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Weihnachten alla tedesca
Tess war die Erste, die am Nachmittag in der Seidenvilla erschien, gefolgt von Gianni, der eine riesige Form mit Tiramisu hinter ihr hertrug.
»Emilias Weihnachtsgeschenk«, verkündete die alte Dame und öffnete Gianni die Küchentür.
Dabei wäre er beinahe mit Simone zusammengestoßen, die kritisch das Küchentuch über der leckeren Mascarpone-Creme anhob und beteuerte, dass der Kühlschrank bereits randvoll sei.
»Dann deponieren wir den Nachtisch in der Sommerküche«, beschloss Nathalie und begleitete Gianni ins Erdgeschoss, wo sich neben dem Gästezimmer eine weitere Küche befand.
Simone wirkte erleichtert, in Tess jemanden gefunden zu haben, der Deutsch sprach, und Angela, die ihre Schwägerin an diesem Tag noch nicht gesehen hatte, beglückwünschte sie zu ihrer neuen Frisur. Edda, die gute Seele, hatte Nathalies Tante auch dezent geschminkt. Sie wirkte jünger und längst nicht mehr so unglücklich wie am Tag zuvor.
Punkt fünf Uhr hielt ein eleganter Wagen vor der Tür der Seidenvilla, und wenig später standen die Principessa und Amadeo im Maulbeersaal. Sie blickten geblendet in die Lichter des riesigen Christbaums, den Nathalie gemeinsam mit Fania nach allen Regeln der Kunst geschmückt hatte. Die zwanzig Meter lange Lichterkette tauchte den Saal in goldenen Schein. Auf dem Tisch brannten Kerzen zwischen Fanias Arrangements, die Zitrusfrüchte verströmten ihren feinen Duft.
»Benvenuti«
, begrüßte Angela die beiden liebenswürdig. »Bitte fühlt euch bei uns in der Seidenvilla wie zu Hause!«
Vittorio nahm seiner Mutter den Pelzmantel ab, und eine sanfte
Wolke eines erlesenen Dufts umschwebte Angela, als sie Costanza auf die Wangen küsste. Das silbergraue Haar der alten Dame schimmerte im Kerzenlicht, und wie immer trug sie Weiß. Es war ein schlichtes Kleid aus Kaschmir, das ihre schlanke Figur betonte. Nein, man sah Costanza ihre fünfundsiebzig Jahre nicht an. Ihre dunklen Augen blickten sich hellwach um, nichts schien ihnen zu entgehen.
»Und du musst Amadeo sein.« Angela wandte sich an den jungen Mann, der sie eingehend musterte. »Ich freue mich sehr, dass wir uns endlich kennenlernen. Herzlich willkommen!«
Er war schön, anders konnte man es nicht sagen. Allerdings hatte er wenig Ähnlichkeit mit Vittorio, und Angela fiel auf einmal auf, dass sie weder von Sofia, seiner verstorbenen Mutter, noch von ihm jemals ein Foto gesehen hatte. Amadeo hatte zwar die gleichen dunkelbraunen Augen wie Vittorio und Costanza, ansonsten erinnerte nichts an seinen Vater. Das weich bis auf die Schultern fallende Haar war honigblond, seine Gesichtszüge zart geschnitten, sein Teint hell wie Porzellan, zu dem seine südländischen Augen einen interessanten Kontrast bildeten. Er bedankte sich höflich, dann glitt sein Blick hinüber zu Nathalie. Sie hatte sich ebenfalls umgezogen. Zu einer Bundfaltenhose aus schwarzem Satin hatte sie eine weite Bluse im Vintage-Stil kombiniert, die man vorne aufknöpfen konnte, denn sie musste ja Pietrino stillen, der es sich gerade auf Fanias Arm bequem gemacht hatte. Ihr Haar trug Nathalie an diesem Abend offen, und das kam so selten vor, dass selbst Angela angesichts ihrer kastanienroten Lockenfülle zweimal hinschauen musste, so hinreißend sah sie aus. Das fand wohl auch Amadeo, denn er konnte seinen Blick nicht von ihr losreißen.
»Ciao«
, sagte sie mit dem ihr eigenen entwaffnenden Lächeln und ging auf ihn zu. »Ich bin Nathalie. Angelas Tochter.« Sie reichte zuerst Costanza die Hand und wandte sich dann an Amadeo. »Du studierst in Harvard, nicht wahr?«, fragte sie ihn.
»Ich mache im Frühjahr meinen Abschluss«, sagte er. »Und du? Studierst du auch?«
»Architektur«, antwortete sie und warf ihrer Mutter aus den Augenwinkeln einen Blick zu. Denn tatsächlich hatte sie sich noch gar nicht für dieses Fach eingeschrieben, obwohl sie auf Tizianas Rat während ihrer Schwangerschaft bereits Vorlesungen gehört hatte.
Sie hatte mit Begeisterung Kunstgeschichte studiert, bis ihre Schwangerschaft alles verändert hatte …
»Nun, im Augenblick sind Sie ja wohl hauptsächlich Mutter«, warf Costanza in liebenswürdigem Ton ein. »Wo haben Sie denn Ihren Kleinen?«
Auf der Stelle erstarrte Amadeos Lächeln, seine Augen weiteten sich bestürzt. Dass diese attraktive junge Frau ein Kind hatte, schien ihn regelrecht zu schockieren. Da öffnete sich die Tür, und ein Wirbelwind schien in den Maulbeersaal zu wehen. Es war Tiziana, gefolgt von Solomon. Die junge Frau stürmte auf Angela zu und küsste sie zur Begrüßung auf die Wangen. Dann fiel ihr Blick auf den kleinen Pietrino. Sie nahm ihn Fania behutsam vom Arm und überhäufte auch den Kleinen mit Küssen.
»Da ist ja mein Süßer«, rief sie und zeigte ihn Costanza und Amadeo. »Ist er nicht hinreißend? Ach, so hübsch wie in diesem Alter sind die Männer nie wieder. Und stellt euch vor!« Tiziana strahlte vor Stolz. »Ich werde ihn zur Taufe tragen.«
»Was?«, entfuhr es Costanza. »Du willst die madrina
werden von diesem …«
Sie konnte sich gerade noch zurückhalten, und doch ließ ihr abfälliger Ton keinen Zweifel daran, dass sie nichts Nettes hatte sagen wollen. Na warte, dachte Angela, und Zorn glühte in ihr auf. Dir werden wir deine Arroganz schon noch austreiben. Sie warf Vittorio einen entrüsteten Blick zu, der seine Mutter verärgert musterte.
»Es ist uns eine Ehre«, ließ Solomon sich vernehmen, der Nathalie demonstrativ die Hand reichte. »Ich bin Sol, Tizianas Verlobter. Freut mich, dich kennenzulernen, Nathalie. Wir sagen doch Du?«
»Natürlich«, antwortete Nathalie, die ein wenig bleich um die Nase geworden war. Sie nahm Tiziana ihr Kind ab, so als müsste sie es beschützen. »Uns steht wenigstens kein komplizierter Adelstitel im Weg, stimmt’s?«
Sol schenkte ihr ein breites Grinsen.
»Nun, in Italien wird erst morgen Weihnachten gefeiert«, ergriff Tess das Wort, nachdem sie Fania in die Küche gescheucht hatte. »In Deutschland ist jedoch der Abend davor das eigentliche Fest, wir
nennen es ›Heiligabend‹. Heute feiern wir, wie wir alle wissen, die Geburt eines Kindes, das nicht auf Samt und Seide gebettet wurde, sondern auf Stroh in einer Futterkrippe. Normalerweise werden bestimmte Lieder gesungen und Geschenke ausgepackt, und es wird Gänsebraten gegessen. Egal in welcher Reihenfolge. Genau das wollen wir heute tun.«
»Lieder singen?« Lorenzo Rivalecca war unbemerkt eingetreten und betrachtete den Weihnachtsbaum, als wäre er ein gefährliches Hindernis.
Nathalie ging ihm entgegen. »Was hast du dagegen, Lieder zu singen?«, fragte sie ihn und nahm ihm sein Gastgeschenk ab, nachdem sie ihm Küsschen auf die faltigen Wangen gedrückt hatte.
»Nun ja, so ziemlich alles, würde ich sagen«, brummte Lorenzo und warf seinem Urenkel einen liebevollen Blick zu. »Na, wie geht’s dem kleinen Mann? Ich schätze, er kann Weihnachten genauso wenig ausstehen wie ich!« Er sah sich mit vorgerecktem Hals und zusammengezogenen Brauen im Maulbeersaal um. Sein Habichtsblick blieb an Costanza hängen. »Was sind denn da für feine Leute? Wenn ich das gewusst hätte … Ich glaub, ich geh gleich wieder …« Er wandte sich ab.
»Aber nein, Lorenzo, nun warte doch.« Nathalie holte ihren Großvater an der Tür ein. »Bitte bleib. Fania hat extra eine feine minestrone
für dich gekocht.«
»Fania?« Lorenzo blickte sich misstrauisch um. »Kann die das überhaupt?«
Wie aufs Stichwort erschien die junge Sizilianerin mit einem Tablett voller Gläser, in denen der typische Schaumwein des Veneto perlte: ein wundervoller Prosecco aus Valdobbiadene.
»Nun gut, das Singen können wir vielleicht auslassen«, bemerkte Angela mit einem Schmunzeln, nachdem sie Simone aus der Küche geholt hatte. »Ich möchte euch meine Schwägerin vorstellen, die extra aus Bayern angereist ist, um mit uns Weihnachten zu feiern. Freundlicherweise hat sie sich bereit erklärt, uns mit einem typisch deutschen Weihnachtsessen zu verwöhnen: gebratene Gans und Rotkraut.«
»Ein deutsches Gericht wäre ohne Kraut ja wohl auch unvollständig«, kommentierte Amadeo ironisch.
»Und was ist mit Knödeln?«, warf Lorenzo grimmig ein.
»Keine Sorge. Auch an Knödeln wird es nicht fehlen, nicht wahr, Simone?« Angela übersetzte rasch ihrer Schwägerin, dass sich alle sehr auf ihre Kartoffelknödel freuten. »Simone spricht leider kein Italienisch«, erklärte sie ihren Gästen.
»English?«
Solomon schenkte Angelas Schwägerin ein freundliches Lächeln.
»No, sorry
, leider auch kein English
«, antwortete Simone verlegen. »Nathalie, du musst für mich übersetzen.«
»Klar, mach ich«, antwortete ihre Nichte auf Deutsch.
»Wer ist denn nun diese Dame mit dem strengen Blick da drüben?« Lorenzo deutete mit seinem Glas auf Costanza und gab sich keine Mühe, seine Stimme zu senken.
»Komm, ich stell euch vor, ja?«, bot Angela an. »Lorenzo Rivalecca, eine der wichtigen Honoratioren unseres Städtchens und uns sehr verbunden.«
Rivalecca hob belustigt eine seiner buschigen Augenbrauen und grinste in Richtung seiner Tochter.
»Non c’è altro da dire«
, meinte er. »Damit ist alles gesagt. Und wer sind Sie?«
Costanza betrachtete ihn, als hätte sie Angst, dass er seinen Prosecco über ihr Kleid schütten würde, und wich einen halben Schritt zurück.
»Ihr voller Name samt Titel lautet: La sua
Eccellenza Costanza Maria Grazia Antonella Principessa Fontarini«, kam Amadeo Angela zuvor und warf seinem Vater ein spöttisches Lächeln zu, so als machte er sich über Lorenzo Rivalecca lustig.
Angela berührte dieser Blick unangenehm. Lorenzo reckte den Kopf nun noch weiter vor. Seine Augen blitzten vor Vergnügen.
»Aha, das ist ja ein eher bescheidener Name«, schnarrte er. »Soll ich Costanza sagen oder lieber Maria Grazia? Antonella ist auch ganz hübsch. Ha! Ich kann mich nicht entscheiden …«
Er lachte sein keckerndes Lachen und verschüttete nun tatsächlich ein wenig von seinem Prosecco. Costanzas Blick wurde eisig.
»Die Suppe ist fertig«, rief Simone dazwischen, doch kaum jemand nahm davon Notiz.
»Wo haben Sie denn diesen Spaßvogel aufgegabelt?«, fragte Costanza spitz in Angelas Richtung.
Vittorio war augenblicklich zur Stelle. »Wir wollen jetzt nicht unseren guten Ton vergessen, carissima madre
«, sagte er leise und hakte sich bei ihr unter. »Komm, lass uns zu Tisch gehen. Wenn ich Angelas Schwägerin richtig verstanden habe, wird gleich die Suppe serviert.«
Er führte sie an das am weitesten von der Küche entfernte Ende des Tisches, und Tiziana, die mit Amadeo ein Gespräch begonnen hatte, folgte ihnen. Amadeo blühte in ihrer und Solomons Gesellschaft sichtlich auf. Angela wusste, dass sie sich aus den USA
kannten, ja, sie erinnerte sich daran, dass Amadeo in Solomons Kanzlei ein Praktikum absolviert hatte. Sie sorgte dafür, dass sich Lorenzo so weit wie möglich entfernt von Costanza neben Nathalie setzte, die sich sofort rührend um ihren Großvater kümmerte.
Simone hatte wirklich keine Mühe gescheut und aus einem prächtigen Stück Tafelspitz eine aromatische Brühe gekocht, außerdem kleine Grießnockerl zubereitet. Angela war sich allerdings nicht sicher, ob die Gäste aus Venedig ihren Aufwand wirklich zu schätzen wussten.
Lorenzo jedoch, einen Teller minestrone
vor sich, schnupperte in Richtung Nathalies Teller. »Wieso krieg ich davon nichts?«, wollte er wissen. Nathalie starrte ihn entgeistert an, denn ihr Großvater aß seit Jahren nichts anderes als seinen geliebten Gemüseeintopf. Dann tauschte sie rasch mit ihm den Teller. Schlürfend kostete er. »Delizioso!«
, rief er und fasste Simone, die nun auch endlich am Tisch ihm gegenüber Platz genommen hatte, genauer ins Auge.
»Hat diese Frau schon einen Ehemann?«, erkundigte er sich bei Nathalie, die sich vor Überraschung beinahe verschluckt hätte.
»Im Augenblick nicht«, gab sie lächelnd zur Antwort.
»Ich werde ihr einen Antrag machen«, beschloss Rivalecca und aß die Suppe mit sichtlichem Genuss. »Los, frag sie.«
Nathalie sah ihn von der Seite an. »Aber Lorenzo, du kennst sie doch überhaupt nicht«, wandte sie ein und wechselte einen Blick mit Angela, die sich das Lachen kaum verkneifen konnte. »Ihr sprecht ja nicht einmal eine gemeinsame Sprache!«
»Wer eine solche Suppe kochen kann, mein liebes Kind«, belehrte
Lorenzo sie und hob, wie es seine Angewohnheit war, den Löffel, um seine Worte zu unterstreichen, »der braucht keine weiteren Beweise zu liefern. Reden wird ohnehin überbewertet.«
»Warte wenigstens noch die Gans ab«, riet Angela.
»Was hat er gesagt?«, wollte Simone wissen. »Ihr redet doch über mich!«
»Frag sie, ob sie mich heiraten will!«, forderte Lorenzo seine Enkelin ungeduldig auf.
»Er findet deine Suppe hervorragend«, erklärte Nathalie und konnte ein hysterisches Kichern kaum unterdrücken. Simone schenkte Lorenzo ein strahlendes Lächeln und nickte ihm zu.
»Ha!«, rief er aus und lächelte entzückt zurück. »Ich glaube, sie mag mich.«
Auch die Gänse waren Simone ausgezeichnet gelungen, und zu Angelas Erleichterung entspannte sich allmählich die Atmosphäre im Maulbeersaal. Tess hatte den schlafenden Pietrino auf dem Arm und strahlte nur so vor Glück. Nathalie nutzte die Gelegenheit, um sich zwei von Simones Knödeln und ein schönes Stück Gans einzuverleiben, noch immer litt sie unter einem fürchterlichen Heißhunger.
»Hast du dich eigentlich schon entschieden, ob du nach deinem Abschluss in unser New Yorker Büro kommen wirst?«
Solomon schenkte Amadeo einen wohlwollenden Blick. Der junge Mann antwortete nicht gleich. Versonnen schien er die violetten Spuren zu betrachten, die Simones Rotkohl auf seinem Teller hinterlassen hatte.
»Amadeo wird zurück nach Venedig kommen«, sagte Costanza an seiner Stelle.
Solomon hob die Brauen, und Angela sah, wie das Wohlwollen aus seinen graublauen Augen verschwand.
»Ach so?« Er musterte Amadeo abwartend. Es war nur zu deutlich, dass er eine Erklärung erwartete.
»Na ja, das steht natürlich noch nicht fest …« Amadeo wirkte verlegen und warf seiner Großmutter einen irritierten Seitenblick zu.
»Er hat ein verlockendes Angebot erhalten«, fuhr Costanza unbeirrt fort und tupfte ihren Mund mit der Leinenserviette ab. »Das
liegt ja wohl auch nahe bei seinen ausgezeichneten Noten. Da wird er nicht das erstbeste Angebot annehmen. Nicht wahr?«
Sie lächelte Amadeo voller Stolz an und schob das letzte Stück eines Kartoffelknödels auf ihrem Teller herum, so als wüsste sie nicht, was damit anzufangen war.
Solomon betrachtete Amadeo mit kühlem, erwartungsvollem Blick. Als er nichts sagte, verzog sich der Mund des New Yorker Anwalts zu einem spöttischen Lächeln.
»Ein verlockenderes Angebot als unseres?«, fragte er. »Da bin ich gespannt.«
»Amadeo wird Justiziar bei Ranelli Seta«, verkündete Costanza mit Triumph in der Stimme. »Und das mit vierundzwanzig Jahren. Ich bin sehr stolz auf meinen Enkel. Ach, was wundere ich mich, Amadeo war schon immer ein Überflieger.«
»Aber nonna
, was sagst du da …«, protestierte Amadeo leise und starrte noch immer auf seinen Teller.
Angela stockte der Atem. Der venezianische Seidenfabrikant Massimo Ranelli kaufte im ganzen Land kleinere Webereien auf, und auch sie hätte er im Frühjahr um ein Haar in die Knie gezwungen. Es war ihm gelungen, Lidia, ihre beste Weberin, abzuwerben, und beinahe wären auch die anderen Mitarbeiter ihrem Beispiel gefolgt. Das hätte das Ende der tessitura di Asenza
bedeutet. Und jetzt wollte ausgerechnet Vittorios Sohn in der Rechtsabteilung dieser Firma arbeiten? Das waren keine guten Nachrichten, nein, ganz und gar nicht …
»Hast du dir das reiflich überlegt?« Vittorios Stimme klang gereizt. Offenbar ärgerte es ihn, dass er überhaupt nicht um Rat gefragt wurde. »Du bist jung und solltest Erfahrungen sammeln. Eine Chance, wie Solomon sie dir anbietet, wirst du schwerlich …«
»Es ist noch überhaupt nichts entschieden«, unterbrach Amadeo seinen Vater.
»Nun, wie ich meine, habt ihr euch bestens verstanden, neulich, als ihr die Konditionen besprochen habt«, warf Costanza ein und legte endgültig ihr Besteck weg. »Ranelli geht mit Sicherheit davon aus, dass du …«
»Ja, wenn das so ist …« Solomon schenkte ihr ein wölfisches Lächeln. »Ich hatte keine Ahnung, dass dieser junge Mann eine
Managerin hat. Aber keine Sorge«, sagte er an Amadeo gewandt, der etwas erwidern wollte. »Geh ruhig zu diesem Seidenunternehmen. Es ist gut, dass wir darüber sprechen. Also gebe ich meinen Brüdern Bescheid, dass wir anderweitig disponieren können.«
Amadeo wurde leichenblass.
»Wieso mischst du dich in seine Karriere ein«, zischte Vittorio seine Mutter an. »Merkst du nicht, dass …«
»Ich kümmere mich eben um deinen Sohn«, gab Costanza kalt zurück. Und der unausgesprochene Vorwurf »im Gegensatz zu dir« stand für alle laut und deutlich im Raum.
»Hauptsache, Amadeo wird glücklich«, sagte Solomon abschließend und hob sein Glas. »Auf den künftigen Justiziar der Firma … Wie heißt sie noch gleich?« Er sah gespielt Hilfe suchend zu Tiziana, die den Wortwechsel mit großen Augen verfolgt hatte und ziemlich unglücklich wirkte. »Ach ja. Ranelli Seta.«
»Aber sprechen wir doch über Ihre
Pläne«, wandte Costanza sich an Nathalie. »Sie studieren Architektur, sagten Sie? Bei wem denn?«
»Im Augenblick pausiere ich«, erklärte Nathalie widerstrebend. »Sobald mein kleiner Sohn es erlaubt, werde ich mich einschreiben.«
Costanza hob verwirrt die Brauen. »Das heißt, Sie sind noch gar nicht …«
»Nathalie hat bis zur Zwischenprüfung Kunstgeschichte studiert und wird nun das Fachgebiet wechseln«, warf Angela ein.
»Warum das? Gefällt Ihnen Kunstgeschichte nicht mehr? Bei wem haben Sie denn die Vorlesungen besucht?«
Nathalie schob ihre Unterlippe ein wenig vor, ein deutliches Zeichen dafür, dass ihr diese Unterhaltung nicht behagte. Angela überlegte fieberhaft, wie sie ihrer Tochter beispringen und die Aufmerksamkeit der Principessa auf etwas anderes lenken könnte.
»Doch, ich finde Kunstgeschichte nach wie vor sehr spannend«, antwortete Nathalie. »Ich habe mich mit der Architektur Palladios und seinen Schülern befasst und möchte jetzt lieber selbst …«
»Ach, dann müssen Sie bei Professore Francesco Sembràn studiert haben«, rief Costanza aus. »Ein wirklich beeindruckender junger Mann. Ein Hochbegabter so wie unser Amadeo. Stellen Sie sich nur vor«, sagte sie in Solomons Richtung, der überhaupt nicht den Eindruck machte, als wäre er an weiteren Sensationen aus
Costanzas Mund interessiert, »mit achtunddreißig Jahren schon Professor! Aber leider, leider …« Sie wartete, bis Fania, die begonnen hatte, den Tisch abzuräumen, ihren Teller weggenommen hatte. Dann wandte sie sich in vertraulichem Ton an Nathalie. »Wissen Sie, ich bin recht gut mit Monica befreundet, seiner bemerkenswerten Ehefrau. Oder besser gesagt: Nochehefrau.« Pietrino hatte zu weinen begonnen, und Nathalie stand auf, um ihn Tess abzunehmen. »Und daher weiß ich«, fuhr Costanza fort, »dass der gute Professor ein fatales Laster hat. Er kann die Finger nicht von seinen Studentinnen lassen.«
Nathalie, der es gerade gelungen war, ihr Baby zu beruhigen, wandte sich betroffen zu Costanza um und wurde zu Angelas Entsetzen über und über rot. Der Principessa entging das natürlich nicht. Ihre Augen weiteten sich, ein kleines, perfides Lächeln erschien auf ihren Lippen.
»Aber warum sehen Sie mich denn so entsetzt an, liebe Nathalie?«, flötete sie. »Sollten wir hier etwa einen weiteren Beweis von Francescos bedauernswerter Eigenschaft vor Augen haben?« Costanza richtete ihren Blick auf Pietrino. »Sie haben uns noch gar nicht erzählt, wer der Vater Ihres Kindes ist …«
»Mamma, das reicht jetzt!« Vittorio war lauter geworden, als Angela es je mit ihm erlebt hatte. Seine Augen funkelten zornig. »Deine Skandalsucht ist unerträglich.«
»Und deine Naivität Legende«, entgegnete seine Mutter scharf. »Ich kann nur hoffen«, fuhr sie an Amadeo gewandt fort, »dass du mehr von mir geerbt hast als von deinem Vater und von Sofia …«
»Lass bitte meine Mutter aus dem Spiel«, unterbrach Amadeo sie leise. »Apropos …«, fügte er mit Blick auf seinen Vater hinzu. »Wo sind eigentlich ihre Werke?«
Vittorio sah ihn irritiert an. »Du meinst Sofias Bilder? In einem Bankdepot«, antwortete er. »Warum fragst du?«
»Weil ich sie mir gern ansehen würde«, gab Amadeo zurück. »Ich habe neulich mit einer Galeristin in Boston gesprochen. Sie zeigte sich interessiert …«
»Du willst die Bilder deiner Mutter verkaufen?«
Es war still geworden an der langen Tafel. Erst jetzt bemerkte Angela, dass Nathalie mit ihrem Baby verschwunden war. Lorenzo
am anderen Ende der Tafel hob den Kopf, um herauszufinden, was Vittorio so in Rage gebracht hatte.
»Zunächst würde ich sie gern einer Öffentlichkeit zugänglich machen, statt sie in einem Bankdepot zu verstecken.« Amadeo hielt dem Blick seines Vaters stand. »Du hast ja nicht einmal eines ihrer Werke in deiner Wohnung hängen«, fügte er leise und verbittert hinzu.
»Wie wäre es«, mischte Angela sich ein, »wenn wir uns die Bilder einmal gemeinsam ansehen würden?«
»Ich weiß nicht, was Sie
das angeht!«
Amadeo war bleich geworden, so zornig war er auf einmal. Sein Blick schnellte von ihrem Gesicht zu dem Ring an ihrer Hand. Dann wandte er sich ab.
»Amadeo«, mahnte Vittorio mit Wärme in seiner Stimme. »Lass uns in aller Ruhe unter vier Augen über dieses Thema sprechen. Ich bin der Letzte, der sich dagegen sträubt, Sofias Bilder irgendwann öffentlich zu zeigen, aber …«
»Irgendwann?« Amadeos bleiche Wangen glühten auf einmal vor unterdrücktem Zorn. »Wann soll das sein? Wenn sich keiner mehr an sie erinnert? Du hast sie doch auch schon längst vergessen …«
»Amadeo, bitte komm zu dir!« Tiziana war aufgestanden, und Solomon erhob sich ebenfalls. »Es ist unerträglich, wie du mit deinem Vater sprichst. Hast du vergessen, wessen Gast du bist? Und du, Costanza …«
»Mit dir wollte ich ohnehin noch ein Wörtchen reden. Und zwar allein«, fügte die Principessa mit einem Seitenblick auf Solomon hinzu.
»So, willst du das?« Tiziana warf temperamentvoll ihre Locken über die Schulter. Ihre Augen funkelten. »Hat dich meine Mutter darum gebeten, ja? Sollst du mir dazu raten, meine Verlobung zu lösen? Ist es das, was du sagen willst?« Costanza setzte ein überlegenes Lächeln auf und schwieg. »Ich kann nicht fassen, wie hartherzig du geworden bist«, fuhr Tiziana entrüstet fort. »Du warst immer wie eine Tante für mich. Aber seit ich aus dem Ausland zurück bin, habe ich begriffen …«
»Was hast du begriffen?«, fiel Costanza ihr ins Wort. »Dass wir anders sind? Das lässt mich hoffen, dass wenigstens du dich noch
besinnen wirst, wenn schon mein eigener Sohn …«
»Ich höre mir diese Bosheiten keine Sekunde länger an«, sagte Solomon und legte seinen Arm um Tizianas Schultern. »Wie ist es möglich, dass Sie sich für etwas Besseres halten und auch noch die einfachsten Anstandsregeln mit Füßen treten? Komm, Darling. Hier wirst du mit Argumenten genauso wenig ausrichten wie bei deinen Eltern.«
»Es ist nicht notwendig, dass Sie gehen«, verkündete Costanza und erhob sich. »Wir
werden uns verabschieden, nicht wahr, Amadeo?«
Amadeo zögerte. Unschlüssig sah er von Tiziana zu Angela. Offenbar wurde ihm gerade bewusst, welchen Affront er sich gegenüber der Gastgeberin geleistet hatte.
»Bitte bleib noch«, sagte Vittorio leise zu seinem Sohn. »Wir rufen deiner nonna
ein Taxi.«
»Ein Taxi ist nicht notwendig. Vor dem Haus wartet mein Fahrer«, ließ Costanza sich vernehmen. Sie schlüpfte in den Pelzmantel, den Fania ihr reichte. »Mein Enkelsohn wird mit mir kommen, er ist aus demselben Holz geschnitzt wie ich. Auf ihm ruht all meine Hoffnung.«
Amadeo schien hin- und hergerissen. Schließlich gab er sich einen Ruck.
»Ich bin in nonnas
Begleitung gekommen«, sagte er. »Da sollte ich sie wohl auch nach Hause bringen, nicht wahr?«
Ein keckerndes Lachen erklang am anderen Ende der Tafel. »Der Goldjunge seiner nonna
«, krächzte Lorenzo und schlug sich vor Vergnügen auf die mageren Schenkel. »Seht nur, wie er an ihrem Rockzipfel hängt. Nun ja, es ist ein Mantel. Und der ist ja auch aus Nerz gearbeitet.« Dann wurde er ernst und stierte Amadeo unter seinen buschigen Augenbrauen hervor finster an. »Außerdem hat er keine Manieren, der feine Herr. Buonasera
, Principessa. Es ist mir ein Vergnügen, Sie scheiden zu sehen!«
In diesem Augenblick ließ ein gewaltiges Krachen sie alle zusammenfahren. Glas splitterte, und gleich neben Angela schlug etwas Schweres zu Boden.
»Das darf doch nicht wahr sein«, rief Tess und besah sich die Bescherung genauer.
Es war ein faustgroßer Stein. Jemand hatte damit eines der Fenster eingeworfen.