Mamma Carlotta war empört. Dicker Hintern! So eine Frechheit! Aus ihrer Entrüstung wurde jedoch schnell tiefe Sorge. Was, wenn Erik nach einem Täter mit dickem Hintern suchte und am Ende seine Schwiegermutter fand? Sie dachte fieberhaft nach. War das möglich? Auf ihrer Haut war natürlich nichts mehr zu sehen, das glaubte sie jedenfalls. Aber selbst wenn die Farbe nicht wasserlöslich war und die Duschseife für eine gründliche Säuberung nicht ausgereicht hatte, konnte sie sich in Sicherheit wiegen. Es war sehr unwahrscheinlich, dass Erik etwas bemerkte. Ihre Kehrseite bekam niemand zu Gesicht. Aber was war mit der Decke? Wo war sie geblieben? Diese Frage stellte sie sich erst, als sie mit Carolin nach Hause ging. Vermutlich hatte Sandra Lührsen sie in den Korb mit der Schmutzwäsche getan, wie jede Hausfrau das machte, um sie am nächsten Tag in die Waschmaschine zu stecken. Erik konnte sie also finden, wenn er sich ansah, was demnächst gewaschen werden sollte. Aber würde er das tun? Wie sollte sie erklären, dass es die Spuren seiner Schwiegermutter waren, die sich dort fanden? Andererseits … würde es auf der Decke überhaupt Farbspuren geben? Sie hatte sie vor ihrer Brust zusammengerafft, die Decke war also, wenn sie Glück hatte, gar nicht mit dem feuchten Gemälde in Berührung gekommen. Und außerdem hatte Erik kein Vergleichsmaterial. Noch nie hatte er die DNA seiner Schwiegermutter bestimmen lassen. Solange er keinen Verdacht hegte, würde er Hautschuppen oder andere verräterische Spuren nicht mit seiner Schwiegermutter in Verbindung bringen.
Sie warf Carolin einen Blick zu, die gedanklich auf nichts anderes als auf die Reportage konzentriert war, die sie sofort schreiben wollte, sobald sie zu Hause angekommen war. Ihre Lippen bewegten sich leicht, sie schien in Gedanken schon zu formulieren. »Ich darf jetzt nicht warten, Nonna«, hatte sie gesagt. »Der Mord verändert alles. Jetzt muss die Reportage sofort in die Zeitung. Ich werde gleich mit Koopmann telefonieren.«
Diesen Satz hatte sie kaum ausgesprochen, als ihr Handy ging. Der Chefredakteur des Inselblatts war am Apparat, Carlotta konnte seine laute, aufgeregte Stimme hören, als auf der Straße gerade kein Auto vorbeifuhr.
»Okay«, sagte Carolin, nachdem er eine Weile auf sie eingeredet hatte. »Ich bin auf dem Weg nach Hause. Ich fange sofort an. Soll ich mit dem Mord beginnen?« Sie lauschte eine Weile, dann nickte sie. »Ja, so hatte ich es mir auch gedacht. Sie bekommen heute Abend den ersten Teil der Reportage. Wie viele Zeilen?«
Kurz darauf nickte sie zufrieden, legte auf und sah ihre Nonna an, als hätte sie einen Heiratsantrag erhalten. »Jetzt noch Maximilian. Er muss es nun erfahren.« Das glückliche Strahlen fiel in sich zusammen, nun sah sie ängstlich und verzagt aus.
Sie überquerten den Parkplatz von Feinkost Meyer und bogen diesmal in den Osterweg ein. Der kürzeste Weg musste es nun sein. »Gut, dass ich meinen Laptop nicht in Hamburg gelassen habe«, seufzte Carolin.
In diesem Augenblick klingelte ihr Handy erneut. Mamma Carlotta war sofort klar, dass Maximilian am anderen Ende war. Carolin blieb stehen, ihre Nonna ebenfalls, bemerkte dann jedoch schnell, dass sie weitergehen und von dem Gespräch nichts mitbekommen sollte.
»Du hast wieder Polizeifunk gehört?«, fragte Carolin.
Mamma Carlotta tat, was ihre Enkelin wollte, sie ging weiter. Natürlich nur langsam, aber sie merkte bald, dass es sinnlos war, etwas hören zu wollen. Als Carolin sprach, drehte sie ihrer Großmutter den Rücken zu, Mamma Carlotta verstand kein Wort. Es half nichts. Sie würde sich gedulden müssen, bis das Kind heimkam und ihr alles erzählte.
Sie bog in den Süder Wung ein, ohne sich nach Carolin umzusehen, dann fiel ihr ein, dass es klug gewesen wäre, wenn sie bei Feinkost Meyer fürs Mittagessen eingekauft hätte. Aber jetzt zurückgehen? Dann würde Carolin ihr womöglich unterstellen, sie käme zurück, um etwas von ihrem Telefongespräch zu hören. Außerdem war nicht zu erwarten, dass Erik und Sören zum Essen kamen. Auf Sylt war soeben ein Mord geschehen! Sie würden alle Hände voll zu tun haben. Er würde Heike Schrunz vernehmen müssen und Norbert Dombrowsky, wenn die Pflegerin nicht sofort ein Geständnis ablegte. Dass sie ihre Schwester zu Dr. Hillmot geschickt hatte, und das ausgerechnet zur Tatzeit, musste ja einen Grund haben. Erik würde schnell herausfinden, warum sie das getan hatte. Norbert Dombrowsky würde nur aus dem Schneider sein, wenn er ein Alibi hatte. Aber wenn nicht? Spätestens dann würde Erik in Käptens Kajüte auftauchen und Tove vernehmen.
Mamma Carlotta beschleunigte ihre Schritte und ging am Haus Wolf vorbei. Vorsichtshalber warf sie dem Küchenfenster keinen einzigen Blick zu. Sollte Violetta sich dort blicken lassen und ihrer Cousine zuwinken, wollte Mamma Carlotta es nicht sehen. Sie musste jetzt erst mal mit Tove Griess reden. Er hatte vermutlich keine Ahnung, dass er des Mordes verdächtigt wurde …