Donde no hay amor, no hay dolor
Ohne Liebe kein Schmerz
„Ich glaube, Treue ist das A und O. Eine offene Ehe würde ich nicht ertragen. Aber kann jemand wie du, der … Abwechslung gewohnt ist, auch treu sein?“, erkundigte Liz sich zögernd.
„Sicher, und das ist mir sogar lieber. Als ich noch ein unstetes Journalistenleben geführt habe, war das unmöglich. Ich hätte auch nie geheiratet, weil die Gefahr, nicht wiederzukommen, einfach zu groß war.“
„Glaubst du nicht, dass dir mit nur einer Partnerin langweilig wird? Vielen Männer geht es so.“
„Viele Männer haben ein unbefriedigtes Sexualleben. Sie verstehen die Bedürfnisse der Frauen nicht. Daher bekommen sie nicht das, was sie wollen, und sehen sich woanders um. Sie merken gar nicht, dass sie selbst das Problem sind.“
Wo hast du gelernt, Frauen zu verstehen? wollte Liz fragen. Doch es war ihr unangenehm. Ihre Verlegenheit stammte noch aus ihrer Jugend, als man niemals über Sex gesprochen hatte. Selbst wenn ihr Vater nicht anwesend war, waren ihrer Mutter solche Fragen peinlich gewesen. Sie hatte sich also andere Informationsquellen suchen müssen. Schließlich hatte sie das meiste aus Büchern und Magazinen gelernt. Theorie und Praxis waren allerdings zwei völlig verschiedene Dinge.
Cam beobachtete Liz, die starr die Kunststoffplatte des Tischs betrachtete. Eine kleine Falte hatte sich zwischen ihren Augen gebildet. Vermutlich dachte sie an etwas ganz Persönliches, das er niemals erfahren sollte.
„Ich werde dir immer treu sein. Das verspreche ich. Auch ich halte nichts von einer offenen Ehe“, erklärte er ruhig.
Sie sah zu ihm auf. Er konnte ihre Ungläubigkeit in ihrem Blick lesen und erinnerte sich, dass er bei ihrer ersten Begegnung mit Fiona da gewesen war. Wahrscheinlich hatte die Begegnung mit einer seiner früheren Freundinnen all die Gerüchte bestätigt, die Liz über ihn gehört hatte. Hätte sie Fiona nicht getroffen, hätte sie den ganzen Klatsch vielleicht nicht so ernst genommen.
„Meine Großmutter sagte immer, dass die bekehrten Ehemänner die besten seien“, erzählte er. „Du hast doch nicht erwartet, dass ich in meinem Alter keine Beziehungen habe, oder?“
„Nein. Aber es schienen sehr viele zu sein.“
Es kam nur selten vor, dass er sprachlos war. Ihr seine Vergangenheit zu erklären war allerdings wesentlich schwieriger, als einem Millionenpublikum die komplexen Zusammenhänge der Nahostpolitik oder die Geschehnisse in Afrika näherzubringen.
„Du hast doch bestimmt Filme über den Zweiten Weltkrieg gesehen oder Bücher darüber gelesen“, begann er. „Wenn Männer nicht wussten, ob sie von ihrem Einsatz an der Front wieder nach Hause zurückkehrten, dann stürzten sie sich Hals über Kopf ins Leben, solange ihnen Zeit dafür blieb. Die Frauen taten das natürlich auch. Selbst zu der Zeit, als die Moralvorstellungen noch wesentlich strenger waren als heute.“
Liz nickte und hörte aufmerksam zu.
„Kriegsberichterstatter empfinden genauso“, fuhr er fort. „Sie haben einen höchst riskanten Job und leben für den Augenblick. Morgen kann es bereits zu spät sein. Aber jetzt kann ich mit etwas Glück genauso lange leben wie meine Großeltern. Und ich kann die Zukunft planen.“ Cam legte die Hand auf ihre. „Und die möchte ich gern mit dir verbringen. Ich möchte eine Familie gründen und mit dir das Leben genießen.“
Er hatte gehofft, dass sie seine Hand ergreifen würde, doch Liz ließ ihre auf dem Tisch liegen.
„Heute können Paare das Zusammenleben vor der Ehe proben. Wäre es nicht klüger, das erst mal zu versuchen, bevor wir uns in eine Ehe stürzen?“
„War das bei deinem Ehemann so?“
Ein gequälter Ausdruck trat in ihre Augen.
Natürlich war Cam neugierig auf ihre erste Ehe, und vielleicht würde sie ihm eines Tages die ganze Geschichte erzählen. Aber nicht jetzt.
Liz schüttelte den Kopf. „Unsere Familien waren sehr konservativ. Wir haben beide bis zu unserer Ehe zu Hause gewohnt. Eine gemeinsame Wohnung vor der Ehe war nicht drin. Wir haben nicht dagegen rebelliert.“
„Was machte dein Mann beruflich?“
„Er war Buchhalter bei einer Versicherung.“ Sie war sicher, dass solch ein Beruf für Cam der Inbegriff der Langeweile war.
„War es das, was er wollte?“
„Er war nicht unglücklich dabei. Er hat sich wohl damit abgefunden, dass die meisten Leute ihre Arbeit nicht aufregend finden. Irgendwer muss ja auch die langweiligen Jobs übernehmen. Er liebte seine Münzsammlung und war Mitglied in verschiedenen Clubs. Außerdem schrieb er Artikel über Münzen.“ Das lässt Duncan wahrscheinlich noch fader erscheinen, dachte sie.
Zu ihrer Überraschung reagierte Cam ganz anders. „Das ist ein spannender Bereich. Ich weiß leider so gut wie nichts darüber, aber ich kann die Faszination dafür verstehen. Mein Großvater hat Briefmarken gesammelt, aber er hat mich nicht dazu überredet. Er war der Meinung, dass die Leidenschaft fürs Sammeln nicht erlernt werden kann, sondern einem natürlichen Instinkt entspringt. So, nun zurück zur Ehe auf Probe. In einem Dorf wie diesem würde uns das nur Kritik einbringen. In London und New York scheren sich die Leute nicht darum, was die anderen tun. Hier hingegen zählen andere Werte.“
Liz zweifelte nicht daran, dass er in Bezug auf die alten Frauen recht hatte. Die meisten von ihnen waren bei ihrer Hochzeit sicher noch Jungfrauen gewesen. Nach dem, was Alicia ihr erzählt hatte, standen die spanischen Mädchen ihren nordeuropäischen Altersgenossinnen allerdings in nichts nach, selbst bei der Gründung eines gemeinsamen Haushalts mit ihren Freunden.
Cam hatte die Hand zurückgezogen, trank einen Schluck Wein und beobachtete sie leicht amüsiert.
„Es ist noch gar nicht so lange her, als du mich gewarnt hast, nicht zu weit zu gehen. Und jetzt schlägst du Sex vor der Ehe vor, obwohl du dich noch nicht entschieden hast – oder hast du dich entschieden?“
Liz errötete. „Nein, habe ich nicht. Ich halte deinen Vorschlag immer noch für verrückt.“
„Ganz im Gegenteil. Er ist äußerst vernünftig. Aber wir werden nicht darüber streiten.“
Erst am Spätnachmittag kehrten sie in das Dorf zurück, nachdem sie noch einige Geschäfte in Gata besucht hatten. Bei dem verspäteten Mittagessen hatte Cam nicht mehr über persönliche Dinge gesprochen und Liz so oft zum Lachen gebracht, wie es ihr noch nie zuvor beim Essen passiert war.
Als er sie vor ihrem Haus absetzte, holte er ihre Vase aus dem Kofferraum und reichte sie ihr.
„Danke für das Mittagessen“, sagte sie.
„Danke für die Einkaufsberatung. Fährst du morgen nach Benissa?“
In Benissa fand jeden Samstag ein malerischer Straßenmarkt statt, auf dem Spanier, Auswanderer und Touristen einkauften.
„Schon möglich.“
„Warum fahren wir nicht zusammen?“
„Gut. Um wie viel Uhr?“, stimmte sie zu, obwohl sie eigentlich Abstand benötigte.
„Ist halb zehn okay?“
„Wunderbar.“
„Hasta mañana.“ Cam sprang wieder in seinen Wagen, um die Straße für einen heranbrausenden LKW frei zu machen.
Während sie die Blumen in ihrer neuen Vase arrangierte, überlegte Liz, dass es vielleicht besser gewesen wäre, einige Tage allein zu verbringen. So hätte sie mehr Zeit gehabt, in Ruhe über alles nachzudenken.
Abends, als sie eigentlich arbeiten wollte, konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, sein Foto anzusehen, das sie im Computer gespeichert hatte. Mit einem Bildbearbeitungsprogramm vergrößerte sie es und druckte es auf ihrem kleinen Farbdrucker auf Fotopapier aus.
Später im Bett studierte sie alle Einzelheiten seines Gesichts – den Haaransatz, die hohe Stirn und die schönen Zähne. Sein linkes Auge blickte ernst, während das rechte verführerisch funkelte, was sie immer so verwirrte.
Sie holte sich einen Handspiegel und studierte ihre Augen. Sie schienen beide gleich zu sein. Vielleicht war der Unterschied nur auf einem Foto erkennbar, doch das einzige Porträt, das sie von sich hatte, war das kleine Bild in ihrem Ausweis.
Erschrocken erinnerte sie sich daran, dass sie als Teenager Duncans Bild ebenso betrachtet hatte. War sie seit damals wirklich nicht klüger geworden? Älter mit Sicherheit – aber nicht unbedingt schlauer.
Liz erinnerte sich an einen Satz aus der Schulzeit. Freundschaft ist ein unvoreingenommener Handel zwischen Gleichgesinnten – Liebe eine demütigende Verbindung zwischen Tyrannen und Sklaven.
Der sanfte Duncan war kein Tyrann gewesen. Auch wenn ihre Ehe eine Art Gefängnis gewesen war, aus dem es kein Entrinnen zu geben schien, bis sie auf einmal frei gewesen war – und krank vor Scham, denn den Preis ihrer Freiheit hatte er mit seinem Leben bezahlt.
Als sie auch um Mitternacht noch nicht schlafen konnte, ging sie zum ersten Mal seit der Nacht, als Cam Fiona mitgebracht hatte, wieder auf die Dachterrasse.
Jetzt war nur sein Wohnzimmer erleuchtet, doch Cam war nicht zu sehen. Vielleicht saß er auf dem Sofa, das mit der Lehne zu den Fenstern stand. Wenn er den Fernseher eingeschaltet hätte, wäre ein blauer Lichtschein zu sehen gewesen. Er musste also lesen.
Wenigstens das hatten sie gemeinsam. Sie waren beide Bücherwürmer. Aber reichte das schon für eine Ehe?
Der Markt von Benissa war bereits in vollem Gange, als sie ankamen. Die Straße war von kleinen und größeren Häusern gesäumt, deren Erdgeschossfenster vergittert waren. Oben gab es kleine Balkons und an den Türen blitzblanke Messingtürklopfer. Auf einem Grünstreifen wuchsen Palmen und Gänseblümchen.
An diesem Tag waren die Fahrbahnen von Marktständen gesäumt. Violette Auberginen, rubinrote und dunkelgrüne Paprika, Knoblauch, Pilze, Erdbeeren, Artischocken, Orangen und viele andere Obst- und Gemüsesorten lockten zum Kauf. Hausfrauen drängten sich vor den Tischen, manche trugen Einkaufstaschen, andere schoben Daumen lutschende Babys in ihren Karren herum. Ein Stimmengewirr aus dem örtlichen Dialekt, aber auch aus Deutsch, Französisch, Holländisch, Englisch und verschiedenen skandinavischen Sprachen erfüllte die Luft. Kinder aßen an einem Stand am Ende des Marktes churros, und ein junges Mädchen fuhr auf Inlineskates durch die Menge.
Viele neugierige Blicke trafen Cam. Nicht nur, weil er größer war als die meisten Menschen hier, sondern auch, weil er etwas Besonderes ausstrahlte. Liz fragte sich, ob ihn jemand erkennen würde, obwohl man an diesem Ort keine Berühmtheiten aus dem Fernsehen erwartete. Trotz des hervorragenden Klimas war die Costa Blanca nicht so beliebt wie die Costa del Sol im Süden Spaniens.
„Diese Honigmelonen sind richtig lecker – falls du Melonen magst“, erklärte sie und erstand eine Melone.
Er kaufte ebenfalls eine und steckte beide in seinen Rucksack, der über seiner breiten Schulter hing. Obwohl die Einheimischen sehr höflich waren, war es Liz schon einige Male passiert, dass sie auf dem Markt von ungeduldigen Käufern angerempelt worden war. Mit Cam an ihrer Seite würde das nicht passieren. Seine Gegenwart schützte sie wie ein Schild. Sie genoss es, mit einem größeren und stärkeren Mann hier zu sein, der es als seine Pflicht ansehen würde, sie vor möglichen Übergriffen zu beschützen. Dem Mann gleichberechtigt zu sein war schön und gut, doch es gab immer noch Situationen, in denen eine vernünftige Frau einen starken Mann schätzte.
Gerade als sie dies dachte, beugte sich Cam, der hinter ihr stand, nach vorn, um eine Grapefruit auszusuchen. Dabei berührte seine Brust ihre Schulter. Im selben Moment bemerkte Liz den zarten Duft, der von ihm ausging. Augenblicklich wusste sie, dass sie seine Frau werden wollte – ganz gleich, wie verrückt das Ganze auch wäre. Sie konnte sich ihrer Gefühle für ihn nicht erwehren, so wie sie der mädchenhaften Liebe zu Duncan nicht hatte widerstehen können. Sie konnte nur noch hoffen, dass es diesmal anders sein würde.
„Entschuldigung, bedränge ich dich?“, fragte Cam und sah in dem Augenblick zu ihr hinunter, als sie zu ihm aufblickte.
„Alles in Ordnung“, beruhigte Liz ihn betont locker. Aber ihr Herz pochte aufgeregt, und ihre Stimme klang heiser. Wie war es möglich, inmitten all dieser Fremden so leidenschaftliche Gefühle zu verspüren?
Während er immer noch die Grapefruit hielt, beugte er den Kopf zu ihr herunter. Leise flüsterte er ihr ins Ohr: „Ich würde dich so gern küssen.“
Warum tust du es nicht? wollte sie ihn auffordern, doch sie unterdrückte diesen Impuls. Denn er würde es tun, selbst in dieser unpassenden Umgebung.
Bevor ihr eine passende Erwiderung einfiel, hatte sich sein verführerischer Ausdruck verändert. „Du hast dich entschieden, oder?“
Sein feines Gespür erstaunte sie. Wie konnte er nur so genau ihre Gedanken lesen? Sie hatte sich doch erst vor wenigen Sekunden entschieden.
Der Verkäufer nahm ihm die Grapefruit ab. „Algo más, Señor?“
„Nada más.“ Cam reichte ihm einige Münzen, dann drehte er sich zu ihr um. „Ich könnte unsere Einkäufe zum Auto bringen, während du noch etwas herumschlenderst. Ich komme gleich nach, und wir trinken einen Kaffee, ja?“
Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern nahm ihre Plastiktüte und verschwand.
Liz blickte ihm nach, bis er in der Menschenmenge verschwunden war. Dann bummelte sie zu dem Teil des Marktes, auf dem Kleider und Schuhe, billige Uhren und Modeschmuck sowie bunte Teppiche verkauft wurden. Die afrikanischen Verkäufer gaben dem Markt eine kosmopolitische Note.
Normalerweise liebte sie es, über den Markt zu laufen, doch heute war sie viel zu sehr mit Cam beschäftigt. Erst gestern hatte sie ihm vorgehalten, dass eine Ehe völlig verrückt wäre, und jetzt würde sie Ja sagen. Sie freute sich sogar richtig darauf – aber das würde sie für sich behalten.
Als er sich wieder zu ihr gesellte, beobachtete sie gerade zusammen mit einigen Kindern einen aufziehbaren Frosch, der in einer Wasserschüssel schwamm.
„Hallo“, begrüßte Cam sie und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Willst du so einen für deine Badewanne? Ich bin gerade in Spendierlaune.“ Noch bevor sie ihn zurückhalten konnte, bat er den Verkäufer auf Spanisch, ein Exemplar einzupacken.
„Du bist verrückt“, protestierte sie.
„Nein, nur glücklich“, widersprach er lächelnd. „Wie wäre es, wenn wir einen Whirlpool im Garten aufstellen und unter freiem Himmel baden würden … du, ich und der Frosch? Ich habe eine Anzeige in der Zeitung gesehen.“
„Ein Whirlpool würde den ganzen Garten ruinieren. Das würde schlimm aussehen. Wie kommst du bloß darauf?“
„Um dich mal so richtig zu erschrecken.“ Cam übergab ihr den eingepackten Frosch. „Das ist mein Vertreter, bis ich das Vergnügen habe, mit dir baden zu können.“
„Du weißt doch noch gar nicht, ob ich dich heiraten will. Das vermutest du bloß.“
„Irre ich mich denn?“
„Nein“, gab sie zu.
„Dann lass uns jetzt ein ruhiges Plätzchen suchen und Pläne schmieden.“ Er nahm ihre freie Hand und zog sie durch die Menschenmenge.
Cam führte Liz in ein ruhiges Lokal. Sie bestellten Kaffee und cava.
„Ich habe noch etwas auf dem Markt gekauft.“ Er langte in seine Hosentasche und zog ein kleines Päckchen hervor, das in eine bunte Serviette eingewickelt und mit einem Klebeband verschlossen war.
Für gewöhnlich packte sie Geschenke immer ganz sorgsam aus und achtete darauf, alle Knoten zu lösen und das Papier nicht zu zerreißen. Diesmal zerrte sie die Serviette herunter und schrie entzückt auf, als sie sah, was es war.
Neben dem Frosch hatte nur eine Sache auf dem Markt ihre Aufmerksamkeit erregt: ein modisches Armband aus grünen und blauen Perlen. Es war eines dieser Accessoires, die an sonnengebräunten Handgelenken von Teenagern wirkten, aber sie hatte sich zu alt dafür gefühlt. Cam hatte genau das Stück ausgesucht, das ihr gefiel.
Er nahm es ihr aus der Hand und legte es ihr um. „Das ist der Platzhalter für den Verlobungsring. Ich weiß ja nicht, was für Schmuck du magst. Wir sollten ihn zusammen aussuchen. Bis dahin kannst du diesen Schnickschnack tragen.“ Er hob ihre Hand an die Lippen und hauchte einen Kuss darauf. „Und es ist auch ein Platzhalter, bis wir unseren Bund auf traditionellem Weg besiegeln können.“
Im selben Moment kam der Ober mit Kaffee, Champagner und einem kleinen Teller mit Häppchen. Cam ließ ihre Hand los und lehnte sich zurück. Während der Ober alles auf dem Tisch arrangierte, bemerkte Liz, dass Cam sie nicht aus den Augen ließ.
Sie legte die Hände in den Schoß und betrachtete die funkelnden Perlen.
„Auf uns.“ Er hob sein Glas.
„Auf uns“, wiederholte sie. „Aber ich brauche keinen Verlobungsring. Ich bin mit diesem wunderhübschen Armband schon vollkommen glücklich.“
Cam runzelte die Stirn. Dann verschwand der Ausdruck des Missfallens wieder. „Wie du willst. Wann können wir heiraten? Je eher, desto besser, finde ich. Ich wäre für eine ruhige standesamtliche Zeremonie. Vielleicht hast du ja andere Vorschläge.“
„Nein, das finde ich gut. Wahrscheinlich können wir uns im Internet über die Formalitäten informieren. Wollen deine Eltern nicht dabei sein?“
„Sie erwarten vielleicht, dass wir sie einladen, aber eigentlich möchte ich sie nicht dabeihaben. Wenn meine Großeltern noch leben würden, wäre es etwas anderes.“ Er schwieg für einen Moment. „Ich will damit allerdings nicht sagen, dass du deine Mutter nicht einladen sollst.“
„Ich kann sie nicht ohne meine Tante einladen. Und die möchte dann bestimmt ihre Kinder mitbringen. Wahrscheinlich ist es besser, wenn wir überhaupt niemanden einladen. Ich kann die Schuld immer noch auf dich schieben. Sie werden viel zu aufgeregt sein, weil du in unsere Familie kommst, um lange beleidigt zu sein.“
„Wir sollten nach England fliegen und ihnen die Neuigkeit persönlich mitteilen“, wandte Cam ein. „Vor allem möchte ich jeden Presserummel vermeiden. Was mich angeht, so ist mein Privatleben tabu.“
„Ich bekomme ab und zu ein spanisches Klatschblatt von Deborah, aber ich möchte nicht um alles Geld der Welt da drin stehen.“
„Gut, dann werden wir in La Higuera weiterhin unsere Ruhe haben. In der Annahme, dass du Ja sagst, habe ich letzte Nacht überlegt, ob es nicht gut wäre, eine Tür in die Mauer zwischen unseren Häusern einzubauen. Vorausgesetzt, du willst das Haus nicht verkaufen. Dein Haus könnte dann unser Gästehaus werden. In La Higuera könntest du eines der Gästezimmer als Arbeitszimmer nutzen. Aus dem anderen machen wir dann das Kinderzimmer.“
„Cam, was ist, wenn ich keine Kinder bekommen kann? Hast du darüber nachgedacht?“
„Kinder sind immer Glücksache. Wenn es nicht klappt, dann eben nicht“, meinte Cam schulterzuckend.
„Kinder sind doch einer der Gründe, warum du heiraten willst“, erinnerte Liz ihn. „Wenn man verliebt ist, ist es etwas anderes. In dem Fall hat man immer noch die Liebe. Aber wir gehen eine Vernunftehe ein.“
„Und das heißt, dass wir realistisch bleiben. Wenn unsere Hoffnungen nicht ganz erfüllt werden, können wir besser damit umgehen als diejenigen, die auf alles im Leben einen Anspruch erheben. Vielleicht haben mich meine Erfahrungen in Afrika und der Dritten Welt allzu ungeduldig für manche Dinge in den Industrienationen gemacht. Ich habe kein Verständnis für eine Frau, die von ihrem Recht auf Mutterschaft so besessen ist, dass sie Abertausende dafür ausgeben würde, um schwanger zu werden. Geld, das Hunderten afrikanischen Frauen helfen könnte, nicht täglich den weiten Weg zu einer Wasserstelle zu machen, oder Tausenden blinden Indern das Augenlicht wiedergeben könnte.“
Zum ersten Mal hörte Liz Leidenschaft in seiner Stimme.
„Für Männer ist es bestimmt schwierig, zu verstehen, wie sehr sich manche Frauen Kinder wünschen“, sagte sie. „Ich würde nie so weit gehen. Wenn eine Frau nicht schwanger werden kann, muss sie es akzeptieren und sich anderen Dingen widmen. Allerdings würden sich manche Menschen für all diese Hilfsprojekte vielleicht viel mehr interessieren, wenn nicht immer so viel Geld bei korrupten Beamten landen würde.“
„Da hast du leider recht. Und so, wie ich es erlebt habe, sind die Befürchtungen durchaus berechtigt. Wir leben in einer verrückten Welt … was wiederum der beste Grund dafür ist, unser eigenes Glück aufzubauen. Wir haben noch das ganze Leben, um über diese wichtigen Dinge zu diskutieren. Heute müssen wir feiern. Wir könnten in die Berge fahren und in einem Hotel zu Mittag essen, von dem aus man einen tollen Ausblick genießen soll. Auf dem Weg dahin können wir unsere Einkäufe zu Hause abstellen.“
Obwohl die Mandelblüte noch nicht begonnen hatte, waren an einigen geschützt stehenden Bäumen bereits die ersten weißen und rosafarbenen Blüten aufgegangen. Hier und dort kamen sie an Orangenhainen vorbei, deren leuchtende Früchte zwischen den dunkelgrünen Blättern schimmerten. Immer wenn Liz Orangenbäume mit ihren Blüten und Früchten sah, hob sich ihre Stimmung.
Das Hotel lag fast auf dem Kamm eines Hügels, nicht weit von einer tiefen Schlucht und mit Blick auf die Küstenebene in der Ferne. Das Hauptgebäude fügte sich harmonisch in die Umgebung ein und war von duftendem Thymian und Lavendel umgeben, die auf diesem kargen Boden noch gediehen.
Sie tranken etwas an der Bar, bevor sie zu ihrem Tisch geführt wurden.
„Dieses Gebiet war die letzte Hochburg der Mauren, bevor sie vertrieben wurden“, erzählte Cam, während sie auf den ersten Gang warteten. „Man kann sich vorstellen, wie sie sich fühlten. Sie hatten über siebenhundert Jahre in Spanien gelebt. Sie vollbrachten Wunder beim Bestellen des Bodens, und plötzlich wurden sie verjagt.“
Sie sprachen während des ganzen Essens fast nur über die Vertreibung von Juden und Mauren, die so viel zum Reichtum der spanischen Kultur beigetragen hatten. Liz genoss die Köstlichkeiten, doch Cam hatte an Essen und Service etwas auszusetzen.
„Ich mache gern Zugeständnisse, wenn kleine Restaurants auf dem Land nur wenig zu bieten haben“, meinte er. „Aber dieser Laden will ein Gourmetrestaurant sein und sollte daher nach strengeren Maßstäben bewertet werden. Hier werden wir unsere Flitterwochen jedenfalls nicht verbringen.“
So weit hatte sie noch gar nicht gedacht.
„Wir müssen uns ein parador aussuchen … außer du möchtest irgendwo außerhalb Spaniens flittern. Wenn du gern irgendwohin fahren möchtest, brauchst du es nur zu sagen.“
Eine Auslandsreise wäre bestimmt keine Besonderheit für ihn, überlegte Liz. „Parador hört sich gut an. Warst du schon oft in so einem staatlichen Hotel?“
„Nur drei Mal. In einem ganz modernen an der Küste bei Jávea, in einem in der Sierra Nevada, das hauptsächlich von Skifahrern besucht wird, und in einem restaurierten Schloss in Tortosa am Ebro. Dort habe ich mit meinen Großeltern übernachtet, als sie mich nach den Sommerferien nach England zurückbrachten. Aber es gibt noch jede Menge andere.“
Als sie das Hotel verließen, fuhr Cam nicht wie erwartet den Weg zurück, den sie gekommen waren. Er wollte Liz noch eine andere Route zeigen. Es war eine schmale Nebenstraße mit vielen engen Kurven und lieblichen Aussichten. Die Landschaft war unberührt, und die Hänge waren mit leuchtend gelbem Ginster überzogen.
„Können wir einen Moment anhalten?“, fragte sie. Obwohl er ganz langsam fuhr, hatte sie das Bedürfnis, Farben und Umrisse der Berge in sich aufzunehmen.
Er stoppte den Wagen, sie stiegen aus und verharrten schweigend am Straßenrand.
„Hätte ich doch nur den Fotoapparat mitgekommen“, meinte Liz und seufzte. „Ich hätte so gern ein Bild für meine Website … Allerdings müsste das wahrscheinlich ein Profi fotografieren, um es genauso einzufangen.“
Cam antwortete nicht, und sie sah ihn an. Er hatte die Arme verschränkt. Als er ihren Blick bemerkte, winkte er sie zu sich.
Liz hatte Schmetterlinge im Bauch, als sie auf ihn zuging. Einen Meter vor ihm blieb sie stehen.
„Es wird Zeit, dass ich dich küsse“, erklärte er.
„Das hast du doch schon.“
„Aber unter anderen Bedingungen. Jetzt gehören wir zusammen.“
Er legte die Hände auf ihre Hüfte, zog sie so dicht an sich heran, bis nur noch wenige Millimeter sie trennten. Sie legte die Hände auf seine Brust und spürte seine Wärme und Kraft.
Ich liebe dich, hätte sie am liebsten gesagt, doch sie konnte die Worte nicht aussprechen. Solange Liebe nicht erwidert wurde, war sie nur eine Last für denjenigen, der nicht so empfand. Liz konnte lediglich die Augen schließen und sich ihm zuwenden. Die zärtliche Berührung seiner Lippen elektrisierte sie. Cam umarmte sie und presste sie an sich. Dann begann er ein erotisches Spiel mit der Zunge.
Der Kuss hätte ewig gedauert, hätte nicht plötzlich das Geknatter eines Traktors die Stille zerrissen. Cam ließ sie nicht los, sondern hob nur den Kopf und lockerte seinen Griff. So stand sie immer noch in seinen Armen, als der Traktor vorbeifuhr und der Fahrer ihnen Glückwünsche zurief. Gleich darauf verschwand der Traktor talabwärts.
„Wenn dies ein heißer Nachmittag in England wäre, dann hätten wir uns eine Wiese suchen und uns in der Sonne lieben können“, sagte Cam. „Aber die spanische Erde bietet solche Annehmlichkeiten leider nicht.“
Bedeutet „lieben“ küssen oder mehr? fragte sie sich. Hatte er seine Meinung geändert und wollte doch schon vor der Trauung mit ihr schlafen?
„Fahren wir“, schlug er vor und führte sie zum Auto zurück.
Am Fuß des Hügels mussten sie ein ausgetrocknetes Flussbett passieren, um dann über eine steinige Anhöhe wieder auf die Straße zu gelangen.
Zurück in Valdecarrasca, hielt er direkt vor ihrem Haus. „Ich bringe dir deine Sachen gleich rüber“, sagte er.
Wollte er den Rest des Tages mit ihr verbringen? Wohin würde das führen? Wollte sie es? Mehr Küsse auf jeden Fall – aber alles andere? Liz war sich nicht sicher.
Erst eine halbe Stunde später brachte Cam ihre Einkäufe.
„Tut mir leid, dass du warten musstest. Gerade als ich die Tür aufschloss, klingelte das Telefon. Ich habe eben erst aufgelegt.“
Obwohl Liz immer noch nervös war, weil sie nicht wusste, was er vorhatte, hielt sie es für ihre Pflicht, ihm einen Tee anzubieten.
„Eine Tasse Tee wäre gut“, erwiderte er.
„War es ein interessanter Anruf?“, fragte sie.
„Nicht besonders. Dieser Typ braucht einen Seelenklempner, um seine Probleme loszuwerden, aber er hat keine Lust, dafür zu bezahlen. Deshalb muss ich immer herhalten. Er selbst ist sein schlimmster Feind und ein absoluter Langweiler. Trotzdem kann ich ihn einfach nicht abwürgen. Wir kennen uns zu lange. Hast du solche Freundinnen?“
„Ich kenne so eine Frau in London, allerdings haben wir keinen Kontakt mehr. Mich hatte immer gestört, dass sie stundenlang über ihre Probleme redete, aber nicht das geringste Interesse für meine hatte. Nicht, dass ich viele Probleme hatte …“ Oder ich mit dir darüber reden möchte, dachte sie. „Und selbst wenn, hätte sie gar nicht zugehört.“
„Es gibt so viele Egozentriker“, bestätigte Cam. „Für einen Journalisten ist es gut. Auf persönlicher Ebene ist es allerdings äußerst nervig.“
Sie schlug vor, den Tee auf der Dachterrasse zu trinken. Während sie plauderten und eine zweite Tasse tranken, hatte sein Verhalten nichts Verführerisches mehr. Liz glaubte schon, dass sie völlig zu Unrecht in Panik geraten war. Nun, es ist nicht gerade Panik, verbesserte sie sich. Doch sie war sicher aufgeregter, als alle anderen Frauen ihres Alters es in ihrer Situation gewesen wären. Allein in England musste es Tausende dreißigjährige Singlefrauen geben, die liebend gern mit Cam Sex gehabt hätten – selbst ohne ihn zu heiraten.
Es war nur so, dass …
„Worum ich mich jetzt unbedingt kümmern muss, sind die Texte für meine Website“, riss er sie aus ihren Gedanken.
Sie besprachen noch einige Ideen, die ihm dazu eingefallen waren. Dann stand Cam auf. „Ich werde jetzt gehen und etwas arbeiten. Das hier bringe ich runter …“ Er stellte seine Tasse auf das Tablett. „Bleib du hier und entspann dich.“
„Nach so einem üppigen Mittagessen brauchen wir kein Abendessen. Komm doch um sieben Uhr wieder, und ich mache uns einen Granatapfelsalat.“
„Hört sich gut an. Bis später.“ Cam nahm das Tablett und ging die Außentreppe hinunter, während Liz an ihrem Verstand zweifelte.
Würde nicht jeder Mann eine Einladung zum Abendessen als Aufforderung verstehen, über Nacht zu bleiben?