschlägen zu bezirzen, als dass sie ihrer Freundin hätte zuhören können.

„Na, deine Eltern natürlich.“ Suzanna strich sich mit den Fingern durch ihr rotblondes Haar. „Sie kennen mich nicht und haben mich trotzdem eingeladen.“

Francesca zuckte mit den Achseln. „Ihnen ist es egal, wen ich mitbringe – sie sind nie da. Mein Vater arbeitet und ist oft auf Geschäftsreise, und meine Stiefmutter besucht wohl wieder einen neuen Lover in Paris …“

„Francesca!“, schnitt Suzanna der Freundin entsetzt das Wort ab. „Wie redest du über deine Mutter?“

„Unvorstellbar für dich, was?“ Francesca klang ungewohnt bitter. „Dazu solltest du vielleicht wissen, dass sie zwanzig Jahre jünger ist als mein Vater, Geld ausgibt ohne Ende und sich einen Flirt nach dem anderen leistet.“

„Aber warum ist dein Vater dann mit ihr zusammen?“

„Na, weil sie toll aussieht. Warum sonst?“ Für einen kurzen Moment bebte ihre Stimme, doch Francesca fing sich schnell wieder. „Ach ja, dann wäre da noch mein großer Bruder. Vor dem muss ich dich warnen. Der überwacht dich schlimmer als jeder Gefängniswärter. Aber vielleicht kannst du mir ja mal ein Alibi verschaffen.“

Alibi? Wieso?“

„Na, wenn ich mal ausgehen will.“ Francescas Stimme klang wieder munterer. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie das nervt, wenn einem der Bruder jedes Date verbieten will! Er lässt mich nur in Ruhe, wenn er glaubt, ich säße brav zu Hause. Also, denk dir was Nettes aus, wenn er mich sucht – meinetwegen hast du mich beim Beten in der Kirche gesehen!“

„Francesca!“ Suzanna stöhnte unbehaglich auf. Das tat sie meist, wenn sie den verrückten Einfällen ihrer Freundin nicht folgen wollte. „Ich kann doch nicht für dich lügen!“ Nervös zupfte sie am Saum ihres blütenweißen Kleides.

Francesca machte einen Schmollmund. „Bitte, bitte! Sonst halte ich es in den Ferien hier nicht aus! Und komm wenigstens einmal mit in die Disco. Du ahnst ja gar nicht, was du verpasst!“

Suzanna schüttelte den Kopf. „Meine Güte, du weißt doch, warum ich da nicht gern bin!“ Sichtlich genervt stöhnte sie auf. Nein, dort fühlte sie sich fehl am Platz. Zu groß … zu schlaksig. Weil sie zudem die meisten Jungs um einen halben Kopf überragte, kam sie sich vor wie Aschenputtel auf dem falschen Ball.

Francesca verdrehte die Augen. „Unglaublich, dass wir beide Freundinnen sein sollen! Ich schaffe es ja nicht mal, dich zu einem Discobesuch zu überreden …“ Jetzt hatte sie die Zeichnung entdeckt. „He! Das ist gut – bin ich das?“

„Ja. Gefällt es dir?“ Suzanna räusperte sich verlegen.

„Und wie. Schenkst du es mir?“

„Das hatte ich sowieso vor. Zum Dank für deine Einladung.“

Nach ihrer Landung auf dem Flughafen Leonardo da Vinci wurden sie vom Chauffeur der Familie Caliandro schon erwartet, und nachdem das Gepäck verstaut war und die Freundinnen Platz genommen hatten, fuhr die schwarze Limousine los.

Suzanna schloss die Augen. Am Morgen noch hatte sie im Schweizer Internat ihr Zimmer aufgeräumt, und nun war sie hier, in dieser faszinierenden italienischen Metropole mit ihrer einzigartigen Architektur. Ohne Zweifel, ihre Ferien versprachen aufregend zu werden.

„Nur noch wenige Kilometer!“ Francesca lächelte zufrieden, während sie die Freundin von der Seite betrachtete. Offen getragen wirkte das Haar ihrer Freundin noch schöner. In seidigen Kaskaden wallte es über ihre Schultern und schimmerte im Licht wie rotes Gold.

Suzanna wurde immer aufgeregter. Ein herrschaftliches Haus nach dem anderen entdeckte sie, und jedes Mal fragte sie sich, ob dies vielleicht die Villa der Familie Caliandro sei.

„Ich bin gespannt, wie dir der alte Kasten gefällt“, rief Francesca übermütig.

Die flapsige Umschreibung des Landsitzes riss Suzanna aus ihren Träumen. Drei Jahre besuchten sie nun das teure Internat in der Schweiz, und Francesca war noch frech und eigensinnig wie am Anfang. Mit allem platzte sie heraus, ohne sich einen Kopf darüber zu machen. Den erzieherischen Ansprüchen des Internats entsprach dies ganz gewiss nicht. Auch die wohlhabenden Eltern, die meist zu wenig Zeit hatten, um sich um ihre Kinder zu kümmern, rechneten damit, dass aus ihrem ungestümen Teenager am Ende eine junge Dame würde.

Beim Gedanken an ihre eigenen Eltern wurde Suzanna traurig. Zu frisch war die Erinnerung an den letzten großen Verlust. Vor zwei Jahren war ihr Vater gestorben, und ihr Bruder Piers hatte die Leitung der kleinen, aber feinen Automobilfirma im Besitz der Familie übernommen. Seine hochfliegenden Pläne allerdings hatten das mühsam erarbeitete Vermögen des Vaters schnell dahinschmelzen lassen. Ihre Mutter, die nie etwas mit finanziellen Angelegenheiten zu tun gehabt hatte, war vollkommen überfordert. Schon nach kurzer Zeit war der Betrieb nicht mehr schuldenfrei. Zum Glück hatte der Vater noch vor seinem Tod Vorsorge getroffen, sodass seine einzige Tochter ihre Ausbildung in der Schweiz beenden konnte.

„Wir sind da!“ Francesca riss sie aus ihren trüben Gedanken. Der Wagen bog auf ein Plateau, wo schon zwei noble Autos darauf warteten, vom Chauffeur in die Garage gefahren zu werden.

Die Freundinnen stiegen aus und gingen über einen mit Kies bestreuten Weg auf das Anwesen zu – eine aufwendig renovierte Villa mit imposanten Fresken. Von dort kam ihnen ein Mann entgegen, dessen Haare und Augen denen Francescas ähnelten.

Als diese ihn erkannte, beschleunigte sie ihre Schritte. „Pasquale!“, rief sie laut, blickte aber verschwörerisch noch einmal zu Suzanna. „Denk daran, wenn er dich fragt, wie oft ich ausgehe und mit wem, dann weißt du von nichts! Sag einfach, wir hätten für die Schule zu tun!“

Suzanna lächelte gezwungen. Ob ihre Ferien so würden, wie sie es hoffte? Glücklich schien die Familie kaum. Doch weitere Zeit, sich Gedanken zu machen, hatte sie nicht, denn etwas anderes beanspruchte ihre Aufmerksamkeit viel mehr – dieser Pasquale sah ja aus wie der Herzensbrecher von Rom persönlich!

Im ersten Moment meinte sie zu träumen. Verwirrt schloss sie die Augen und öffnete sie wieder. Tatsächlich! Er war noch da, es gab ihn wirklich! Sah er nicht unwiderstehlich aus?

Suzanna merkte, dass sie verlegen errötete und ihn anschmachtete wie die romantischen Teenager in den Liebesromanen auf ihrem Nachttisch.

Ob es an seinen Augen lag? Diesen verwirrenden Augen, die sie in einer Weise ansahen, bei der sie sich in ihn …

Warum nur musste es ausgerechnet hier und jetzt passieren! Pasquale war doch Francescas Bruder. Und dazu noch sieben Jahre älter als sie.

„Francesca!“, rief dieser jetzt, umarmte seine Schwester und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. Dann richtete er seinen Blick auf Suzanna. Francesca reagierte ausnahmsweise, wie es sich gehörte.

„Pasquale, das ist Suzanna Franklin. Suzanna, das ist mein Bruder Pasquale“, stellte sie die beiden vor.

Suzanna erwiderte schüchtern das Lächeln des jungen Mannes und schüttelte seine Hand, als er sie ihr reichte. In derselben Sekunde begann ihr Herz, so schnell wie nie zu pochen.

Äußerlich wirkte Pasquale Caliandro unaufgeregt. Trotzdem schien er nicht den Blick abwenden zu können von der Freundin seiner Schwester, deren Haare im Licht der Sonne glänzten. Deren weißes Sommerkleid dezent erahnen ließ, welch aufregend zarte weibliche Rundungen sich darunter verbargen. Und deren Hand er nicht mehr loslassen wollte … Doch dann war dieser Moment vorbei, und er war wieder nur der große Bruder und höfliche Gastgeber.

„Wir können bald essen“, erklärte er auf dem Weg ins Haus. „Ich lasse eure Sachen nach oben bringen, eine Stunde zum Auspacken der Koffer wird ja reichen.“

Kurz vor zehn an diesem ersten Abend legte Suzanna die Haarbürste aus der Hand und huschte in ihrem Nachthemd zu Francesca nach nebenan, die bereits lesend im Bett lag.

„Ich glaube, mein Bruder ist scharf auf dich.“ Francesca grinste. „Seine Schmachtaugen waren nicht zu übersehen!“

Suzanna gab sich gelassen. Aber ihr Puls schlug in einem anderen Tempo. „Unsinn! Das musst du dir eingebildet haben.“

„Ach, komm. Was ist denn dabei?“

„Hör auf, du musst dich irren!“

Sie setzte sich auf die Bettkante. Obwohl sie es sich nicht anmerken ließ, schlug ihr Herz wild bei dem Gedanken, Pasquale nun ständig zu begegnen.

Und genau das geschah. Allerdings nicht ganz so wie erwartet. Zwar war er immer höflich, aber ihre Nähe schien er nicht gerade zu suchen. Schwamm sie im Pool, zog er sich zurück, sobald er es bemerkte. Sie wiederum vermied es, ihm nachzuschauen. Mit Ausnahme einiger Höflichkeitsfloskeln wechselten sie kaum ein Wort miteinander. Bis er sich eines Vormittags, als sie zum Malen in dem herrlich angelegten Garten war, hinter sie stellte und mit geneigtem Kopf aufmerksam das entstehende Bild betrachtete.

„Eine wirklich gelungene Wiedergabe unseres Gartenpavillons“, raunte er anerkennend. „Ehrlich, du hast Talent. Eine solche Begabung solltest du nutzen.“

„Danke. Das kannst du beurteilen?“ Irgendwie kam das Kompliment zu unerwartet. Zudem hatte er sie immerzu mit Missachtung gestraft, und so wollte sie durch ihre Reaktion keinesfalls den Eindruck erwecken, seine Meinung wäre ihr wichtig.

Ihm den Rücken zuwendend, richtete sie sich auf, schlenderte betont lässig zum Pool, setzte sich an den Beckenrand und ließ ihre Beine im Wasser baumeln.

Wenn sie ehrlich war, erfüllten widerstreitende Gefühle ihr Herz. Auf den ersten Blick wirkte das Anwesen wie ein Paradies. Alte Zypressen spendeten Schatten vor der Sonne, am Feigenbaum hingen reife Früchte. Blumen blühten in verschwenderischer Fülle und leuchtenden Farben. Nur die Familie, die hier lebte, passte nicht in dieses Idyll: Francesca dachte einzig daran, wie sie heimlich um die Häuser ziehen konnte, und Pasquale als Tugendwächter unternahm alles, genau dies zu verhindern. Sogar gelogen hatte Suzanna schon und auf Pasquales Frage nach Discobesuchen behauptet, daran habe Francesca kein Interesse. Bloß weil sie sich der Freundin gegenüber verpflichtet fühlte! Obwohl, richtig überzeugt, dass er ihr geglaubt hatte, war sie nicht. Ihr verlegenes Erröten hatte er auf jeden Fall bemerkt und mit mahnendem Stirnrunzeln kommentiert.

Signor Caliandro bekam sie selten zu sehen. Falten prägten sein markantes Gesicht, das schwarze Haar war von silbergrauen Strähnen durchzogen. Dennoch wirkte er überaus attraktiv. Er arbeitete viel und erschien auch zum Abendessen selten zu Hause. Meistens war sie mit Francesca allein, da Pasquales Adressbuch voll mit Telefonnummern geheimnisvoller Verehrerinnen war, die täglich ausgeführt werden wollten. Und Signora Caliandro hatte sie überhaupt noch nicht kennengelernt. Wie Francesca gesagt hatte, weilte sie in Paris.

Heute war nicht einmal Francesca daheim, denn sie besuchte ihre Patentante am anderen Ende der Stadt. Als völlig Fremde hatte Suzanna das Wiedersehen nicht stören wollen und war nicht mitgekommen, obwohl die Freundin sie dazu eingeladen hatte. Bis vorhin hatte sie sogar angenommen, ganz allein in dem luxuriös großen Haus zu sein, da Pasquale sich beim Frühstück nicht hatte blicken lassen. Und jetzt war er auch schon wieder verschwunden …

Sie stöhnte entnervt auf. Hatte sie sich nicht vorgenommen, nicht mehr an ihn zu denken? Am besten, sie schwamm eine Runde.

Die Wassertemperatur erwies sich als ziemlich angenehm, und wie befreit genoss sie die klare Frische, tauchte bis auf den Grund, bis sie einen stechenden Schmerz in ihrer Wade verspürte. Höllisch weh tat er und ließ nicht nach. In ihrer Panik versuchte sie zu schreien, schluckte aber nur Wasser. Sie ruderte hilflos mit den Armen in der Luft und hatte das Gefühl, ihr Kopf würde platzen. Zum Glück geschah es nicht, denn starke Arme umschlangen ihre Taille. Reflexartig wehrte Suzanna sich. Doch die Arme umfingen sie wie eiserne Fesseln und zogen sie an die Oberfläche, wo sie atemlos nach Luft schnappte.

Unfähig, sich zu rühren, starrte sie perplex direkt in Pasquales dunkle Augen, die den ihren verstörend nah waren und in denen ein Ausdruck lag, der ihr einen Schauer der Erregung über den Rücken rieseln ließ.

Dio!“, schnaubte Pasquale und zog sie zum Beckenrand. Dann kletterte er hinaus, hievte sie nach oben und trug sie auf den weichen Rasen.

„Alles in Ordnung?“ Er tastete sie ab wie ein besorgter Arzt.

Sie nickte stumm. Wenn er nicht gewesen wäre, dachte sie und bemerkte verlegen sein nasses Seidenhemd, das an seiner breiten Männerbrust klebte wie eine zweite Haut. Seine nicht weniger triefende Hose schmiegte sich eng um seine muskulösen Schenkel.

„Ich … Angst … ertrinken“, stotterte sie und sah vollkommen elend aus. Ihre Zähne klapperten, und sie zitterte. Aber nicht nur, weil sie fror, sondern auch, weil seine Nähe sie überwältigte.

„Du bist doch nicht verletzt, oder?“

Suzanna rang sich ein Lächeln ab. „Nein, nur ein Wadenkrampf.“

„Du frierst ja. Hast du wirklich keine Schmerzen? Soll ich einen Arzt rufen?“

Plötzlich hatte sie einen Kloß im Hals. Die ungewohnte Aufmerksamkeit Pasquales, der sie vor dem Ertrinken gerettet hatte, und dessen Sorge offensichtlich echt war, rührte sie so, dass sie in Tränen ausbrach. Seit dem Tod ihres Vaters war ihr das nicht mehr passiert.

Sofort zog Pasquale sie wieder in seine Arme und streichelte ihr über den Kopf. „Nicht weinen, bella mia, nicht mehr weinen.“

Dann hob er sie auf und trug sie auf seinen Armen zum Haus. Als ihre Blicke sich trafen, entdeckte Suzanna für den Bruchteil einer Sekunde wieder etwas in seinen Augen, das sie verwirrte, ihr aber auch das Gefühl gab, im siebten Himmel zu sein. Doch schnell wich dieser Ausdruck wieder der betont ärztlichen Besorgnis.

„Bin ich nicht zu schwer für dich?“, fragte sie verlegen, als er sie die Treppe hinauf in ihr Zimmer trug.

„Mach dir mal darum keine Sorgen“, antwortete er schroff. Fast kam es ihr vor, als sperre er sich gegen die intime Nähe.

Im Zimmer angekommen, legte er sie auf den weichen Teppich. Entsetzt bemerkte Suzanna, dass sie die oberste Schublade der Kommode nicht geschlossen hatte. Diverse Spitzenslips und BHs waren unübersehbar. Vor Scham schoss ihr das Blut in die Wangen. Fast wäre sie aufgesprungen, um die Dessous zu verstecken.

Im Gegensatz zu ihr schien Pasquale die Tatsache, dass ihre Unterwäsche zu sehen war, nichts auszumachen. „Hast du einen Frotteebademantel?“, fragte er nur.

Sie schüttelte den Kopf. Brauchte man denn so etwas mitten im Sommer in Italien? Sie hatte jedenfalls nur ihren Seidenkimono eingepackt.

„Rühr dich nicht von der Stelle!“ Dann ging er aus dem Zimmer, und als er zurückkehrte, hielt er ihr einen tiefblauen, samtig weichen Hausmantel hin, der der Größe nach zu urteilen aus seinem Kleiderschrank stammte. Nach einem Blick auf ihren Bikini legte er ihn auf ihr Bett.

„Am besten, du ziehst deine nassen Sachen erst mal aus“, sagte er. „Währenddessen werde ich warmes Wasser einlassen.“

Froh, seinem Blick ausweichen zu können, sah Suzanna zur Badezimmertür. Ein heißes Bad war jetzt genau das Richtige.

Allerdings war es gar nicht so einfach, sich mit vor Kälte steifen Fingern einen eng am Körper klebenden, nassen Bikini auszuziehen. Als Pasquale nach ein paar Minuten wieder aus dem Bad kam und es nach Rosenöl duftete, versuchte sie immer noch, den Verschluss ihres Tops zu öffnen.

Einen kurzen Moment hielt Pasquale irritiert inne. Aus irgendeinem Grund schien ihm die Situation nicht zu behagen. Obwohl es bestimmt nicht das erste Mal war, dass er so viel Haut von einer Frau zu sehen bekam. Im Gegenteil. Wie Suzanna von Francesca wusste, erlagen weibliche Herzen reihenweise seinem Charme.

„Anscheinend brauchst du Hilfe“, bemerkte er gepresst. Als er sah, wie auch ihr nächster Versuch scheiterte, den Verschluss des Bikinis zu öffnen, beugte er sich wortlos zu ihr hinunter und schnippte ihn so gekonnt mit Daumen und Zeigefinger auf, dass Suzanna ein wenig Eifersucht bei dem Gedanken verspürte, an wie vielen Frauen er diesen Griff wohl schon erprobt hatte.

Entschlossen nahm Pasquale jetzt den Hausmantel, warf ihn ihr hastig über und band den Gürtel zu. Ehe Suzanna protestieren konnte, kniete er schon zu ihren Füßen, legte wie selbstverständlich seine Hände auf ihre Waden, fuhr mit seinen Fingern weiter nach oben bis zu ihrer Kniekehle …

Ihr stockte der Atem, als sie seine warmen Hände auf ihrer nackten Haut spürte. Doch sie ließ ihn weiter gewähren. Irgendwie hatte sie das Gefühl, sich nicht bewegen zu können, selbst wenn sie es gewollt hätte.

Langsam glitten seine Hände hinauf zu ihrem Bikinihöschen und zogen es ihr über die Schenkel hinunter.

Ihr Herz schlug immer wilder. Seine Hände streiften sie nur wie ein Hauch, und doch weckten sie in ihr erstaunliche Empfindungen. Zum ersten Mal erlebte sie, welche erotische Macht bestimmte Berührungen besaßen.

Ob Pasquale bemerkt hatte, was seine körperliche Nähe in ihr auslöste? Allein der Gedanke daran war ihr schon peinlich. Womöglich war das aber der Grund, warum er sein Verhalten ihr gegenüber so plötzlich geändert hatte. Vor wenigen Sekunden war er noch besorgt gewesen. Jetzt gab er sich gewohnt schroff und sah sie an wie eine Fremde.

„Ab ins Bad mit dir.“ Stirnrunzelnd reichte er ihr das nasse Bikinihöschen. „Das legst du am besten auf die Handtuchheizung“, fügte er hinzu und wandte sich zur Tür. „Gebadet wird nicht länger als zwanzig Minuten“, mahnte er im Hinausgehen, aber seine Stimme klang freundlicher, und er lächelte sogar. „Auch keine Schäfchen zählen, sonst schläfst du noch ein!“

„Aye, aye, Sir!“ Suzanna grinste. Die Anspannung zwischen ihnen schien beendet.

„Möchtest du lieber einen Milchkaffee oder einen Espresso?“

„Einen Milchkaffee, bitte“, meinte sie und ging endlich ins Bad.

Sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, atmete sie tief durch. Dann knotete sie mit bebenden Fingern den Gürtel des Mantels auf und betrachtete sich aufgeregt im Spiegel. Ihre Haut war zart gerötet, ihre Augen glänzten seltsam fiebrig. Klopfenden Herzens fragte sie sich, was sie eigentlich erwartet hatte. Dass ein notorischer Herzensbrecher wie Pasquale sich von ihr ebenso beeindrucken ließ wie sie sich von ihm? Dass ein so erfahrener Mann sich bei der ersten Gelegenheit von einer unerfahrenen Schülerin bezirzen ließ?

Nie im Leben! Sie musste verrückt gewesen sein. Wie konnte ich dies auch nur einen Moment lang annehmen, dachte sie, legte beschämt den Bademantel ab und stieg in das duftende Wasser. Nachdem sich ihre Lebensgeister wieder erholt hatten, trocknete sie sich ab, zog frische Unterwäsche an und kehrte mit noch feuchten Haaren ins Zimmer zurück. Dann zog sie eine Jeans und ein leichtes Shirt über und machte sich auf die Suche nach Pasquale.

„Das hat gutgetan“, sagte Suzanna, als sie ihn in der Küche gefunden hatte. „Wäre das Wasser nicht kalt geworden, ich glaube, der Schlaf hätte mich …“

„Na, glücklicherweise nicht“, unterbrach er sie erleichtert. „Eine Rettungsaktion pro Tag reicht ja wohl, oder?“

Sie verdrehte lächelnd die Augen. „Keine Sorge, das wäre schon nicht passiert. Ich wollte doch so schnell wie möglich deinen Kaffee probieren!“ Sie lächelte keck. Verstohlen musterte sie Pasquale, während er gekonnt die heiße Milch aufschäumte. Es gefiel ihr, wie selbstverständlich er sich in der sonst vorwiegend vom Personal benutzten Küche bewegte. Irgendwie kam er ihr in der ungewohnten Umgebung menschlicher und sogar noch männlicher vor.

„Zucker?“

„Nein, danke.“ Als er ihr die Tasse reichte, berührten sich ihre Hände. Und da war es wieder, dieses heiße Prickeln …

Mach dich nicht lächerlich, schalt sie sich selbst. In dem sinnlosen Versuch, die verstörenden Gefühle zu vertreiben, wich sie einen Schritt zurück. Am liebsten wäre sie gar wie ein kleines Mädchen davongelaufen, doch sie gewann ihre Fassung wieder. „Du … hast mir das … Leben gerettet, Pasquale“, sprudelten die Worte aus ihr heraus. Dankbarkeit war wohl ein Gefühl, das sie zum Ausdruck bringen durfte. Damit machte sie sich jedenfalls nicht lächerlich. Auch wenn sie vielleicht etwas übertrieben hatte.

„Schon gut. Kein Problem.“ Als sie ihn unverwandt anhimmelte, umspielte ein Lächeln seine Lippen. „Es ist passiert. Aber jetzt ist es auch vorbei.“

Sie schluckte unwillkürlich. Sicher, das Erlebte lag hinter ihnen. Nur vergessen würde sie es niemals, das wusste sie genau. Denn hier ging es doch um mehr! Ihre aufkeimende Zuneigung für Pasquale … diese Empfindungen konnten nur eins bedeuten: dass sie sich … bis über beide Ohren in ihn verliebt hatte!

„Willst du dich nicht setzen?“ Es war mehr eine Aufforderung als eine Frage. Denn ohne ihre Antwort abzuwarten, zog er sie sanft zu einem Tresen, vor dem zwei Hocker standen. Immer noch wie in Trance, nahm sie Platz und trank einen Schluck.

„Dein Kaffee ist übrigens gut. Aber ihr Italiener seid ja berühmt dafür.“ Insgeheim verfluchte sie ihre Angewohnheit, die Haare nach dem Waschen an der Luft trocknen zu lassen. Mit gestylter Frisur und ein wenig Make-up hätte sie sich eindeutig attraktiver gefühlt.

„Sind wir das?“ Pasquale lachte, nippte am Espresso und ließ seinen Blick über ihren Körper gleiten. „Okay … wir können tatsächlich einen ganz anständigen Kaffee kochen, aber berühmt sind wir wohl vor allem wegen unserer Qualitäten als …“

Suzanna unterbrach ihn mit einem Räuspern. Vor Verlegenheit brannten ihr die Wangen. Natürlich wusste sie trotz ihrer Unerfahrenheit in diesen Dingen, was er meinte. Weltweit sehnten sich die Frauen ja nach einem Latin Lover. Wie würde er wohl reagieren, wenn sie auf seine Anspielung einginge? Eine Antwort blieb ihr erspart, weil eines der Fenster mit einem lauten Knall zuschlug.

„Der Wind“, reagierte Pasquale trocken, nachdem er sich vergewissert hatte, dass alles in Ordnung war. „Im Sommer kündigt er oft ein Gewitter an.“

„Wenn ich bei meiner Mutter bin, sitzen wir oft in der Küche und trinken Kaffee oder Tee“, meinte sie. „Und wie ist es bei euch?“

Pasquale wandte den Kopf ab, als wollte er die Empfindungen, die ihre Frage in ihm wachriefen, verdrängen. Zum ersten Mal hatte Suzanna in seinen Augen so etwas wie Schmerz entdecken können. Aber sie bemerkte auch, wie er dieses Gefühl entschlossen beiseiteschob.

„Wir sind keine richtige Familie. Meine leibliche Mutter ist tot. Vater hat zwar wieder geheiratet, aber diese Frau hat weder mir noch Francesca je die Mutter ersetzen können.

„Oh, ich wollte nicht …“, stotterte sie.

„Schon gut“, meinte er kurz. Scheinbar hatte er sich wieder in der Gewalt.

„Das mit eurer Mutter tut mir leid. Ich weiß, wie schmerzlich es ist, einen Elternteil zu verlieren. Vor zwei Jahren ist mein Vater gestorben.“

„Ja, Francesca hat es mir erzählt.“ Pasquale nickte. „Er starb bei einem Autounfall, oder?“

Suzanna schluckte. Bei jedem anderen hätte sie die Frage als zu persönlich empfunden. Zu Pasquale aber fühlte sie in diesem Moment eine tiefe Nähe.

„Vorhin, im Pool, als du geschrien hast“, sagte er und räusperte sich, „da hast du in Todesangst nach deinem Vater gerufen, oder?“

Im ersten Moment war sie sprachlos. „Wie … woher … weißt du das?“

„In Extremsituationen ruft man oft nach den Menschen, die einem am nächsten stehen. Das ist nur natürlich.“ Er lächelte aufmunternd. „Aber jetzt lass uns das Thema wechseln. Wenn du deinen Kaffee getrunken hast, würde ich dich gern zum Essen einladen. Das heißt, wenn du nichts dagegen hast?“

„Zum Essen? Jetzt?“ Ihr Puls raste. Mit dieser Frisur und ungeschminkt?

Pasquale grinste. „Ich gebe zu, der Wunsch ist nicht ganz uneigennützig. Erstens habe ich Hunger, und zweitens gehe ich, wie jeder italienische Mann, lieber mit einer schönen jungen Dame zum Essen als allein.“

Seine Einladung konnte Suzanna unmöglich ablehnen. Auch wenn es ihr nicht entgangen war, dass er ausdrücklich von einer jungen Dame gesprochen hatte. Egal. Sie würde mit ihm an einem Tisch sitzen, ihm in die Augen sehen und …

Kurz darauf fand sie sich in einem zauberhaften Restaurant wieder. In der Küche waren begnadete Köche am Werk und bereiteten ein exzellentes Mahl. Pasquale sprühte vor Charme und Witz, und mehrmals beneidete Suzanna ihn um seine Weltgewandtheit und wünschte, sich genauso ungezwungen benehmen zu können wie er. Der einzige Wermutstropfen bei der ganzen Sache war, dass er seine Gunst nicht ausschließlich für sie reserviert hatte. Mindestens drei ausgesprochen attraktive Frauen hatten ihn begrüßt, besitzergreifend ihre Hand auf seine Schulter gelegt und unverhohlen mit ihm geflirtet. War die Welt nicht ungerecht? Konnten diese Personen nicht hässliche Falten haben oder mit ihren lächerlich hohen Stilettos stolpern?

Es war schon nach drei, als sie zurückfuhren und Suzanna eine wohlige Wärme in sich spürte. Ob sie vielleicht auch am Nachmittag etwas gemeinsam unternehmen würden, wollte sie Pasquale gerade fragen, als er vor dem Haus hielt.

„Leider muss ich noch mal weg. Aber du kennst dich ja hier aus“, erklärte er, stieg aus und ging um den Wagen herum, um ihr die Tür aufzuhalten.

Suzanna versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. „Bist du zum Abendessen wieder da?“

„Sicher nicht. Aber Francesca wird bestimmt zurück sein von ihrer Patentante.“Als er sie verließ, fühlte Suzanna sich, als hätte man ihr den Wind aus den Segeln genommen. Und sie fürchtete, dass ihr der Tag noch lang werden würde.

Tatsächlich schien die Zeit kaum vergehen zu wollen. Zuerst versuchte sie, im Garten einen Brief an ihre Mutter zu schreiben, ging dann aber ins Haus, als ein böiger Wind aufkam und sie in der Ferne Donnergrollen hörte.

Allein in der großen Villa kam sie sich verloren vor und sehnte Francescas Rückkehr herbei. Als diese um sechs anrief, um ihr mitzuteilen, dass sie wegen des aufziehenden Unwetters lieber bei der Patentante übernachten wolle, sank Suzannas Stimmung vollends auf den Nullpunkt.

Da sie ihre eigene Lektüre bereits ausgelesen hatte, sah sie sich in der Bibliothek der Familie um. Bei der reichhaltigen Auswahl britischer und amerikanischer Literatur wurde sie schnell fündig, borgte sich ihrer Stimmung entsprechend einen romantischen Liebesroman und ging nach oben.

Draußen brauten sich immer mehr dunkle Wolken zusammen, und als unvermittelt ein Blitz ihr Zimmer erhellte, raste ihr Puls. Je heftiger der Sturm wurde, desto unruhiger wurde auch sie. Gemocht hatte sie Gewitter noch nie. Und in dieser fremden Umgebung, in der sie auf sich allein gestellt war, kam sie noch weniger damit zurecht. Instinktiv hielt sie sich bei jedem neuen Donnerkrachen die Ohren zu.

Um sich wenigstens etwas zu beruhigen, überprüfte sie, ob alle Fenster und Türen geschlossen waren, und verkroch sich mit ihrem Roman im Bett, als erster Regen gegen die Scheiben peitschte.

Gelang es ihr, ein paar Zeilen zu lesen, beruhigte sich ihr Herzschlag, doch nur um beim nächsten Donner wieder zu rasen. Am liebsten hätte sie sich wie ein kleines Mädchen unter der Bettdecke verkrochen.

Als nach einem Blitz auch noch sämtliche Lichter erloschen, war es um sie geschehen. Sie schrie vor Angst. Wie eine kalte Hand schien die Dunkelheit sie zu umklammern, und sie kam sich schrecklich verlassen vor.

Es ist bestimmt nur ein ganz gewöhnlicher Stromausfall, versuchte sie, sich zu beruhigen. So etwas kommt vor bei Gewittern. Doch als beim nächsten Windstoß ein Ast gegen die Scheibe krachte, verkroch sie sich unter der Decke.

Suzanna wusste nicht mehr, wie lange sie so gekauert hatte. Ein Donner nach dem anderen hatte das Haus erzittern lassen, bis irgendwann die Decke zurückgeschlagen wurde und Pasquale mit einer brennenden Kerze in der Hand vor ihr stand. Regentropfen glitzerten in seinem Haar, und er wirkte außer Atem.

„Alles in Ordnung mit dir?“ Seine Miene drückte echte Sorge aus. Trotz ihrer Angst wurde ihr warm ums Herz.

„Ich …“, stammelte sie, „glaube schon.“

„Wirklich?“

„Ja, doch.“ Zaghaft richtete sie sich auf.

Pasquale blickte immer noch zweifelnd. „Und Francesca?“

„Sie wollte wegen des heftigen Unwetters lieber bei der Tante übernachten.“

Pasquales Gesichtsausdruck entspannte sich etwas. „Du hast also Angst vor Gewittern“, sagte er leise. „Ich habe mich beeilt, so schnell ich konnte, weil ich das schon befürchtet hatte.“

„In England gibt es oft Unwetter. Eigentlich habe ich keine Angst“, schwindelte sie. In Pasquales Nähe wirkte alles weniger schrecklich. „Nur so eins habe ich noch nie erlebt.“

„Gut. Warte hier. Ich werde mal sehen, was mit der Sicherung ist.“

Er ging, und als er zurückkam, hatte er sich umgezogen und hielt einen Leuchter in der Hand. „Anscheinend ist das ganze Viertel ohne Strom. Es kann also noch dauern. Aber mit den Kerzen wird es ja auch schön hell.“

Und wahnsinnig romantisch, dachte Suzanna, während sie Pasquale verstohlen musterte. Sah er im flackernden Lichtschein nicht aus wie ein edler Ritter, der sein Burgfräulein aus großer Not rettet? Eine solche Ruhe und männliche Stärke gingen von ihm aus, dass sie glaubte, ihr könne nichts mehr passieren. Mochte auch draußen die Welt untergehen, solange er auf sie aufpasste, war sie sicher.

„Und jetzt versuch zu schlafen! Morgen früh sieht die Welt schon wieder anders aus.“ Müde rieb er sich die Augen und ließ ihr noch eine Kerze da, ehe er ihr Zimmer verließ.

Wie oft sie sich schon hin und her gewälzt hatte, wusste Suzanna eine Stunde später selbst nicht mehr. Draußen tobte das Gewitter immer noch, und innerlich war sie nicht weniger aufgewühlt. Seit Pasquale sie halb nackt aus dem Pool gerettet hatte, war einfach nichts mehr wie vorher.

Irgendwann schwang sie sich aus dem Bett, zog ihren Seidenkimono über und machte sich mit der brennenden Kerze auf den Weg in die Küche, um sich eine warme Milch mit Honig zu holen. An der Treppe wäre sie beinahe mit Pasquale zusammengestoßen, der nicht mehr am Leib trug als seine Pyjamahose.

„Was machst du hier?“, fragte er und fixierte sie. Irritiert von seinem forschenden Blick, fiel es ihr schwer, in ihrem fast durchsichtigen Seidenkimono ruhig zu bleiben. „Du solltest doch im Bett bleiben“, fügte er vorwurfsvoll hinzu.

Ihr Herz pochte wild. „Ich … konnte nicht schlafen.“ Hastig zog sie den Gürtel ihres Kimonos etwas fester.

„Eigentlich ist so ein Unwetter nicht schlimm“, bemerkte er, während der Sturm draußen eine Atempause machte. „Als ich noch ein kleiner Junge war, hat meine Mutter mir immer das Märchen von den Windgöttern vorgelesen, die bei Sturm besonders laut in die Hände klatschen. Und dann hatte ich keine Angst mehr.“

Suzanna schluckte und zog entsetzt den Kopf ein, als wieder ein Donnerschlag krachte.

Pasquale atmete tief durch. „Am besten, jeder von uns geht jetzt wieder brav in sein Bett.“

Suzanna starrte ihn panisch an. Konnte er nicht mit ihr kommen?

„Also gut, Suzanna Franklin, ich begleite dich jetzt auf dein Zimmer“, stieß er hervor, als hätte er ihr stummes Flehen verstanden. „Wenn wir beide noch etwas Schlaf finden wollen, müssen wir uns wohl irgendwie mit der Situation arrangieren.“

Als ihre Blicke sich trafen, nickte sie nur wortlos und folgte ihm. Die Entschlossenheit in seiner Stimme ließ sie endlich Ruhe finden. Pasquale war in ihrer Nähe, wachte an ihrem Bett, und … der Regen … prasselte … als Schlaflied gegen die Scheibe …

Als sie erwachte, stellte sie verlegen fest, dass Pasquale sie irgendwann in die Arme genommen haben musste. Dicht neben ihm lag sie, ihr Kopf ruhte auf seiner Schulter. Noch etwas schlaftrunken lauschte sie seinen Atemzügen und kuschelte sich ein wenig enger an ihn. Fest von ihm umschlungen, fühlte sie sich geborgen wie nie zuvor in ihrem Leben. Vorsichtig rutschte sie mit ihrem Kopf etwas tiefer, bis ihre Wange seine Brust berührte und sie die ruhigen Schläge seines Herzens hörte. Aus einem plötzlichen Impuls heraus folgte sie mit der Nase der Linie seiner Schulter und berührte mit ihren Lippen seinen Hals.

Er bemerkte ihr vorsichtiges Erkunden und lächelte noch halb im Schlaf. Dann streichelte er träumerisch mit der Hand ihre Taille, umfasste sanft ihre nur von der hauchfeinen Seide ihres Nachthemds bedeckte Brust und liebkoste sie.

Langsam, aber unaufhaltsam durchströmte ein unwiderstehlich süßes Gefühl der Lust ihren Körper.

Heiser stöhnend streifte er mit seinen Lippen ihren Hals und murmelte etwas in seiner Muttersprache, das sie zwar nicht verstand, das ihr aber unendlich romantisch erschien. Berauscht spürte sie, wie er langsam ihr Nachthemd aufknöpfte und den zarten Stoff behutsam auseinanderschob.

Als er mit einer Hand eine Brust umschloss und mit seinem Daumen immer wieder um die aufgerichtete Spitze kreiste, öffnete Suzanna mit einem Seufzer die Lippen, und er schob seine Zunge in ihren Mund. Instinktiv seinem sanften Druck nachgebend, erwiderte sie verzückt seinen Kuss.

Pasquale stöhnte auf und ließ seine Hand über ihre Brüste, ihre Taille immer weiter nach unten gleiten, und jede seiner Berührungen hinterließ eine Feuerspur auf ihrer Haut. Derart entrückt im süßen Rausch, schmolz sie ihm förmlich ent­gegen.

„Wie schön du bist“, stieß er heiser hervor. Seine Stimme klang aufreizend erotisch, als er Suzanna etwas in seiner Muttersprache ins Ohr raunte.

Er will mich! Er will mich jetzt!

„Pasquale“, keuchte sie, als er mit seinen tiefen Küssen innehielt. „Pasquale, Pasquale, liebe mich …“

Wie vom Donner gerührt, drehte er sich weg. „Dios!“, stieß er hervor. Jegliche Lust war aus seinem Blick gewichen.

„Pasquale, was ist?“

Er atmete scharf ein und presste seine Lippen zusammen.

Das Blut pochte in ihren Schläfen, und Suzanna blinzelte verwirrt. Stand etwa Wut in seinen Augen?

Sie öffnete den Mund, wollte etwas sagen, doch er kam ihr zuvor. „Unfassbar, dass ich auf all das hereingefallen bin.“ Verächtlich schüttelte er den Kopf. „Dein angebliches Ertrinken im Pool, deine Hilflosigkeit, deine Angst vor dem Gewitter … Das war doch alles ein abgekartetes Spiel!“

„Wie … wie kannst du das glauben?“

„Ihr jungen Mädchen tut wirklich alles, um einen reichen Erben ins Bett zu kriegen!“

Für Sekunden war Suzanna perplex. „Glaubst du etwa, ich hätte dir was vorgespielt?“ Ungläubig sah sie ihn an.

„Fast wäre ich auf dich reingefallen“, gestand er, während er sie weiter kalt musterte. „Wegen dir hätte ich beinahe den Kopf verloren, du kleine rothaarige Hexe.“ Unvermittelt ergriff er ihr Handgelenk. „Als du dich in deinem Nachthemd an mich geschmiegt hast, vorhin bei dem Gewitter … was hast du eigentlich gedacht, wie ich als Mann darauf reagiere?“

Vergeblich versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien. „Ich … hatte doch Angst.“

War das noch der Mann, in dessen Armen sie sich so geborgen gefühlt hatte? Der sie vor dem Ertrinken gerettet und beim Unwetter beschützt hatte?

„So, Angst hattest du also.“ Er zog die Brauen zusammen. „Auch als du mich auf den Hals geküsst hast?“

Ihre Wangen glühten vor Scham. „Ich … weiß nicht … ich dachte …“

„Schamlos ausgenutzt hast du die ganze Situation“, ereiferte er sich weiter. „Dabei bist du erst siebzehn!“ Kopfschüttelnd ließ er sie los und erhob sich. „Behaupte ja nicht, ich hätte dich verführt. Ich wette, du bist längst nicht mehr so unschuldig, wie du tust!“

Sie konnte es nicht fassen. Am liebsten hätte sie ihm eine geknallt. Doch hätte das etwas an seiner Meinung geändert? Selbst wenn sie ihm jetzt erzählte, dass sie noch Jungfrau war, würde er ihr nicht glauben. Und dass sie sich in ihn verliebt hatte, würde er bestimmt auch für eine Lüge halten.

Wie ein Jäger, der seine Beute belauerte, ging er um sie herum. „Und meiner Schwester habe ich erlaubt, mit dir befreundet zu sein. Sogar in den Ferien mit nach Hause bringen durfte sie dich.“ Wütend blitzte er sie an. „Kein Wunder, dass ihre schulischen Leistungen so nachgelassen haben. Wahrscheinlich schleppst du sie in eine Disco nach der anderen, und am nächsten Tag seid ihr zu müde zum Lernen! Stimmt doch, oder?“

Suzanna schluckte, den Tränen nahe. Kein Wort bekam sie heraus. Sie wusste einfach nicht, was sie sagen sollte. Was fiel ihm eigentlich ein, hier den Tugendwächter zu spielen? Francesca hatte recht gehabt, sie vor ihm zu warnen.

Gequält schloss sie die Augen. Wenn sie daran dachte, wozu sie vor Kurzem noch bereit gewesen war, trieb es ihr die Schamesröte ins Gesicht. Jetzt konnte sie nicht mehr glauben, dass sie fast …

„Keine Antwort ist auch eine Antwort“, bemerkte er kühl. „Und es beweist mir einmal mehr, dass ich recht habe.“

Suzanna biss sich auf die Lippe und hob trotzig das Kinn, als er unvermittelt erneut ihr Handgelenk umfasste und sie grimmig anblickte. „Hör mir zu, hör mir gut zu“, raunte er gefährlich sanft, „du packst jetzt sofort deine Sachen, und morgen früh verlässt du das Haus. Ich will dich hier nicht mehr sehen. Nie wieder!“

Wie Ohrfeigen schmerzten seine Worte. „Aber … ich …“, begann sie stockend.

„Es ist alles gesagt!“, fiel er ihr barsch ins Wort und erhob sich. „Morgen früh bist du verschwunden. Unser Chauffeur wird dich zum Flughafen bringen. Ich werde dir gleich einen Platz in der ersten Maschine buchen. Und dann fährst du direkt zu deiner Mutter. Sie ist doch zu Hause, oder?“

„Ja“, sagte sie leise. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. „Aber sie rechnet nicht mit mir.“

Für einen Moment schien er irritiert. Forschend betrachtete er sie. „Überlass das mir“, sagte er dann schroff, „mir wird schon was einfallen.“

Stumm blickte sie ihn an. Wollte er sie wirklich einfach so aus dem Haus werfen?

„Und untersteh dich, je wieder Kontakt zu meiner Schwester aufzunehmen!“, wütete er. „Die Familie Caliandro ist für dich gestorben. Ist das klar?“

Halb ungläubig, halb entrüstet schüttelte sie den Kopf. „Was habe ich eigentlich verbrochen? Du warst es doch, der sich zu mir ins Bett gelegt hat, während ich schlief!“ Energisch straffte sie die Schultern. Ihr Widerstand war erwacht. „Wenn hier überhaupt jemanden eine Schuld trifft, dann ja wohl dich! Du hast angefangen!“

„Und du hast mitgemacht. Ausgesprochen willig, wenn ich daran erinnern darf.“

Sie wurde rot, wich aber seinem durchdringenden Blick nicht aus. „Kannst du mir vielleicht erklären, warum du mich nicht abgewiesen hast, wenn die Vorstellung, mit mir zu schlafen, so dermaßen abschreckend für dich war?“

„In solch intimer Nähe von Frauen neigen Männer nun einmal dazu, ihren Verstand auszuschalten“, entgegnete er süffisant und sah sie mit einem undefinierbaren Ausdruck in den Augen an. „Und wenn ich dich noch mal erinnern darf: Ich habe dir Einhalt geboten.“

Stumm blickte sie ihn an und war so wütend über seine Arroganz, dass sie einen Hass in sich aufsteigen fühlte wie noch nie zuvor in ihrem Leben …