Erik fuhr auf den Parkplatz, direkt der Eingangstür des Kosmetiksalons gegenüber. Als er ausstieg, stand Sören schon auf der Straße und sah sich um. »Hier ist nichts.«
Gemeinsam gingen sie auf das Kosmetikstudio zu, wo sich im Schaufenster jemand um die Dekoration bemühte. »Adrian Halliger«, sagte Erik erstaunt. »Was macht der denn hier?«
Sie betraten den Salon, erst in diesem Augenblick wurde Halliger auf sie aufmerksam. »Wollen Sie zu meiner Frau? Die muss jeden Augenblick kommen.«
Erik betrachtete interessiert die Päckchen, Tiegel und Tuben, die Adrian Halliger aus dem Schaufenster holte und auf einem Stuhl ablegte. »Was machen Sie da?«
»Ich helfe meiner Frau manchmal bei der Dekoration.« Er nahm etwas zur Hand, was Erik sehr schnell als eine der Treibholzskulpturen erkannte, wie Tove Griess sie zurzeit in Käptens Kajüte verkaufte.
»Auch von Paul Lührsen?«
Adrian warf dem Treibholz nur einen flüchtigen Blick zu. »Kann sein. Es macht sich ganz gut als Blickfang. Meine Frau hat es schon vor zwei oder drei Wochen ins Schaufenster gestellt, aber sie war nicht ganz zufrieden mit dem Gesamteindruck.« Er nahm das Treibholz und stellte es sorgsam ins Schaufenster, positionierte es um und drehte es dann noch einmal, bis er zufrieden war. »Mal sehen, ob ich das besser hinkriege.«
In diesem Augenblick wurde ein Fahrrad vorm Haus abgestellt, Merret Halliger erschien. Sie sah abgehetzt aus und atmete schwer. »Ich musste nur schnell was besorgen …« Sie wandte sich Erik und Sören mit aufgesetzter Höflichkeit zu. »Was kann ich für Sie tun?«
»Jemand hat den Notruf gewählt«, antwortete Erik und sah sich um, als könnte er in diesem Geschäftslokal etwas entdecken, was eine Alarmierung der Polizei rechtfertigte. »Ein Autofahrer will etwas Merkwürdiges beobachtet haben.«
Merret lachte und sah sich mit dem gleichen Blick um wie Erik. »Sehen Sie hier etwas Merkwürdiges?«
Erik schüttelte den Kopf, schaffte es aber nicht, sich zu verabschieden und zu gehen. Irgendetwas erschien ihm an diesem Ort unnatürlich. Adrian Halliger, der so tat, als wäre es für ihn selbstverständlich, die Schaufensterdekoration für seine Frau zu übernehmen, und Merret Halliger selbst, die auf ihre Armbanduhr schaute und sich nun betont unauffällig zu der Tür begab, hinter der sie ihre Kundinnen behandelte. Sie schien darauf zu warten, dass Erik und Sören wieder gingen. Sören war auch schon an der Tür, aber Erik wollte diesen Laden nicht verlassen, solange er nicht wusste, was ihn mit Argwohn erfüllte.
Schließlich machte Merret Halliger einen beherzten Schritt auf eine Tür zu, die breiter als die anderen beiden und überdies mit Türschmuck versehen war, einem dekorativen Kranz aus Rohrgeflecht. Links führte eine Tür in ein kleines Büro, Erik konnte einen Kopierer durch den Türspalt erkennen, hinter einer auffällig schmalen Tür schien es eine Teeküche zu geben.
»Ich muss jetzt die Behandlung fortführen.«
Sie drehte zu Eriks Überraschung den Schlüssel und öffnete die Tür. Erik machte einen Schritt vor. »Sie haben Ihre Kundin eingeschlossen? Und sie allein gelassen?«
Sie fuhr zu ihm herum, als wollte sie ihn nicht in den Raum blicken lassen. »Die Maske braucht noch ein paar Minuten«, behauptete sie und wollte die Tür wieder schließen. Dann setzte sie eine gekränkte Miene auf, die aber schlecht gespielt war. »Ich weiß genau, was meine Kundinnen wünschen. Absolute Ruhe …«
Aber Erik hatte genug gesehen. Er schob sie zur Seite und betrat den Raum. Er war leer. Und die Tür auf der anderen Seite, die nach draußen führte, war nur nachlässig zugeschoben worden. Es war kalt in dem Raum, der Novemberwind fuhr durch einen Spalt hinein. »Ist Ihnen Ihre Kundin weggelaufen? Weil sie sich hier allein gelassen gefühlt hat?«
Merret Halliger spielte die Rolle des Unschuldsengels ziemlich schlecht. »Natürlich nicht. Außerdem war die Kundin überhaupt nicht allein. Mein Mann war ja da und hat sich mit der Deko beschäftigt.«
»Und warum war sie eingeschlossen?«
»Weil ihr eine lästige Verwandte gefolgt war, vor der sie geschützt werden musste.«
Erik wurde stutzig. Er sah Sören an und merkte, dass er die gleichen Gedanken hatte wie er selbst. Lästige Verwandte? So was hatte er zurzeit zu Hause. Gab es noch mehr von dieser Sorte auf Sylt? Aber er kam nicht dazu, darüber nachzugrübeln, denn in diesem Moment quietschten Fahrradbremsen vor der Haustür. Seine Kinder standen kurz darauf in der Tür zum Kosmetikstudio.
»Was macht ihr denn hier?«
»Die Nonna schickt uns«, sagte Carolin.
Und Felix wies zu dem Treibholz, an dem Adrian soeben mit einer grünen Schleife eine Tube befestigt hatte. »Du solltest dir mal dieses Treibholz näher anschauen, hat sie gesagt. Das große, das im Zentrum steht.«
Erik fiel ein, was Dr. Antje Mikkelsen durchgegeben hatte: Sandra Lührsen war mit einem Holz erschlagen worden, das Treibholz gewesen sein konnte.
»Die Nonna sagt«, ergänzte Carolin, »dass dieses Treibholz gestern nicht hier war, heute Morgen aber wieder im Schaufenster dekoriert war.«
»Unsinn«, gab Adrian Halliger von sich, der bis dahin geschwiegen hatte. »Das Treibholz ist schon seit Wochen hier. Es wird Zeit, dass mal wieder umdekoriert wird.«
Erik sah seine Kinder an. »Die Nonna war hier?«
»Gesichtsbehandlung mit Peel-off-Maske«, bestätigte Carolin. »Sie muss wie eine verrückt gewordene Mumie ausgesehen haben, als sie abgehauen ist.«
Dass Violetta hinter dieser Flucht steckte, konnte Erik sich denken. Dass sie der Meinung gewesen war, das Haus würde bald in Flammen stehen oder darin eine Bombe explodieren, entlockte ihm nur ein Kopfschütteln. Ohne auf Merret Halligers Protest zu achten, rief er die Kriminaltechnische Untersuchungsstelle an und beorderte Kommissar Vetterich her.