4. KAPITEL

Das Gurren der Tauben jenseits der Terrasse kam Milly in der erwartungsvollen Stille, die plötzlich im Raum herrschte, unnatürlich laut vor. Sie schluckte und betrachtete ihre kurzen Fingernägel. Um sie zu verbergen, ballte sie die Hände zu Fäusten, denn Jilly kannte man nur mit langen, gepflegten und lackierten Nägeln.

Eine Familienkrise zu erfinden kam für Milly nicht infrage. Sie wollte nicht mehr Lügen erzählen als unbedingt nötig. Außerdem hatte es in der letzten Zeit in ihrem Leben genug Krisen gegeben. Ihre Mutter war gestorben, ihre Schwester war verschwunden, und Cesare Saracino hatte sie gezwungen, mit ihm nach Italien zu fliegen.

Der Tod ihrer Mutter vor etwas über einem Monat war das Schlimmste gewesen, was Milly hatte passieren können. Sie war noch längst nicht darüber hinweg, und der Schmerz über den Verlust war immer noch unerträglich. Manchmal hatte sie sogar das Gefühl, es sei erst gestern geschehen. Deshalb war ihre Verzweiflung nicht gespielt, als sie flüsterte: „Meine Mutter ist völlig unerwartet gestorben.“ Und dann konnte sie sich nicht mehr beherrschen, ihr liefen Tränen über die Wangen. Dass sie Jilly nicht hatte benachrichtigen können und ihre Schwester nicht zur Beerdigung gekommen war, um ihrer Mutter das letzte Geleit zu geben, war für Milly sehr bedrückend.

„Oh, meine Liebe, das tut mir leid. Es war sicher ein Schock für dich.“ Filomena beugte sich vor und nahm Millys Hände, während sie sie mitfühlend ansah. „Ich schäme mich, dass ich mich beschwert habe. Natürlich warst du verwirrt und aufgewühlt und hast in deinem Kummer nicht daran gedacht, dich zu verabschieden oder mich anzurufen. Das kann ich gut verstehen. Verzeih mir, dass ich an deiner Absicht, zurückzukommen, gezweifelt habe.“

Milly unterdrückte ein Schluchzen und erwiderte: „Natürlich verzeihe ich Ihnen das.“ Mehr brachte sie nicht heraus.

Filomena warf ihrem Enkel einen scharfen Blick zu. „Hoffentlich hat Cesare keinen Druck ausgeübt und dich dazu gedrängt, zurückzukommen, ehe du selbst bereit dazu warst.“

Ehrlicherweise hätte Milly zugeben müssen, dass Cesare Saracino sogar großen Druck ausgeübt hatte. Aber ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr die ältere Dame fort: „Ich erinnere mich, dass du einmal erzählt hast, deine jüngere Schwester sei sehr praktisch veranlagt, etwas schwerfällig, unsensibel und fantasielos. Kommt sie jetzt allein zurecht? Ohne dich wird sie sich in der ersten Zeit nach diesem schmerzlichen Verlust sehr einsam fühlen.“

„Sie schafft das schon“, versicherte Milly ihr. Sie war wie vor den Kopf geschlagen. Dass Jilly sie als ihre kleine Schwester bezeichnete, konnte sie noch nachvollziehen. Jilly war immer die Mutigere gewesen. Doch dass diese sie als praktisch veranlagt, schwerfällig, unsensibel und fantasielos beschrieb, tat sehr weh.

Cesare stellte sich hinter den Sessel seiner Großmutter und blickte Milly nachdenklich an. Und das machte alles noch viel schlimmer.

Lächelnd schlug die ältere Dame vor: „Deine Schwester ist herzlich eingeladen, bei uns Urlaub zu machen. Vielleicht kann sie schon nächsten Monat kommen? Im Mai ist es noch nicht so heiß. Es wird euch beiden guttun, und mir wird es großen Spaß machen, zwei junge Frauen in meiner Nähe zu haben, die mir Gesellschaft leisten.“ Als Milly sie entsetzt ansah, fügte sie hinzu: „Ich erwarte natürlich nicht, dass ihr beide euch ständig um mich kümmert. Du kannst eins unserer Autos nehmen, ihr die Umgebung zeigen und mit ihr zum Einkaufen fahren. Ruf doch deine Schwester an, damit sie weiß, dass du gut angekommen bist. Sprich mit ihr über den Urlaub.“ Filomena erhob sich steif. „Ich möchte mich jetzt hinlegen und mich ausruhen. Das solltest du auch tun. Wir sehen uns beim Abendessen.“

Cesare reichte ihr den Spazierstock. Dann wandte er sich an Milly und sagte etwas auf Italienisch, was sie natürlich nicht verstand. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sie biss sich auf die Lippe und erinnerte sich daran, dass Jilly auf einer ihrer Ansichtskarten erwähnt hatte, sie hätte ihre Sprachkenntnisse verbessert. Würde die Täuschung schon nach so kurzer Zeit auffliegen? Milly wusste nicht, was sie sagen oder machen sollte und schwieg.

„Bitte, Cesare“, half Filomena ihr, ohne es zu ahnen, aus der Klemme, „du kennst doch die Regeln. In Jillys Gegenwart sprechen wir nur Englisch.“

„Du hast recht“, räumte er sogleich ein. Mit einem angedeuteten Lächeln und einem geradezu eisigen Blick wandte er sich wieder an Milly. „Entschuldigen Sie. Ich werde meine Frage auf Englisch wiederholen. Sie können mir die Telefonnummer in England nennen, unter der Ihre Schwester zu erreichen ist. Ich stelle schon die Verbindung her, und Sie sprechen dann mit ihr.“

„Das ist nicht nötig, vielen Dank“, entgegnete Milly höflich. „Meine Schwester rufe ich später an. Sie arbeitet und ist tagsüber nicht zu Hause. Ich begleite Signora Saracino in ihr Schlafzimmer.“

Erleichtert darüber, die Schwierigkeiten mit viel Glück überwunden zu haben, begleitete sie die ältere Dame in ihre Suite im Erdgeschoss. Dann half sie ihr, sich hinzulegen, und musste ihr versprechen, sich auch bis zum Abendessen auszuruhen.

Da sich Milly den Weg zu Jillys Zimmer gut eingeprägt hatte, fand sie den Raum mühelos wieder. Sie setzte sich auf das breite Bett und stützte den Kopf in die Hände.

Zu Hause in England war es ihr nur darauf angekommen, ihre Schwester, die bestimmt völlig unschuldig war, davor zu bewahren, wie eine Kriminelle behandelt zu werden. Das Täuschungsmanöver hatte Milly schon allein deshalb für nötig gehalten, um Zeit zu gewinnen und ihre verschwundene Schwester zu finden. Sie wollte Jilly warnen und ihr die Gelegenheit geben, alles richtigzustellen.

Cesare, dieser hartherzige Mann, sollte Jilly nicht als Erster finden. Er würde gar nicht zuhören, was sie zu ihrer Verteidigung zu sagen hatte, und sie ohne zu zögern anzeigen.

Und das wollte Milly verhindern. Doch dieser Betrug machte sie ganz krank, und sie schämte sich zutiefst, dass sie sich für die fragwürdige Sache hergegeben hatte. Cesare etwas vorzuspielen machte ihr weniger aus. Er war ein gemeiner Kerl, denn er hatte ihrer Schwester das Herz gebrochen. Jilly hatte mit ihm geschlafen, weil er sie in dem Glauben gelassen hatte, er würde sie heiraten. Dann hatte er sie kaltblütig sitzen lassen. Nur deshalb war Jilly verschwunden, davon war Milly überzeugt.

Aber diese liebenswerte ältere Dame zu täuschen fand sie unverzeihlich. Es belastete Millys Gewissen, und sie nahm sich vor, reinen Tisch zu machen.

Nachdem Cesare das zweite Telefongespräch beendet hatte, drehte er sich mit dem Bürostuhl herum und blickte zu dem hohen, breiten Fenster hinaus auf den gepflegten Rasen. Die Sonne näherte sich dem Horizont, und die Schatten wurden länger. Die Hügel in der Ferne mit den terrassenförmig angeordneten ockerfarbenen Häusern und Gehöften waren in einen Dunstschleier gehüllt.

Mit gerunzelter Stirn atmete er tief ein und drehte sich wieder zum Schreibtisch um. Normalerweise beruhigte ihn der Blick aus dem Fenster, heute jedoch nicht. Schließlich nahm er das Adressbuch in die Hand.

Die Gesellschafterin seiner Großmutter gab ihm Rätsel auf. Jilly Lee war eine Betrügerin, das wusste er natürlich. Aber einiges stimmte hier nicht. Sie verhielt sich momentan sehr untypisch, war ruhig und zurückhaltend und nicht mehr so vorlaut, lebhaft und temperamentvoll wie zuvor. Auch ihre Fingernägel waren kürzer und nicht lackiert.

Dafür gab es vielleicht Erklärungen. Er hatte sie überrumpelt und gezwungen, mit ihm zurückzufliegen und das Geld, das sie gestohlen hatte, abzuarbeiten. Hinzu kam, dass sie nach dem Tod ihrer Mutter noch sehr deprimiert war. Das stand außer Zweifel. Ihr Kummer war echt und nicht gespielt.

Aber Cesare täuschte sich selten in der Beurteilung eines Menschen, und er war zu dem Schluss gekommen, dass Jilly Lee eine oberflächliche, egoistische Frau war, die zu keinen tieferen Gefühlen fähig war. Sie konnte sich doch nicht innerhalb so kurzer Zeit so grundlegend verändert haben, oder?

Da war noch etwas. Als er Italienisch mit ihr gesprochen hatte, hatte sie ihn nur verständnislos angeblickt, was sehr seltsam war, denn Jilly beherrschte die Sprache beinahe perfekt.

Seine Großmutter hatte darauf bestanden, in Jillys Gegenwart nur Englisch zu sprechen, weil sie ihre Sprachkenntnisse hatte auffrischen wollen. Doch ihre Gesellschafterin hatte mit dem Personal immer Italienisch gesprochen, genauso wie mit ihm, wenn sie mit ihm allein gewesen war.

Warum hatte sie ihn dann nicht verstanden, als er sie nach der Telefonnummer ihrer Schwester gefragt hatte? Nein, hier stimmte wirklich etwas nicht.

Das Rätsel musste gelöst werden. Er hatte zwei Privatdetektive beauftragt, einer von ihnen hatte Jilly Lees Adresse in England ausfindig gemacht, und der andere suchte in Italien nach der jungen Frau.

Aber Cesare konnte auch selbst etwas tun, um der Sache auf den Grund zu gehen. Er zog das Telefon zu sich heran, griff nach dem Hörer und wählte eine Nummer.

Während des Abendessens fühlte Milly sich nicht in der Verfassung, die schöne Umgebung, die köstlichen Gerichte, den ausgezeichneten Wein, die Kristallgläser, das kostbare Porzellan und die silbernen Bestecke gebührend zu würdigen.

Es belastete sie zu sehr, dass sie Filomena etwas vorspielte, und sie hatte sich entschlossen, ihr alles zu gestehen. Das würde sie jedoch nicht in Gegenwart dieses attraktiven und zynischen Mannes tun. Er würde in Zorn geraten und sowieso nicht hören wollen, was sie zur Verteidigung ihrer Schwester vorzubringen hatte. Filomena hingegen würde sich alles anhören, dessen war sich Milly sicher.

„Du bist heute Abend in guter Form“, stellte Cesare unvermittelt fest, nachdem er seine Großmutter, die unbekümmert und munter plauderte, eine Zeit lang beobachtet hatte.

Sie hob das Glas und antwortete: „Ja, weil meine liebe Jilly wieder hier ist, um mir Gesellschaft zu leisten und mir die Langeweile zu vertreiben.“

„Offenbar kann ich dir die Langeweile nicht vertreiben“, entgegnete er.

„Doch, natürlich kannst du das.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Aber es ist etwas anderes, mit einer Frau zu reden. Außerdem warst du meist geschäftlich unterwegs. Doch ich muss zugeben, in der letzten Zeit bist du öfter zu Hause.“ Wieder zwinkerte sie und lächelte verständnisvoll.

Hat Filomena gemerkt, dass Jilly und Cesare eine Affäre hatten, und vielleicht genau wie Jilly gehofft, die beiden würden heiraten? überlegte Milly.

Die ältere Dame hatte Jilly offenbar sehr gern. Wahrscheinlich hatte ihre Schwester wieder einmal ihren ganzen Charme aufgeboten. Auch Filomena würde es für ausgeschlossen halten, dass Jilly ihre Unterschrift auf den Schecks gefälscht hatte. Es würde bestimmt eine harmlose Erklärung für die ganze Sache geben.

Milly sah auf und begegnete Cesares durchdringendem Blick. Sein leichtes Lächeln wirkte so verführerisch, dass sich die seltsamsten Gefühle in ihr ausbreiteten, genau wie zuvor, als er zu ihr ins Zimmer gekommen war.

Er hatte kurz angeklopft und die Tür sogleich geöffnet, während Milly in ihren schlichten Dessous vor dem Bett gestanden hatte. Sie war vor Verlegenheit errötet, hatte schnell nach dem schwarzen Seidenkleid ihrer Schwester gegriffen und es vor sich gehalten. „Was wollen Sie?“, stieß sie verwirrt und verlegen hervor.

Betont ungezwungen lehnte er sich an den Türrahmen. In dem hellen Dinnerjacket und der perfekt sitzenden schwarzen Hose wirkte er ungemein sexy. Kein Wunder, dass Jilly sich in diesen herzlosen, gemeinen Kerl verliebt hat, dachte Milly, während sie das Kleid krampfhaft festhielt.

„Ich wollte Sie nur daran erinnern, dass wir meiner Großmutter zuliebe immer schon um halb acht essen – falls Sie es vergessen haben. Sie müssen sich beeilen, wenn Sie nicht zu spät kommen wollen“, erklärte er spöttisch.

„Ich habe nichts vergessen, sondern bin eingeschlafen und zu spät wach geworden“, behauptete sie. Dass sie zu viel Zeit damit verbracht hatte, alles zu durchsuchen in der Hoffnung, irgendwelche Hinweise darauf zu finden, wo Jilly sich aufhielt und was sie vorhatte, durfte er nicht erfahren. Sie hatte jedoch nichts gefunden. Nachdem sie ein heißes Bad genommen hatte, hatte sie das schwarze Kleid aus dem Schrank genommen, das jemand vom Personal zusammen mit den anderen Sachen ausgepackt hatte. Anschließend hatte sie nach unten gehen und Filomena die Wahrheit sagen wollen.

„Wenn Sie mich nicht endlich allein lassen, damit ich mich anziehen kann, komme ich noch später“, fuhr sie angespannt fort und wünschte, er würde verschwinden.

„Ich warte lieber hier auf Sie.“ Wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, betrat er das Zimmer. Mit hocherhobenem Kopf und verächtlicher Miene sah Milly ihn an. Dann ging sie rückwärts ins Badezimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

Für wen hält er sich? fragte sie sich zornig. Ihre Absicht, seiner nichts ahnenden Großmutter noch vor dem Essen die Wahrheit zu sagen, konnte sie vergessen. Doch morgen würde sie wahrscheinlich lange genug mit Filomena allein sein und in aller Ruhe mit ihr reden können, obwohl es Milly lieber gewesen wäre, sie hätte ihr Gewissen noch heute Abend erleichtern können.

Cesare ahnte offenbar noch nichts. Sonst hätte er sie längst hinausgeworfen und alle Türen hinter ihr verschlossen und verriegelt.

Mit einem Blick in einen der vielen vom Boden bis zur Decke reichenden Spiegel stellte Milly fest, dass ihre Wangen vor lauter Zorn und Frustration gerötet waren. Ärgerlich versuchte sie, den langen Reißverschluss im Rücken hochzuziehen, was ihr jedoch nicht gelang.

„Lassen Sie mich das machen“, ertönte plötzlich Cesares Stimme hinter ihr. Ohne zu zögern, zog er den Reißverschluss hoch. Als er dabei federleicht mit den Fingern ihre Haut berührte, bekam Milly eine Gänsehaut. „Ich hatte schon befürchtet, Ihnen sei etwas zugestoßen.“ Er verzog spöttisch die Lippen und musterte sie ungeniert von Kopf bis Fuß.

Milly war empört über das Verhalten dieses Mannes. Wie die meisten Outfits, die Jilly besaß, war auch dieses Kleid hauteng. Milly hingegen trug lieber weitere und unauffällige Outfits, die ihre üppigen Brüste, die wohlgerundeten Hüften und die schmale Taille nicht betonten. Zu ihrem Entsetzen zeichneten sich ihre aufgerichteten Brustspitzen deutlich unter dem feinen Material des Kleides ab.

Weshalb sie so auf ihn reagierte, wusste sie selbst nicht. Es störte sie sehr, dass sie sich nicht besser unter Kontrolle hatte.

Rasch hatte sie sich umgedreht und war an Cesare vorbei ins Schlafzimmer gegangen. Dann war sie in Jillys hochhackige Schuhe geschlüpft und ihm nach unten ins Esszimmer gefolgt.

Jetzt saß sie mit ihm und seiner Großmutter am Tisch und empfand es als sehr anstrengend, auf Filomenas Geplauder einzugehen und so zu tun, als würde sie das Essen genießen. Als es endlich beendet war, lehnte sich Cesare mit dem Glas Wein in der Hand entspannt und zufrieden auf dem Stuhl zurück.

An der Unterhaltung hatte er sich kaum beteiligt. Aber er hatte Milly aufmerksam beobachtet, sodass sie vor lauter Unbehagen am liebsten im Erdboden versunken wäre. Schließlich kam eine untersetzte und ganz in Schwarz gekleidete Frau mit dem Kaffee herein. Filomena stand auf und erklärte: „Für mich bitte keinen Kaffee mehr, Maria. Ich möchte mich nach diesem aufregenden Tag früh hinlegen.“

Sofort stand auch Cesare auf und drückte seine Großmutter wieder auf den Stuhl. „Bleib noch einen Augenblick sitzen. Ich möchte dir etwas mitteilen.“

„Etwas Angenehmes?“, fragte sie lächelnd.

„Ja, es wird dir gefallen“, antwortete er liebevoll. „Amalia kommt morgen und möchte zwei Wochen hierbleiben.“

„Amalia kommt? Ach, wie schön.“ In den Augen der älteren Dame leuchtete es auf vor Freude, und sie lächelte Milly an. „Die Contessa di Moroschini ist meine älteste Freundin. Sie wird dir gefallen.“

„Da ist noch etwas, Großmutter. Da du vollauf mit Amalia beschäftigt sein wirst, möchte ich Jilly für eine Woche mit auf die Insel nehmen, damit sie sich von den Strapazen der letzten Zeit erholen kann. Vorausgesetzt natürlich, du bist damit einverstanden.“

Vor Entsetzen war Milly sprachlos, und ihr schauderte.

„Das ist eine wunderbare Idee.“ Mit zufriedener Miene stand Filomena noch einmal auf, und Milly fühlte sich in ihrer Vermutung bestätigt. Die Signora Saracino wusste Bescheid über die Affäre ihres Enkels mit Jilly und schien zu hoffen, dass es ein Happy End geben würde. Irgendwann musste Milly sie eines Besseren belehren und ihr eröffnen, dass ihr ach so wunderbarer Enkel Jilly nur benutzt hatte und sie mit gebrochenem Herzen die Flucht ergriffen hatte. Doch das hatte Zeit bis später, sie wollte der älteren Dame die Freude über den bevorstehenden Besuch ihrer Freundin nicht verderben.

„Ich begleite Sie.“ Milly erhob sich. Sie wollte endlich reinen Tisch machen und Filomena verraten, wer sie wirklich war, ohne das schäbige Verhalten ihres Enkels zu erwähnen.

„Nein, das ist nicht nötig.“ Die ältere Dame ging zur Tür. „Ich komme allein zurecht. Trinkt ihr beide in aller Ruhe den Kaffee. Vor der Reise habt ihr sicher noch einiges zu besprechen.“

Milly setzte sich wieder hin und nahm resigniert die Tasse Kaffee entgegen, die Cesare ihr reichte. Sie wollte mit ihm nicht auf eine Insel fliegen. Jilly wäre sicher begeistert gewesen über den Vorschlag und die vermeintliche Chance, eine Versöhnung herbeiführen zu können. Milly war ratlos und wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte.

Cesare trank den Kaffee aus, stellte die Tasse auf den Tisch und erklärte: „Wir fahren um halb sieben ab. Sie sollten pünktlich fertig sein.“ Dann verließ er ohne ein weiteres Wort den Raum.

Milly erbebte. Der Gedanke, mit ihm eine Woche auf einer Insel festzusitzen, ohne ihre Schwester suchen und Filomena auf ihre Seite bringen zu können, verursachte ihr Übelkeit. Wahrscheinlich würde Cesare mit ihr Italienisch sprechen wollen, und dann würde der ganze Schwindel sowieso auffliegen. Er würde herausfinden, dass sie nicht Jilly war. Und es war nicht auszudenken, was dann passieren würde.