4. KAPITEL

Amar y saber, todo junto no puede ser

Liebe und Weisheit sind unvereinbar

Am Tag ihres Flugs nach England fuhren sie in Cams neuem Sportcoupé auf der Autobahn in die Provinzhauptstadt. Vorher hatte er immer einen Wagen gemietet, doch da er nun öfter in Spanien sein würde, brauchte er ein eigenes Auto. Liz hatte sich nie viel aus Autos gemacht, aber diese waren ihr immer aufgefallen, wenn sie von ihnen überholt wurde. Sie sahen so schnell und trotzdem so sicher aus.

„Ich liebe diese schwungvollen Kurven“, schwärmte Cam, als sie nach Süden fuhren. „Es gibt eine Stelle von Valdecarrasca zur Küste, von der aus man einen herrlichen Blick auf die Autobahn hat, die auf hohen Pfeilern ein ausgetrocknetes Flussbett überquert. Das ist ein Meisterwerk der Ingenieurskunst. Wenn die Mandelbäume blühen, muss ich das unbedingt für meine Website fotografieren.“

„Ich freue mich auch schon auf die Mandelblüte“, sagte Liz verträumt.

„Da fällt mir ein … Hat eigentlich jemand im Dorf einen Schlüssel zu deinem Haus? Jemand, der in deiner Abwesenheit nach dem Rechten sieht?“

„Nein. Ist das nötig?“, fragte sie.

„Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme für unvorhergesehene Notfälle. Die Drydens haben einen Schlüssel zu meinem Haus. Wenn du willst, übernehme ich das für dich. Wir könnten in Alicante einen Nachschlüssel machen lassen.“

Früher, als Liz erwartet hatte, tauchte das Panorama der Stadt vor ihnen auf. Sie warf einen Blick auf den Tachometer und stellte fest, dass sie viel schneller fuhren, als sie es in dem großen Wagen empfunden hatte. Das ruhige Leben in Valdecarrasca hatte sie vergessen lassen, wie das Leben in einer Großstadt war. Doch Alicante mit dem wolkenlos blauen Himmel war etwas völlig anderes als ein verregneter Wintertag in London.

Cam stellte den Wagen in dem Parkhaus von El Corte Inglés ab, einem der berühmtesten Kaufhäuser Spaniens.

„Ich glaube nicht, dass sie es heute noch mal ‚Der Englische Hof‘ taufen würden“, stellte er trocken fest, als sie den Fahrstuhl betraten. „Ein Modejournalist hat mal geschrieben, dass heute die Deutschen das beste Gefühl für Stoffe und Schnitte haben. Das ist übrigens ein sehr schönes Kostüm“, fügte er mit einem Blick auf ihr klassisches Ensemble aus Wolljacke und Rock hinzu. „Woher stammt es?“

„Aus Deutschland.“ Sie hätte auch etwas Bequemeres für die Reise anziehen können, aber weil sie in der Stadt essen wollten, hatte Liz sich für die elegante Variante entschieden.

Das letzte Mal, als sie mit einem Mann einkaufen gewesen war, war mit ihrem Vater gewesen, einem extravaganten Menschen, der sich gern mit den Verkäuferinnen unterhielt. Duncan, der unter dem Einfluss seiner Mutter stand, hatte alle Läden für Frauensache erklärt. Da er an seinem Aussehen nicht interessiert war, hatte er es ihr überlassen, die Anzüge für ihn auszuwählen.

Liz war neugierig, wie Cam sich in den Geschäften verhalten würde. An diesem Tag trug er ein langärmliges hellblaues Hemd und eine gut sitzende Hose, dazu schwarze Socken und schwarze Halbschuhe. Beim Aussteigen hatte er einen maßgeschneiderten hellen Sportmantel vom Rücksitz des Wagens genommen.

Gegen Mittag hatten sie den gesamten Laden durchstöbert, und Liz hatte viel über Cam erfahren. Weder zog er wie ihr Vater jede Menge Kreditkarten heraus, noch flirtete er mit den Verkäuferinnen. Im Gegenteil, sie bewunderten ihn. Anders als Duncan fühlte er sich in seiner Umgebung wohl und hatte selbst in der Modeabteilung kein Problem damit, Geschenke für seine weiblichen Bekannten auszusuchen. Er fragte auch nicht um Rat, sondern wählte Dinge aus, die Liz selbst gern geschenkt bekommen hätte.

Um halb zwei verstauten sie ihre Einkäufe im Wagen und schlenderten dann über die Promenade. Die meisten Bänke waren mit plaudernden Menschen besetzt, viele Menschen flanierten. In einem Pavillon spielte eine uniformierte Kapelle leichte Unterhaltungsmusik.

„Bist du müde? Wir sollten eine Pause einlegen“, schlug Cam vor. „Wir haben einen Tisch für zwei, also ist noch Zeit für ein Glas Wein in einem der Cafés, wenn wir einen freien Platz finden.“

„Ich bin nicht müde. Es hat Spaß gemacht.“

Zwei elegant gekleidete Frauen musterten ihn von oben bis unten und warfen sich Blicke zu, die so viel bedeuteten wie: „Den würde ich nicht von der Bettkante stoßen“. Dies erinnerte Liz wieder daran, dass er einen freundschaftlichen Umgang mit ihr pflegte und sie nicht der Frauentyp war, der ihn normalerweise begleitete.

„Schnell … da drüben sind zwei Plätze frei.“ Er umfasste ihren Arm und zog sie ins nächste Café.

„Wo lebt deine Mum, Liz?“, erkundigte er sich, nachdem der Ober ihre Bestellung entgegengenommen hatte. Sie nannte einen Londoner Vorort. „Da war ich noch nie.“

„Du hast nicht viel verpasst. Es ist der Inbegriff von Langeweile.“

„Für einen Journalisten ist es nirgends langweilig. Die Vorstädte sind voll von interessanten Geschichten.“

„Nicht die Straße, in der meine Mutter lebt“, entgegnete sie trocken. „Anständigkeit ist dort die Parole.“

Cam sah sie durchdringend an. „Aber was ist mit der Tochter deiner Mutter, die nach Spanien abgehauen ist? Das wäre doch bestimmt eine gute Geschichte, oder?“

Der Ober kehrte mit zwei Gläsern Champagner und einem Teller tapas zurück.

„Oder?“, beharrte Cam.

„Ich denke, dass ein guter Journalist aus allem eine Geschichte machen kann. Allerdings hättest selbst du in diesem Fall Schwierigkeiten. Nach Spanien zu gehen ist nicht besonders aufregend. Tausende von Menschen tun das jedes Jahr.“

„Ja, aber die meisten Auswanderer sind Rentner. In deinem Alter ist es wesentlich abenteuerlicher.“ Er hob sein Glas. „Lass uns auf die neuen Lebensabschnitte trinken.“

„Auf die neuen Lebensabschnitte“, wiederholte sie.

Als sie einen Schluck Champagner getrunken hatte, spürte sie, dass dies einer der Momente im Leben war, an die sie sich auch im Alter noch erinnern würde. Der Sonnenschein, die Palmwedel, die sich leicht im Seewind wiegten, das lebhafte spanische Stimmengewirr um sie her, der gut aussehende Mann, mit dem sie am Tisch saß – all dies würde in ihrer Erinnerung auch in einem halben Jahrhundert noch lebendig sein, wenn sie so lange leben sollte.

„Magst du boquerónes?“, fragte Cam und bot ihr eingelegte Anchovis an, die zum besseren Verzehr zusammengerollt und auf Zahnstocher gespießt waren.

„Sehr gern.“ Liz nahm eine. „Ich mag auch albóndigas.“ Sie deutete auf die kleinen Hackbällchen in Tomatensoße. „Im Vergleich zu den spanischen Snacks sind Chips und Erdnüsse doch ziemlich langweilig.“

Auf dem Weg zum Restaurant zog er eine hellgelbe Krawatte aus der Jackentasche. „Die sollte ich besser umbinden. In den Staaten kann man zwar ohne Krawatte gehen, solange man ein Jackett anhat. Hier ist man noch ein bisschen förmlicher, von den Touristenhochburgen mal abgesehen.“

Geschickt band er sich die Krawatte um. Der Anblick seiner schlanken Finger, die den Knoten zurechtrückten, erregte Liz. Champagner sollte ein Aphrodisiakum sein, aber ein Glas konnte sie doch nicht so nervös machen?

Nur wenige Gäste hatten vor ihnen das Restaurant betreten. Als der Oberkellner sie durch den Raum führte, kamen sie an einem Tisch mit spanischen Geschäftsleuten vorbei. Die Männer musterten Liz interessiert, was sie eher auf Cam zurückführte als auf ihre Ausstrahlung. Selbst in einem Land, in dem er nicht so bekannt war, fiel er einfach auf. Sobald sie mit ihm zusammen war, war alles etwas anders. Die Kellner waren aufmerksamer, Menschen, die sie sonst übersehen hätten, betrachteten sie interessiert. Ob ihr diese ungewohnte Aufmerksamkeit gefiel, wusste sie allerdings nicht.

In der Zeit, in der sie ihr Essen ausgewählt hatten, hatte sich das Lokal gefüllt. Fisch und schmackhafte Reisgerichte waren die Spezialitäten des Hauses, und sie nahmen beide Shrimps als Vorspeise, gefolgt von suquet de peix, was der Kellner mit „Fischeintopf“ übersetzte.

„Lass uns das teilen“, bat Liz, als der Ober schließlich die Rechnung brachte.

„Nein“, entgegnete Cam entschieden.

Er ließ nicht mit sich diskutieren. „Dann möchte ich mich aber wenigstens am Sprit und an den Mautgebühren beteiligen.“

„Danke für das Angebot … aber nicht nötig. Ich wäre so oder so hergefahren. Und durch dich ist die Tour nur noch netter geworden.“

Trotz seines nüchternen Tons fühlte sie sich geschmeichelt. „Das Essen war wunderbar. Der ganze Tag war herrlich“, sagte sie.

„Gut, dann müssen wir das wiederholen.“

Der Rest des Nachmittags verlief ebenso angenehm wie der Vormittag. Bald war es Zeit, zum Flughafen zu fahren. Auf dem Parkplatz verstaute Liz die Geschenke für ihre Mutter und für ihre Tante im Koffer, und Cam trug ihn in die Abflug­halle.

Dort stellte er den Koffer ab. „Ich verabschiede mich hier. Kann sein, dass ich nicht zu Hause bin, wenn du wiederkommst. Dann kann ich dich leider nicht abholen.“

„Du hast schon genug für mich getan. Danke vielmals. Ich wünsche dir viel Spaß mit deinen Freunden auf dem Land“, sagte sie lächelnd und reichte ihm die Hand.

Cam ergriff sie, beugte sich zu Liz und küsste sie flüchtig auf die Wangen. „Auf Wiedersehen, Liz. Pass auf dich auf.“ Er ließ ihre Hand los, drehte sich um und verschwand zwischen den Autos auf der Straße.

Überrascht und verunsichert zugleich, blickte sie ihm nach. Diese Begrüßungs- und Abschiedsküsse waren in Spanien üblich, und viele der Fremden hatten diese Sitte übernommen und tauschten bei jeder Gelegenheit Küsschen aus, was sie ziemlich albern fand. Sie hatte nicht erwartet, dass er sie zum Abschied küssen und diese alltägliche Geste sie so erregen würde.

Ihre Eltern waren nie so miteinander umgegangen. Sie hatten sich niemals vor ihren Augen umarmt. Auch in Duncans Familie hatte es keine Zärtlichkeiten gegeben. Solange sie sich erinnern konnte, hatte sie immer umarmt werden und andere umarmen wollen, doch sie hatte sich an die Gepflogenheiten ihrer Umgebung angepasst. Daher war sie auch so traurig darüber gewesen, dass sie keine Kinder bekommen hatte. Babys und Kleinkinder liebten Umarmungen und Küsse, und sie hätte es so genossen, ihrem Bedürfnis nachgeben zu können.

Im Terminal stellte Liz sich in die lange Schlange der Passagiere, die darauf warteten, einchecken zu können. Erst vierzig Minuten später konnte sie ihr Gepäck aufgeben und ihre Bordkarte in Empfang nehmen. Als sie noch einen Kaffee in der Cafeteria im Abflugbereich trank, erinnerte sie sich an ihre letzten Flüge nach England. Die ersten drei Male war es nach den Ferien mit ihren Schwiegereltern gewesen, das letzte Mal, nachdem sie das Haus von Beatrice Maybury gekauft hatte.

Eigentlich wäre sie damals lieber nach Griechenland oder Italien gereist. Duncan, der Geizhals, hatte den Urlaub mit den Eltern für eine gute Gelegenheit gehalten, zu sparen. Sie hätte nie geglaubt, dass sie eines Tages hier leben könnte. Oder dass einige Jahre später der flüchtige Kuss eines anderen Mannes ihr Herz so zum Rasen bringen würde wie zu Teenagerzeiten, als sie den Nachbarssohn im Garten gegrüßt hatte.

Während sie in der Abflughalle saß – und wahrscheinlich die einzige Person im Raum war, die sich mehr auf den Rück- als auf den Hinflug freute –, dachte sie an Cams Toast auf die „neuen Lebensabschnitte“.

Was würde sich in ihrem Leben wohl noch alles verändern?

Zwei Wochen später landete Liz mit zwei Stunden Verspätung wieder in Alicante. Sie nahm ein Taxi zum Bahnhof und stieg nach einer halben Stunde Aufenthalt in einen Bus, der sie in die Nähe von Valdecarrasca bringen würde. Für die letzten zehn Kilometer konnte sie sich wieder ein Taxi nehmen. Sie genoss die Fahrt durch die Küstenstädte mit dem Blick auf die Berge und das glitzernde Mittelmeer.

Während ihrer Abwesenheit hatte sie keine E-Mails von Cam erhalten und konnte eine gewisse Enttäuschung nicht verhehlen. Sie hatte sich in London extra einen Laptop gekauft, um auch dort jederzeit ihre Mails abrufen zu können. Jetzt war er sicher wieder unterwegs, wie er angekündigt hatte. Doch selbst wenn er nicht da war, freute sie sich auf seinen Garten. Ihre Reise hatte ihr eines gezeigt: Das Dorf war ihr Zuhause. Alle Zweifel über ihre Entscheidung, hier Wurzeln zu schlagen, waren verflogen.

In dem metallenen Briefkasten neben ihrer Eingangstür lag nur ein Brief. Auf dem Umschlag fehlte die Briefmarke. In unbekannter Handschrift war nur „Mrs Harris“ und „durch Boten“ darauf geschrieben.

Liz stopfte ihn in ihre Jackentasche, schloss die Tür auf und hievte den mit Büchern gefüllten Koffer über die Schwelle. Anschließend öffnete sie die Fensterläden, um Licht hereinzulassen. Erst in diesem Moment entdeckte sie ein Päckchen auf dem Tisch, das bei ihrer Abfahrt noch nicht dagestanden hatte. Für einen Moment war sie überrascht und fragte sich, wie es wohl dahin gekommen sein konnte. Doch dann erinnerte sie sich an den Ersatzschlüssel, den sie in Alicante hatte anfertigen lassen und Cam gegeben hatte.

Sie riss das braune Papier auf und packte einen Margarinebecher aus, der sich allerdings sonderbar schwer anfühlte. Darin war in Seidenpapier ein Objekt eingeschlagen, das sie schon immer an den Eingangstüren der eleganten spanischen Stadthäuser bewundert hatte.

Der Messingtürklopfer in Form einer Frauenhand war offensichtlich antik und keine der billigen Imitationen, die sie manchmal auf dem Markt gesehen hatte. Vielleicht stammte dieser von einem alten Haus, das abgerissen worden war. Cam hätte ihr nichts Schöneres schenken können.

Auf die Rückseite des Türklopfers war ein Kärtchen geklebt:

Hoffentlich gefällt er Dir. Wenn ja, dann bringe ich ihn Dir gleich nach meiner Rückkehr an. Herzlich willkommen zu Hause. Cam

Kaum hatte sie das gelesen, konnte sie seine Rückkehr nicht mehr erwarten.

Kurz darauf ging Liz in einem der kleinen Krämerläden im Dorf einkaufen. Erst nach ihrer Rückkehr fiel ihr wieder der Brief ein, der noch ungelesen in ihrer Jackentasche steckte. Sie zog ihn heraus und riss den Umschlag auf. Der Brief war mit der Maschine getippt, aber Anrede und Unterschrift waren ebenso elegant von Hand geschrieben wie ihr Name auf dem Umschlag.

Liebe Liz (Sie erlauben doch?),

Cam hat uns erzählt, wie hervorragend Sie sich um seinen Garten kümmern. Ich bin ebenfalls eine begeisterte Gärtnerin. Wir geben nächsten Samstag eine Party für unsere Freunde, und wir würden uns freuen, Sie dabei begrüßen zu können. Büfett und Abendessen. Elegante Kleidung erwünscht. 20 Uhr. Wenn Sie verhindert sind, geben Sie mir bitte Bescheid. Hoffentlich haben Sie Zeit.

Leonora Dryden

Am nächsten Morgen warf Liz ein Kärtchen mit ihrer Zusage in den Briefkasten der Drydens. Den Rest des Tages überlegte sie, was sie zu dieser Gelegenheit anziehen sollte.

Schließlich erzählte ihr Deborah von einem neuen Laden in Denia, in dem die reichen Auswanderer aus den Küstenstädten ihre getragenen Abendkleider verkauften.

„Warum fahren wir da nicht zusammen hin?“, schlug sie vor. „Nach dem Einkauf können wir ja etwas essen gehen.“

Der Ausflug wurde ein voller Erfolg. Sie verließen den Laden beide mit großen Tüten. Sie gingen in einem Restaurant direkt am Meer essen. „Lass uns einen anderen Weg zurückfahren“, schlug Deborah anschließend vor. „Wir nehmen die Bergstraße. Du warst doch noch nicht auf dem Montgo, oder? Man hat einen herrlichen Blick von dort oben auf das Meer.“

Der Berg Montgo war einer der charakteristischen Punkte an der Küste. Liz hatte angenommen, dass nur ein Weg vom Hinterland auf die Spitze führen würde. Dass auch eine gewundene Straße hinaufführte, die Denia mit dem kleinen Nachbarhafen Jávea verband, war ihr aber neu. Sie fragte sich, ob Cam davon wusste. Sie musste immer öfter an ihn denken. Und außerdem hatte sie sich ein verführerisches Kleid gekauft, das eigentlich gar nicht zu ihr passte.

„Vielleicht triffst du ja einen interessanten Mann auf dieser Party“, spekulierte Deborah, als sie die engen Haarnadelkurven hinauffuhren. „Mir sind in dieser Gegend allerdings noch keine akzeptablen Singles begegnet.“

„Willst du noch mal einen Mann in deinem Leben?“, erkundigte sich Liz.

„Ich will bestimmt nicht wieder so einen Blindgänger wie den letzten. Aber darüber bin ich hinweg, und ich würde es gern noch mal probieren. Das wäre schon nett“, sagte Deborah trocken.

An der höchsten Stelle der Straße, die noch weit unterhalb des Berggipfels lag, begann eine Nebenstraße, die zu einem Leuchtturm auf dem Kap führte. Deborah parkte den Wagen, sie stiegen aus und schlenderten herum.

„Bei dir ist das etwas anderes“, meinte Deborah. „Wenn jemand glücklich verheiratet war und dann seinen Partner durch einen Unfall verliert wie du, dann braucht man länger, um sich davon zu erholen. Meine Ehe begann schon am Ende der Flitterwochen auseinanderzubrechen.“

Liz mochte Deborah, und die Freundschaft war ihr sehr wichtig. Trotzdem wollte sie nicht über ihr Privatleben sprechen. „Vielleicht ist ein langsames Ende viel schmerzhafter als ein plötzlicher Schnitt“, erklärte sie. „Allein zu leben stört mich nicht. Ich bin lieber Single, als den falschen Mann zu heiraten.“

„Ich werde mich nicht mit dir darüber streiten“, verkündete Deborah nachdrücklich. „Ich bin zum Glück nicht nur älter als du, sondern auch klüger. Beim nächsten Mal werde ich mich nicht Hals über Kopf verlieben.“

Später, als sie wieder allein nach Valdecarrasca zurückfuhr, dachte Liz darüber nach, wie schnell man sich ein falsches Bild von anderen Menschen machte, wenn man nicht über alle Einzelheiten Bescheid wusste. Vielleicht sollte sie Deborah eines Tages die ganze Geschichte erzählen. Oder auch nicht. Schlafende Hunde sollte man nicht wecken.

Am Nachmittag vor der Party legte Liz ein Körperpflegeprogramm ein, das mit einem langen, entspannenden Bad begann und mit der Maniküre endete. Ab und zu sah sie aus dem Küchenfenster, ob die Rollläden in La Higuera bereits hochgezogen waren, denn Cam würde auf jeden Fall zu der Party der Drydens kommen. Bei Sonnenuntergang hatte sich immer noch nichts getan. Vielleicht hatte er seine Rückkehr aus wichtigen Gründen verschieben müssen.

Um sechs Uhr rief sie ihre E-Mails ab, hatte aber immer noch keine neue Nachricht erhalten. Um sieben, eine halbe Stunde bevor sie sich umziehen musste, ging sie noch einmal online. Immer noch nichts. Warum sollte er ihr auch Bescheid sagen, wenn er nicht kam? Cam und sie waren Nachbarn und Geschäftspartner, keine engen Freunde. Trotzdem ärgerte sie sich, weil er sich seit dem Abschiedskuss vor drei Wochen nicht mehr gemeldet hatte.

Bevor sie ihr neues Secondhandkleid aus dem Schrank nahm, zog sie einen neuen BH, einen Slip und schwarze Seidenstrümpfe an. Dann schminkte sie sich und brachte ihr frisch gewaschenes Haar zum Glänzen.

Erst zum zweiten Mal zog sie das neue Kleid an. „Du siehst überwältigend aus“, hatte Deborah bemerkt und sie damit bewogen, es zu kaufen. Obwohl es aus zweiter Hand war, war es nicht billig gewesen. Der Ladenbesitzer hatte allerdings erklärt, dass es von einem deutschen Topdesigner stammte, der für elegante Geschäftskleidung und glamouröse Abendkleider berühmt war.

Vorsichtig öffnete Liz den Reißverschluss, raffte den zarten Stoff zusammen und ließ ihn über Kopf und Körper gleiten. Die kühle Seide umschmeichelte ihre Figur. Als sie sich im schmalen Spiegel betrachtete, wusste sie, dass sie Aufsehen erregen würde. Das hatte sie noch nie getan.

Die Kirchturmuhr schlug acht, als Liz die Eingangstür abschloss und mit ihrem roten Umhangtuch um die Schultern zu den Drydens ging.

Zur selben Zeit stand Cam in seinem Sportcoupé an der Mautstelle der Autobahnausfahrt nach Valdecarrasca. Es war ein langer Tag gewesen. Da er viel um die Ohren hatte und müde war, hatte er eigentlich keine Lust auf Leonoras Stehparty. Doch er wusste, dass sie Liz eingeladen hatte, und fühlte sich verpflichtet, wenigstens vorbeizuschauen. Immerhin war er der einzige Mensch, den sie dort kennen würde. Die Partys der Drydens konnten manchmal eine Tortur für schüchterne oder reservierte Gäste sein, und Leonora würde zu beschäftigt sein, um sich um den Neuzugang zu kümmern.

Es war fast halb neun, als er die Garagentür schloss. Er wollte noch duschen und sich rasieren. Aber dafür brauchte er nie lange. Um Punkt neun verließ er sein Haus.

Die Haustür der Drydens stand offen, und er klingelte nicht, um niemanden zu stören. Er nahm seinen Kaschmirschal ab und warf ihn auf einen dunklen Eichenstuhl in der Empfangshalle. Dann ging er die Treppe zum Wohnzimmer im ersten Stock hoch, von dem aus man einen noch besseren Blick auf das Tal hatte als von seinem Haus.

Etwa dreißig Personen standen trinkend und plaudernd beieinander, doch der Saal war so geräumig, dass der Geräuschpegel erträglich war. Cam blickte sich um und erkannte die meisten Gäste. Der Mann, der sich mit einer Frau mit wundervollen Beinen und seidigem Haar unterhielt, war ihm unbekannt.

Im nächsten Moment drehte sie sich langsam in Cams Richtung und hob die Hand, um sich das Haar hinter das Ohr zu streichen – eine ausgesprochen weibliche Geste, wie er fand. Es war Liz, wie er jetzt feststellte. Unvermittelt erinnerte er sich an ihre zarten Wangen. Er sehnte sich danach, sie wieder küssen, aber diesmal auf den Mund.

Liz lauschte gerade einem Mann namens Tony, als sie das Gefühl hatte, dass sie beobachtet wurde.

„Ich werde Ihnen noch etwas zu trinken holen“, bot ihr Tony an und nahm ihr das Glas ab. „Ich bin gleich wieder da.“

Seine Abwesenheit gab Liz die Gelegenheit, sich ein wenig umzusehen. Sie hatte recht – jemand beobachtete sie. Es war Cam, der an der Flügeltür stand und sie mit einem so intensiven Blick ansah, dass ihre Selbstsicherheit schwand und sie nervös wurde.

Er kam auf sie zu, ohne zu lächeln. Dafür streckte er ihr die Hand entgegen. Als sie ihm ihre reichte, gab er ihr einen zarten Handkuss. „Du siehst wundervoll aus“, begrüßte er sie.

„Danke.“ Ihre Selbstsicherheit kehrte zurück. „Wie schön, dass du es noch zur Party geschafft hast!“

„Wer ist der Typ mit dem Schurrbart?“

„Er wohnt bei Mr und Mrs Dryden. Er ist Linguistikprofessor.“

„Ist er interessant?“

„Sehr. Wie war deine Reise?“

„Das Wetter war schrecklich … Schneematsch. Wie war deine?“, erkundigte er sich.

„Ich war froh, wieder hier zu sein. Du bist bestimmt durstig. Lass dich von mir bloß nicht aufhalten.“

„Ist das jetzt ein diplomatischer Versuch, mir zu sagen, dass ich ein vielversprechendes Tête-à-tête unterbrochen habe und du lieber nicht gestört werden möchtest?“

„Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, du hast mehr mit Tony gemeinsam als ich. Sprache ist euer Beruf. Mir liegt die Grafik mehr als das Wort. Da kommt er schon. Ich stell dich ihm vor.“

Kaum hatten sich die beiden Männer ins Gespräch vertieft, gesellte sich Leonora zu ihnen. „Wie nett, dass du da bist, Cam!“ Sie reichte ihm ein Glas Rotwein und bot ihnen einen Teller mit montaditos aus Räucherlachs und Kaviar an. „Ich hoffe, ihr verzeiht mir, wenn ich euch Tony entführe. Ich muss ihm unbedingt jemanden vorstellen.“

„Leonora ist eine Gastgeberin mit feinen Antennen“, bemerkte Cam, als sie mit seinem Gesprächspartner verschwand. „Sie wusste bestimmt, dass ich mich lieber mit meiner hinreißenden Nachbarin unterhalte als mit dem brillantesten Professor der USA.“

„Du hast versprochen, nicht mit mir zu flirten“, erinnerte Liz ihn.

„Ich habe versprochen, auf ein Zeichen zu warten. Du kannst doch nicht so ein Kleid tragen und nicht erwarten, dass man dir keine Komplimente macht. Du solltest aus deinem Schneckenhaus kommen und deine Schwingen viel öfter ausbreiten. Warum versteckst du diese Beine bloß immer in Hosen?“ Er trat einen Schritt zurück, um sie besser bewundern zu können.

„Wie viel hast du auf dem Flug getrunken?“, fragte sie.

„Gar nichts. Ich trinke nie, wenn ich noch fahren muss. Das ist mein erstes Glas heute.“

Sie erinnerte sich, dass er in Alicante ein Glas Champagner vor dem Essen getrunken hatte, aber nicht sehr viel Wein zum Essen, und er hatte erst viele Stunden später wieder zurückfahren müssen.

„Wann wir wohl essen?“, erkundigte er sich. „Ich habe das Essen im Flugzeug ausgelassen, und langsam bekomme ich Hunger.“

„Das Essen wird wohl um halb zehn serviert, aber es gibt jede Menge Snacks. Warte. Ich hole dir was.“

Als sie gehen wollte, ergriff er ihre Hand und hielt sie zurück. „Ich kann noch ein bisschen warten.“

„Oh … das hatte ich völlig vergessen. Danke für den Türklopfer“, rief sie. „Das war eine schöne Überraschung.“

Cam hielt immer noch ihre Hand. „Warum dankst du mir nicht richtig?“ Er neigte sich zu ihr herüber und bot ihr die frisch rasierte Wange zum Kuss.

Sie wollte nicht, aber ihr blieb nichts anderes übrig, als auf den Vorschlag einzugehen. Gerade als sie ihn flüchtig auf die Wange küssen wollte, wandte er den Kopf, sodass sich ihre Lippen berührten.

Liz warf ihm einen wütenden Blick zu. Sie wollte nicht, dass ihre Beziehung in der Öffentlichkeit missverstanden wurde.

„Das war nicht fair“, erklärte sie verärgert.

Obwohl sie ihm Vorwürfe machte, verspürte sie ein erregendes Prickeln. Fast vergessene Gefühle, die sie vor langen Jahren zuletzt erlebt hatte, stiegen beängstigend schnell wieder in ihr auf. Fast zwanzig Jahre später fand sie noch einmal all die Leidenschaft wieder, all die kaum verstandene Sehnsucht, die sie damals empfunden hatte.

„Das Leben ist nicht fair“, erwiderte Cam und hielt ihre Hand immer noch in seiner gefangen.

„Ladies and Gentlemen, zu Tisch bitte.“ Die durchdringende Stimme ihres Gastgebers löste die Spannung zwischen ihnen.

„Cam, Darling“, ließ sich plötzlich jemand vernehmen, „lange nicht gesehen.“ Eine Frau in einem violetten Top und mit langen Amethyst-Ohrringen begann einen lebhaften Monolog über die Dramen ihres Lebens, sodass Liz ihm endlich ihre Hand entziehen konnte und Cam stehen ließ.

Als das Essen zu Ende war, hatte Liz entschieden, dass sie sich durch ihn nicht aus der Ruhe bringen lassen dürfte. Cam versuchte es ja nur. Er würde nichts erzwingen. Nicht wenn er sie als Gärtnerin und Webdesignerin behalten wollte. Sie musste gelassener werden und ihn wie einen übermütigen Hund zur Räson bringen. Schließlich gab es genügend läufige Hündinnen, die sich ihm anboten. Die Frau, mit der er gerade sprach, war bestimmt schon fünfzig, doch selbst von der anderen Seite des Raumes konnte man erkennen, dass sie liebend gern etwas mit ihm anfangen würde.

Liz zog gerade ihre Lippen im Schlafzimmer ihrer Gastgeber nach, als Mrs Dryden hereinkam. Mit ihrer schlanken, athletischen Figur und dem dichten blonden Haar hätte man sie von hinten für eine junge Frau halten können. Ihre Falten und die Altersflecken auf ihren Händen waren allerdings untrügliche Anzeichen dafür, dass sie Ende sechzig, wenn nicht gar noch älter sein musste. Die falsche Haarfarbe war das einzige künstliche Mittel, mit dem sie dem Alter trotzte. Sie trug eine schlichte schwarze Satinbluse und eine schwarze Hose mit Seidenstreifen an den Nähten.

„Liz, ich habe ein Gartenmagazin für Sie, das Sie bestimmt interessiert. Kommen Sie mit in mein Arbeitszimmer, dort suche ich es für Sie heraus“, bot sie ihr an.

Ihr Arbeitszimmer war in drei Bereiche unterteilt. Auf einem großen Tisch stand eine Nähmaschine. In einer Ecke befand sich eine Staffelei mit einer Leinwand, auf der mit Kohle die Umrisse eines Porträts skizziert waren. Außerdem gab es einen Schreibtisch und daneben ein bequemes Sofa vor einer Regalwand mit Büchern und Zeitschriften.

„Vielleicht haben Sie Gardens Illustrated ja auch schon selbst abonniert?“, meinte Mrs Dryden und schloss die Tür hinter ihnen.

„Nein, noch nicht.“

„Wenn Sie mögen, kann ich Ihnen all meine alten Ausgaben leihen. Vielleicht bekommen Sie da noch ein paar Anregungen für Cams Garten und Ihren eigenen. Setzen Sie sich doch.“

„Sie wissen, wie man sich sinnvoll beschäftigt, Mrs Dryden.“

„Nennen Sie mich Leonora. Ja, das stimmt. Ich habe eher das Problem, Zeit für all meine Hobbys zu finden. Ah, da ist es.“ Mrs Dryden reichte ihr ein Hochglanzmagazin. „Sie tragen ein wunderbares Kleid. Cam hatte erwähnt, dass Sie Beziehungen zu einem Frauenmagazin haben. Waren Sie Moderedakteurin?“

Liz lachte und schüttelte den Kopf. Dann erzählte sie ihr, was sie beruflich machte. „Dieses Kleid habe ich in einem Secondhandladen in Denia gefunden. Wäre es neu gewesen, hätte ich es mir nicht leisten können. Ich verstehe gar nicht, warum die Vorbesitzerin es nicht behalten hat. Ich werde es wohl ewig tragen.“

„Nun, irgendwann wird das nicht mehr gehen“, wandte Mrs Dryden ein. „Dann sollten die Arme besser bedeckt sein. Aber das wird bei Ihnen noch zwanzig Jahre dauern. Manchmal bedauere ich es, dass ich solche Kleider nicht mehr tragen kann. Allerdings konnte ich meine Figur halten, und dafür bin ich dankbar. Sind Sie eigentlich schon mal porträtiert worden?“

„Nicht mehr seit der Grundschule, als wir uns gegenseitig malen mussten“, erklärte Liz amüsiert.

„Ich würde Sie gern in diesem Kleid malen. Haben Sie Zeit dafür? Es würde ein paar Stunden dauern, aber wir könnten es immer in Sitzungen von einer Dreiviertelstunde machen. So lange kann ich mich konzentrieren.“

„Es wäre mir eine Ehre“, sagte Liz.

„Gut. Ich rufe Sie nächste Woche an, dann machen wir einen Termin aus. Jetzt sollten wir wieder zu den anderen gehen.“

Im Wohnzimmer stellte Mrs Dryden sie einigen Leuten vor, die sie noch nicht kannte und die sich hauptsächlich für spanische Blumen interessierten. Während Liz sich mit ihnen unterhielt, stellte sie fest, dass Cam sich immer wieder zu anderen Gästen gesellte. Er war beliebt, und das nicht nur bei den Frauen, sondern erstaunlicherweise auch bei den Männern. Dass er ein Frauenheld ist, heißt allerdings nicht, dass er sich an die Frauen anderer Männer heranmacht, dachte sie. Und es war unwahrscheinlich, dass er der erstbesten Frau nachlaufen würde, wenn ihm solche Schönheiten wie Fiona zur Verfügung standen.

Um halb zwölf wurde Liz müde, da sie als Frühaufsteherin nicht an lange Nächte gewöhnt war. Doch keiner der anderen Gäste machte Anstalten aufzubrechen. So wartete sie, bis sich ein älteres Ehepaar verabschiedete, bevor sie sich bei den Drydens für die Einladung bedankte und eine gute Nacht wünschte.

„Erlauben Sie, dass sich Sie nach Hause begleite“, bot Tony ihr an.

Hatte Leonora ihm ein Zeichen gegeben? „Danke, aber das ist wirklich nicht nötig. Ich wohne gleich um die Ecke.“

„Ich werde Liz nach Hause bringen“, verkündete Cam, der hinter ihr stand. „Con permiso“, fügte er hinzu und sah sie so feurig an, dass Liz ihm nicht widersprechen konnte.