Die erste Frage, die sich stellt, wenn man versucht, die heutigen Debatten über die Zustimmung in intimen Beziehungen zu verstehen und zu bewerten, besteht darin, zu wissen, was die Zustimmung ist, um ihre Ambiguitäten und ihre Polysemie zu identifizieren und aufzuklären. Bevor man die Funktion und die normative Macht der Zustimmung analysiert, muss man verstehen, wovon man spricht. Ist die Zustimmung ein rechtliches Problem, ein moralisches Problem? Sprechen wir von derselben Sache, wenn wir von sexueller Zustimmung und kurz von Zustimmung sprechen?
Wenn man von Zustimmung spricht, bezieht man sich auf die Handlung des Zustimmens oder auf das Resultat dieser Handlung. Zustimmen ist eine Handlung, die darin besteht, seine Einwilligung zu geben. Zum Beispiel stimme ich zu, etwas von jemandem zu kaufen, wenn ich mit dieser Person einen Kaufvertrag abschließe. Und auch die Einwilligung resultiert aus dieser Handlung, wenn man zum Beispiel sagt, dass es bei einer Hochzeit einen Austausch von Zustimmungen gegeben hat.
34Diese Beispiele zeigen den sozialen Charakter der Zustimmung: Zustimmen bedeutet, jemandem seine Einwilligung zu etwas zu geben. Man stimmt nicht alleine zu, es gibt bei der Handlung des Zustimmens immer einen anderen. Genauer gesagt wird allgemein davon ausgegangen, dass zustimmen darin besteht, jemandem ein Recht zu gewähren, das er ohne die Einwilligung, die die Zustimmung darstellt, nicht hätte: Wenn ich zustimme, einer Freundin ein Auto zu leihen, gewähre ich ihr das Recht, mein Auto zu nehmen, während sie, wenn sie ohne diese Zustimmung mein Auto nehmen würde, mein Eigentumsrecht verletzen würde. Zustimmen bedeutet also, jemandem seine Einwilligung zu etwas zu geben, so dass man dadurch ein Recht auf sich selbst oder seinen Besitz zugesteht.
Wie diese Definition zeigt, gehört die Zustimmung zunächst zum juristischen Vokabular. Im Recht spricht man von Zustimmung, um die Einwilligung zu bezeichnen, durch die jemand einen Vertrag schließt. Der Vertrag wird in Artikel 1101 des Code civil definiert als »ein Übereinkommen von zwei oder mehreren Personen, das dazu bestimmt ist, Pflichten zu begründen, zu ändern, zu übertragen oder aufzuheben«. Der Vertrag ist also das Ergebnis einer Übereinkunft mehrerer Willenserklärungen, die zu gegenseitigen Pflichten führen (was ihn von einem einseitigen Rechtsakt unterscheidet, für den das Testament ein Beispiel ist). Die Pflicht ist hier juristisch zu verstehen, nämlich als »Rechtsverhältnis, durch das eine oder mehrere Personen, der oder die Schuldner, gegen35über einer oder mehreren anderen – dem oder den Gläubigern – zu einer Leistung (Handlung oder Unterlassung) verpflichtet sind, und zwar entweder aufgrund eines Vertrags (vertragliche Verpflichtung), eines Quasi-Vertrags (quasivertragliche Verpflichtung), eines Delikts oder eines Quasi-Delikts (deliktische oder quasideliktische Verpflichtung) oder des Gesetzes (tatsächliche Verpflichtung)«.1 Die Zustimmung ist einer der Grundbegriffe des Privatrechts, da sie eine notwendige Voraussetzung für die Gültigkeit eines Vertrags ist: Ein Vertrag kann nicht rechtsgültig sein, wenn die Parteien nicht zustimmen. So verfügt Artikel 1128 des Code civil (der frühere Artikel 1108):
Für die Gültigkeit eines Vertrags sind notwendig:
1. die Zustimmung der Parteien;
2. ihre Geschäftsfähigkeit;
3. ein zulässiger und bestimmter Inhalt.
Die Zustimmung der Parteien ist für das Zustandekommen eines Vertrags so zentral, dass es im französischen Recht Verträge gibt, die nur aufgrund einer übereinstimmenden Willenserklärung bestehen und nicht rechtlich formalisiert werden müssen. Im Recht wird dies als Konsensualvertrag bezeichnet und in Artikel 1109 des Code civil folgendermaßen definiert: »Der Vertrag ist einvernehmlich, wenn er allein durch eine übereinstimmende Willenserklärung zustande kommt, in welcher Form auch immer diese zum Ausdruck gebracht wird.« Der Begriff der Zustimmung ist somit die Grundlage des Privatrechts und der Fähigkeit von Individuen, miteinander Verträge zu schließen.
Der Begriff der Zustimmung ist historisch gesehen zunächst ein juristischer Begriff, scheint heute jedoch für drei unterschiedliche Bereiche entscheidend zu sein: den juristischen Bereich, den politischen Bereich und den Bereich der zwischenmenschlichen intimen Beziehungen, vor allem derjenigen, welche die Ehe und Sexualität betreffen.
Im rechtlichen Bereich wird dieser Begriff, wie wir gesehen haben, vor allem im Vertragsrecht verwendet. Und es ist besonders wichtig, festzuhalten, dass er im Strafrecht nicht verwendet wird: Das französische Strafrecht erkennt das römische Motto Volenti non fit iniuria, das heißt, »Dem, der zustimmt, wird kein Unrecht angetan«, nicht an. Während diese Maxime im Zivilrecht für die Beurteilung der Verantwortlichkeit entscheidend ist, gilt im Strafrecht eher die umgekehrte Maxime Voluntas non excusat injuriam, »Der Wille entschuldigt das Unrecht nicht«. Anders gesagt: Die Zustimmung des Opfers hebt den Straftatbestand nicht auf, es sei denn, dieser Straftatbestand verlangt per Definition den Betrug oder Gewalt (zum Beispiel kann es keine Entführung mit der Zustimmung des Opfers geben).
Im politischen Bereich wird das Vokabular der Zustimmung im Rahmen dessen verwendet, was allgemein als Problem der politischen Verpflichtung bezeichnet wird. Denn eines der entscheidenden Probleme jeder politischen Philosophie ist die Frage, wie und warum die Untertanen den Gesetzen und den Regierenden gehorchen. In dem Moment, in dem die Staatsgewalt nicht mehr als von Gott empfangen verstanden wird und man davon ausgeht, dass die Menschen von Natur aus frei und gleich 37sind, erlaubt nur die Verpflichtung, das Funktionieren des politischen Lebens nachzuvollziehen, wenn man unter Verpflichtung das versteht, »wozu sich ein Wille aus freien Stücken als sich selbst oder anderen gegenüber verpflichtet anerkennt«.2 Wenn nun aber alle Menschen frei und gleich sind, erscheint der Gehorsam gegenüber dem Gesetz, zumindest schematisch, als Faktum, dass ein frei geborenes Individuum akzeptiert, seinen Handlungsspielraum auf das gesetzlich Erlaubte zu beschränken.
Wie die amerikanische Politikwissenschaftlerin Hannah Pitkin zeigt, gibt es bei der Frage der politischen Verpflichtung in Wirklichkeit mehrere Probleme. Sie unterscheidet dabei vier:
(1) Die Grenzen der Verpflichtung (»Wann ist man zum Gehorsam verpflichtet und wann nicht?«)
(2) Der Ort der Souveränität (»Wem ist man zum Gehorsam verpflichtet?«)
(3) Der Unterschied zwischen legitimer Autorität und reinem Zwang (»Gibt es wirklich einen Unterschied; ist man jemals wirklich verpflichtet?«)
(4) Die Rechtfertigung der Verpflichtung (»Warum ist man zum Gehorsam verpflichtet, auch wenn die Autorität legitim ist?«)3
Nun gründen die Vertragstheorien die politische Verpflichtung aber auf die Zustimmung: Man ist zum Gehorsam verpflichtet, wenn man zugestimmt hat, und nur dann. Pitkin zeigt, dass die Zustimmung so erlaubt, die vier Fragen der politischen Verpflichtung zu beantworten:
Unsere Zustimmung definiert die Grenzen unserer Verpflichtung sowie die Person oder Personen, denen diese Verpflich38tung geschuldet ist. Legitime Autorität unterscheidet sich von willkürlicher Macht gerade durch die Zustimmung derer, die ihre Untertanen sind. Und die Rechtfertigung für unsere Verpflichtung ist unsere eigene Zustimmung; weil wir unser Einverständnis gegeben haben, ist es richtig, dass wir verpflichtet sind.4
Die Vertragstheorien gehen davon aus, dass der Gehorsam der Untertanen gegenüber den Gesetzen des Staates durch dessen vertraglichen Ursprung begründet ist: Da der Staat aus einem ursprünglichen Pakt oder Vertrag hervorgeht, in dem sich jeder (je nach Akteur auf unterschiedliche Weise) verpflichtet, der politischen Macht zu gehorchen, haben seine Gesetze eine bindende Dimension, genauso wie jede vertragliche Bestimmung. Der Gehorsam gegenüber den Gesetzen garantiert den Bürgern den Schutz des Staates. Da die Funktionsweise eines Vertrags auf der Idee beruht, dass eine übereinstimmende Willenserklärung eine Verpflichtung schafft, wird der Begriff der Zustimmung in der kontraktualistischen Tradition zur einzigen Quelle der Legitimität und der politischen Verpflichtung.
In ähnlicher Weise hat sich ausgehend vom Recht und von der Vertragsform das Vokabular der Zustimmung in intimen Beziehungen durchgesetzt. Das Vokabular der Zustimmung kommt zunächst im Kontext der Ehe zum Einsatz, da die Ehe als Vertrag verstanden wird. Der Austausch der Zustimmungen der Ehegatten ist die notwendige Voraussetzung dafür, dass die Ehe geschlossen werden kann. In der christlichen Religion wird beispielsweise seit dem vierten Laterankonzil die öffentliche Zustimmung der Ehegatten als notwendige Bedingung für die Gültigkeit der Ehe als Sakrament angesehen. In die39sem Bereich entwickelt sich daher ein ganzes Vokabular der Zustimmung; so spricht man zum Beispiel von der Zustimmung der Eltern, um die von den Eltern erteilte Zustimmung zur Verbindung ihrer Kinder zu bezeichnen, oder von der Scheidung in gegenseitigem Einvernehmen. Der Begriff der Zustimmung wurde, ausgehend von dieser ehelichen Bedeutung, erweitert und allmählich in zwei Zusammenhängen verwendet: im Kontext dessen, was Claude Habib als »Zustimmung aus Liebe« bezeichnet hat,5 das heißt im Rahmen einer Reflexion über die Liebe und das Begehren, und als Norm in den Diskussionen über die Vergewaltigung. Die französische Gesetzgebung zur Vergewaltigung macht im Gegensatz zu vielen anderen Ländern trotzdem keinen Gebrauch vom Begriff der Zustimmung: Gemäß Artikel 222-23 des Code pénal ist »jedwede sexuelle Handlung der Penetration oder jede oral-genitale Handlung, die auf die Person eines anderen oder auf die Person des Akteurs mit Gewalt, Zwang, Drohung oder Überraschung ausgeübt wird«, eine Vergewaltigung. Die Norm der Zustimmung wird somit vor allem in der Alltagssprache verwendet, um die Grenze zwischen Vergewaltigung und normalem, das heißt einvernehmlichem Geschlechtsverkehr zu ziehen.
Das aus dem Bereich des Rechts geerbte Vokabular der Zustimmung wird nicht nur in diesem Bereich verwendet, sondern auch im politischen Bereich und im Bereich der intimen und ehelichen Beziehungen. Wenn man sich jedoch damit begnügt, diese verschiedenen Sphären zu 40unterscheiden, übersieht man ein grundlegendes Problem, das der Begriff der Zustimmung aufwirft: das seiner Polysemie. In diesen drei Bereichen scheint es so zu sein, dass die Zustimmung tatsächlich ein jemandem gegebenes Einverständnis zu etwas ist, so dass man damit ein Recht auf sich selbst oder seine Besitztümer gewährt. Doch im rechtlichen Bereich, wie auch im politischen Bereich und im ehelichen und sexuellen Bereich, liegt die Ambiguität der Zustimmung in der Ambiguität des Begriffs des Einverständnisses selbst.
Der Begriff »Zustimmung« wird im Code civil ausgiebig verwendet (über 100 Vorkommen), ist aber nicht positiv definiert. Die Juristen stimmen darin überein,6 dass der Begriff für mehrere Dinge verwendet wird: Erstens kann man von Zustimmung sprechen, um entweder eine Willensübereinstimmung oder eine Willensbekundung zu bezeichnen. Nach Jean Carbonnier ist »die Zustimmung sowohl der Wille jedes Vertragspartners als auch die Übereinstimmung ihrer Willen«,7 und die Definition der Zustimmung als »Übereinkunft von zwei oder mehreren Willen zur Schaffung von Rechtswirkungen [oder die] Übereinstimmung dieser Willen, die die Voraussetzung für das Zustandekommen eines Vertrags ist«,8 übernimmt diese beiden Bedeutungen: Die Zustimmung kann sich entweder auf die Tatsache beziehen, dass jemand etwas will, oder auf die Übereinstimmung und Bekundung zweier Willen durch die Unterzeichnung eines Vertrags zum Beispiel. Diese Ambiguität ist alles andere als ein Detail, und ich werde später noch darauf zurückkommen: 41Wenn man sie so auf den sexuellen Bereich anwendet, versteht man leicht, dass zu sagen, dass die Zustimmung zum Geschlechtsverkehr das Faktum ist, dass man geistig damit einverstanden ist, diesen Geschlechtsverkehr zu haben, oder zu sagen, dass es das Faktum ist, dass man (verbal oder stillschweigend) bekundet, dass man damit einverstanden ist, diesen Geschlechtsverkehr zu haben, ganz unterschiedliche Folgen hat.
Neben der Ambiguität zwischen Willensübereinstimmung und Willensbekundung birgt die Zustimmung eine zweite Ambiguität, nämlich die zwischen Entscheidung und Akzeptanz. Wenn die Zustimmung eine Übereinstimmung der Willen ist, einen Vertrag zu schließen, ist die Zustimmung die Bekundung einer positiven Entscheidung und einer positiven Übereinstimmung. Die Zustimmung kann sich aber auch auf die »Akzeptanz (eines Angebots oder einer Anfrage)« beziehen.9 In diesem Fall ist die Zustimmung gewissermaßen passiv: Zustimmen bedeutet hier, etwas zu akzeptieren, das einem angeboten wird, ja etwas nicht abzulehnen, das einem angeboten wird. Zustimmen, und das ist auch in der Alltagssprache zu erkennen, kann somit bedeuten, zu entscheiden oder zu akzeptieren. Auf der Ebene der moralischen Bewertung ist es nun aber nicht dasselbe, ob man sich zum Beispiel für den Geschlechtsverkehr entscheidet oder den von einem anderen vorgeschlagenen Geschlechtsverkehr nicht ablehnt.
Diese Polysemie ist wichtig, weil sie zu Ambiguitäten führt, über die die scheinbare Eindeutigkeit des Konzepts hinwegtäuscht – und hier handelt es sich tatsächlich um ein Konzept, gerade wegen seiner Polysemie und seiner Verwendungen, die mit dieser Polysemie spielen. Das Recht braucht diese Polysemie, um die breite Palette 42von Verhaltensweisen zu erfassen, die zu rechtmäßigen Transaktionen führen können. Beispielsweise erlaubt das Konzept der Zustimmung dem Recht, der Ansicht zu sein, dass es einen Vertrag und eine Verpflichtung sowohl dann gibt, wenn ein Eigentümer und ein Mieter einen schriftlichen Mietvertrag unterzeichnen, als auch, wenn eine Person in ein Taxi steigt und damit stillschweigend einen Vertrag über die Nutzung der Dienstleistung abschließt.
Diese Unterscheidungen sind besonders wichtig, wenn man sich die entscheidende Frage stellt, ob man vom selben spricht, wenn man im Vertragsrecht von Zustimmung spricht, in der politischen Theorie von der Zustimmung zu Gesetzen, von der Zustimmung, sein Auto einer Freundin zu leihen, oder von der sexuellen Zustimmung. Was uns hier besonders interessiert, ist die Frage, ob und inwiefern die anderen Verwendungen der Zustimmung uns etwas über die sexuelle Zustimmung mitteilen.
Oft nimmt man an, dass man vom selben spricht, wenn man in der juristischen Vertragstheorie von Zustimmung spricht und wenn man von sexueller Zustimmung spricht. Diese Annahme führt dazu, dass viele Menschen glauben, dass die Betrachtung des Geschlechtsverkehrs unter dem Gesichtspunkt der Zustimmung gleichbedeutend damit ist, zu sagen, dass man einen Vertrag unterschreiben muss, bevor man mit jemandem schlafen kann. Und diese Annahme ist durch die Verwendung von Verträgen bei BDSM-Praktiken scheinbar gerechtfertigt, auf die ich in den folgenden Kapiteln zurückkommen werde. Diese Frage ist komplex, aber für unsere Analyse entscheidend. 43Denn wenn man von sexueller Zustimmung spricht und wenn man vor allem die Position vertritt, dass Frankreich der Entwicklung im Recht sehr vieler Länder10 folgen sollte (insbesondere Belgien, Deutschland, Griechenland, Irland, Island, Kanada, Luxemburg, den USA, dem Vereinigten Königreich und Zypern) und die Vergewaltigung als Geschlechtsverkehr ohne Zustimmung definieren sollte, versteht man die Zustimmung als einen juristischen Begriff. Man geht in diesem Fall davon aus, dass die Einwilligung ein Rechtsbegriff ist, der zwischen kriminellen und nicht kriminellen Verhaltensweisen zu unterscheiden erlaubt. Aber genau das ist nicht die Funktion der Zustimmung in der Vertragstheorie: In der Vertragstheorie begründet die Zustimmung eine Verpflichtung und keine Berechtigung, wie Raphaëlle Théry zeigt:
1. Während die meisten Verträge eine ausdrückliche Formulierung der Zustimmung voraussetzen, sind viele Verträge des Alltagslebens stillschweigende Verträge. Wenn ich in ein Taxi steige, gehe ich so stillschweigend die Verpflichtung ein, die Fahrt zu bezahlen;
2. das vertragschließende Individuum stimmt (unter der Voraussetzung, dass die Zustimmung gültig ist, das heißt freiwillig und informiert) den notwendigen Folgen seines Handelns zu;
3. diese Zustimmung hängt nicht von meiner psychologischen Einstellung ab (um beim Beispiel des Taxis zu bleiben: Ich muss die Fahrt bezahlen, auch wenn ich keine Lust mehr dazu habe);
4. die Zustimmung von X zu der Verpflichtung rechtfertigt die Erfüllung der Verpflichtung moralisch.11
44Es ist klar, dass dieses Verständnis der Zustimmung nicht dem entspricht, das man hat, wenn man die Zustimmung als Kriterium für die Trennlinie zwischen Vergewaltigung und Sex ansieht: Es geht nicht darum, Verpflichtungen zu begründen, und es wäre schwierig zu argumentieren, dass die psychologische Einstellung einer Person, die in den Geschlechtsverkehr einwilligt, bei der Bewertung ihrer Zustimmung keine Rolle spielt. Allgemeiner gilt, wie eine Entscheidung des amerikanischen Richters und Juristen Richard Posner zeigt:
Bezüglich der Vergewaltigung ist das Recht kein Teil des Vertragsrechts. Wenn Sie am Freitag bekunden, dass Sie damit einverstanden sind, am Samstag Geschlechtsverkehr zu haben, und am Samstag Ihre Meinung ändern, der Mann Sie aber trotzdem zwingt, mit ihm zu schlafen, kann er Ihre Zustimmung vom Freitag nicht gegen eine Anklage wegen Vergewaltigung vorbringen und sich zu seiner Verteidigung nicht auf die Zustimmung oder einen nachvollziehbaren Irrtum hinsichtlich der Zustimmung berufen.12
Damit ein Vertrag zustande kommt – und das ist sowohl im französischen als auch im amerikanischen Recht der Fall –, muss eine Willensübereinstimmung und die Begründung einer Verpflichtung vorliegen. Die Möglichkeit, seine Zustimmung jederzeit zu widerrufen, was der Jurist Evan Raschel in Bezug auf die Zustimmung in der Bioethik als »einseitiges und diskretionäres Widerrufsrecht« bezeichnet,13 steht jedoch zum Bestehen einer Verpflichtung in Widerspruch. Im Vertragsrecht kann man per Definition seine Zustimmung nicht zurücknehmen, sofern sie gültig ist. Niemand vertritt jedoch eine solche Sicht bei der sexuellen Zustimmung. Selbst im Falle der juristi45schen Diskussionen über die Verwendung des Kriteriums der Zustimmung zur Unterscheidung krimineller und nicht krimineller sexueller Handlungen ist nie die Rede davon, den Geschlechtsverkehr als Gegenstand eines Vertrags im eigentlichen Sinne zwischen zwei Personen zu begreifen, bei dem das Kriterium für die Legitimität die Zustimmung in dem Sinne ist, den sie im Vertragsrecht hat.
Das bedeutet nicht, dass es sich um zwei völlig verschiedene Begriffe handelt: In beiden Bereichen, dem Vertragsrecht und dem Strafrecht zur sexualisierten Gewalt, beruht die der Zustimmung übertragene Rolle auf der Theorie des autonomen Willens.14 Jedes Individuum wird als autonom anerkannt, das heißt wörtlich als fähig, sich sein eigenes Gesetz zu geben. Aber dieser Grundsatz der Autonomie des Willens hat zwei verschiedene Konsequenzen: Zum einen – und das ist eine seiner Konsequenzen im Vertragsrecht – bedeutet autonom zu sein, frei zu sein, Verträge einzugehen,15 und zum anderen bedeutet autonom zu sein, die Fähigkeit zu haben, Befugnisse zu erteilen. Auf der Grundlage der zweiten Konsequenz ist eine zunehmende Bedeutung der Zustimmung im Strafrecht zu beobachten.16
Der Grundsatz der Autonomie des Willens hat also im Zivilrecht zur Folge, dass die Zustimmung der Individuen, die als Ausdruck ihres autonomen Willens verstanden wird, die Macht hat, Verpflichtungen zu begründen. Er hat auch zur Folge, dass die Zustimmung, die man gegeben hat, das Recht begrenzt, das man im Falle eines vorhersehbaren Schadens haben kann (Verbindlichkeit des Vertrags).17 Im Strafrecht schafft die Zustimmung jedoch keine Verpflichtung, sondern kann eine Befugnis begründen, »das heißt eine unwiderrufliche einseitige Handlung, 46die einen Straftatbestand aussetzt, der ein vorhandenes Interesse schützt, und zwar entweder als Hindernis für seine materielle Entstehung oder als Bestandteil der Rechtfertigung«.18 Das bedeutet, dass die Zustimmung im Strafrecht entweder dazu dienen kann, zu verhindern, dass eine Handlung als Verbrechen betrachtet wird (in diesem Sinne könnte sie verwendet werden, um die Vergewaltigung vom erlaubten Sex zu unterscheiden), oder eine Handlung zu rechtfertigen (zum Beispiel könnte die Zustimmung bei der Begehung eines Verbrechens einen mildernden Umstand darstellen). Trotzdem wird in den meisten Fällen die Zustimmung des Opfers im Strafrecht nicht mit berücksichtigt: »Da der strafrechtliche Schutz vor allem auf die Verteidigung der sozialen Ordnung ausgerichtet ist, liegt er außerhalb der Reichweite einer möglichen privaten Erlaubnis.«19 Diese Funktionen haben nichts damit zu tun, ob das Geschehen vertraglich geregelt ist oder nicht: Die Zustimmung ist nur im Zivilrecht mit dem Vertrag verbunden und schafft in diesem Rahmen Verpflichtungen; im Strafrecht schafft sie eventuell Befugnisse und ist nicht mit dem Vertrag verbunden. Die Zustimmung ist die Bekundung der Autonomie eines Willens, der sich entweder per Vertrag verpflichtet oder andere auf verschiedene mögliche Arten autorisiert.
Es versteht sich von selbst, dass sich dann die Frage stellt, wie man in einem Strafverfahren die Zustimmung feststellen kann und was somit als Beweis für die Zustimmung gilt, und dass in diesem Rahmen ein unterschriebenes Papier in manchen Fällen als Beweis für die Zustimmung gelten könnte; aber es ist ein Irrtum zu glauben, dass jede Verwendung des Begriffs der Zustimmung im Strafrecht mit einem Rückgriff auf einen Vertrag oder ein kontraktuelles Verständnis von Verträgen verbunden ist. 47Das bedeutet folglich, dass Einwände gegen die Verwendung des Vokabulars der Zustimmung in der gesetzlichen Definition der sexualisierten Gewalt und Vergewaltigung insbesondere im Namen der Tatsache, dass eine solche Verwendung bedeuten würde, Verträge zu unterzeichnen oder intime Beziehungen nach dem Modell von Vertragsbeziehungen (verstanden als Geschäftsbeziehungen) zu denken, auf dem Irrtum beruhen, die Zustimmung in Strafsachen als diesselbe aufzufassen wie die Zustimmung in Zivilsachen.
Was als Zustimmung bezeichnet wird, wenn man von sexueller Zustimmung spricht, ist auch nicht genau das Gleiche wie die Zustimmung im politischen Bereich. Wie wir bereits weiter oben gesehen haben, hat die Verwendung des Begriffs der Zustimmung im politischen Bereich vor allem das Ziel, die Frage zu beantworten, warum man den Gesetzen eines Landes gehorcht. In den Theorien des Gesellschaftsvertrags wird die politische Verpflichtung als Folge eines Vertrags gedacht, der zwischen den Bürgern und dem Staat oder zwischen den Bürgern untereinander geschlossen wurde (hier findet man also die Idee der Zustimmung als Schöpferin der Verpflichtung wieder). Vor allem bei Locke erlaubt das Konzept der Zustimmung zu verstehen, wie Individuen, die in eine bereits strukturierte Gesellschaft hineingeboren werden, dazu kommen, von der bestehenden Regierung verpflichtet zu werden. Ein Individuum, das sich in dieser Situation befindet, kann nicht zwischen seiner Mitgliedschaft im Sozialpakt im engeren Sinne und seiner Mitgliedschaft 48in dem von der Mehrheit der aus diesem Pakt hervorgegangenen Zivilgesellschaft gewählten Regime20 und den von diesem Regime eingeführten Gesetzen unterscheiden. Es befindet sich mithin in einer Situation, in der es nicht in der Lage ist, etwas anderes als die Mitgliedschaft oder die Nicht-Mitgliedschaft zu wählen.
Man sieht also, dass der Begriff Zustimmung in den beiden Bedeutungen (Wahl und Zustimmung) verwendet wird, die wir zuvor festgestellt haben, ohne dass diese beiden Bedeutungen unterschieden werden: Das Individuum stimmt dem Sozialpakt zu, im juristischen Sinne, in dem es seinen Willen durch den Abschluss eines Vertrags ausdrückt – und in diesem Sinne ist zustimmen ein juristisches Synonym für wollen –, oder es stimmt in dem weiteren und weniger technischen Sinne zu, in dem das Regime bereits errichtet ist und in dem es folglich keine andere Wahl hat, als seiner Zugehörigkeit zur Zivilgesellschaft zuzustimmen oder sie abzulehnen, das heißt ihr anzugehören oder nicht anzugehören. Diese zweite Bedeutung der Zustimmung macht es schwierig, die Zustimmung zu bestimmen. Locke stellt daher die Frage, was »als eine hinreichende Erklärung der Zustimmung eines Menschen verstanden werden soll, um ihn den Gesetzen irgendeiner Regierung zu unterwerfen«.21 Da nicht alle Untertanen ausdrücklich zustimmen, Mitglieder der Gesellschaft zu sein, in der sie leben, argumentiert Locke, dass eine »stillschweigende Zustimmung« genügt, um einen freien Menschen, der unter einer Regierung geboren wurde, zu einem Mitglied der Republik zu machen, und dass eine solche stillschweigende Zustimmung von jedem, der sich auf dem Gebiet einer Regierung befindet, als gegeben angesehen werden kann.22
Diese Verschiebung von einer aktiven Zustimmung, 49welche die des Vertrags ist, zu einer passiven Zustimmung, die darin besteht, im Land zu bleiben, erklärt weitere politische Verwendungen des Begriffs der Zustimmung zur politischen Analyse, insbesondere die Idee der »Erzeugung von Zustimmung«, die 1922 von Walter Lippmann aufgebracht und von Noam Chomsky und Edward Herman in ihrem Buch Manufacturing Consent: The Political Economy of the Mass Media23 wieder aufgegriffen wurde. Dieses Buch analysiert die Propaganda als Mittel zur Erzeugung einer massiven politischen Zustimmung der Bürger, wobei Zustimmung eine Form der passiven Mitgliedschaft bedeutet. Hier ist ziemlich klar, dass wir weit von der freiwilligen und aktiven Konzeption der Zustimmung entfernt sind, die im Zentrum der sexuellen Zustimmung steht: Während die Verwendung der sexuellen Zustimmung die Funktion hat, sicherzustellen, dass die Person Lust zum Geschlechtsverkehr hat, dass sie in keiner Weise dazu gezwungen wurde, dass ihre Autonomie bei dem betreffenden Geschlechtsverkehr voll zum Ausdruck kommt, bezieht sich die Rede von der Zustimmung im politischen Bereich auf die oft passive Mitgliedschaft der Bürger in dem Regime, in dem sie leben.
Wenn die sexuelle Zustimmung weder die Zustimmung des Vertragsrechts noch die der politischen Theorie ist, dann ist die dritte wichtige Unterscheidung die zwischen der Zustimmung zu einer harmlosen alltäglichen Handlung (zum Beispiel sein Fahrrad zu verleihen) und der Zustimmung zum Geschlechtsverkehr. In der Philosophie, insbesondere in der zeitgenössischen englischsprachigen 50Philosophie, die als analytische Philosophie bezeichnet wird, ist es üblich, von vereinfachten Fällen auszugehen, die als analog zu einem komplexeren Fall betrachtet werden, den man zu verstehen versucht. Um zu verstehen, was bei der sexuellen Zustimmung geschieht, ist es zum Beispiel üblich, den Akt der Zustimmung, der bei der Zustimmung zum Geschlechtsverkehr erfolgt, als analog zu anderen Akten der Zustimmung zu betrachten, zum Beispiel dem Verleihen seines Autos oder Fahrrads. Das Problem bei solchen Analysen ist, dass sie auf der Annahme beruhen, dass die beiden Dinge, denen man zustimmt, vergleichbar sind. Diese Annahme widerspricht nun aber unserer Intuition: Auf den ersten Blick sind Geschlechtsverkehr zu haben und sein Auto zu verleihen zwei verschiedene Dinge. Daraus könnte man schließen, dass man ein Beispiel nehmen sollte, das dem Geschlechtsverkehr näher ist. Ich erinnere mich an eine Diskussion zwischen zwei Philosophen, bei der einer der beiden folgendes Beispiel anführte: Es kam oft vor, dass er abends beschäftigt oder müde war und seine Kinder ihn riefen, damit er sie küsste, bevor sie ins Bett gingen. Dieser Philosoph erklärte, dass er manchmal gar keine Lust hatte, seine Kinder zu küssen, es aber trotzdem tat, und dass er nicht glaubte, dass er von diesen Küssen, die gewissermaßen ohne seine Zustimmung gegeben werden, tief berührt war. Inwiefern wäre das notwendig anders, wenn es, anstatt seine Kinder zu küssen, darum gegangen wäre, mit seiner Frau zu schlafen?
Die dahinterliegende Frage lautet, ob der Sex etwas Außergewöhnliches ist: Gibt es beim Sex etwas Besonderes, das dazu führen würde, dass man die sexuelle Zustimmung nicht ausgehend von anderen Arten der Zustimmung, insbesondere der Zustimmung in emotionalen 51und intimen Beziehungen, denken könnte? Die Philosophin Martha Nussbaum hat diese Frage in einem Artikel über die Prostitution gestellt.24 Ausgehend von einem Zitat aus Adam Smith’ Wohlstand der Nationen, in dem er von »sehr beliebten und reizvollen Talenten [spricht], deren Besitz zwar eine gewisse Bewunderung erregt, deren Ausübung aber aus Gründen der Vernunft oder aus Vorurteil als eine Art öffentliche Prostitution betrachtet wird, sobald dafür Geld gefordert wird«,25 stellt sie die Frage, ob die allgemein geteilte Intuition gerechtfertigt ist, dass es schlecht wäre, Geld zu erhalten oder einen Vertrag über die Nutzung unserer sexuellen oder reproduktiven Fähigkeiten abzuschließen, ob diese Intuition letztendlich »Vernunft oder ein Vorurteil« ist, ob sie von rational vertretbaren Emotionen oder von irrationalen, auf Vorurteilen beruhenden Emotionen ausgeht. Ihre These lautet, dass die Verurteilung der Prostitution das Ergebnis von Vorurteilen und nicht von rational vertretbaren Intuitionen ist. Um dies zu zeigen, stützt sie sich unter anderem auf folgendes Gedankenexperiment: Stellen wir uns eine Person vor, die sie als »Künstlerin der Koloskopie« bezeichnet, die dafür bezahlt würde, dass ihr Dickdarm mit den neuesten medizinischen Instrumenten untersucht wird, um deren Reichweite und Leistungsfähigkeit zu testen. Laut Nussbaum haben wir kein moralisches Problem mit der Vorstellung, dass diese Person dafür bezahlt wird, von medizinischen Geräten penetriert zu werden, wenn sie dem zustimmt. Diese Tätigkeit nun aber als moralisch unproblematisch und die Prostitution als moralisch problematisch zu betrachten, obwohl beide Tätigkeiten in der Praxis bedeuten, dass man für die Penetration eine Bezahlung erhält, beruht ihr zufolge auf einer moralisierenden Sicht der Sexualität, bei der eine Prostituierte als 52eine schlechte und gefährliche Frau erscheint. Die Verurteilung der Prostitution sei nichts anderes als das Relikt einer moralisierenden Vorstellung von Sexualität, bei der allein die heterosexuelle Sexualität zwischen Eheleuten moralisch gültig ist.
Es scheint jedoch, dass hier ein anderes Argument oder zumindest eine andere Intuition am Werk sein könnte: Ist es nicht so, dass man denkt – sei es die Vernunft oder tatsächlich ein Vorurteil –, dass es beim Sex etwas Spezifisches gibt, das dazu führt, dass es nicht dasselbe ist, für die sexuelle Penetration eine Bezahlung zu erhalten wie für die nicht sexuelle Penetration? Dieser Gedanke kommt beispielsweise bei der strafrechtlichen Definition der Vergewaltigung im französischen Recht zum Tragen, die eine »sexuelle Penetration« erfordert. Während die Formulierung des Artikels im Jahr 1980 dazu tendierte, damit das Eindringen mit einem Geschlecht und/oder in ein Geschlecht zu bezeichnen, hat die Rechtsprechung des Kassationsgerichtshofs davon eine weite Auslegung vorgenommen, die das Einführen von Objekten in das Geschlecht als Vergewaltigung zu bezeichnen erlaubt. Eine Frage war Gegenstand mehrerer unterschiedlicher Entscheidungen: Kann man die Penetration eines nicht sexuellen Organs mit einem Objekt als Vergewaltigung einstufen? Die Rechtsprechung des Kassationsgerichtshofs hält sich an die Interpretation des sexuellen oder nicht sexuellen Kontexts der Fakten:26 Was die Penetration eines nicht notwendig sexuellen Organs – wie des Anus – mit einem Gegenstand zu einer sexuellen Penetration macht, ist die sexuelle oder nicht sexuelle Bedeutung der Handlung. Zum Beispiel offenbaren die Debatten über die Frage, ob die Analpenetration von Theo L. mit einem Teleskop-Schlagstock während der gegen ihn ausgeüb53ten Polizeigewalt im Februar 2017 eine Vergewaltigung darstellt oder nicht, die Annahme, dass diese Penetration »schlimmer« wäre, wenn sie sexuell gewesen wäre.27
Ob es legitim ist oder nicht, der Ansicht zu sein, dass es beim Sex etwas Besonderes gibt, das eine größere Verletzlichkeit begründet oder einen besonderen Schutz rechtfertigt, ist äußerst schwierig zu beantworten. Und die Beantwortung dieser Frage setzt zweifellos ein System von Werten und Überzeugungen voraus, das sich von Person zu Person unterscheidet – zum Beispiel ist der Sex für manche heilig, während der Begriff »heilig« für andere überhaupt keine Bedeutung hat. Doch eine pragmatische Form der Lösung besteht darin, anzuerkennen, dass der Sex (unabhängig davon, ob dies gerechtfertigt ist oder nicht) eine besondere moralische Position einnimmt, insofern unsere Gesetze, Institutionen, Normen und Praktiken dem Sex einen besonderen Platz einräumen und ihn zu einer Sphäre der Betätigung machen, welche die Autonomie und Verletzlichkeit des Einzelnen besonders stark berührt. Mit anderen Worten: Die Tatsache, dass die Vergewaltigung rechtlich und moralisch als eine Handlung angesehen wird, die sich von der Folter oder Körperverletzung unterscheidet, oder dass die Prostitution Gegenstand spezieller Debatten ist, die sich von der bloßen Frage unterscheiden, ob man seine körperliche Arbeitskraft verkaufen kann, bedeutet zumindest, dass der Sex nicht als eine Tätigkeit wie jede andere verstanden wird und dass diese Besonderheit bei der Analyse der sexuellen Zustimmung berücksichtigt werden muss. Daraus folgt, dass man die sexuelle Zustimmung nicht einfach in Analogie zu harmlosen Formen der Zustimmung im Alltag denken kann, wie zum Beispiel sein Fahrrad zu verleihen. Das soll aber nicht heißen, dass man 54aus solchen Vergleichen nichts lernen kann, sondern nur, dass es ein Fehler ist, mit einfachen Analogien zu arbeiten, ohne sich zu fragen, wie die moralische Bewertung der Sexualität in unseren Gesellschaften die sexuelle Zustimmung prägt. Darüber hinaus erfolgt die sexuelle Zustimmung häufig im Rahmen von affektiven und intimen Beziehungen, die nicht unbedingt gut analysiert werden, wenn sie ohne Berücksichtigung dessen untersucht werden, was ihre Besonderheit ausmacht (die Rolle der Gefühle, die Dauer der Beziehung etc.).
Die letzte wichtige Unterscheidung ist eine Unterscheidung, die bei der Verwendung des Konzepts der Zustimmung in intimen Beziehungen zum Einsatz kommt. Wie weiter oben dargelegt, wird der Begriff der Zustimmung in zwei verschiedenen Kontexten verwendet: zum einen in einer von der Aufklärung und den französischen Libertins geerbten Reflexion über die Liebe und zum anderen im Kampf gegen sexualisierte Gewalt und für egalitäre intime und sexuelle Beziehungen. Diese zweifache Verwendung ist zentral, um einen Teil der zeitgenössischen Verkrampfungen in der Debatte über die sexuelle Zustimmung in Frankreich zu verstehen. Denn wie Claude Habib in Le Consentement amoureux: Rousseau, les femmes et la cité zeigt, beruht die Idee der Zustimmung aus Liebe, wie sie in den Schriften des 18. Jahrhunderts und vor allem bei Rousseau zutage tritt, auf der Unterscheidung zwischen einer öffentlichen Sphäre, in der Freiheit herrschen muss, und einer privaten, intimen Sphäre, die 55durch Beziehungen der Abhängigkeit und Unterordnung strukturiert ist.28 Die Freiheit der Bürger ist nur möglich und wünschenswert, weil sie sich auf die öffentliche Sphäre beschränkt. Die Privatsphäre wird vor allem durch die Liebe organisiert, und für Rousseau ist einerseits »die Reflexion über die Liebe […] untrennbar mit einer Reflexion über die Natur der Frauen verbunden – über ihre Bereitschaft, sich aus Liebe zu verbiegen, über ihre natürliche Unterordnung« –,29 und andererseits »hat es keinen Sinn, sich die Liebe als einen Austausch zwischen Gleichen vorzustellen (das ist der ewige Widersinn der Homosexualität und ihre Simplifizierung)«.30 In diesem Rahmen wird die Zustimmung als alleinige Angelegenheit der Frauen betrachtet, die Scham und Zurückhaltung zeigen müssen:
Rousseau stellt fest, dass der Ausdruck des weiblichen Einverständnisses minimal und konzessiv ist: »Es genügt, wenn sie wenig Widerstand leistet.« Diese Feststellung ist nicht gleichbedeutend damit, die Schüchternheit zur Pflicht zu machen, und schließt natürlich nicht aus, dass eine Frau freudig zu ihrem Liebhaber gehen, sich in seine Arme werfen und ihm dabei in die Augen schauen kann. Nur tut sie in diesem Fall mehr, als ihre Position verlangt. […] In der weiblichen Position ist »ja« zu sagen bereits eine Emphase im Vergleich zu der natürlichen Form der Zustimmung, die darin besteht, zuzulassen.31
Der auf intime Beziehungen angewendete Begriff der Zustimmung ist im französischen kulturellen Erbe eng mit einer bestimmten Vorstellung von der Natur der Frau und ihrem Platz als Objekt der Liebe und des Begehrens und nicht als Bürgerin verbunden, als reizvolle Beute, die 56es zu verführen gilt, und nicht als Gleichgestellte. In diesem Kontext ist die Zustimmung, um die es geht, einzig die der Frauen – der Mann sagt an, die Frau sagt zu –, und nichts scheint eine schlechtere Medizin für die Liebe zu sein als die Gleichstellung der Geschlechter:
Hier kann uns Rousseau eine Lehre sein, denn im Gegensatz zu den 68ern argumentiert er nicht in den Begriffen des Verbots – sei es, um sie zu bekämpfen oder, dreißig Jahre später, um sie wieder einzuführen. Seine Frage lautet nicht: Wie kann man das Begehren begrenzen? Die Frage lautet, zu verstehen, wie sich das Begehren von Natur aus begrenzt […]. Wenn die Frauen in Bezug auf die körperlichen Dinge wie Männer handeln würden, wäre das Begehren unbegrenzt; die daraus resultierende Situation wäre keine Befreiung, sondern die Angst vor Erschöpfung: So lautet die Diagnose Rousseaus. Es besteht kein Zweifel, dass Rousseau den Lebensstil der Schwulen unserer Zeit missbilligt hätte, wenn er ihn gekannt hätte.32
Mit dem Konzept der Zustimmung geht es um die Aufwertung einer bestimmten Form der Liebe, deren Quelle in der Andersartigkeit liegt, die eine natürliche Komplementarität der Liebenden gewährleistet. Die Frauen sollen sich mit der ihrem Geschlecht angemessenen Schamhaftigkeit (und Unterwürfigkeit) verhalten, und die Männer sollen kühn sein. Und die Homosexualität, eine Beleidigung der vermeintlichen Natürlichkeit des heterosexuellen Geschlechtsverkehrs, wird gemäß den klassischen Tropen als Ablehnung der Andersartigkeit und als Unbegrenztheit des Begehrens verstanden. Was aber in diesem Zitat auch offensichtlich ist, ist, dass unter dem Deckmantel einer literarischen und philosophischen Analyse 57von Rousseau eine politische und militante Forderung im Spiel ist: Gegen die sexuelle Revolution der »68er«, gegen einen Feminismus, der verdächtigt wird, die von dieser sexuellen Revolution bekämpften sexuellen Verbote wiederherstellen zu wollen, geht es darum, ein anderes, mutmaßlich ungleiches, aber glückliches Modell von Sex und Liebe zu propagieren. Und in diesem Modell ist das Konzept der Zustimmung entscheidend, um die Weiblichkeit zu denken. Dasselbe Modell und dieselbe Vorstellung von der Zustimmung kann man übrigens auch in Stellungnahmen von Frauen erkennen, die für die Männer ein Recht auf Belästigung fordern: Männer haben das Recht, zu belästigen, als implizites Produkt der erobernden männlichen Natur, Frauen sollen diese Bestürmungen freundlich zurückweisen (und sich so »nicht auf ewig von einem Frotteur in der U-Bahn traumatisiert fühlen«, wie sie schreiben), indem sie sie wohlwollend als Produkt der männlichen Natur und ihres unerschöpflichen Begehrens begreifen.
Die Zustimmung ist also ein zentraler Begriff dieser »Galanterie à la française«,33 die als eine Form der Verständigung zwischen den Geschlechtern verstanden wird, bei der es nicht um Gleichheit, sondern um Komplementarität in der Verschiedenheit geht, insbesondere dank der Liebe, und die manche gegen die zeitgenössische Forderung nach Egalität zwischen den Geschlechtern verteidigen zu müssen meinen, die ihnen mit der Liebe unvereinbar scheint. Und gleichzeitig wird das von der liberalen englischsprachigen Kultur geerbte Konzept der Zustimmung in Diskussionen über sexualisierte Gewalt und Sexualität überhaupt als Instrument verwendet, um die Grenze zwischen Vergewaltigung und normalem, das heißt einvernehmlichem Geschlechtsverkehr zu zie58hen, und folglich als Instrument, um eine Sexualität unter Gleichen zu praktizieren, bei der jeder Partner dem Geschlechtsverkehr zustimmen muss. Die Zustimmung fungiert also entweder als einer der Schlüsselbegriffe einer Vorstellung, die die Gleichheit der Geschlechter im Namen der Bedeutung einer Liebe ablehnt, die als Komplementarität von Gegensätzen verstanden wird, oder als Schlüssel zu einer neuen, egalitären Ära der Liebes- und Sexualbeziehungen.
Schlussendlich kann man sagen, dass es für die Untersuchung der sexuellen Zustimmung von grundlegender Bedeutung ist, die Polysemie des Konzepts der Zustimmung und die Besonderheit der sexuellen Zustimmung zur Kenntnis zu nehmen: Die Zustimmung, die bei sexuellen Beziehungen zum Tragen kommt, ist weder die Zustimmung des Vertragsrechts noch die der Bürger zur politischen Macht noch die zu harmlosen Interaktionen zwischen Individuen im täglichen Leben. Und dass diejenigen, die es verwenden, sich weder über seine Definition noch über seine Funktion noch über das, was man von ihm erwarten kann, einig sind, macht es zu einem veritablen philosophischen Konzept und nicht zu einem bloßen Begriff.