En la batalla de amor, el que huye es el vencedor
Im Kampf der Liebe siegt der, der flieht
Einen Monat später kam Cam zurück. Vierundzwanzig Stunden vor seiner Ankunft hatte er Liz gemailt. „Ich hatte einen Geistesblitz. Ich freue mich schon, dir davon zu erzählen“, hatte er unter „PS“ hinzugefügt.
In seiner Abwesenheit hatte sie den Entwurf und die Programmierung seiner Website vorangetrieben. Aber ob das Ergebnis seinen Erwartungen entsprach, würde sich noch zeigen. Sie hätte ihm die Dokumente auch mailen können, damit er sie sich auf seinem Internetbrowser ansehen konnte, doch sie wollte sein Gesicht sehen, wenn er die Seiten zum ersten Mal betrachtete.
Am Abend seiner Ankunft ging Liz in die Achtuhrvorstellung eines Films in englischer Sprache im Kino von Gata de Gorgos, einem Küstenort. Sie ging gern ins Kino, aber wichtiger war ihr diesmal, dass sie nicht im Haus war, falls er anrufen und ihr ein Abendessen vorschlagen sollte. Es war einfacher, als fadenscheinige Ausreden zu erfinden.
Als sie spät am Abend nach Hause kam, setzte sie Teewasser auf und rief ihre neuen E-Mails ab. Eine war von Cam und lautete: „Könntest du morgen früh gegen zehn vorbeikommen, wenn du Zeit hast?“
Liz antwortete mit nur einem Wort: „Ja.“
Als sie den Computer ausschaltete, wurde ihr plötzlich bewusst, dass der morgige Tag viel aufregender werden würde als ihre letzte Begegnung. Es ärgerte sie, doch sie konnte es auch nicht leugnen.
Am nächsten Morgen fragte sie sich, was sie anziehen sollte. Jeans und Sweatshirt? Oder das, was sie bei der Arbeit in London immer getragen hatte? Sie entschied sich für eine Mischung aus legerem Landlook und Citychic, indem sie die graue Hose, die sie beim Essen mit ihm getragen hatte, mit einem blauen Kaschmirpullover kombinierte. Zum Abschluss legte sie sich ein graublaues Tuch um die Schultern.
„Hallo … guten Morgen“, begrüßte Cam sie, als er die Tür öffnete.
„Guten Morgen“, sagte sie eher förmlich, als sie eintrat.
„Der Kaffee ist fertig.“ Cam bedeutete ihr, ihm in die Küche zu folgen. „Danke, dass du den Kühlschrank aufgefüllt hast. Hier, das schulde ich dir.“ Er zeigte auf einige Geldscheine auf dem Tresen, wo sie den Kassenzettel aus dem Supermarkt hingelegt hatte.
„Danke.“ Liz zog ihr Portemonnaie aus der Handtasche. „Ich gebe dir den Rest wieder.“
„Lass stecken“, meinte er. „Du hast vergessen, das Benzin und deine Zeit zu berechnen.“
„Daran würde ich nicht einmal im Traum denken“, erwiderte sie entschieden und legte das Wechselgeld auf den Tisch, bevor sie die Geldscheine nahm. „Ich musste doch für mich einkaufen. Das ist kein Aufwand, für dich ein paar Dinge mitzunehmen.“
Cam sah sie versonnen an. „Okay, wenn du darauf bestehst. Wollen wir auf der Terrasse Kaffee trinken?“
Als sie nach draußen gingen, stellte Liz fest, dass er zwei bequeme Gartenstühle, einen dunkelgrünen Sonnenschirm und einen Klappstuhl für das Tablett aufgestellt hatte.
„Ich dachte, dass du im Schatten sitzen willst. Nach dem Mistwetter letzte Woche in London kann ich gar nicht genug von der Sonne bekommen“, erklärte er. „Stört es dich, wenn ich mein Hemd ausziehe?“
„Überhaupt nicht.“ Sie fragte sich, ob ihr in dem Pullover nicht trotz des Schattens zu warm werden würde. Im Haus war es kühler gewesen als auf der sonnenbeschienenen Terrasse. Sie hätte sich lieber eine Bluse anziehen sollen.
Cam knöpfte sein Hemd auf. „Ich bin schon ganz gespannt auf deinen Geistesblitz“, sagte sie betont locker, während sie angelegentlich die Berge betrachtete. „Es geht bestimmt um die Website, oder?“
„Genau. Ich möchte wissen, ob du das für machbar hältst oder nicht.“
„Erzähl mal.“
Er zog das Hemd aus den Shorts. Seine langen Beine waren leicht gebräunt. Vermutlich war er viel in der Sonne gewesen, auch wenn er nicht häufig in Spanien gewesen war.
„Ein Werbespot im Fernsehen, der letztes oder vorletztes Jahr lief, hat mich drauf gebracht“, berichtete er. „Vielleicht hast du ihn ja gesehen. An das Produkt erinnere ich mich nicht mehr, aber es war eine Parodie auf eine Dinnerparty, an der Marilyn Monroe, Albert Einstein und andere Berühmtheiten teilnahmen, deren Namen ich vergessen habe.“
„Ich kenne den Spot nicht“, gestand Liz. „Allerdings habe ich vor Kurzem eine Autowerbung gesehen, in der Steve McQueen Jahre nach seinem Tod mitspielt. Ziemlich unheimlich, fand ich … Die Technik ist mittlerweile so weit, dass man Tote wiederauferstehen lassen kann.“
„Das ist unheimlich“, stimmte Cam ihr zu, „aber auch geschickt. Meine Idee hat nichts mit dem Auferstehenlassen von Berühmtheiten zu tun. Ich denke an ein Interview mit sechs bis acht interessanten Personen über ein bestimmtes Thema, das dann wie ein Tischgespräch präsentiert werden soll – das Ganze mit Illustrationen, Links und vielleicht ein paar Soundclips. Titel: ‚Cam Fieldings Dinnerpartys‘. Im Untertitel steht das Thema.“
„Das ist eine fantastische Idee.“ Sie war begeistert. „Auch gar nicht schwierig in der Umsetzung und ein besonderer Kick für deine Site. Hast du schon eine Gästeliste und die Themen?“
„Noch nicht. Ich wollte erst von dir wissen, ob so etwas machbar ist. Ich habe kurz im Netz recherchiert, ob schon jemand anders so eine Idee hatte, aber ich habe nur Seiten mit Tipps für eine echte Dinnerparty gefunden.“
„Das hätte ich jetzt als Nächstes vorgeschlagen“, sagte sie. „Wenn schon jemand so etwas hat, wäre es nicht so gut gewesen. So ist es einmalig. Aber vielleicht suchst du dir dafür doch besser einen Profi als so eine Amateurin wie mich.“
Während sie sprach, betrachtete sie ihn. Sein nackter Oberkörper war der schönste, den sie je gesehen hatte. Seine Schultern und seine Brust hätten jeden Bildhauer begeistert, der Kraft und Geschmeidigkeit darstellen wollte. Er war so weit von den Muskelprotzen entfernt, wie die wirklich schönen Frauen von den silikongepolsterten Mädchen der Hochglanzmagazine. Sie verspürte den verrückten Impuls, seine glatte Haut zu streicheln, doch sie hatte sich schnell wieder unter Kontrolle.
„Diese ganzen angeblichen Profis in diesem neuen Bereich der Massenmedien sind mir viel zu scharf darauf, dumme Spielchen einzubauen“, erwiderte Cam. „Hast du deine Entwürfe mitgebracht?“
„Ja.“
„Gut. Wenn wir mit dem Kaffee fertig sind, kannst du sie mir auf dem Laptop zeigen. Manchmal benutze ich ihn hier draußen, aber in diesem Fall ist es drinnen wohl besser.“
Zehn Minuten später stand der Laptop auf dem großen Küchentisch, und die Rollläden waren hinuntergelassen, damit die Sonne nicht auf dem Bildschirm blendete. Liz konnte ihm ihre Arbeit vorführen. Sie schob die Diskette ein, auf dem sie ihren Entwurf gespeichert hatte, und kopierte die Datei „Fielding“ auf seine Festplatte.
Liz saß links von Cam, und die Stühle standen so dicht nebeneinander, dass sie sich fast berührten. „Wie du gleich sehen wirst, habe ich verschiedene Bereiche eingerichtet, die mit Text gefüllt werden müssen, wenn sie dir gefallen. In der Zwischenzeit habe ich Blindtext eingefügt. Jetzt geht’s los …“ Sie öffnete den Browser und seine Homepage.
Liz hatte erwartet, dass er den Laptop zu sich drehen würde. Stattdessen legte er den linken Arm auf ihre Lehne, beugte sich zu ihr herüber und betrachtete das Ergebnis. Da sie wusste, dass sie diese beunruhigende Nähe nicht so lange aushalten würde, wie er für die Erkundung der gesamten Website brauchte, stand sie auf. „Ich werde uns noch einen Kaffee machen.“
„Gut. Tu das.“ Sein Blick verriet, dass Cam den wahren Grund für ihre Nervosität erriet.
Von der Spüle aus beobachtete Liz, wie er die Seiten betrachtete. Was er beim Betrachten der einzelnen Bereiche dachte, war nicht zu erkennen. Die Minuten verstrichen, und sie wurde immer nervöser. Es hing so viel von seinem Urteil ab. Sollte es ihm gefallen, könnte eine völlig neue Phase in ihrem Leben beginnen. Wenn nicht, dann hätte sie viele Stunden umsonst gearbeitet. Nun ja, nicht ganz umsonst, korrigierte sie sich, denn es hatte ihr Spaß gemacht. Allerdings waren die Chancen, ihr Können an andere zu verkaufen, nicht besonders groß.
Das Wasser kochte, und sie brühte zwei weitere Tassen Kaffee auf. In seine goss sie so viel Milch, wie er sich bei der ersten Tasse genommen hatte. Dann stellte sie seine Tasse neben ihn auf den Tisch. „Danke“, sagte er, ohne aufzusehen.
Zu ihrer Überraschung betrachtete er gerade das, was den meisten Internetbenutzern verborgen blieb und von deren Existenz sie zumeist nichts wussten.
„Du hast viel Zeit für die Metatags verwandt“, stellte er fest.
„Ich halte sie für wichtig. Aber das sind nur Platzhalter. Du wirst sie wohl noch verbessern müssen.“
Cam schloss das Fenster und lehnte sich zurück. „Die brauchen nicht verbessert zu werden. Das ganze Ding ist brillant … sehr viel besser, als ich es erwartet hatte.“
Liz war erfreut und erleichtert zugleich. „Wirklich?“
„Ja, wirklich. Also, wie geht es weiter? Was kommt jetzt?“
Sie hatte sich nicht getraut, weiter als bis zu seiner Reaktion zu denken. „Zuerst müsste deine Internetadresse gesichert werden, und danach musst du dir überlegen, wer dein Provider sein soll.“
„Kannst du das für mich erledigen?“
„Wenn du mir eine deiner Kreditkartennummern anvertraust.“
Cam runzelte die Stirn. „Hm … da bin ich mir nicht ganz sicher.“
Für einen Moment glaubte sie, dass er es ernst meinte. Doch dann lächelte er ihr auch schon so gefährlich charmant zu, dass ihr Puls zu rasen begann. „Ich würde dir alle meine Kreditkartennummern anvertrauen. Die Welt ist voller Betrüger, aber ich glaube nicht, dass du dazugehörst. Ich schreibe sie dir auf.“ Cam stand auf und holte einen Block. „Hier. Wer ist denn dein Provider?“
Liz erzählte es ihm und nannte ihm auch die Gründe für ihre Entscheidung. Bereits früher hatte sie bemerkt, dass er seinem Gesprächspartner immer seine ganze Aufmerksamkeit schenkte.
„Wenn die für dich gut genug sind, sind sie es auch für mich“, erklärte er schließlich. „Kann ich dir auch das überlassen?“
„Natürlich.“
„Dann müssen wir nur noch dein Honorar festlegen. Ich habe mich erkundigt. Ehrlich gesagt, finde ich einige dieser Preise wirklich überzogen. Viele unbegabte Leute wollen wohl die Menschen ausnehmen, für die das Internet ein Buch mit sieben Siegeln ist.“
Dann schlug er ihr einen monatlichen Betrag vor, der doppelt so hoch war, wie sie erwartet hatte.
„Du bist sehr großzügig. Ich werde mein Bestes tun.“
„Schlag ein.“ Er streckte ihr die Hand entgegen.
Sein fester Griff und das prickelnde Gefühl dieser Berührung erinnerten Liz daran, dass sie gerade eine Vereinbarung mit einem Mann abschloss, dessen Wertvorstellungen und Ansprüche völlig von ihren abwichen.
In den nächsten Stunden besprachen sie die Details der Website. Es war für Liz ein befriedigendes Gefühl, so konzentriert mit Cam zusammenarbeiten zu können.
Schließlich schlug die Dorfuhr zwölf. „Wir sollten unsere Partnerschaft angemessen feiern. Wie wäre es mit einem Essen heute Abend?“, meinte Cam.
Liz war alarmiert. „Tut mir leid, aber ich gehe heute Abend aus“, schwindelte sie.
„Hast du Donnerstag Zeit?“
„Donnerstag habe ich Spanischkonversation.“ Dass der Kurs um sechs Uhr begann und schon um sieben endete, musste sie ihm ja nicht erzählen. „Ich glaube, es ist zu früh zum Feiern. Sollten wir nicht lieber warten, bis deine Website im Netz ist?“, schlug sie schnell vor, um ihn davon abzuhalten, auch noch nach dem Freitag zu fragen.
„Vielleicht hast du recht. Aber dann haben wir eine richtige Verabredung. Wenn die Website online ist, wird gefeiert.“
Die Art, wie er das sagte, ließ sie vermuten, dass er ihre Ausflüchte durchschaut hatte und nun sein Jagdinstinkt geweckt war.
Liz packte ihre Sachen zusammen und brach auf. Sie trennten sich am Ende der Straße, wo Cam zur Plaza Mayor abbog und sie nach Hause ging. Auf dem kurzen Weg zu ihrem Haus überlegte sie, ob sie das Abendessen mit ihm nicht besser hätte annehmen sollen. Immerhin hatte er versprochen, nichts ohne Aufforderung zu unternehmen. Warum sollte er sich auch mit einer Frau Mitte dreißig einlassen, die noch nie wirklich gut ausgesehen hatte, wenn es so üppige Mädchen wie Fiona gab, die gern mit ihm schliefen?
Abends wählte Cam Liz’ Nummer. Würde sie den Hörer abnehmen, würde er sich auf Spanisch entschuldigen und sagen, er habe sich verwählt. Doch wie erwartet, ertönte das Besetztzeichen. Sie war zu Hause und nicht ausgegangen, wie sie behauptet hatte. Natürlich war es möglich, dass man ihre Verabredung im letzten Moment abgesagt hatte. Es wäre ihm jedoch wesentlich lieber gewesen, wenn Liz ihm eine Lüge aufgetischt hätte.
Dafür könnte es zwei Gründe geben. Entweder mochte sie ihn nicht, oder sie glaubte nicht an sein Versprechen, sie nicht zu belästigen. Er erwartete nicht, dass alle weiblichen Wesen sich zu ihm hingezogen fühlten, aber er wusste aus Erfahrung, dass hier gegenseitiges Begehren im Spiel war. Also warum wollte sie nicht mit ihm essen gehen? Konnte es sein, dass sie immer noch um ihren Ehemann trauerte und daher selbst ein Essen mit einem anderen Mann schon ein Akt der Untreue für sie war?
Jemand musste ihr zeigen, dass selbst tiefe Trauer für eine Frau in ihrem Alter unnatürlich war. Liz war zu jung, um nur in den Erinnerungen eines vergangenen Glücks zu leben. Sie musste die Vergangenheit ruhen lassen. Sie war doch sicher nach Spanien gekommen, um ein neues Leben anzufangen?
Nachdem Cam sich eine der Tiefkühlpizzas aufgebacken hatte, die sie ihm ins Kühlfach gelegt hatte, schaltete er den Laptop ein und betrachtete noch einmal die Website, die sie für ihn entworfen hatte. Es war fast unheimlich, wie gut sie all seine halb fertigen Ideen über sein Zuhause im Cyberspace umgesetzt hatte.
Als er schließlich lesend im Bett lag, rief ihn sein Arbeitgeber aus London an. Cam erklärte sich mit dem Auftrag einverstanden und telefonierte mit dem Flughafen von Valencia, um einen Platz in der ersten Maschine nach Schipol zu buchen, wo ein weiteres Flugticket für ihn bereitliegen würde.
Er brauchte nicht zu packen. Seit Jahren hatte er eine Reisetasche, in der alles verstaut war, was er zum Überleben brauchte. Es würde noch wenige Wochen dauern. Dann lief sein Vertrag aus, und er würde als freier Mitarbeiter tätig werden. Ob es zu dem Zeitpunkt für ihn zu spät war, sein Nomadenleben aufzugeben, wusste er nicht. Er musste es einfach darauf ankommen lassen.
Schließlich stellte er den Wecker, um rechtzeitig auf der Autobahn nach Valencia zu sein. Anschließend knipste er das Licht aus und legte sich schlafen.
Am nächsten Morgen las Liz ihre E-Mails. „Muss weg! Bin nicht sicher, wann ich wiederkomme. Werde mich bei Dir melden, wenn ich kann. Adios. Cam“, las sie dort. Eigentlich hätte sie erleichtert sein müssen, dass ihr Seelenfrieden wenigstens für eine gewisse Zeit nicht bedroht sein würde. Stattdessen war sie niedergeschlagen.
Am Vorabend hatte sie gelesen, dass im Lauf des Jahres mehr als sechzig Journalisten in Krisengebieten getötet worden waren. Das schien eine so unglaublich hohe Zahl zu sein, und Liz musste daran denken, dass das Glück Cam in dem Moment verlassen könnte, in dem er beschlossen hatte, seine Arbeit aufzugeben.
Eine Woche verstrich, ohne dass sie von ihm hörte. Sie hatte seine Anweisungen bezüglich der Website befolgt und konnte bis zu ihrem nächsten Treffen nichts weiter tun.
Eines Morgens, als das Wetter wieder etwas freundlicher war, beschloss sie auf ihrem Spaziergang durch die Weinberge, einen der alten Eselpfade zu erkunden, die in die Berge führten. Jetzt ersetzten Maschinen die Esel, und die alten Pfade wurden nur noch von Wanderern genutzt.
Nach einer Stunde ruhte sie sich auf einem Felsen mit Blick auf das ganze Tal aus. Auf dem Rückweg geschah es. Sie bewunderte die Aussicht und achtete nicht auf den Weg, als sie auf einen lockeren Stein trat, den Halt verlor und stürzte. Wenn sie sich nicht instinktiv abgestützt hätte, wäre sie mit blauen Flecken davongekommen. Doch der ausgestreckte linke Arm fing die Wucht des Sturzes auf, und ein stechender Schmerz durchzuckte sie.
Liz blieb einen Moment liegen und glaubte, dass der Arm gebrochen war. Wie sollte sie nun den Berg hinunterkommen? Da ihr aber nichts anderes übrig blieb, rappelte sie sich wieder auf. Zum Glück waren ihr Ellenbogen und Unterarm nicht verletzt, sondern nur ihr Handgelenk, das rasch anschwoll.
Als sie ins Dorf zurückkehrte, wurde der Schmerz immer heftiger. Im Dorf gab es nur einen medizinischen Assistenten, der Spritzen gab und Verbände wechselte. Wo sie ihn finden sollte, wusste sie allerdings nicht. Seine Praxis war nur am Vormittag geöffnet. Sie könnte in der Apotheke fragen, doch zuerst brauchte sie eine Tasse Tee und einen Schluck Brandy, bevor sie dem Apotheker die ganze Geschichte auf Spanisch erzählen konnte.
Gerade als sie in ihre Straße einbog, sah sie Cam, der sich mit der Frau von gegenüber unterhielt. Fast wäre sie in Tränen der Erleichterung ausgebrochen.
Die Frau entdeckte sie zuerst und berührte seinen Arm.
„Du bist zurück“, brachte Liz hervor und versuchte zu lächeln, als sie sich in der Mitte der Straße trafen.
„Deine Nachbarin hat mir gerade erzählt, dass du vor ein paar Stunden aus dem Haus gegangen bist …“ Er merkte, dass sie die verletzte Hand gegen die Brust presste. „Liz … was ist passiert? Was ist mit deiner Hand?“
„Sie ist vielleicht gebrochen. Ich war wandern und bin gestürzt. Könntest du das vielleicht dem Apotheker erklären? Mein Spanisch reicht dafür nicht aus …“
„Die Apotheke ist bis halb fünf geschlossen. Ich fahre dich nach Denia. Wenn sie gebrochen ist, dann muss sie geröntgt und eingegipst werden. Aber zuerst brauchst du einen kalten Wickel und eine Schlinge. Komm mit zu mir, ich verarzte dich.“
„Ich will aber nicht stören …“, begann sie.
„Stell dich nicht an. Komm schon.“ Cam legte ihr den Arm um die Taille, als fürchtete er, sie könnte zusammenbrechen. Sie fühlte sich wirklich etwas schwach auf den Beinen. „Wie ist das bloß passiert?“
„Ich bin selbst schuld. Ich hätte besser auf den Weg achten sollen.“
„Ja, die erste Regel des Bergsteigens lautet: ‚Sehen oder gehen, aber nicht beides gleichzeitig‘“, stimmte er ihr zu. „Allerdings vergessen wir das ja allemal. Du brauchst jetzt einen Tee und ein paar Schmerztabletten.“
„Wann bist du angekommen?“, erkundigte sie sich.
„Vor knapp einer Stunde. Zum Glück. So kannst du nicht selbst fahren.“
„Es gibt Taxis nach Benimoro. Die hätten mich auch nach Denia bringen können.“
„Bestimmt nicht. Außerdem brauchst du einen Übersetzer. Verletzte oder kranke Menschen können nicht mehr klar denken.“
„Ich falle dir bestimmt zur Last.“
„Gar nicht. Ich habe gerade nichts anderes zu tun.“
Sie waren vor seiner Eingangstür angekommen.
Eine halbe Stunde später waren sie auf dem Weg zur nächsten Küstenstadt, in der es ein Krankenhaus gab. Liz fühlte sich zwar etwas besser, aber immer noch angeschlagen. Sie hatte einige Schmerztabletten genommen und trug den Arm nun in einer Schlinge, die Cam aus einem gut ausgestatteten Erste-Hilfe-Kasten hervorgeholt hatte. Zuvor hatte er ihr eine kalte Kompresse auf das geschwollene Gelenk gelegt. Seine Geschicklichkeit hatte sie beeindruckt. Der Dorfarzt hätte es nicht besser machen können.
Bis zum Krankenhaus benötigten sie ungefähr vierzig Minuten.
„Angeblich gibt es in der Notaufnahme immer lange Wartezeiten. Ich fürchte, dass du da ewig warten musst“, sagte Liz kurz vor ihrer Ankunft.
„Kein Problem. Ich habe ein Buch im Handschuhfach, falls mir langweilig wird.“
Am Empfangstresen der Notaufnahme erklärte Cam in fließendem Spanisch, was passiert war. Nachdem man Liz’ persönliche Daten festgehalten hatte, durften sie sich setzen und warten. Hin und wieder wurde ein dringender Notfall eingeliefert und durch den Wartebereich in den Behandlungssaal geschoben.
Nach über einer Stunde kam sie an die Reihe. Cam stand auf und wollte Liz begleiten, doch er durfte den Behandlungsbereich nicht betreten. Wieder folgte eine lange Wartezeit, bis man sie untersuchte und ihr sagte, dass ihr Ehering, der aufgrund der Schwellung zu eng wurde, aufgeschnitten werden musste. Mit einer Zange wurde der Ring durchtrennt. Dann röntgte man ihr das Handgelenk.
Zu ihrer Erleichterung war nichts gebrochen. Nur das Gelenk war verstaucht. Dennoch sollte es mit Gips ruhiggestellt werden. Wieder musste sie warten. Drei Stunden nach ihrer Ankunft im Krankenhaus kehrte sie in den Warteraum zurück.
Cam unterhielt sich mit einem jungen Mann in einem blauen Overall, dem nichts zu fehlen schien. Er musste mit einem Arbeitskollegen gekommen sein. Sobald Cam sie bemerkte, verabschiedete er sich von seinem Gesprächspartner und gesellte sich zu ihr.
„Das Handgelenk ist nicht gebrochen, nur verstaucht“, teilte Liz ihm mit. „In zehn Tagen soll ich noch mal zum Arzt, damit der Gips runterkommt. Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.“
„Kam mir gar nicht so vor. Der Typ, mit dem ich mich unterhalten habe, ist Fernmeldetechniker. Ich habe ein paar interessante Infos von ihm bekommen. Aber du hast bestimmt Hunger. Vor der Rückfahrt sollten wir eine Kleinigkeit essen. Allerdings nicht hier. In der Cafeteria muss man bestimmt wieder Schlange stehen.“
Er nahm sie am rechten Arm und öffnete mit der anderen Hand die Tür.
In der nächsten Bar, wo sie einen Kaffee tranken und auf ihre Tortilla warteten, stellte Cam fest, dass ihr Ehering fehlte. Er sagte jedoch nichts, in der Annahme, dass es Liz bestimmt nicht leichtgefallen war, sich davon zu trennen. Einige Frauen nahmen ihre Eheringe aus Aberglauben niemals ab, da sie fürchteten, es könnte Unglück bringen. Liz schien nicht dazuzugehören. Allerdings waren die meisten Menschen nicht leicht zu durchschauen. Er war schon scheinbar vernünftigen, bodenständigen Persönlichkeiten begegnet, die bei näherem Kennenlernen alle möglichen Marotten offenbart hatten.
Während sie ihre Tortilla aßen, fragte Cam: „Wie sehen deine nächsten Pläne aus, Liz?“
„Ich muss nach England. Meine Mum hat Geburtstag. Warum?“
„Ich werde mit ein paar Freunden aufs Land fahren. Wir haben ein Landhaus gemietet. Es wird von einem französischen Pärchen geführt, das fantastisch kochen kann. Es gibt nur sechs Zimmer, vier Doppel- und zwei Einzelzimmer. Ich dachte, vielleicht hast du ja Lust mitzukommen, wenn du nichts Besseres vorhast.“
„Danke, dass du an mich gedacht hast. Ich wollte, ich könnte. Auf das britische Wetter oder auf das Theater am Flughafen von Alicante habe ich wirklich keine Lust.“
„Lebt deine Mum allein?“
„Nein, meine Tante wohnt bei ihr, seit sich meine Eltern haben scheiden lassen. Mein Vater ist mit seiner amerikanischen Freundin nach Florida gezogen.“
„Meine Eltern sind auch geschieden“, sagte Cam. „Sie haben beide wieder geheiratet und haben Familien, sodass ich nicht das Bedürfnis habe, den lieben Sohn zu spielen. Außerdem kümmern meine Schwestern sich um sie. Meistens bin ich ja sowieso irgendwo im Ausland. Aber wenn man das einzige Kind ist, sieht es natürlich anders aus.“
„Ja“, bestätigte sie kurz angebunden. Er spürte, dass sie mehr aus Pflichtgefühl denn aus enger Verbundenheit zu ihrer Mutter fuhr.
„Kann es sein, dass sich deine Pläne noch mal ändern und du irgendwo anders hinfliegen musst?“, erkundigte sie sich.
„Nein. Mein Vertrag ist fast abgelaufen. Ich habe klargemacht, dass ich nicht mehr zur Verfügung stehe. Wann fliegst du?“
„Ich fliege nächste Woche für vierzehn Tage.“
„Ich werde dich zum Flughafen bringen.“
„Das kann ich dir wirklich nicht zumuten. Du hast schon genug für mich getan. Ich werde den Bus nehmen oder diesen kleinen Zug, der zwischen Denia und Alicante verkehrt.“
„Um wie viel Uhr geht dein Flug?“
„Am frühen Abend. Ich habe also den ganzen Tag Zeit, um zum Flughafen zu kommen.“
„Ich würde in Alicante gern ein paar Mitbringsel für meine Freunde einkaufen. Warum fahren wir nicht morgens zusammen dorthin, klappern die beiden Kaufhäuser ab und gehen zusammen Mittag essen? Im Flugzeug wirst du kein großes Abendessen bekommen.“
Liz sah ihn zweifelnd an. „Ich weiß nicht.“
„Warst du schon mal in Alicante? Das ist eine wunderschöne Hafenstadt.“
„Ich war noch nie dort.“
„Also, warum kann ich dir die Stadt nicht zeigen?“, fragte Cam und lächelte.
„Na gut … danke!“
„Abgemacht.“
Am selben Abend, als sie neben dem kleinen Gasofen saß, der das Wohnzimmer heizte, wünschte Liz, sie müsste nicht nach London. Viel lieber wäre sie mit Cam und seinen Freunden aufs Land gefahren.
Warum hatte er ihr diesen Ausflug vorgeschlagen? Aus Höflichkeit? Es schien sonst nicht seine Art zu sein, Neuankömmlinge in Spanien auf so liebenswürdige Art zu begrüßen. Sie hatten schließlich eine geschäftliche Vereinbarung, und er bezahlte sie gut für ihre Arbeit. Warum also sollte er auch noch nett zu ihr sein?
Je länger sie ihn kannte, desto mehr wurde er zu einem Rätsel, das sie nicht lösen konnte. Hätte sie nicht so viel über ihn gehört und ihn nicht mit eigenen Augen mit einer seiner Bettgespielinnen gesehen, hätte sie ihn vielleicht aufgrund seines Verhaltens ihr gegenüber beurteilt. Aber die Erinnerung daran, wie er Fiona im Schlafzimmer umarmt hatte, konnte sie nur schwer vertreiben.
Liz blickte auf den nackten Ringfinger ihrer linken Hand und erinnerte sich an das letzte Mal, an dem sie mit Duncan geschlafen hatte. Wahrscheinlich könnte man den Ring wieder reparieren, doch sie würde es nicht tun. Ihre Ehe schien genauso weit zurückzuliegen wie ihre Kindertage.
In der folgenden Woche rief Cam sie jeden Tag an, um ihr bei den Dingen zu helfen, die mit einer Hand schwierig zu vollbringen waren. Nach dieser Woche beschloss Liz, den Gips selbst abzunehmen und dafür nicht noch einmal einen Arzt aufzusuchen. Sie musste nur die Gaze an der Unterseite des Handgelenks zerschneiden. Bei seinem nächsten Anruf erzählte sie Cam, dass sie wieder ohne Hilfe zurechtkam.