Mamma Carlotta und Carolin wanderten schweigend nebeneinanderher. Jede trug eine Einkaufstasche in der Hand, beide waren sie in Gedanken vertieft. Schwere Gedanken? Hoffnungsvolle Gedanken? Mamma Carlotta warf ihrer Enkelin einen Blick zu. Wie war das Gespräch mit Maximilian gelaufen? Wusste er nun, dass sie nach Sylt zurückkehren wollte? Hatte sie ihm sogar gesagt, dass sie die Reportage über Sandra Lührsen selbst schreiben wollte? Mit geradezu übermenschlicher Kraft schaffte sie es, diese Fragen nicht laut zu stellen. Carolin war ja genau wie ihr Vater. Wenn sie spürte, dass ihre Nonna neugierig war, schwieg sie besonders lange und hartnäckig.
Sie nahmen nicht den kürzesten Weg, sondern entschieden sich für die Hauptstraße, die von Geschäften und Schaufenstern gesäumt wurde. Keine erwähnte es, aber beide hatten das Bedürfnis, das Heimkommen noch ein wenig hinauszuzögern. Zunächst blieben sie vor dem Kosmetikstudio von Merret Halliger stehen. »Morgen habe ich einen Termin«, sagte Mamma Carlotta, und es klang sehr unglücklich. »Sie hat ihn mir regelrecht aufgeschwatzt.«
»Gönn dir ruhig mal was«, meinte Carolin und betrachtete die Treibholzskulpturen, die das Schaufenster schmückten. »In Käptens Kajüte kann man so was auch kaufen.«
Mamma Carlotta runzelte die Stirn. Irgendwas hatte sich verändert im Schaufenster des Kosmetikstudios. Es dauerte eine Weile, bis es ihr auffiel. Der kräftige, dominierende Treibholzstamm in der Mitte war nicht mehr da, an den Merret Halliger einige Päckchen gehängt hatte, die ihre Pflegeprodukte enthielten. Nun standen sie auf dem Boden im Schaufenster, auch sehr hübsch dekoriert, aber Mamma Carlotta hatten die apfelgrünen Schleifen gut gefallen, mit denen Merret Halliger die Päckchen an den Treibholzstamm gebunden hatte.
Sie bummelten weiter, bogen nicht nach links ab, der abknickenden Vorfahrt nach, sondern wechselten die Straßenseite und nahmen Kurs auf die Schaufenster des Modehauses Andresen, das in einer hübschen weißen Villa im Bäderstil untergebracht war. Schweigend starrten sie die Auslagen an, als suchten sie etwas Bestimmtes, aber beide hatten in Wirklichkeit keinen Blick für die ausgestellten Waren.
Schließlich hielt Mamma Carlotta es nicht mehr aus. »Weiß Maximilian nun, dass du nicht mehr in Hamburg wohnen willst?«
Carolins Antwort war ein Schulterzucken.
»Du hast es ihm noch nicht gesagt?« Mamma Carlotta spürte Empörung in sich aufstiegen. »Du hast es versprochen.«
»Ja, ja. Aber so einfach ist das nicht. Erst mal habe ich ihm erklärt, dass ich die Reportage gern selbst schreiben möchte.«
»Und?«
»Er war sauer. Dabei geht er davon aus, dass ich sie zwar schreiben will, aber er sie dann der Redaktion schicken wird, die ihn beauftragt hat. Er will sie dann noch zurechtkürzen, hat er gesagt. Er hat noch nicht begriffen, dass ich sie dem Inselblatt geben will. Aber er hat natürlich keine Ahnung, dass Koopmann mir schon ein Angebot gemacht hat. Vor allem meint er, ich kann das nicht.«
Mamma Carlotta überlegte, ob es richtig war, Carolin unter Druck zu setzen und auf das gegebene Versprechen zu pochen. Aber sie wollte vorsichtig sein und wechselte das Thema, als sie weitergingen, einen großen Umweg, als hofften sie, ohne dass es ausgesprochen wurde, dass Dr. Hillmot und Violetta in einem Hotel eingecheckt hatten, weil es ihnen am Süder Wung zu langweilig wurde. »Wer hat die Steine und die Brandfackeln geworfen?«, fragte sie. »Du musst es gesehen haben.«
Aber Carolin schüttelte den Kopf. »Menno Koopmann hat es wohl gesehen. Er sagte, Adrian Halliger war hinter Sandra Lührsens Grundstück.«
»Ich hätte eher auf seine Frau getippt. Sie hätte einen guten Grund, Sandra Lührsen von der Insel zu vertreiben.«
Carolin war der gleichen Meinung. »Ich habe dann nicht mehr nach dem Täter gesucht, weil Koopmann mich zur Seite genommen und mir zugeredet hat, die Reportage für ihn zu schreiben.«
»Wirst du das nun wirklich tun?«
Carolin mochte es gar nicht laut sagen, sondern flüsterte: »Ja, ich mache das.«
Mamma Carlotta war zufrieden. Wenn ihre Enkelin dazu entschlossen war, musste sie sich keine Sorgen mehr machen. Maximilian würde wütend sein, es würde Streit geben, und das Ende der Beziehung war damit so gut wie sicher. Gott sei Dank!
Sie war erfreut, dass ihr damit ein gutes Argument in die Hände gespielt wurde. »Ein Mann, der dir keinen Erfolg gönnt, ist nicht der richtige.«
Dieser Gedanke schien Carolin auch schon gekommen zu sein. Dass sie ihrer Nonna ein Versprechen gegeben hatte, bedrückte sie offenbar nicht. Wieder musste Mamma Carlotta sich fragen, ob ihr Opfer überflüssig gewesen war. Carolin wäre wohl auch nach Hause zurückgekehrt, wenn ihre Nonna sich nicht als Aktmodell zur Verfügung gestellt hätte. Molto fastidioso! Sehr ärgerlich. Sie mochte gar nicht an den nächsten Tag denken. Wenn sie den hinter sich gebracht hatte, musste sie unbedingt vergessen, was sie auf sich genommen hatte, um Lucias Familie zu retten. Zum Glück wusste nur Carolin davon. Das musste unbedingt so bleiben. Am Ende würde noch Violetta davon erfahren, die dafür bekannt war, pikante familiäre Ereignisse in der ganzen Verwandtschaft herumzuerzählen. Dio mio!