7. KAPITEL

Warum entspannst du dich nicht? Er ist doch weit weg in New York, und du hast Ruhe vor ihm.

Aus den Augen, aus dem Sinn. Das sagte sich so leicht. Aber die Wirklichkeit sah anders aus.

Suki seufzte. Gib es doch zu, du vermisst ihn.

Ansonsten lief alles seinen Gang. Sie hatte ihre Agentin beruhigt, ein paar neue Schuhe gekauft und zwei Shootings für Formidable absolviert. Doch leider hatte sie dabei ständig nach Pasquale Ausschau halten müssen. Aber der hatte sich nicht wieder blicken lassen.

Sobald sie auch nur an seine dunklen Augen dachte, brachte sie keinen Bissen herunter. Über nichts konnte sie mehr lachen, und das Malen klappte auch nicht.

Vier Tage war es jetzt her, dass sie ihn nicht mehr gesehen hatte. Und weil es ein sonniger Morgen war und Suki nicht wollte, dass ihr zu Hause die Decke auf den Kopf fiel, beschloss sie, etwas mit ihrem Neffen zu unternehmen. Ein Ausflug mit dem kleinen Toby würde sie vielleicht auf andere Gedanken bringen. Außerdem würde sich ihre Schwägerin sicher über einen kinderfreien Tag freuen. Deswegen wollte sie sie gleich anrufen und nachfragen. Da sie Kirstie telefonisch nicht erreichen konnte, probierte sie es direkt bei Piers im Büro.

„Ja, bitte?“, meldete sich eine vertraute tiefe Stimme, und vor Schreck hätte sie beinahe wieder aufgelegt.

Er ist zurück, dachte sie, und ihr Herz zog sich zusammen. Hätte er sich nicht bei mir melden können?

„Hallo? Wer ist da?“, hakte er ungeduldig nach.

„Hi“, brachte Suki schließlich heraus. Es wäre ja auch kindisch gewesen, sich nicht zu melden.

„Suki?“, fragte er prompt.

„Ja, ich bin’s. Ist Piers da?“

„Ist er.“

Als er nichts mehr sagte, fragte sie nach kurzem Warten: „Könnte ich mit ihm sprechen?“

„Einen Moment, er kommt gleich. Und wie geht es dir?“

Sie zögerte. War er in puncto Frauen in New York nicht auf seine Kosten gekommen? Oder galt sein Interesse tatsächlich ihr? Weil sie unsicher war, fiel ihre Antwort reichlich verkrampft aus. „Mir geht es gut. Und dir?“

Er lachte, als amüsiere ihn ihre Förmlichkeit. „Ich bin total müde. Der Termin war schon anstrengend.“ Und dann fragte er mit seinem erotischen Unterton: „Hast du mich wenigstens ein bisschen vermisst?“

Eingebildeter Kerl! Jetzt konnte er auch noch Gedanken lesen. Was sollte sie tun? Bejahte sie seine Frage, würde er noch überheblicher. Aber was er konnte, das konnte sie auch! Und deshalb konterte sie kühl: „Und wie. So einer wie du hat mir noch gefehlt.“

Er lachte amüsiert, gab keinen Kommentar, bemerkte dann unvermittelt: „Deine Shootings für Formidable sollen ja ganz gut gelaufen sein. Wenigstens hat Stacey mir das so berichtet.“

„Ja, man war zufrieden mit mir.“

Und jetzt fragte er: „Gehst du heute Abend mit mir essen?“

Sie hätte eigentlich sofort ablehnen müssen, doch seine tiefe Stimme und dazu diese erregenden Schwingungen …

Werd wieder klar im Kopf, Suki!

„Nein, ich habe keine Zeit“, lehnte sie ab und war froh, jetzt nicht in seine Augen blicken zu müssen.

„Und wann würde es Madame passen?“, hakte er nach.

„Gar nicht. Ich bin zu beschäftigt.“

„So beschäftigt, dass du dich mit mir nicht beschäftigen kannst, oder wie?“, höhnte er beleidigt.

„Du hältst dich wohl für unwiderstehlich, was?“, fauchte sie.

„Ehrlich gesagt …“

„Ach, geschenkt“, fiel sie ihm frostig ins Wort, „mach doch, was du willst. Es interessiert mich nicht.“

„Ach, wirklich nicht?“

„Nein! Und außerdem habe ich tatsächlich ein Date, das ich nicht absagen will“, entgegnete sie ihm schneidend.

„Na dann“, gab er sich geschlagen, „muss ich mich wohl oder übel gedulden.“

„Wieso bist du eigentlich so überzeugt, dass sich dein Warten lohnt?“, provozierte sie ihn. „Ich habe dir diesbezüglich doch gar keine Hoffnungen gemacht.“

„Nein, das nicht.“ Er zog scharf die Luft ein. „Doch das reizt mich umso mehr. Ich liebe solche Herausforderungen, wie du weißt.“

„Okay, dann warte“, gab sie sich geschlagen, „aber wenn du nichts dagegen hast, könntest du mir vielleicht trotzdem meinen Bruder ans Telefon holen.“

Er lachte. „Klar. Wir sehen uns ja morgen im Granchester.“ Dann hielt er kurz inne und fügte provozierend leise hinzu: „Viel Spaß übrigens noch bei deinem Date, und jetzt gebe ich dir Piers.“

Suki hörte, wie Pasquale das Telefon überreichte, und dann hatte sie ihren Bruder am Apparat. Er jammerte gleich gestresst über die neue Situation, aber versprach auch, sich anzustrengen. Und er schien überzeugt, es mit Pasquale an seiner Seite schaffen zu können. Obwohl der von ihm verlangte, schon um acht Uhr morgens im Büro zu sein. Irgendwann schaffte es Suki dann doch, seinen Redeschwall zu stoppen und ihn zu fragen. „Weißt du eigentlich, wo Kirstie ist? Ich habe versucht, sie zu erreichen, aber …“

„Sie ist mit Toby beim Arzt“, fiel Piers ihr ins Wort.

„Oh, was hat er denn?“, erkundigte sich Suki besorgt.

„Nichts, ihm geht es gut. Es ist nur eine Vorsorgeuntersuchung. Sie wollten eigentlich gegen elf Uhr wieder zu Hause sein. Aber warum fragst du?“

„Ich würde gern mal wieder in den Zoo. Und ich dachte, ich könnte Toby mitnehmen. Meinst du, Kirstie hat etwas dagegen?“

„Bestimmt nicht! Sie wird sich freuen, alleine shoppen gehen zu können. Und Toby erst! Du hast ihn schon lange nicht mehr besucht. Er hat schon gesagt, dass er dich vermisst“, sagte er und imitierte zu Sukis Belustigung die Stimme seines Sohnes.

„Ich ihn auch“, antwortete sie lachend. „Euer Sohn ist ja wirklich ein Süßer.“

„Na, du bist als Tante auch nicht schlecht“, lobte er sie. „Wenn du magst, kannst du ihm heute noch einen besonderen Wunsch erfüllen. Du weißt ja, wir machen viele Ausflüge mit dem Auto. Aber neulich hat er so einen Doppeldeckerbus entdeckt. Und seitdem will er da unbedingt mal mitfahren. Es hält sogar einer in unserer Straße und fährt zum Zoo.“

Suki lag das Ja schon auf der Zunge, als sie hörte, wie Piers die Sprechmuschel mit der Handfläche abdeckte und leise etwas sagte, das sie nicht verstehen konnte.

„Was?“, fragte sie irritiert.

„Ach nichts. Signor Caliandro steht gerade wieder neben mir und hört mit. Offenbar ist er auch noch nie mit einem Doppeldecker gefahren.“

Sie schluckte. Was war denn jetzt schon wieder mit ihr los? War sie etwa eifersüchtig, weil Pasquale und Piers …? Verdammt, dachte sie wütend und verabschiedete sich schnell von ihrem Bruder. Alles Wichtige war sowieso gesagt.

Kurz vor zwölf erreichte Suki die schicke Wohngegend von Primrose Hill, und nur wenig später stand sie schon vor dem Haus in der hübschen Straße mit den vielen großen Bäumen, in der ihr Bruder mit seiner Familie wohnte, und klingelte.

„Bus fahr’n! Bus fahr’n!“ Toby war zuerst an der Tür. Er platzte fast vor Vorfreude, seit seine Eltern ihm vom Besuch der Tante und dem geplanten Ausflug erzählt hatten.

„Na, du kleiner Racker! Kannst du es mal wieder nicht abwarten?“, empfing Suki ihren Neffen strahlend und hob ihn gleich hoch. „Willst du denn auch zu den Löwen?“

„Ja! Zu den Löwen!“ Toby hüpfte ganz aufgeregt. „Und zu den Eisbären?“

„Klar gehen wir da hin. Und zu den Tigern und Elefanten.“

„Und zu den Slangen?“, fragte er kindlich gespannt.

Suki ekelte sich zwar ein bisschen vor Reptilien, aber natürlich würde sie mit ihrem Neffen auch ins Schlangenhaus gehen. Dann sagte sie zu Kirstie: „Piers konnte als kleiner Junge das sch auch nicht aussprechen. Toby wird ihm jeden Tag ähnlicher!“

„Findest du? Piers behauptet, Toby hätte meine Nase“, meinte Kirstie lachend.

„Hm.“ Suki kniff die Augen zusammen. „Irgendwie ist es doch schön, sich selbst in seinen Kindern wiederzusehen. Fast, als würde ein Teil von uns in ihnen weiterleben.“ Ihre Stimme klang leicht belegt.

Kirstie merkte überrascht auf. „Na, das klingt ja fast, als wolltest du auch … Oder ist es etwa bereits so weit?“

Suki rang sich ein Lächeln ab und zwang sich, in diesem Zusammenhang nicht schon wieder an Pasquale zu denken. „Ach, Kirstie, das hätte ich euch doch schon längst erzählt! Nein, nein. Es ist nichts unterwegs und auch nichts geplant.“ Dann zog sie ihren Neffen in ihre Arme und sagte: „Aber solange es nicht so weit ist, kann ich ja schon mal ein bisschen an Toby üben.“

Kirstie schmunzelte. „Na gut. Hier ist die Wickeltasche mit Windeln. Das ist sein aktuelles Lieblingsbilderbuch, und die Trinkflasche musst du auch mitnehmen. Am besten, ich pack dir alles in den Buggy. Toby läuft zwar schon ganz gerne, aber wenn er müde ist, will er geschoben werden.“

Kurz darauf stand Suki in der Warteschlange vor dem Eingang des Zoos. Toby erkundete neugierig den Vorplatz. Seit sie aus dem Doppeldecker ausgestiegen waren, hatte ihr unternehmungslustiger Neffe es vorgezogen zu laufen und Suki nur den leeren Buggy nebenhergeschoben.

Aufmerksam ließ sie ihren Blick immer wieder über den Platz schweifen, um sich zu vergewissern, dass sich Toby noch in ihrer Nähe befand. Doch auf einmal stutzte sie. Im ersten Moment dachte sie, sie hätte sich getäuscht. Denn der hochgewachsene Mann, der auf der anderen Seite des Platzes stand und zu ihr hinüberschaute, sah einer bestimmten Person sehr ähnlich.

Ganz weich wurden ihre Knie, als er jetzt direkt auf sie zukam. Ein weißes T-Shirt betonte seinen unverschämt gut gebauten Oberkörper. Eine schwarze Jeans spannte sich eng um seine schlanken Hüften und durchtrainierten Oberschenkel.

Wenige Meter bevor er Suki erreichte, hielt er kurz inne. Ihre Hoffnung, dass er es vielleicht doch nicht war, zerplatzte. Bleib ruhig, du siehst ihn schließlich nicht zum ersten Mal, mahnte sie sich.

Doch irgendwie stand sie unter Schock wegen dieser unerwarteten Begegnung. Sie sah nur noch ihn in seiner ungewohnt lässigen Kleidung und mit einem plötzlich so verwegenen Grinsen im Gesicht, dass ihr ein Schauer über den Rücken lief … Genau wie vor vier Tagen, als sie sich zum letzten Mal gesehen hatten.

„Hallo“, begrüßte er sie mit seiner dunklen Stimme.

Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Ihre Kehle wurde trocken, und sie atmete flacher, während ihr Puls raste und flammendes Rot in ihre Wangen schoss.

Offenbar amüsierte ihn ihre Verlegenheit, denn die Lachfältchen um seine Augen vertieften sich. „Ich habe noch keine Frau getroffen, die so leicht rot wird wie du. Und du siehst damit bezaubernd aus, weißt du das?“

„Das … passiert mir immer, wenn ich wütend bin“, stammelte sie.

„Tatsächlich?“ Seine Stimme klang unverändert amüsiert. Und jetzt wurde Suki wirklich wütend.

„Bilde dir ja nichts ein! Es hat nichts mit dir zu tun!“, fauchte sie.

„Was soll ich mir denn einbilden?“ Seine Stimme wurde wieder sanft. „Dass du mich vermisst … jede Nacht wach gelegen hast, weil du an mich denken musstest?“

Suki starrte ihn mit offenem Mund an, brachte aber kein Wort heraus. Er hat ja recht, dachte sie fluchend. Zur Hölle mit ihm, er hatte schon wieder recht! Was nützt es, wenn ich jetzt versuche, ihm zu widersprechen, überlegte sie, als sie plötzlich eine Kinderhand in der ihren spürte.

„Der Mann, der bei Daddy war“, rief Toby aufgeregt. Und dabei zeigte er mit einem Finger immer wieder auf Pasquale.

„Du hast recht, das bin ich“, wandte er sich ganz ernsthaft an Toby und ging in die Hocke, um auf Augenhöhe mit dem Jungen zu sprechen. „Und macht deine Eisenbahn wieder Schsch?“

„Jaa! Schsch!“ Toby strahlte über das ganze Gesicht. Pasquale hatte täuschend echt das Geräusch seiner Dampfeisenbahn nachgeahmt. „Was machst du hier?“

„Dein Vater hat mir erzählt, dass du in den Zoo willst. Und ich wollte dich fragen, ob ich vielleicht mitkommen darf. Was meinst du?“

„Ja! Du darfst mit“, meinte Toby und nickte ernsthaft.

Pasquale erhob sich wieder, und Suki konnte nicht fassen, was er da gerade einfach so abgemacht hatte, ohne sie zu fragen.

„Findest du das fair? Den Jungen zu benutzen, um dich mit mir zu treffen?“

„Ich weiß gar nicht, was du hast.“ Er zuckte die Achseln und grinste frech. „Piers hat dir doch gesagt, dass ich noch nie mit einem Doppeldecker gefahren bin. Da kann ich doch wohl vorher noch mit euch in den Zoo.“

„Pasquale, zum letzen Mal: Ich will das nicht. Und das werde ich nicht wiederholen!“

„Brauchst du ja auch gar nicht.“ Er nahm ihr sanft den Buggy aus der Hand und fuhr ihn vor das Kassenhäuschen, denn sie waren jetzt an der Reihe. „Kommt, ihr beiden, es geht los!“

Im Zoo wollte Toby zuerst auf einem Esel reiten und dann auf einem hölzernen Karussellpferd fahren. Später aßen sie alle einen Hamburger, halfen den Pflegern, die Seelöwen mit Fischen zu füttern, und bestaunten die Raubkatzen in ihrer neuen Anlage. Nur ins Schlangenhaus kam Suki dann doch lieber nicht mit. Aber es machte ihr auch nichts aus, dass Pasquale sie deswegen neckte. Es schien plötzlich überhaupt nicht mehr wichtig zu sein. Seltsam, sie genoss den Ausflug sogar.

Zum ersten Mal, seit sie Pasquale kannte, erlebte Suki ihn gelöst und heiter. Immer ertappte sie sich dabei, wie sie ihn heimlich beobachtete.

„Krieg ich ein Eis?“, fragte Toby jetzt. „Das blaue da.“ Er zeigte darauf, und Pasquale nickte.

„Sag jetzt nicht, du kannst ihm auch noch die Windeln wechseln“, rief Suki ihm scherzhaft zu.

„Du wirst lachen, aber ich würde es machen.“ Er grinste.

Sie schluckte und wandte schnell den Kopf ab. Er durfte nicht sehen, was in ihr vorging. Und so konzentrierte sie sich auf die verschiedenen Eissorten, die zum Teil ebenso exotische Farben hatten wie die Papageien im Vogelhaus. Schließlich stellte sie die Frage, die ihr auf der Zunge brannte.

„Wieso kannst du eigentlich so gut mit Kindern umgehen? Es scheint fast so, als hättest du schon selber welche?“

Seine erste Antwort war ein Stirnrunzeln. Dann sagte er: „Wenn ich Kinder hätte, wäre ich auch verheiratet. Für mich gehört das irgendwie zusammen. Aber weder das eine noch das andere trifft derzeit auf mich zu.“ Er hielt inne, bedeutete Toby mit einem Kopfschütteln, dass er nicht von seiner Eiscreme probieren wollte, und fügte hinzu: „Doch ich habe eine Nichte. Francescas Tochter Claudia ist ungefähr so alt wie Toby.“

„Francesca hat eine Tochter?“ Suki schluckte.

„Was ist daran so ungewöhnlich?“, fragte er und zog eine Augenbraue hoch.

„Hattest du nicht gesagt, sie hätte Karriere als Anwältin gemacht?“

„Ja, na und? Deswegen muss sie ja nicht auf ein Kind verzichten.“ Müde hob er die Schultern. „Aber ich finde, sie hätte etwas mehr berücksichtigen sollen, dass ihr Job sich wenig dazu eignet, so nebenbei auch noch Kinder zu erziehen. Gleich nach der Geburt wollte sie schon wieder voll arbeiten. Und deshalb hat Claudia, seit sie auf der Welt ist, mindestens zwanzig verschiedene Kinderfrauen gehabt.“

„Du vertrittst also die These, dass Frauen ihren Beruf aufgeben sollten, wenn sie Kinder kriegen“, hielt sie dagegen.

„So absolut würde ich es nicht sagen. Natürlich gibt es einige, die schaffen es, beides so zu vereinen, dass keiner zu kurz kommt.“

Suki zog ironisch eine Augenbraue hoch. „Du meinst die Superweiber?“

Pasquale schüttelte den Kopf. „Ich behaupte ja nicht, dass es leicht wäre. Es ist nur … ich finde, dass Eltern ihre Kinder nicht einfach so abgeben können wie einen Gegenstand, der ihnen lästig ist. Auch wenn es altmodisch klingt, aber ich denke, dass wenigstens ein Elternteil für die Kinder zu Hause bleiben sollte.“

„Meinst du damit die Mutter?“

„Eigentlich ja.“

Wie sollte sie ihm widersprechen, wenn sie sich bei dieser Frage selber in der Zwickmühle befand? Gefühlsmäßig hatte er nicht ganz unrecht. Andererseits waren berufstätige Frauen nicht automatisch Rabenmütter. Und Francesca erst recht nicht!

Sie räusperte sich und erwiderte: „Und nur weil die Frauen die Kinder kriegen, sollen sie ihren Beruf aufgeben, auch wenn er ihnen Spaß macht?“

Er betrachtete sie nachdenklich. „Man hat immer die Wahl. Außerdem könnten Frauen mit ihrer beruflichen Karriere auch warten.“

„Ich nicht“, erwiderte Suki. „Modelkarrieren jenseits der fünfzig sind eher selten.“

„Na gut. Du vielleicht nicht, aber andere …“

„Du kannst das gar nicht richtig beurteilen“, warf sie ein, „als Mann musst du diese Entscheidung ja nie treffen!“

Er stöhnte etwas unwirsch auf. „Vielleicht würde ich es ändern, wenn ich es könnte. Aber Tatsache ist doch, dass die Frauen die Kinder kriegen und nicht die Männer!“

„Dann gibt es für dich auch keine Gleichberechtigung?“

Er überlegte kurz, leckte dabei an einem Klecks Eis, der aus Tobys Hörnchen auf seine Hand getropft war, und sagte: „Männer und Frauen sind nun mal nicht gleich. Wenn man sie über einen Kamm schert, betreibt man Gleichmacherei und wird keinem von beiden gerecht.“

Suki antwortete nicht sofort. Nachdenklich holte sie erst ein Taschentuch aus ihrer Tasche, bückte sich und tupfte Toby überall dort ab, wo er sich mit Eis bekleckert hatte. Und dann stellte sie die Frage, die ihr schon die ganze Zeit auf dem Herzen lag: „Hast du eigentlich nur noch nicht geheiratet, weil du bisher keine Frau gefunden hast, die deine unzeitgemäß kritische Haltung zur Gleichberechtigung teilt?“

Die Abendsonne färbte den Himmel rot, und in Pasquales Augen trat ein Ausdruck, den Suki nicht deuten konnte.

„Ob ich es will oder nicht, ich verliebe mich immer in die Falschen – in den Typ Karrierefrau“, informierte er sie. Nach einer kurzen Pause ergänzte er: „Davon abgesehen, dass auch ich beruflich sehr eingespannt bin, war aber für mich bisher nicht die Richtige dabei.“

Um die Verlegenheitspause zu überbrücken, sah Suki nach, ob Toby sich nicht noch mehr bekleckert hatte. Pasquales letzte Worte machten ihr mehr zu schaffen, als sie sich eingestehen wollte. Zu eindeutig hatte er ihr zu verstehen gegeben, was er für sie empfand – gar nichts. Das musste sie sich immer wieder klarmachen, wenn sie die Situation im Griff behalten wollte.

Allmählich näherten sie sich dem Ausgang des Zoos. „Es ist spät geworden“, sagte sie ruhig. „Kirstie wird sich schon Sorgen machen.“

Gemeinsam traten sie dann auch den Rückweg an. Pasquale kaufte dem glücklichen Toby noch eine Tüte Pommes frites und bestand darauf, sie nach Hause zu begleiten. Als sie zu dritt vor der Tür standen, wurden sie von Kirstie schon sehnsüchtig erwartet.

„Piers hat mir am Telefon gesagt, dass Sie wohl mitkommen würden“, begrüßte sie Pasquale und lächelte ihn so hinreißend an, dass Suki fast gelacht hätte. Außerdem machte sie dabei solche Schmachtaugen, dass man sie für den schönsten Hundeblick hätte nominieren können.

Suki befürchtete, dass sie selbst wohl auch keinen geistreicheren Anblick bot. Dabei war Pasquale doch auch nur ein Mann, kein Wesen vom anderen Stern!

Gerade schenkte er ihr schon wieder ein solch einnehmendes Lächeln, dass sie schon fürchtete, ihr würden die Knie weich. Und so war es ihr ganz recht, als Toby sie bat, ihn zu baden. Wie anders hätte sie sonst Pasquales verstörender Präsenz entfliehen sollen?

Weil sie gleichzeitig hoffte, dass Pasquale bald gehen würde, beschloss sie, ihrem Neffen so viel Zeit wie nur möglich zu widmen. Und so wurde ausgiebig geplanscht, dann ging es ans Haarewaschen und Zähneputzen. Da Toby ohne Gutenachtgeschichte nicht einschlafen wollte, las sie ihm auch noch dreimal aus dem Dschungelbuch vor, bis sie seine ruhigen Atemzüge hörte. Leise verließ sie das Kinderzimmer.

Ihre Hoffnung, Pasquale heute nicht mehr wiedersehen zu müssen, erfüllte sich leider nicht. Wie selbstverständlich saß er in einem der mit geblümtem Chintz bezogenen Sessel, nippte an einem Glas Sherry und blätterte in einem Familienalbum, das Kirstie ihm voller Stolz überreicht hatte und das zu Sukis Entsetzen auch von ihr ein paar wenig gelungene Kinderfotos enthielt.

„Du eignest dich wirklich als Babysitterin, Suki. Den freien Nachmittag heute habe ich richtig genossen. Darauf sollten wir anstoßen, was meinst du?“, fragte Kirstie ihre Schwägerin. „Magst du auch einen Sherry?“

So saßen sie also doch noch zusammen, tranken Sherry und redeten über dies und das. Pasquale erwies sich als hervorragender Unterhalter und schien mit der Situation wieder einmal überhaupt keine Probleme zu haben. Das konnte Suki, die sich kaum an dem Gespräch beteiligte, von sich gerade nicht behaupten. Im Gegenteil – ihre Sinne befanden sich in Alarmstellung.

Ungemein lässig saß Pasquale ihr gegenüber. Unglaublich attraktiv versprühte er seinen männlichen Charme. Wie Bronze schimmerte sein Teint im Licht der Kerzen, die Kirstie angezündet hatte, und doppelt geheimnisvoll leuchteten seine dunklen Augen. Suki wünschte, sie könnte ihn einfach ignorieren. Aber das war unmöglich.

Als sie es schon fast nicht mehr aushielt und gehen wollte, war es überraschenderweise Pasquale, der sein leeres Glas zurück auf den Tisch stellte und sich erhob.

„Vielen Dank für alles“, sagte er höflich und nickte in Richtung Kirstie. „Für mich wird es Zeit. Ich würde mich gern verabschieden.“ Dann wandte er sich an Suki und fragte: „Kann ich dich noch irgendwohin mitnehmen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Ich möchte noch bleiben.“

„Na dann“, sagte er mit leisem Spott in den Augen, „ich hoffe nur, du kommst nicht zu spät zu deinem Date.“

Verflucht! Ihr Date! Dass ausgerechnet er sie daran erinnern musste! Dabei war es nur eine Ausrede gewesen, um sich vor einem Abendessen mit ihm zu drücken.

Ihre Verlegenheit kommentierte er mit einem süffisanten Grinsen.

„Sag jetzt nicht, du hättest deine Verabredung vergessen“, fragte er provokant.

„Nein“, behauptete sie, „natürlich nicht.“

Dann begleitete Kirstie ihren Gast noch hinaus und kehrte mit begeistert aufgerissenen Augen zurück. „Wow, was für ein Mann!“, schwärmte sie und ließ sich in einen Sessel fallen. „Also wenn ich meinen Piers nicht hätte, ich glaube, bei dem würde ich schwach.“ Sie seufzte verzückt. „Neulich hat er Toby, Piers und mich in dieses malerische Restaurant mit dem schönen Blick auf den Hyde Park eingeladen. Und die ganze Zeit hat er sich liebevoll um Toby gekümmert! Italienische Männer sollen ja allgemein kinderlieb sein, aber er war es besonders.“

Suki gab sich gelassen. „Er ist ganz nett, ja.“

Kirstie verdrehte die Augen. „Ganz nett?! Dieser Mann ist eine absolute Sahneschnitte!“ Sie zwinkerte Suki verschwörerisch zu. „Ich glaube, er ist sogar noch zu haben.“

„Kann sein.“ Suki gab sich desinteressiert.

Kirstie lehnte sich seufzend zurück und musterte ihre Schwägerin so forschend, dass Suki für einen kurzen Moment befürchtete, ihre Augen würden sie verraten.

„Und wie geht es sonst so?“, fragte sie stattdessen ablenkend.

Kirstie lächelte wissend. „Oh, sonst so ist er auch nicht schlecht“, griff sie Sukis Worte listig auf. „Sogar in der Firma hat dieser Caliandro schon wahre Wunder vollbracht. Piers ist wie ausgewechselt – stöhnt zwar ziemlich, hat jedoch irgendwie neues Selbstvertrauen gefasst. Und jetzt kommt er auch abends immer nach Hause und verschwindet nicht gleich wieder in der nächsten Bar.“ Sie lachte, wirkte glücklich und unbeschwert – fast wie ein junges Mädchen. „Aber sag mal, warst du nicht noch verabredet?“

Suki schüttelte nur stumm den Kopf.

„Hm, ich verstehe nicht, warum hast du dich dann nicht von ihm nach Hause bringen lassen?“

„Weil ich es nicht wollte.“

„Aber was hattest du denn dagegen?“

„Er ist einfach nicht mein Typ.“

„Gegen den ist doch George Clooney ein Mauerblümchen!“, ereiferte sich Kirstie. „Außerdem sind ihm fast die Augen ausgefallen, so hat er dich die ganze Zeit angestarrt! Ich sage dir, der ist …“

„Ist er nicht!“ Suki wandte den Blick ab. „Er will nur mit mir ins Bett.“

Kirstie verdrehte die Augen. „Und wenn schon! Die meisten Frauen würden ihre allerteuersten Schuhe schon für eine halbe Stunde mit diesem Mann hergeben.“

„Das ist es ja“, meinte Suki und seufzte. „Ich will nicht eine von vielen sein.“

Erst stutzte Kirstie, dann blitzte Verständnis in ihren Augen auf. „Mal im Vertrauen“, begann sie langsam und beugte sich vor, „da bahnt sich doch was an. Hier geht es um Mr und Mrs Right, oder?“

Ja, verdammt! Kirstie hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Auch wenn ich noch Schwierigkeiten habe, es mir einzugestehen. Einen Mann wie Pasquale hatte sie immer ersehnt. Der ihr einen Traum erfüllte …

Ganz in Weiß.

Suki konnte nur stumm nicken.

„Wieso bist du eigentlich so überzeugt, dass er das nicht auch will?“

„Er hat es mir doch selbst gesagt“, flüsterte Suki fast unhörbar. Pasquales Worte im Zoo waren eindeutig gewesen. Ins Gesicht hatte er ihr es gesagt, dass sie die Falsche für ihn war, und er die Frau fürs Leben noch nicht gefunden habe.

Irgendwie schaffte sie es trotzdem, sich von Kirstie zu verabschieden, ohne die Fassung zu verlieren. Unter anderen Umständen hätte sie vielleicht ihren Gefühlen freien Lauf gelassen. Aber nützte ihr das jetzt was? Schon morgen würde sie im Granchester wieder vor den Kameras stehen. Mit vom Weinen verquollenen Augen konnte sie unmöglich für ein strahlendes Make-up und frisches Aussehen werben!

Und nachdem sie beschlossen hatte, sich zu Hause ein volles Verwöhnprogramm zu gönnen, entspannte sie sich schon bald bei leiser Musik und brennenden Kerzen in einem wohlig duftenden Ölbad. Alle Pasquale Caliandros dieser Welt konnten ihr mal den Buckel herunterrutschen! Als Model hatte sie es doch gelernt, wie auf Knopfdruck ihre Stimmung zu wechseln: Schrei wütend! … Lache! … Sei sexy! … Schrei wütend! … Lache! …