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Das Meer schäumte. Ein Wintermeer, ein Novembermeer, ein Meer, das Respekt erzeugte. Angsteinflößend war es eigentlich nicht, dazu war die Wucht der Wellenschläge zu regelmäßig, zu absehbar und ohne jede Gewalt. Das Wasser war grau mit vielen weißen Schaumkronen, so, wie sich am grauen Himmel gelegentlich weiße Wolken einmischten und dem Tag das Düstere nahmen. Auch ein schönes Meer. Eigentlich war das Meer immer schön, fand Erik, ob ruhig und blau, rau und düster, aufgewühlt und grau.

An der Uferpromenade war niemand zu sehen. Zwei Wanderer an der Wasserkante, ansonsten war alles menschenleer. »Hat Gosch überhaupt geöffnet?«, fragte Sören.

Erik war sich nicht sicher. Aber als sie von der Strandbar Sunsetbeach Richtung Kurzentrum liefen, war es schon bald zu erkennen: Neben der Musikmuschel standen zwei oder drei Personen in der typischen Haltung der Fischbrötchenesser, weit vorgebeugt, den überhängenden Fisch und die Zwiebelringe so weit wie möglich von der Kleidung entfernt.

Zehn Minuten später standen sie selbst so da, ebenfalls in der Nähe der Musikmuschel, die Schutz vor dem Wind bot. Erik hatte sich gerade die Hände an einer Serviette abgewischt, die ihm erstaunlicherweise nicht weggeweht war, da rief die Staatsanwältin an. »Was höre ich da? Schon wieder ein Mord auf Sylt?«

Erik erschrak. Ihm war noch nicht in den Sinn gekommen, Tilla zu verständigen. War sie etwa beleidigt?

Zum Glück war sie es nicht. Sie akzeptierte Eriks hastig vorgetragene Erklärungen, es sei so viel los gewesen, die neuen Vernehmungen, die vielen Überlegungen …

»Gehst du davon aus, dass es derselbe Täter war?«

Erik zögerte. »Da ich die Motivation nicht kenne, ist das schwer zu beurteilen. Wenn es derselbe Täter war, fällt Maart Bleicken aus, der sitzt noch. Heike Schrunz und Norbert Dombrowsky haben beide kein Alibi, kommen also infrage. Die Pflegerin erscheint mir besonders verdächtig, da sie sich ein Alibi besorgt hat. Dr. Hillmot hat es aber durchschaut.« Während er Tilla davon berichtete, gingen sie langsam wieder zurück. Mit ein paar Handzeichen verständigten sie sich darüber, dass sie ihren Kaffee lieber im Büro trinken wollten, wenn der Kaffee bei Gosch auch wesentlich besser war. Dann erzählte Erik von Adrian Halliger, der in der Nähe von Sandra Lührsens Grundstück gesehen worden war, und dem verdächtigen Abdruck auf dem Gemälde und an der Wand der Gästetoilette. »Ein Täter mit einem dicken Hintern, sagt Vetterich.«

Tilla lachte nicht. »Also eine Frau?«

»Auch Männer können einen dicken Hintern haben.«

»Du meinst also, da könnte sich jemand eingeschlichen haben, hat sich erst im Atelier, dann in der Gästetoilette versteckt und Sandra Lührsen ermordet, als alle anderen weg waren?«

»Schon möglich. Das Haus war eine Weile allen zugänglich, die Ateliertür hinten nicht verschlossen, als die Steine und die Brandfackeln flogen.«

»Einer der Kursteilnehmer?«

Sie waren jetzt wieder am Sunsetbeach angekommen, verließen die Uferpromenade und bogen in die Brandenburger Straße ein, die auf die Kreuzung zuführte, hinter der der Telekomturm und zu seinen Füßen das improvisierte Polizeirevier standen.

»Kann ich mir nicht vorstellen. Der Täter muss jemand sein, den Sandra Lührsen kennt.«

»Vielleicht hat Norbert Dombrowsky sich eingeschlichen? Oder Heike Schrunz? Hat die einen dicken Hintern?«

Diese Frage konnte Erik unmöglich beantworten. Sosehr er sich auch anstrengte, die Figur von Heike Schrunz wollte nicht vor seinem inneren Auge erscheinen. Schließlich sagte er: »Dick ist sie eigentlich nicht.«

»Und Norbert Dombrowsky?«

Erik dachte an die massige Figur des Immobilienmaklers und konnte sich in diesem Fall schon eher vorstellen, dass er ein ausladendes Gesäß hatte. Aber auch hier war er sehr unsicher. »Die beiden sind auf Sylt bekannt. Keiner von denen wäre das Risiko eingegangen, sich vor den Augen anderer Kursteilnehmer dort einzuschleichen, wenn er einen Mord begehen will.«

»Da waren doch nur Touristen. Die kennen weder eine Sylter Pflegerin noch einen Immobilienmakler.«

»Trotzdem … Sandra Lührsen hätte sie erkannt.«

»Der Angriff könnte provoziert worden sein, damit jemand die Gelegenheit bekam, in Sandra Lührsens Haus einzudringen. Sicherlich haben alle, als die Steine und Brandfackeln flogen, auf nichts anderes geschaut.«

Erik zögerte, dann sagte er: »Ja, das wäre möglich.«

»Dann musst du dich nur noch um ein Motiv kümmern.«

Erik seufzte. Wenn Tilla so was sagte, hörte es sich immer sehr einfach an. »Es gibt offenbar viele, die Sandra loswerden wollten, denen es nicht gefällt, dass sie freigekommen ist. Dombrowsky könnte sie vielleicht gefährlich geworden sein. Möglich, dass sie wusste, warum Jesko so wenig Geld für das Grundstück bekommen hat. Und Heike Schrunz … die könnte wegen der Kette zu Sandra Lührsen gegangen sein. Womöglich wollte sie ihr die Idee ausreden, sie hätte ihrer Schwiegermutter gehört. Dann ist es zum Streit gekommen …« Erik merkte selbst, dass seine Worte nicht besonders stichhaltig klangen. »Einen Grund muss sie ja haben, wenn sie glaubhaft machen will, dass sie Dr. Hillmot versorgt und in Wirklichkeit ihre Schwester schickt.«

»Was ist mit den Halligers?«

»Die sind auch verdächtig.« Sie hatten nun die Kreuzung überquert und gingen auf den Eingang der Wache zu. »Merret Halliger wollte Sandra Lührsen loswerden, weil sie um ihre Ehe fürchtete. Adrian Halliger vielleicht auch, weil Sandra ihn mit ihrer Liebe bedrängte und er nichts mehr von ihr wissen wollte.«

»Ach ja, weil er in Wirklichkeit nur seine Frau liebt«, kam es spöttisch von Tilla zurück.