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Die Fahrt zum Polizeirevier, die Formalitäten dort, die kurzen Wege, die für einen Verdächtigen viel länger waren, weil er sie nicht gehen konnte, wie er wollte, sondern von einem Polizisten geführt wurde, das Auf- und Abschließen von Türen, die strikten Anweisungen, so was veränderte einen Menschen, der nicht daran gewöhnt war, oft sogar in Minutenschnelle. So auch Adrian Halliger. Aber Schuld und Hilflosigkeit hatten dennoch an seinem attraktiven Äußeren nichts geändert. Adrian Halliger stand einfach alles, gestand Erik sich ein, Trauer genauso wie Heiterkeit.

»Wo ist meine Frau?«, fragte er, als er sich gesetzt hatte.

»Wir haben sie natürlich entlassen«, antwortete Erik. »Sie konnte nach Hause gehen.«

»Weiß sie, dass ich verhaftet worden bin?«

Erik nickte und fragte sich, warum Adrian Halliger diese Frage stellte.

»Weiß sie, dass ich ein Geständnis abgelegt habe?«

Erik zögerte. »Noch nicht. Sie haben bis jetzt auch noch kein Geständnis abgelegt. Sie haben nur …«

»… erklärt, dass ich Witta und Sandra Lührsen umgebracht habe. Beide! Ist das kein Geständnis?«

Er hatte recht. Das war ein Geständnis.

»Ich möchte, dass Sie meine Frau anrufen und ihr das mitteilen.«

»Warum?«

»Bitte tun Sie es. Vorher sage ich kein Wort.«

Erik warf Sören einen Blick zu, der sich sofort erhob und das Zimmer verließ. Nach einer Weile kehrte er zurück. »Ihre Frau lässt Sie grüßen.«

Adrian sah ihn überrascht an. »Sonst nichts?«

Erik und Sören warfen sich einen fragenden Blick zu. Worauf wollte Adrian Halliger hinaus?

»War sie nicht … erstaunt? Hat sie nicht gesagt … ich könnte unmöglich der Täter sein. Oder …?« Er blickte Sören kopfschüttelnd an. »Sie hat das einfach so hingenommen?«

Sören zuckte mit den Schultern. »Ja.« Er zögerte und fügte dann hastig an: »Sie war natürlich erschüttert.«

Adrian Halliger sackte in sich zusammen, als hätte er einen Schlag in die Magengrube erhalten. »Also gut. Dann … dann können wir anfangen.«

Erik stellte das Diktiergerät an und forderte Halliger auf: »Erzählen Sie. Beginnen wir vor fünf Jahren, beim Mord an Witta Lührsen.«

Adrian Halliger schlug die Augen nieder, schien sich konzentrieren zu müssen oder schaffte es aus anderen Gründen nicht, Erik und Sören ins Gesicht zu sehen. Aus Scham? Ja, Erik kam es so vor, als erfüllte Adrian Halliger das, was er nun sagen musste, mit großer Scham. Fünf Jahre waren vergangen, er hatte sich womöglich längst an das Schweigen gewöhnt, hatte sich vielleicht sogar an den Gedanken gewöhnt, dass ein anderer Mensch für seine Schuld bezahlen musste … da fiel ein Geständnis womöglich schwerer als direkt nach der Tat, wenn die Emotionen noch frisch waren, wenn der Hass noch schwelte.

»Ich brauchte Geld«, begann er und stockte schon.

»Warum?«, fragte Erik. »Verdienen Sie nicht genug? Ist Ihre Auftragslage schlecht? Oder gibt es finanzielle Belastungen, die unübersichtlich geworden waren?«

Adrian Halliger nickte. »Dreimal richtig. Es war leichtsinnig von mir, mich selbstständig zu machen, die Auftragslage war von Anfang an nicht gut. Ich habe nie genug verdient. Und außerdem habe ich Unterhaltszahlungen am Hals, von denen meine Frau nichts weiß. Zwillinge! Bis sie volljährig sind, darf ich jeden Monat zahlen. Und das nicht zu knapp. Mir scheint, ich zahle mehr, als ich müsste. Aber soll ich es auf einen Prozess ankommen lassen? Dann würde meine Frau davon erfahren.«

»Aber jetzt …«, begann Sören vorsichtig, »jetzt wird Ihre Frau wohl davon erfahren.«

»Auch schon egal.«

Erik schluckte sein völlig unangebrachtes Mitgefühl herunter. »Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Witta Lührsen um Geld zu bitten?«

Halliger lachte. »Bitten? Gebeten habe ich sie weiß Gott nicht. Die alte Schreckschraube hätte mir keinen Cent gegeben. Eingebrochen bin ich. Ich wusste ja, dass sie dienstags nie daheim war. Und dass sie viel Geld im Haus versteckt hatte, wusste ich genauso gut wie alle anderen.«

»Aber dann war sie plötzlich doch da?«

»Ja, stand mit einem Mal hinter mir und keifte los. So laut!« Er hielt sich die Ohren zu, als könnte er die Stimme Witta Lührsens nicht einmal in der Erinnerung ertragen. »Sie schrie und schrie, beschimpfte mich, nannte mich einen Versager …« Nun blickte er auf und nahm die Hände von den Ohren. »Da habe ich ihr eins übergebraten.«

»Womit?«, fragte Erik.

»Mit einem Kerzenleuchter. Da stand so ein hässliches, schweres Ding auf der Kommode.«

»Wo ist der Kerzenleuchter geblieben?«

»Den habe ich mitgenommen und weggeworfen.« Dann habe er aber nicht mehr die Nerven gehabt, Wittas Schränke zu durchsuchen, und sei abgehauen. »Ich war fix und fertig.«

Erik runzelte die Stirn. »Hatten Sie nicht gesagt, Sie seien zur Tatzeit mit einem Geschäftsfreund im Fitschen gewesen?«

»Da war ich auch. Aber etwas später.«

»Erst eine Frau erschlagen und dann gleich zu Fitschen am Dorfteich? Dafür braucht man Nerven.«

»Ich hatte noch Zeit, mich umzuziehen und frisch zu machen.«

»Trotzdem …« Erik betrachtete Adrian Halliger, seine vibrierenden Hände, seine zuckenden Augenlider, die bebenden Nasenflügel. Diese Kaltblütigkeit hatte er ihm nicht zugetraut. Aber manchmal, wenn das Leben oder die Sicherheit davon abhing, reagierten die Menschen ja wie Maschinen. Der Zusammenbruch kam oft erst später.

Dann erzählte Adrian Halliger von Sandra Lührsen, von seiner Angst, die eingesetzt hatte, als er zum ersten Mal davon hörte, dass es ein Wiederaufnahmeverfahren geben würde. Er hatte Angst vor dem Wiedersehen, fürchtete sich vor ihren Fragen und vor allem davor, dass sie ihn durchschaut hatte. »Kaum war sie wieder frei, ging es auch schon los. Sie rief mich an, wollte sich mit mir treffen … Dass meine Frau misstrauisch wurde, interessierte sie nicht. Meine Ehe war ihr egal. Ich glaube, sie wollte sogar, dass sie zerbricht.« Und schließlich habe sie ihm auf den Kopf zugesagt, dass er ihre Schwiegermutter getötet habe. »Angeblich hatte sie Beweise. Die wollte sie Ihnen vorlegen.« Er wirkte jetzt sehr erschöpft. »Ich brauche eine Pause. Kann ich mich irgendwo ausruhen?«