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Norbert Dombrowsky hatte schon gehört, was geschehen war. Oder traute er seinen eigenen schauspielerischen Fähigkeiten nicht? Wollte er nicht so tun müssen, als wäre er überrascht über das, was die beiden Polizisten, die in seinem Büro erschienen, zu verkünden hatten? Jedenfalls wehrte er ab, als Erik ansetzte. »Das hat sich schon wie ein Lauffeuer herumgesprochen.« Das Lächeln, das er aufsetzte, war unsympathisch. »Da wäre sie vielleicht besser im Knast geblieben. Dann würde sie wenigstens noch leben.«

Sie folgten dem Immobilienmakler in sein Büro am anderen Ende des Hauses. Dort war es ruhig, der Blick in den Garten sehr angenehm. Ein kleiner, aber praktisch eingerichteter Raum, mit modernen Möbeln und einem gläsernen Schreibtisch, der ein Designerstück zu sein schien. Dombrowsky bot Erik und Sören Platz auf zwei schwarzen Lederstühlen an, die keine Armlehnen besaßen, aber dennoch sehr bequem waren. Er selbst setzte sich an seinen Schreibtisch. »Kaffee? Tee?«

Erik und Sören lehnten beide ab, und Norbert Dombrowsky warf einen anzüglichen Blick zur Uhr, wohl um zu zeigen, dass er keine Zeit hatte. Darum kümmerte Erik sich nicht.

»Womit kann ich dienen? Hat es was mit dem Mord zu tun? Oder sind Sie wegen Ihres Sohnes da, Herr Wolf?«

Erik entschloss sich, auf seine letzte Frage nicht einzugehen. »Sie wissen, dass Sie schon nach Witta Lührsens Tod in Verdacht standen.«

Dombrowsky lachte. »Zum Glück nicht lange.«

»Wir sind wieder am selben Punkt. Dazu die Tatsache, dass Sie Jesko Lührsen übers Ohr gehauen haben …«

»Ich muss doch sehr bitten.«

Erik beachtete seinen Einwurf nicht. »… und nun noch der Mord an Sandra Lührsen. Kann es sein, dass sie Ihnen mit Vorwürfen gekommen ist? Sie wollte jedenfalls mit Ihnen reden.«

»Hat sie nicht.«

Wieder ging Erik nicht auf ihn ein. »Sind Sie von ihr durchschaut worden? Unter Druck gesetzt worden?«

Dombrowsky schien froh zu sein, dass er nicht zu antworten brauchte. Denn die Tür öffnete sich, und die Sekretärin blickte ins Büro. »Oh, ich wusste nicht, dass Sie Besuch haben.«

Dombrowsky gab sich interessiert, als wollte er nicht, dass sie ihn mit den beiden Polizisten allein ließ. »Was ist?«

»Herr Halliger ist am Apparat. Sie haben nicht abgenommen.«

»Ich rufe ihn gleich an.«

Frau Wissler zog sich zurück. Erik beschloss, das Thema zu wechseln, um zu beobachten, ob es Norbert Dombrowsky nervös machte oder ob er sich in Sicherheit wiegte, weil es dann so aussah, als wäre der Verdacht gegen ihn plötzlich vom Tisch. »Adrian Halliger arbeitet für Sie?«

Dombrowsky nickte. »Gelegentlich. Es gibt bessere Architekten.«

Erik war überrascht. »Tatsächlich?«

»Er kann froh sein, dass seine Frau das gut gehende Kosmetikstudio besitzt. Die hat ganz klein angefangen. Aber in den letzten Jahren hat sie sich was aufgebaut. Früher, in List, ist sie nur mühsam über die Runden gekommen.«

Nun klinkte Sören sich ein. »Es wird gelegentlich darüber geredet, wie sie ihr Studio finanziert hat. Es scheint recht komfortabel zu sein.«

Erik sah seinen Mitarbeiter erstaunt an. Dazu hatte Sören noch nie etwas gesagt. Erik selbst war ja immer der Letzte, der von einem Gerücht etwas hörte, und immer erst dann, wenn sämtliche Sylter längst Bescheid wussten.

»Mit einem dicken Kredit, nehme ich an«, antwortete Dombrowsky. »Adrian konnte ihr sicherlich nicht helfen. Aber scheinbar hat sie es geschafft, während er um jeden Auftrag kämpfen muss.«

Erik wollte nun eigentlich wieder weg von diesem Thema, aber Sören war mit einem Mal hartnäckig. »Bei Witta und ihrem Mann war das ähnlich. Er hat als Künstler nichts verdient, wahrend sie mit ihrer Physiotherapie gut im Geschäft war.«

Dombrowsky schien sich in diesem Thema, das nichts mit ihm zu tun hatte, wohlzufühlen. Eriks heimliche Frage, ob es ihn nervös machte, dass das anfängliche Verhör in ein scheinbar unverfängliches Geplänkel übergegangen war, hatte sich damit beantwortet: Dombrowskys Hände waren ruhig, seine Körperhaltung war entspannt.

Jetzt allerdings verriet er sich vielleicht doch. Er wollte den Fokus des Gesprächs komplett von sich weg auf Adrian Halliger lenken: »Merret hat keine Ahnung, wie wenig Adrian verdient. Ich bin seit Jahren sein einziger Auftraggeber. Und wenn ich kein Mitleid mit ihm hätte, bekäme er auch von mir keinen Auftrag mehr. Dann noch seine besonderen finanziellen Belastungen … davon weiß Merret auch nichts.«

Er schwieg, als wartete er darauf, dass er nach Einzelheiten gefragt wurde.

Sören tat ihm den Gefallen. »Was meinen Sie mit finanziellen Belastungen?«

»Alimente«, gab Dombrowsky zurück. »Vermutlich bin ich der Einzige, der von den Zwillingen weiß, die Adrian am Hals hat. Er konnte ja nie Nein sagen, wenn eine Frau ihm schöne Augen machte. Sandra Lührsen hat garantiert auch keine Ahnung, dass er ihr nicht lange nachgeweint hat. Der hatte schon kurz nach ihrer Verhaftung die nächste Affäre, noch bevor das Urteil gefällt wurde. Ich glaube, der kann einfach nicht anders.« Er grinste so verständnislos, als wäre er selbst noch nie in Versuchung geführt worden. »Aber er hatte immer ein schlechtes Gewissen, weil er es nicht schaffte, seiner Frau treu zu sein. Verrückt, oder? Er hat mir immer versichert, dass er seine Frau liebt. Und ich habe ihm das auch geglaubt. Aber …«

Erik starrte ihn an, ihm war, als käme noch etwas Entscheidendes. »Aber?«

»Ach, nichts.«

Wenn Erik etwas hasste, dann diese beiden Wörter, wenn jemand etwas sagen wollte und sich im letzten Moment anders entschied. Oft war es so, dass derjenige dann unbedingt gefragt werden wollte, um hinterher sagen zu können, er sei gedrängt worden, etwas Indiskretes zu äußern. Auf dieses Spielchen wollte er sich nicht einlassen. »Frau Halliger weiß nichts von den Unterhaltszahlungen?«, fragte er stattdessen. »Aber Sie wissen Bescheid?« Er machte keinen Hehl daraus, dass es ihm nicht glaubhaft erschien und er es darüber hinaus als charakterschwach befand, dass Dombrowsky so indiskret war.

»Das war Zufall«, gab Dombrowsky zurück. »Er hat sich mal verplappert, und ich hatte ein Telefonat mitbekommen. Da brauchte ich nur eins und eins zusammenzuzählen. Die Sache ist besonders pikant, weil Merret gern Kinder gehabt hätte, Adrian aber nicht wollte. Ich habe noch überlegt, ob ich Merret reinen Wein einschenken sollte, aber dann habe ich es doch gelassen. Geht mich ja nichts an.«

Erik kam so plötzlich auf den eigentlichen Grund ihres Besuchs zurück, dass Norbert Dombrowsky erschrak, wie Erik mit Genugtuung feststellte. »Noch einmal, Herr Dombrowsky: Sandra Lührsen war wütend auf Sie, nachdem sie festgestellt hatte, dass Sie ihrem Mann für das Grundstück der Schwiegermutter viel weniger bezahlt haben, als fair gewesen wäre.«

»Noch einmal, Herr Wolf: Ich habe mich mit Jesko Lührsen geeinigt und ihn entsprechend bezahlt.«

»Und wenn wir Ihnen das nicht glauben? Viel wahrscheinlicher kommt es mir vor, dass Sandra Lührsen Sie durchschaut hat.«

»Durchschaut? Was meinen Sie damit?«

»Das frage ich Sie. Ich denke, es gibt etwas, das ich nicht weiß. Irgendetwas, das diesen merkwürdigen Deal zwischen Ihnen und Jesko erklärt. Frau Lührsen hatte Sie in der Hand. Und Sie mussten die Frau zum Schweigen bringen.«

Norbert Dombrowsky sprang so plötzlich auf, dass Erik zusammenzuckte. Gleich darauf ärgerte er sich über sich selbst. Sören fuhr sogar in die Höhe und sah nun so aus, als wäre er damit ebenfalls unzufrieden. »Ich lasse mir von Ihnen keinen Mord anhängen«, sagte Dombrowsky gefährlich leise und hätte vermutlich geschrien, hätte er nicht verhindern wollen, dass sein ganzes Büro davon erfuhr. »Sie haben offenbar keine Beweise, nicht einmal Indizien. Also lassen Sie mich gefälligst in Ruhe. Kommen Sie wieder, wenn Sie mehr gegen mich in der Hand haben.«

»Es gäbe also noch einiges, was gegen Sie verwendet werden könnte?«, fragte Erik spöttisch und erhob sich ebenfalls.

Darauf antwortete Dombrowsky nicht. Er ging zur Tür und legte eine Hand auf die Klinke. »Und noch eins, Herr Hauptkommissar. Sollte Ihr Sohn irgendwelche Interna aus meinem Büro …«

»Wie sieht’s mit Ihrem Alibi aus?«, unterbrach Erik ihn. »Wo waren Sie gestern Abend ab achtzehn Uhr?«

»Zu Hause«, kam es prompt zurück. »Allein! Wollen Sie mir daraus etwa einen Strick drehen?«

»Auf Wiedersehen, Herr Dombrowsky«, unterbrach Erik ihn und ging an ihm vorbei, durch den Flur auf die Eingangstür zu. Sören folgte ihm, gemeinsam verließen sie das Grundstück Dombrowskys sehr zügig.