2. KAPITEL

Entre col y col, lechuga

Abwechslung ist die Würze des Lebens

Seit Cam ihr diese Idee in den Kopf gesetzt hatte, dachte Liz über die Aufbesserung ihres Einkommens durch das Entwerfen von Websites nach. Ein Auftrag von einem so berühmten Menschen wie Cameron Fielding wäre sicherlich ein hervorragender Start für eine solche Karriere.

Doch wie sähe die Kehrseite aus? Musste sie sich dann mehr mit ihm abgeben, als ihr lieb war?

Als sie bei nächster Gelegenheit ihre E-Mails herunterlud, war seine Antwort dabei.

Liz,

in ein paar Tagen fliege ich in den Nahen Osten, um über die neuesten Anschläge zu berichten. Ich hoffe, dass ich in einer Woche wieder zurück bin. In der Zwischenzeit werde ich darüber nachdenken, was für eine Website ich brauche. Vielleicht schaffe ich es auch noch für einige Tage nach V. Dann können wir unsere Köpfe zusammenstecken und das Grundlegende diskutieren.

Bis dann, Cam

Der Ausdruck „unsere Köpfe zusammenstecken“ ließ eine Intimität erahnen, die Liz nicht geheuer war. Gleichzeitig wurde sie immer neugieriger darauf, ihn bei seiner Arbeit zu erleben.

Beatrice Maybury hatte keinen Fernseher besessen. Für sie war Fernsehen Zeitverschwendung gewesen. Liz hatte ihren in England gelassen. Einen neuen hatte sie sich nicht gekauft. Sie las lieber Bücher.

Ganz bestimmt wollte sie auch keinen der britischen Pensionäre fragen, ob sie eine der Nachrichtensendungen sehen könnte, für die Cam arbeitete. Das würde unweigerlich zu Klatsch führen: „Liz Harris hat eine Schwäche für den Herzensbrecher aus La Higuera. Wie lang wird es wohl dauern, bis er sie im Bett hat?“ Der Gedanke, Opfer von derartigen Spekulationen zu werden, ließ sie zurückschrecken.

In einer der nächsten schlaflosen Nächte fiel ihr ein, dass sein Fernsehsender bestimmt eine Seite im Internet hatte, auf der sie Informationen über den Auslandskorrespondenten Cameron Fielding finden würde.

Sie schlüpfte in ihre warmen Hausschuhe und den gesteppten Morgenmantel, ging in das Arbeitszimmer und war wenige Minuten später online. Nach einem Moment hatte sie die richtige Website gefunden und kurz darauf auch eine Liste mit den Namen der Nachrichtensprecher und Korrespondenten.

Als sie Cams Namen anklickte, gelangte sie zu einer Kurzbiografie und einem Foto von ihm. Der Blick auf sein Foto, von dem aus er sie ansah, hatte fast dieselbe Wirkung wie ihre Begegnung im Garten, als sie zum ersten Mal in seine grauen Augen geblickt hatte. Automatisch klickte sie auf die rechte Maustaste, mit der sie das Bild herunterladen konnte. Noch ehe sie sich’s versah, hatte sie das Bild in dem Ordner „Eigene Dateien“ abgespeichert. Dort würde es so lange bleiben, bis sie sich entscheiden würde, es wieder zu löschen.

Die Biografie neben dem Bild lautete:

Cameron Fielding ist wohl der bekannteste unter den international renommierten Auslandskorrespondenten, der im Fernsehen über die Weltnachrichten berichtet.

In einer fast zwanzigjährigen Karriere hat Fielding für BBC, CNN, ITN und Sky News gearbeitet. Seine Reportagen haben weltweit Anerkennung gefunden und sind mit vielen Preisen bedacht worden, darunter der Amnesty International Press Award, die Auszeichnung zum Reporter des Jahres vom New Yorker Radio und Fernsehfestival und der James Cameron Award für Kriegsreportagen. Darüber hinaus ist er mit dem renommierten Emmy Award ausgezeichnet worden, der von der American National Academy of Television Arts & Sciences vergeben wird.

Darunter fand sich ein kurzes Interview mit ihm.

Wo sind Sie aufgewachsen?

„Überall. Der Beruf meines Vaters brachte es mit sich, dass wir häufig umziehen mussten. Ich habe einen britischen Pass, geboren wurde ich allerdings in Hongkong. Meine Jugend habe ich in Tokio, Rom, Madrid und Washington verbracht. Ich bin also ein Weltbürger.“

Wer war Ihr erster Auftraggeber?

„Nach meinem Studium der Modernen Geschichte bin ich bei der Auslandsabteilung der BBC gelandet.“

Was war das beeindruckendste Erlebnis, über das Sie berichtet haben?

„Da gibt es mehrere: Die Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989, Bagdad und der Golfkrieg 1991, die Aufstände in Soweto 1996. Und natürlich der 11. September 2001 in New York. Es wird jedes Jahr schlimmer. Die Aufgabe der Medien, neutral über die Ereignisse zu berichten, wird immer schwieriger.“

Was sind Ihre Stärken, was Ihre Schwächen?

„Meine Schwäche: Ich bin ungeduldig, vor allem wenn es um Bürokratie geht. Meine Stärke: wahrscheinlich meine Toleranz.“

Wenn Zeitreisen möglich wären, welche Epoche würden Sie besuchen?

„Ich wäre gern Expeditionsreporter auf der Santa Maria von Christoph Columbus, als er die Neue Welt entdeckte.“

Was begeistert, was ärgert Sie?

„Das World Wide Web begeistert mich. Ich glaube, dass das Internet das Leben aller Menschen verbessern kann. Selbstzufriedene und egoistische Politiker ärgern mich.“

Als sie dieses Interview noch einmal las, musste Liz sich eingestehen, dass sie von ihm beeindruckt gewesen wäre, wenn sie nichts über sein Privatleben gewusst hätte.

Seine Kindheit schien wesentlich aufregender gewesen zu sein als ihre. Sie hatte immer reisen wollen, aber ihre besitzergreifende Mutter, Geldmangel und ihre Liebe zu Duncan hatten sie davon abgehalten, die Welt zu erkunden. Jetzt war ihre Reiselust abgeklungen. Und wie ihre Großmutter ihr oft gesagt hatte: „Die Gelegenheit kommt nur einmal.“

Liz stellte den Computer ab und ging wieder ins Bett. Nachdem sie das Licht ausgeschaltet hatte, dachte sie noch eine Weile an ihre Großmutter. Diese hatte versucht, ihr die frühe Hochzeit auszureden. „Du bist noch viel zu jung“, hatte sie gesagt. „Dir fehlt die Lebenserfahrung … und die Erfahrung mit Männern. Auch andere Frauen haben nette Söhne.“

Da die Ehe ihrer Großmutter gescheitert war, hatte Liz nicht auf ihren Rat gehört.

Der letzte Gedanke vor dem Einschlafen galt allerdings nicht ihrer Großmutter, sondern dem Mann, dessen Foto in ihrem Computer gespeichert war.

Einige Tage vor seiner nächsten Ankunft gab Cam per E-Mail die Anweisung, dass Alicia das Zimmer über der Garage herrichten sollte. Dies beschäftigte Liz so sehr, dass sie schließlich bei ihrem nächsten Besuch in La Higuera zum ersten Mal in den ersten Stock ging. Das Schlafzimmer, in dem er Fiona geküsst hatte, war ein komfortables Gästezimmer, während er den Raum über der Garage selbst nutzte.

Beim Eintreten fiel ihr ein Porträt auf, das zwischen den beiden Fenstern hing. Es zeigte einen alten Mann in Uniform. Seine Frisur war viktorianisch, doch sonst hätte es sich auch um einen verkleideten Cam handeln können. Am unteren Teil des vergoldeten Rahmens war eine kleine Inschrift angebracht. Liz musste dicht an das Bild herantreten, um sie entziffern zu können. „Hauptmann Nugent Fielding, 1. Infanterie Bombay“. Der Hauptmann war zweifellos Cams Vorfahre.

Im ganzen Zimmer waren Familienfotos und persönliche Gegenstände verteilt. Interessant, dass er hier schlief, wenn er allein war, allerdings das Gästezimmer benutzte, sobald er eine Freundin mitbrachte! Was würde ein Psychologe wohl dazu sagen? fragte sie sich. Dass keine Frau seine Privaträume betreten durfte? Dass er Frauen nur als Sexobjekte betrachtete und sie daher wie Küchengeräte und Gartenwerkzeug in bestimmte Räume gehörten, aber nicht hierher?

Um Viertel vor eins wollte Liz gerade das Obst waschen, das sie zu Mittag essen wollte, als das Telefon klingelte.

„Hallo?“

„Hier ist Cam. Ich bin gerade angekommen. Hast du heute Mittag schon was vor?“

„Nein, aber …“

„Dann gehen wir jetzt Mittag essen. Wir haben viel zu besprechen. Ich hole dich in zehn Minuten ab, okay?“

Cam wartete ihre Antwort nicht ab und legte auf.

Liz eilte nach oben. Sie zog ihre bequemen Sachen aus und eine grauweiß gestreifte Seidenbluse und eine graue Gabardinehose an. Dann schlüpfte sie in ihre Wildlederslipper. Sie steckte ihre goldenen Lieblingsohrringe an, schminkte sich dezent und bürstete ihr Haar, bevor sie es zusammenband.

Als sie fertig war, hatte sie noch einige Minuten Zeit. Was tue ich hier eigentlich? überlegte sie. So viel Aufwand für einen Mann, den ich nicht mal mag?

Es blieb ihr keine Zeit, über die Antwort nachzudenken, denn ihr fiel ein, dass es in spanischen Restaurants gegen Ende des Sommers immer etwas kühl sein konnte. Deshalb lief sie noch einmal die Treppe hoch, um ihr rotes Umhangtuch zu holen.

Während sie wieder hinunterging, klopfte es an der Tür. Eigentlich hatte sie erwartet, dass Cam vor dem Haus kurz hupen würde. Als sie hinaustrat, hielt er ihr bereits die Wagentür auf. Schnell schloss sie ab und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Zweifellos gehören tadellose Manieren zu den Waffen eines Herzensbrechers, dachte sie, als er sich bückte, den Sicherheitsgurt hervorzog und ihn ihr reichte.

„Danke.“ Liz versuchte, sich an vergangene Situationen zu erinnern, in denen ein Mann sie mit all diesen kleinen Aufmerksamkeiten bedacht hatte, aber sie konnte sich nicht entsinnen, so etwas schon einmal erlebt zu haben.

„Also, was gibt es Neues in Valdecarrasca?“, erkundigte er sich, als er sich neben sie setzte und sich anschnallte.

„Nichts … soweit ich weiß. Wie war deine Reise?“

„Ich bin schon zu lange um die Welt gejettet, um von Gewaltausbrüchen zu berichten“, erklärte er und blickte in den Rückspiegel, bevor er losfuhr. „Es reizt mich nicht mehr. Es wird Zeit, dass ich mir etwas Neues suche.“

„Woran denkst du?“

„Ich würde gern ein zweiter Gerald Seymour werden.“

„Der Name sagt mir etwas.“

„Er war Kriegsberichterstatter. Jetzt schreibt er hervorragende Krimis.“

„Ach ja, ich weiß. Mein Mann mochte seine Bücher.“ Duncan war nicht gerade ein Bücherwurm gewesen, doch wenn sie verreist waren, hatte er am Flughafen oft einen dieser Krimis gekauft. Oftmals hatte er auf dem Rückflug noch darin gelesen.

„Leider habe ich nicht Seymours Fantasie“, fuhr Cam fort, „und Sachbuchautoren können leider nicht von ihrer Arbeit leben, obwohl es ein paar Ausnahmen gibt. Übrigens, das Haus sieht perfekt aus. Dein Verhältnis zu Alicia scheint blendend zu sein.“

„Mein Spanisch wird auch immer besser“, erzählte Liz. „Sie spricht zwar nach wie vor viel zu schnell, aber wir kommen zurecht. Außerdem kaufe ich jetzt immer die Samstagsausgabe von El Mundo. Ich brauche die ganze Woche, bis ich alles gelesen habe, aber mein spanischer Wortschatz wächst.“

„Im Regal in meinem Wohnzimmer stehen ein paar spanische Romane. Du kannst sie dir ausleihen, wenn du willst. Oder auch die anderen Bücher“, bot Cam ihr an.

„Das ist nett. Ich werde sorgfältig damit umgehen.“

„Davon bin ich überzeugt.“ Er lächelte ihr kurz zu. „Ich lasse nur wenige Menschen an meine Bibliothek.“

Die Andeutung, dass sie sich in Sachen Büchern ähnlich waren, lockte Liz ein wenig aus der Reserve. Nicht mehr lange, und sie würde ihm nicht mehr widerstehen können.

Die Fahrt zum Restaurant war kurz, und obwohl es für spanische Verhältnisse noch viel zu früh zum Mittagessen war, hatten schon zahlreiche Autos davor geparkt.

„Möchtest du lieber drinnen oder draußen essen?“, fragte Cam, als sie die Stufen zur Terrasse hinaufgingen.

„So einen schönen Tag sollte man ausnutzen.“ Liz hatte ihr Umhangtuch auf dem Rücksitz im Auto liegen gelassen.

„Das finde ich auch. Wie wäre es mit diesem Tisch?“ Er zeigte auf einen Tisch mit Blick auf die Berge.

Gerade zog Cam einen Stuhl für sie hervor, als der Besitzer des Lokals sie begrüßte. Offensichtlich kannte er ihn von früheren Besuchen, und sie unterhielten sich in schnellem Spanisch.

Dann lächelte der Besitzer Liz zu und überreichte ihr eine der beiden Speisekarten, die er bei sich trug.

„Wie wäre es mit einem Aperitif?“, fragte Cam. „Ein Glas vino blanco vielleicht?“

„Für mich lieber ein Mineralwasser.“ Sie wollte einen klaren Kopf behalten.

Er zog unmerklich eine Augenbraue hoch, versuchte allerdings nicht, sie umzustimmen.

Mit dem Mineralwasser kam auch ein Glas Weißwein für Cam, ein Korb mit frischem Brot und ein Schälchen mit alioli, Knoblauchmayonnaise, für das Brot.

Liz trank das kühle Wasser und betrachtete die Landschaft. Es war zweifellos netter, hier in der Sonne mit einem interessanten Begleiter zu sitzen, als allein zu Hause zu essen.

„Waren dein Vater und dein Großvater auch Journalisten?“, erkundigte sie sich, da sie sich an seine Erzählung erinnerte und an das, was sie im Internet über ihn gelesen hatte.

Die Frage schien ihn zu amüsieren. „Ganz und gar nicht. Und sie waren über meine Berufswahl nicht gerade begeistert. Ich sollte auch in den auswärtigen Dienst, aber das Schicksal hat anders entschieden. Glaubst du an Vorsehung?“

„Ich weiß nicht. Du?“

„Nein, ich glaube an den Zufall. Es war Zufall, dass ich mit der Familientradition brechen konnte. Das war in Addis Abeba … Es passierte während eines Urlaubs in meiner Collegezeit. Ich war in Äthiopien, als ein Munitionslager in die Luft flog und der Fernsehreporter getötet wurde. Der Kameramann und der Tontechniker standen auf einmal ohne Frontmann da. Ich überredete sie, dass ich für ihren toten Kollegen einspringen könnte. Anfängerglück eben. Die Reportagen, die wir drehten, waren so gut, dass ich gleich nach meinem Abschluss einen Job bekam. Wie hast du angefangen?“

„Als Mädchen für alles im Büro. Dann habe ich mich hochgearbeitet und wurde Redaktionsassistentin im Ressort Handarbeit. Handarbeit ist mein Hobby. Gute Projekte waren rar, und so wurden meine Ideen umgesetzt. Danach wurde ich zur Redakteurin für Handarbeiten befördert. Es wäre vielleicht noch weitergegangen. Aber nach … Es kam der Moment, als mir die zwei täglichen Redaktionssitzungen und das ganze Großstadtgetümmel auf die Nerven gingen. Ich hatte genug von dem nordeuropäischen Winter und dem unbeständigen Sommer.“

„Geht mir genauso. Ich verbringe lieber neun, zehn Monate hier und den Rest in London, New York oder dort, wo ich meine Kontakte pflegen muss. Das …“ Cam verstummte, als der Besitzer zurückkam und ihre Bestellung aufnehmen wollte. Als er ihm erklärte, dass sie sich noch nicht entschieden hätten, zuckte der Besitzer die Schultern und wandte sich neuen Gästen zu.

„Wir sollten uns entscheiden. Was nimmst du?“, fragte Cam.

„Ich nehme einen Salat als Vorspeise und dann das gegrillte Lamm.“

„Du trinkst doch etwas Wein dazu, oder?“

Liz nickte. „Ich liebe Wein. Aber leider vertrage ich ihn nicht so gut wie einige der Briten, die ich hier getroffen habe.“

„Oh, die bechernde Partygesellschaft.“ Er klang abfällig. „Die findet man überall, wo es große ausländische Gemeinden gibt. Die Leute teilen sich in zwei Gruppen. Die einen passen sich der fremden Kultur an, die anderen fühlen sich im Ausland nie ganz wohl. Hast du die ersten fremden Dauergäste von Valdecarrasca, die Drydens, schon getroffen?“

„Ich habe von ihnen gehört, sie aber noch nicht kennengelernt. Er ist Amerikaner, nicht?“

„Todd ist einer dieser kosmopolitischen Amerikaner, der mehr Zeit im Ausland als in den USA verbracht hat. Er war ein hohes Tier in der Ölindustrie, doch mit Mitte vierzig hatte er einen Herzinfarkt und hätte es fast nicht überlebt. Sie beschlossen, ihr Leben zu ändern, und sind nach Spanien gezogen. Leonora entdeckte hier ihre Begabung, heruntergekommene Fincas zu renovieren und sie in exquisite Residenzen für regengebeutelte Auswanderer zu verwandeln.“

„Sie wohnen in dem Haus neben der Kirche, oder?“

„Stimmt. Leonora hat es vor Jahren gekauft. Damals war alles noch günstiger, und das Hinterland war unbeliebt. Ich denke, dass sie dich zu ihrer nächsten Party einladen werden. So begrüßen sie alle Neuankömmlinge. Diejenigen, die den Test bestehen, werden wieder eingeladen. Die anderen nicht. Leonora erträgt keine Idioten und Langweiler.“

„Das hört sich ja sehr ermutigend an“, meinte Liz ironisch.

„Sie ist eine Macherin“, erklärte er. „Sie ist ungeduldig mit Menschen, die es nicht sind. Sie wird von deinem Mut beeindruckt sein, dass du ganz allein hergekommen bist.“

„Das war kein Mut. Das war Verzweiflung“, entgegnete sie betont locker. „Ich musste aus dem täglichen Trott heraus.“

Cam gab dem Restaurantbesitzer ein Zeichen, der sogleich die Bestellung aufnahm. Als er fragte, was sie trinken wollten, wandte Cam sich an sie.

„Möchtest du lieber Rot- oder Weißwein? Oder einen guten rosado?“

„Mir ist alles recht“, antwortete sie und wünschte sofort, sie hätte es nicht gesagt. Nicht, dass er diesen Spruch womöglich falsch verstand.

Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten, griff Cam ihre Bemerkung über den Alltagstrott auf. „Mir geht’s genauso. Ich weiß nicht, ob es eine wissenschaftliche Bestätigung für die Behauptung gibt, dass sich der menschliche Körper in Abständen von sieben Jahren verändert. Ich glaube jedenfalls, man sollte das eigene Leben alle zehn Jahre umkrempeln. Ich möchte meine vierziger nicht auf die gleiche Art verbringen wie meine zwanziger und dreißiger Jahre. Ich hatte viel Spaß, aber jetzt ist die Zeit reif für etwas Neues.“

Der Wein wurde gebracht. Als ihre Gläser gefüllt waren, dankte Cam dem jungen Ober und wandte sich wieder Liz zu. „Auf uns … die Aussteigerin und den Quasi-Aussteiger.“

Liz reagierte mit einem höflichen Lächeln auf diese unglückliche Formulierung.

Noch unglücklicher war sie jedoch über seinen zweiten Toast, den er ausbrachte, nachdem sie den Wein gekostet hatten. „Und auf dein neues Leben als Webdesignerin … mit mir als deinem ersten Kunden.“

Sie stellte das Glas ab. „Ich glaube, wir müssen noch einiges besprechen, bevor wir anstoßen können. Deshalb sind wir ja auch hier … ein Geschäftsessen sozusagen“, erinnerte sie ihn.

„Sicher, aber Geschäfte laufen besser, wenn man sie mit Vergnügen verbindet, oder? Ich finde es viel schöner, mit einer hübschen, eleganten Frau zu essen, als mit einem pickeligen Technikfreak, der zwar alles über Computer weiß, aber sonst keine Ahnung hat.“

Liz fand, dass es Zeit war, ihre Karten auf den Tisch zu legen. „Solange es eindeutig eine Geschäftsbeziehung ist. Du hast den Ruf, ein …“ Sie suchte nach einem möglichst höflichen Ausdruck. „… ein notorischer Frauenheld zu sein. In den letzten Jahren habe ich erlebt, dass viele Männer denken, eine Witwe wäre leichte Beute. Ich möchte nur klarstellen, dass es bei mir nicht so ist.“

Kaum hatte sie das gesagt, fürchtete sie, zu weit gegangen zu sein.

„Es tut mir leid, wenn das zu grob klang. Das war nicht so gemeint. Ich wollte nur ein … Missverständnis vermeiden. Ich mache mir nichts vor, was mein Äußeres angeht. Im Vergleich zu Fiona Lincoln …“ Sie verstummte.

Während sie sprach, hatte Cam sich zurückgelehnt und sie mit einem Gesichtsausdruck beobachtet, den sie nicht deuten konnte. Jetzt umspielte ein Lächeln seine Mundwinkel.

„Es ist nicht leicht, so etwas zu sagen“, beruhigte er sie. „So etwas würde ich niemals tun. Ich gehe nur auf Frauen zu, die eindeutige Signale aussenden und für eine engere Beziehung bereit sind – und oft nicht mal dann“, fügte er trocken hinzu. „Also, entspann dich. Wenn ich feststelle, dass mir dein Kleid gefällt, dann wird das ein einfacher Kommentar sein, so als würde ich feststellen, dass mir die Bergkette dort drüben gefällt.“

Zu ihrer Erleichterung wurde in diesem Moment der erste Gang serviert.

„Als meine Großeltern nach Spanien kamen“, erzählte Cam, „war es einfach, Köche und Hausmädchen zu finden. Sie hatten eine wundervolle Köchin namens Victoria, die nicht nur die Spezialitäten der Region zubereitete, sondern auch Gerichte aus anderen Gegenden. In Spanien hält jeder seine Region für die beste.“

Cam redete, als hätte nichts die Unbeschwertheit ihrer Unterhaltung gestört. Er brach sich ein Stück Brot ab und tauchte es in die rote Soße über seinen Cannelloni. Nachdem er einen Moment lang genüsslich gekaut hatte, nickte er zufrieden. „Die Soße ist frisch zubereitet. Jetzt zum Geschäft. Du hast nach dem Zweck meiner Website gefragt. Ich brauche einen Lebenslauf, aber es soll auch etwas mehr als das werden …“ Dann begann er, seine Vorstellungen zu erläutern.

Eine ganze Weile sprachen sie über seine Vorstellungen von seiner Website, und nur ab und zu fielen Bemerkungen zu anderen Themen. Schließlich beendeten sie das Essen.

„Lass uns zurückfahren und bei mir einen Kaffee trinken. Ich habe ein paar Ideen für die Umgestaltung des Gartens und möchte deine Meinung hören.“ Cam gab dem Kellner wegen der Rechnung ein Zeichen.

Eigentlich hätte sie nach seiner Versicherung, dass er keine unaufgeforderten Schritte unternehmen würde, keine Bedenken haben dürfen, bei ihm am helllichten Tag Kaffee zu trinken. Nachts wäre es etwas anderes gewesen, aber es wäre ja auch unwahrscheinlich gewesen, dass sie zusammen zu Abend gegessen hätten. Dennoch fühlte Liz sich nicht ganz wohl dabei. Hauptsächlich weil sie nicht wusste, wie lange sie seinem Charme noch widerstehen konnte, wenn sie so lange zusammen waren.

Sie erreichten sein Haus. „Bleib sitzen. Ich mache die Garage auf.“

Cam schloss das Tor auf und schwenkte es nach oben. Als Liz ihn beim Essen beobachtet hatte, hatte sie sich gefragt, wie er sich wohl fit hielt. In der Garage entdeckte sie nun ein Mountainbike und ein Regal mit unzähligen Wanderstiefeln. Bevor er das Garagentor wieder schloss, öffnete er ihr die Tür zur Terrasse.

Sie bot ihm keine Hilfe beim Kaffeekochen an, sondern ging die Stufen zum Garten hinunter und setzte sich auf eine der beiden Gartenbänke. Die Bank am westlichen Ende des Gartens stand neben zwei hohen Lavendelbüschen, die gerade blühten und von unzähligen Bienen besucht wurden.

Liz hatte schon manches Mal nach der Gartenarbeit für einige Minuten auf dieser Bank gesessen. Sie überlegte, welche Veränderungen er vornehmen wollte. Dann schweiften ihre Gedanken zurück zu dem Garten ihrer Doppelhaushälfte in der Vorstadt, in dem sie und Duncan dreizehn Jahre zusammengelebt hatten – fast ein Drittel ihres Lebens.

Cam kam die Stufen herunter und brachte einen Klapptisch mit, den er vor der Bank aufstellte. Anschließend ging er wieder und kehrte kurz darauf mit einem Tablett zurück. Neben den Kaffeeutensilien standen auch zwei Likörgläser und eine Flasche darauf. Ihre Zweifel hinsichtlich seiner Absichten regten sich wieder.

„Ich kann nicht lange bleiben. Was willst du mit dem Garten machen?“, erkundigte sie sich.

„Warum diese Eile? Warum entspannen wir uns nicht für den Rest des Nachmittags?“, wich er ihrer Frage aus. Dann sah er auf seine Armbanduhr. „Es ist gerade mal drei.“

„Ich will mir ein paar Notizen zu deiner Website machen, solange ich es noch im Kopf habe.“

„Das Problem kann gelöst werden. Ich schicke dir eine Kopie von meinen Aufzeichnungen. Kann ich sie als Anhang schicken, oder sind dir E-Mail-Anhänge genauso suspekt wie ungeschützter Sex?“

Liz wusste, dass er sie für prüde hielt, und vielleicht war sie es auch, denn selbst so ein Scherz war ihr unangenehm, weil er von Cam kam.

Sie versuchte, gefasst zu klingen. „Ich mache bestimmt keine Anhänge von Unbekannten auf oder solche mit Betreffzeilen wie ‚Gratis‘ oder ‚Sie haben gewonnen‘. Aber dein Computer ist bestimmt bestens gegen Viren geschützt.“

„Ist er. Wie effektiv das ist, weiß ich allerdings nicht. Die Hacker erfinden neue Viren schneller, als die Anti-Viren-Jungs ihre Schutzwälle hochziehen können.“

Während sie sprachen, hatte Cam ihr Kaffee eingeschenkt. Nachdem er die Tasse vor sie gestellt hatte, stellte er ein Likörglas daneben und griff nach der Flasche.

„Nicht für mich, danke“, lehnte Liz ab.

„Magst du keinen Likör … oder nur keine Williams Christbirne?“

„Die habe ich noch nie probiert, aber von zu viel Alkohol bekomme ich Kopfschmerzen.“

„Du hattest doch nur drei Gläser Wein. Das ist nicht viel, schon gar nicht zum Essen. Komm, nur einen Kleinen.“

„Ich möchte nicht, Cam. Bitte, dräng mich nicht.“

„Ich denke nicht daran, dir irgendetwas aufzudrängen, das du nicht möchtest.“ Er nahm das Glas weg, stellte es neben seine Kaffeetasse und goss sich großzügig ein. „Aber deine Nervosität wundert mich. Stehe ich etwa unter dem Verdacht, ehrbare Frauen in meinen Garten zu locken und sie mit hochprozentigem Likör gefügig zu machen, bevor ich mich an ihnen vergehe?“

Liz griff nach ihrer Tasche, die sie über die Lehne der Bank gehängt hatte. „Wenn du das so verstanden hast, gehe ich jetzt“, erboste sie sich und sprang auf.

Sie war schon fast an den Stufen, als er ihren Arm ergriff und sie zurückhielt. Wütend drehte sie sich zu ihm um.

„Du regst dich wegen nichts auf. Ich wollte dich doch bloß ein bisschen necken“, beruhigte er sie.

„Das finde ich nicht lustig“, erwiderte sie scharf.

Als sie sich jedoch so gegenüberstanden, verflog ihre Entrüstung plötzlich und machte einem anderen, unbekannten Gefühl Platz.

Für einen langen, prickelnden Augenblick sahen sie einander an, und Liz beobachtete, wie sich sein Lächeln in einen Ausdruck verwandelte, den sie nicht deuten oder beschreiben konnte.

Schließlich ließ Cam ihren Arm los. „Komm zurück, und trink deinen Kaffee. Wir wollten über den Garten sprechen.“

Verwirrt kehrte sie zur Bank zurück und setzte sich. So als wäre nichts passiert, legte er ihr seine Ideen dar. Sie musste sich anstrengen, ihm zuzuhören. Als das Gespräch schließlich zu einem natürlichen Ende kam, stand sie auf und verabschiedete sich. Er machte keine Anstalten, sie zurückzuhalten.

Während sie die Straße zu ihrem Haus hinunterging, traf sie eine Frau, die sie vom Sehen her kannte und die ihr Baby in einer dieser modernen Stepptaschen trug. Der kleine Junge war ein Charmeur mit großen dunklen Augen und einem dichten Haarschopf. Liz streichelte seine zarte Wange, und Traurigkeit stieg in ihr hoch.

Sie riss sich zusammen, bis sie zu Hause war, aber dann stiegen die unterdrückten Gefühle wieder hoch, und sie brach in Tränen aus. Es sah ihr nicht ähnlich, zu weinen. Vielleicht war es eine Reaktion auf das anstrengende Essen mit Cam. Doch hauptsächlich war es der Gedanke, dass es in einigen Jahren für sie zu spät sein würde, eigene Kinder zu bekommen.

Zwei Jahre nach ihrer Hochzeit hatte sie ein Kind gewollt. Duncan hingegen war es nicht wichtig gewesen. Als sie mit fünfundzwanzig einen Test hatte machen lassen, hatte der Arzt ihr versichert, dass sie in der Lage war, Kinder zu bekommen. Auf seine Anregung hin hatte sich auch Duncan einem Test unterzogen. Das Ergebnis war, dass ihnen nur die Möglichkeit der Adoption blieb, was ihr Ehemann aber nicht gewollt hatte.

Liz trocknete sich die Tränen ab und rang um Fassung, als es an der Tür klopfte. Sie glaubte, dass es sich um ihre Nachbarin von gegenüber handelte, die sich um die Post kümmerte, wenn sie nicht da war. Doch als sie die Tür öffnete, stand Cam vor ihr.

„Du hast dein Tuch vergessen“, sagte er und reichte es ihr.

„Oh … danke. Tut mir leid, dass du den ganzen Weg herkommen musstest. Danke vielmals.“ War die Wimperntusche verlaufen? Würde er sehen, dass sie geweint hatte? Nervös schloss sie die Tür.

Auf dem Rückweg wunderte sich Cam, warum Liz geweint hatte. Sie schien keine Heulsuse zu sein. Er war sich sicher, dass es nichts mit ihrem Wutanfall im Garten zu tun hatte. Es bedurfte mehr als das, um sie zum Weinen zu bringen. Als sie gegangen war, war das ja auch schon wieder vergessen gewesen.

Cam erinnerte sich, dass er sie während des Essens nach ihrem Arbeitsleben in England gefragt hatte. Dann war sie allerdings verstummt.

„Aber nach dem Tod meines Mannes …“ hatte sie sicherlich sagen wollen, jedoch das Thema gewechselt. Selbst nach vier Jahren wühlte der Gedanke an ihn sie also immer noch auf.

Cam war noch nie verliebt gewesen, und in seiner Umgebung hatten Ehen selten gehalten. Aber er hatte nicht vergessen, wie verloren sich sein Großvater nach dem Tod seiner Großmutter gefühlt hatte. Er konnte sich lebhaft vorstellen, was für ein verheerender Schlag der Tod ihres Mannes für Liz gewesen sein musste.

Sie war zu jung und zu hübsch, um allein zu leben. Und obwohl sie deutlich gemacht hatte, dass sie nicht zu haben war, war ihr Körper bereit zum Sex. Auch wenn sie nicht mit jemandem schlafen wollte, der nicht ihr Ehemann werden würde. Das hatte er an ihrer Reaktion gespürt, als er sie am Gehen gehindert hatte.

„Das finde ich nicht lustig“, hatte sie erwidert. Anschließend war allerdings etwas zwischen ihnen aufgeflammt, das er als gegenseitiges Begehren erkannt hatte. Er bezweifelte, dass sie es ebenso empfunden hatte. In vier Jahren der sexuellen Enthaltsamkeit hatte sie vielleicht vergessen, wie stark körperliche Anziehungskraft sein konnte.

Einer der alten griechischen Philosophen – wahrscheinlich Aristoteles – hatte gesagt, dass der Mensch von drei grundlegenden Trieben beherrscht wird: Hunger, Durst und Lust. Liz gehörte zu den Frauen, die der Lust erst dann nachgeben würden, wenn Liebe im Spiel war.

Der Gedanke, dass sie einen Mann begehren könnte, den sie verabscheute, würde sie anwidern. Aber für einige Augenblicke hatte sie ihn, Cam, begehrt. Und er sie. Aber er würde Geschäft und Vergnügen weiterhin trennen. Liz war in ihrer dreifachen Rolle als Gärtnerin, Alicias Kontrolleurin und Webdesignerin zu wichtig für ihn, als dass er es riskieren könnte, eine persönlichere Beziehung zu ihr aufzubauen. Sicherlich würde er es genießen, ihr die Freuden des Lebens wieder näher zu bringen. Wie schön würde sie mit ihren funkelnden blauen Augen aussehen, in denen sich Lebensfreude spiegelte statt Trauer! Doch zunächst war es wichtig, eine Freundschaft aufzubauen, in der sie seine Neckereien genießen konnte.

Einen Tag nach Cams Abfahrt machte Liz ihren Spaziergang durch die Weinberge. Trotz des blauen Himmels war die Luft kühler, und die Silhouette der Berge zeichnete sich deutlicher ab als an warmen Tagen. Obwohl es manchmal so aussah, als würden sie ineinander übergehen, waren es siebzehn verschiedene Berge, die vom Dorf aus zu sehen waren. Mittlerweile kannte sie ihre Namen und ihre Umrisse.

Liz konnte ihr Haus nicht ausmachen, aber La Higuera stach deutlich hervor. Wenn die Rollläden hinuntergelassen waren, wirkten die Fenster wie geschlossene Augen. Sie fragte sich, wann Cam wohl wiederkommen und ob er ihr eine E-Mail schicken würde. Oder würde er es ihr überlassen, ihn zu kontaktieren, da sie jetzt ja alle Infos für seine Website hatte?

Seitdem er ihr das Umhangtuch gebracht hatte, hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Er hatte sich per E-Mail kurz von ihr verabschiedet. Als sie die Mail las, war er bereits auf dem Weg zum Flughafen von Valencia gewesen.

Das starke Gefühl, das sie in seinem Garten verspürt hatte, machte sie immer noch nervös. So etwas hatte sie bisher nur erlebt, wenn eine Szene in einem Buch oder in einem Film sie angeregt hatte. Doch wie konnte sich der Ärger, den sie für Cam empfunden hatte, in wenigen Sekunden in ein so starkes Begehren verwandeln? Dass sie – wenn auch nur für einen kurzen Moment – die Kontrolle über sich verloren hatte und vielleicht nicht hätte widerstehen können, wenn er weitergegangen wäre, missfiel ihr.

Liz dachte den Gedanken nicht zu Ende und beschloss, bei ihren nächsten Begegnungen darauf zu achten, dass es sich um ein rein geschäftliches Treffen handelte.