Adrian Halliger weinte. Hilflos saßen Erik und Sören da und betrachteten ihn, beide unfähig, den Tränenstrom zu unterbrechen oder zu stoppen.
»Meine Frau muss kommen«, schluchzte er wie ein Kind, das nach seiner Mutter ruft. »Sie kann mich doch hier nicht hängen lassen.«
Erik versuchte es sanft und mit leiser Stimme, nachdem er das Verhör zunächst kühl und schroff angegangen war. »Herr Halliger, Ihre Frau wird Ihnen nicht helfen können …«
»Doch!«, schrie er los, so heftig, so plötzlich, dass Erik erschrocken zusammenfuhr und Sören sogar zu seiner Waffe tastete. »Sie kann mir helfen. Nur sie!« Er fiel wieder in sich zusammen, wurde erneut klein und unscheinbar und schien nur noch aus Unglück zu bestehen. Aber es war nicht das Unglück über seine Taten, seine Reue, es war das Unglück, das über seine Ehe hereingebrochen war. Erik verstand es nicht. Dieser Mann hatte seine Frau anscheinend oft betrogen, hatte zwei außereheliche Kinder gezeugt, hatte jedes sexuelle Abenteuer mitgenommen, das sich bot, hatte keine Avancen abgelehnt – und jetzt weinte er nach seiner Frau? Dass er sie tatsächlich liebte, obwohl er sie ständig betrogen hatte, konnte Erik mittlerweile glauben. Aber für seine Klagen, weil sie nicht gekommen war, um ihm zur Seite zu stehen, hatte er kein Verständnis.
»Ihre Frau kann Ihnen nicht helfen«, wiederholte er. »Selbst wenn sie sich in der Wache meldet, wenn sie nach Ihnen fragt …«
»Sie kann mir helfen!« Wieder fuhr er auf und sah Erik derart hilflos an, dass er sich der Verzweiflung dieses Mannes einfach nicht entziehen konnte. »Nur sie! Das …«, er fiel wieder vornüber und legte die Stirn auf die Tischplatte, »… kann sie mir doch nicht antun«, flüsterte er.
Sören war bereit zu übernehmen, weil er sah, dass Erik nicht weiterwusste. Er versuchte nun, noch einmal auf Witta Lührsens Tod zu sprechen zu kommen, auf den Kerzenleuchter, von dem Adrian Halliger gesprochen hatte, auf die Stelle, an der Witta Lührsen zu Boden gestürzt war. Aber Erik merkte, dass Adrian Halliger gar nicht zuhörte. Und auch Sören selbst merkte es.
Erik übernahm wieder und ging nun zum Tod von Sandra Lührsen über, fragte Halliger, warum seine Geliebte sterben musste, wie sein Hass auf sie so groß werden konnte, dass er zugeschlagen hatte. »Sind Sie mit dem Treibholz in der Hand zu ihr gegangen? Oder war das Ganze eine spontane Handlung? Haben Sie das Treibholz bei ihr gesehen, haben es ergriffen und sie zum Schweigen gebracht?«
Adrian Halliger sah auf und wirkte mit einem Mal ruhiger. »Ich habe sie nie geliebt. Geliebt habe ich immer nur meine Frau. Sandras Gefühle für mich waren stärker als meine für sie.« Mit einem Mal sprach er sehr sachlich. »So was wird oft zum Problem, wenn man Affären hat. Eine Frau, mit der man ins Bett geht, glaubt, dass es in der Ehe nicht stimmt, dass sie es schaffen kann, die Ehefrau auszubooten.«
Er schwieg eine Weile und schien in eine Erinnerung abzudriften, aus der Erik ihn schleunigst zurückholen wollte. »Bei Ihnen war das undenkbar?«
»Ich hätte Merret nie verlassen.« Die folgenden Sätze formulierte er nur mühsam: »Wenn ich für Sandra auch nur eine unbedeutende Bettgeschichte gewesen wäre, so wie sie für mich, dann hätte sie meinen Namen in der Gerichtsverhandlung vielleicht erwähnt. Möglicherweise hätte sie Jesko dann vorgeworfen, dass er sich an ihr rächen wollte, weil er von ihrem Seitensprung wusste. Vielleicht …« Seine Finger tasteten fahrig über die Tischplatte. »Vielleicht hat Sandra gehofft, dass ich ihr helfe.«
»Wie hätten Sie ihr helfen können?«
Eriks Frage konnte nicht mehr beantwortet werden. Die Tür öffnete sich, und Enno Mierendorf trat ein. Er kam zu Erik und flüsterte ihm ins Ohr, weil er nicht wollte, dass Adrian Halliger mitbekam, was er sagte: »Im Kosmetikstudio Halliger ist schon wieder was los. Der Alarm wurde ausgelöst.«