Das Redaktionsbüro des Inselblatts lag in einem Hinterhof in der Nähe der Strandstraße in Westerland. Im hinteren Teil des Hauses war ein Partyservice untergebracht, in der ersten Etage residierte ein Anwalt, der versucht hatte, die wenig repräsentative Geschäftslage durch aufwendige Ausstattung zu kompensieren. Die Tür, die in die Anwaltsräume führte, sah aus, als gäbe es dahinter viel Kostbares, während die Tür der Redaktion mit einem gezielten Fußtritt leicht zu öffnen gewesen wäre. Die Treppe, die zu dem Anwalt emporführte, war mit Terrazzoplatten belegt, der Eingang zur Redaktion führte dagegen über ein praktisches Gitter, das den Schmutz von den Schuhen streifte, der irgendwo verschwand, wo er nicht mehr zu sehen war.
Sie klingelten, und der Chefredakteur persönlich öffnete ihnen. Er trug eine schlecht sitzende Jeans, dazu ein kariertes Hemd unter einem dunkelroten Pullover. Er schien zugenommen zu haben. Der Bund der Jeans war unter seinen dicken Bauch gerutscht, Pullover und Hemd spannten darüber. Ein Mann, dem sein Äußeres gleichgültig war.
Er wunderte sich nicht, sie zu sehen, grüßte knapp, drehte sich um und gab ein Zeichen, dass sie ihm folgen sollten. »Hier entlang.«
Aus einem bedrückend niedrigen Vorraum kamen sie in ein erstaunlich großes Zimmer, das durch grelle Neonröhren erhellt wurde. Die umliegende Bebauung war eng, in diesem Raum schien das Tageslicht keine Chance zu haben. Drei Arbeitsplätze gab es, aber es war auf den ersten Blick zu erkennen, dass nur einer benutzt wurde. Auf den anderen beiden türmten sich alte Zeitungen, viele Aktenordner und die Ablage.
»Sie sehen, ich mache zurzeit alles allein«, sagte Menno Koopmann. »Junge Journalisten sind entweder krank oder auf der Suche nach besseren Jobs.«
Er wischte ein paar Blätter von einem Stuhl, die in einen großen Karton fielen, wo schon viele andere Blätter lagen, die vielleicht auf ähnliche Weise dort gelandet waren. Dann rollte er einen weiteren Bürostuhl heran. »Setzen Sie sich.« Er selbst nahm an seinem Schreibtisch Platz. »Ich nehme an, Ihre Tochter schickt Sie zu mir?«
Diese Aussage wollte Erik so nicht stehen lassen. »Sie hat mir erzählt, dass sie Ihnen begegnet ist. Hinter dem Haus von Sandra Lührsen. Ich möchte wissen, welche Beobachtungen Sie gemacht haben.«
»Warum waren Sie überhaupt dort?«, fügte Sören an.
Koopmann sah ihn an, als hätte er kein Verständnis für diese Frage. »Ich habe gehört, dass Sandra Lührsen schon wieder mit ihren Malkursen anfängt. Da wollte ich sehen, ob ich ein nettes Foto schießen kann. Ein paar Zeilen darüber, wie sie mit ihrem Leben weitermacht … immerhin etwas. Eine große Reportage hat sie mir ja verweigert.« Er warf Erik einen Blick zu, als wäre der es gewesen, der ihn um diese berufliche Chance gebracht hätte. »Ihre Tochter hat sich da ja eingemischt. Ich möchte wissen, wie sie es hinbekommen hat, Sandra Lührsen rumzukriegen.«
Erik hatte sich fest vorgenommen, nicht über Carolin zu sprechen, seine beruflichen Interessen nicht mit privaten zu vermischen. »Sie haben gesehen, wer die Steine und die Brandfackeln geworfen hat?«
Aber Koopmann schüttelte den Kopf. »Nein, habe ich nicht. Die kamen hinter einem dichten Gestrüpp her. Ich habe mich in Sicherheit gebracht.« Erik merkte, dass er hämisch gegrinst hatte, sodass Koopmann hastig ergänzte: »Ihre Tochter auch. Wer will schon einen Stein an den Kopf bekommen oder eine Brandfackel in den Haaren haben?«
Erik warf einen süffisanten Blick zum schütteren Haupthaar des Chefredakteurs, ehe er fragte: »Aber Sie haben jemanden gesehen?«
Koopmann wusste, was er meinte. »Ja, Adrian Halliger habe ich gesehen. Oder vielmehr … gehört. Erst habe ich seine Stimme nicht erkannt, aber dann hat er sich kurz gezeigt, da war mir alles klar.«
»Was war klar?«, fragte Erik lauernd.
»Dass er die Steine und die Brandfackeln geworfen hat. Das liegt doch auf der Hand.«
»Ich möchte Ihnen dringend raten, diese Behauptung nicht im Inselblatt zu verbreiten«, sagte Erik scharf. »Das ist reine Vermutung.«
Koopmann schien sich zu ärgern, dass er Erik recht geben musste und dass er wohl gezwungen sein würde, den Bericht, den er zweifellos längst geschrieben hatte, zu überarbeiten. »Das brauchen Sie mir nicht zu sagen. Ich weiß, wie guter Journalismus geht.«
Erik hätte beinahe gelacht. »Unser Gespräch hier hat mit Journalismus nichts zu tun. Sie sind für mich ein Zeuge, der dabei war, als jemand bedroht wurde. Ich will wissen, was Sie beobachtet haben.«
»Na, das wissen Sie ja jetzt. Ich habe die Steine und die Brandfackeln bemerkt. Außerdem habe ich Adrian Halligers Stimme gehört und ihn ganz kurz gesehen.«
»Was genau haben Sie gehört?«, fragte Sören. »Hat er etwas gerufen? Sandras Lührsens Namen zum Beispiel?«
Aber Koopmann schüttelte den Kopf. »Habe ich nicht verstanden. Er war bald weg, ich bin ihm nicht nach, weil dann ja Ihre Tochter auftauchte.«
Wieder ging Erik nicht darauf ein. Er stand auf und sah auf Menno Koopmann herab. »Sollte Ihnen noch was einfallen, Sie wissen ja, wo Sie mich erreichen können«
»Klar«, sagt Koopmann zurück. »Da, wo ich oft vergeblich anrufe und man mir nichts sagen will, wenn sich in einem Fall interessante Entwicklungen ergeben.«