Marie Sophie Godebska, geschiedene Natanson, geschiedene Edwards, war im Alter von siebenundvierzig eine unverändert schöne Frau von atemberaubender Eleganz. Die musische Erziehung im Haus ihrer Großmutter bei Brüssel und der Umzug des Backfisches mit seinem polnischen Vater nach Paris sowie der frühe Kontakt zu den bedeutendsten Künstlern der sogenannten Belle Époque hatten ihren Geschmack geprägt. Dieser Schönheitssinn gepaart mit großer Intelligenz machte Misia, wie sie genannt wurde, zu einer Ausnahmeerscheinung. Durch das Vermögen ihres zweiten Mannes und die Beziehung zu dem berühmten spanischen Maler José Sert avancierte sie schließlich von der Muse zur Königin der Pariser Gesellschaft und zur Mäzenin. Es waren indes ihre Liebenswürdigkeit und ihr Freiheitsdrang, die sie zwei Jahre nach ihrer ersten Begegnung zur engsten Freundin von Gabrielle Coco Chanel machten.
Als sie sich an diesem trüben Winternachmittag von ihrem Chauffeur nach Saint-Cucufa fahren ließ, war sie nicht nur auf dem Weg zu einem Kondolenzbesuch, sie sah sich eher auf einer Mission als Lebensretterin. Alles, was sie über das Seelenheil der Trauernden gehört hatte, war beängstigend. Natürlich brauchte Coco Zeit, sich ein Leben ohne Boy einzurichten. Aber deshalb sollte sie nicht zu einem Schatten ihrer selbst werden.
Ihr Zustand war offenbar so alarmierend, dass sich Joseph mit einem Hilferuf an Misia gewandt hatte. Wenn Coco schwarze Messen abgehalten oder Geisterbeschwörungen betrieben hätte, wäre Misia nicht so aufgebracht wie über den Hinweis, dass Mademoiselle ihren Verstand verlöre. Wie verzweifelt musste der Diener sein, sich so zu äußern? Außer Étienne Balsan wusste keiner über Cocos Zustand Bescheid. Seit ihrer Rückkehr von der Côte d’Azur hatte sie niemand gesehen, ihr Modehaus blieb in den Weihnachtsferien geschlossen.
Von größten Sorgen getrieben, wollte Misia die Vorgänge in La Milanaise selbst in Augenschein nehmen. Während ihr Wagen die Auffahrt hinaufglitt, betete sie, dass sie nicht zu spät kam. Wofür auch immer. Vor allem wahrscheinlich, um Coco vor sich selbst zu schützen.
Joseph öffnete die Tür. »Gut, dass Sie da sind, Madame«, stieß er erleichtert hervor. Seine gepressten Worte waren trotz des anschwellenden Bellens und Winseln hinter ihm deutlich vernehmbar.
Er nickte Misia entschuldigend zu, bevor er die Stimme hob, um die Hunde zurechtzuweisen: »Couche! A place!«
Die zwei Schäferhunde gaben sofort Ruhe und traten den Rückzug zu ihren Decken im hinteren Bereich der Villa an, nur die beiden kleinen Terrier, ein Geschenk von Boy an die Hausherrin, kläfften weiter und strichen neugierig um die Beine der eintretenden Besucherin.
»Wie geht es Mademoiselle Chanel?«, fragte Misia, den Blick auf Pita und Popee gesenkt.
Joseph half ihr aus dem Pelzmantel. »Mademoiselle erscheint mir gänzlich von Sinnen. Bei ihrer Rückkehr aus Südfrankreich verlangte sie, die Wände ihres Schlafzimmers schwarz zu streichen. Stellen Sie sich das bitte vor, Madame! Schwarz. Pechschwarz.« Er schüttelte den Kopf. »Sie lebte in ihren Gemächern wie in einer Gruft. Sie schloss sich ein und wollte keine Mahlzeit zu sich nehmen. Es war schrecklich.«
»Lebte?« Die von Joseph benutzte Vergangenheitsform ließ Misia sogar die Sorge um ihre Seidenstrümpfe vergessen, die gerade den Krallen einer Terrierpfote ausgesetzt waren. »Was ist mit Mademoiselle geschehen?«
»Eben kam sie herunter und wies mich an, den Maler zu bestellen. Jetzt soll er ihr Schlafzimmer rosarot streichen. Bis dahin will sie es nicht mehr betreten. Doch ich frage mich, ob ein Pink die bessere Wahl für Mademoiselles Gemüt ist …«
»Wo ist sie jetzt?«, schnitt Misia die Überlegungen des Dieners ab.
»Im Salon, Madame.« Joseph bückte sich und klemmte sich unter jeden Arm einen kleinen, zappelnden Hund. »Wenn Sie mir bitte folgen möchten.«
Misia warf einen flüchtigen Blick auf ihre schmale Fessel, die unter ihrem knöchelkurzen Rock hervorlugte. In ihrem Seidenstrumpf breitete sich ein kleines Loch zu einer Laufmasche aus. Ein ärgerliches Malheur. Aber natürlich vollkommen unwichtig angesichts des Elends jenseits der Salontür, die Joseph nun umständlich öffnete.
Misia fühlte sich innerhalb von Sekunden wie in einem Eiskeller gefangen. Obwohl im Kamin des Wohnzimmers ein frisch geschürtes Feuer loderte – Joseph oder seine Frau Marie kümmerten sich fürsorglich um Coco –, herrschte eine Atmosphäre, die sie unverzüglich frösteln ließ.
Coco saß – nein, kauerte – in einem Sessel und starrte vor sich hin. Blicklos. Leblos. Bei Misias Eintreten flatterten ihre Lider kurz, aber sie sah nicht wirklich auf, ihre Augen wirkten trübe. Ihr Gesicht war so weiß wie die Seide ihres Schlafanzugs, den sie trotz der späten Tageszeit noch trug. Sie war schon immer sehr schlank gewesen, aber jetzt erschien sie Misia einfach nur dünn. Ausgemergelt. Wahrscheinlich hatte Coco seit Tagen nichts gegessen.
»Liebste, ich bin untröstlich«, Misia beugte sich hinunter, um ihre Wange kurz gegen Cocos Wange zu legen und einen Kuss in die Luft zu hauchen. »Es tut mir so leid«, fügte sie hinzu, als sie sich wieder aufrichtete und sich nach einem Sitzplatz umsah. Schließlich ließ sie sich auf dem Sofa nieder. Sie drehte das Bein in dem kaputten Strumpf so, dass man den Schaden nicht gleich bemerkte.
Doch Coco hatte kein Interesse an Äußerlichkeiten. »Danke, dass du gekommen bist«, erwiderte sie matt. »Was kann Joseph dir bringen? Kaffee? Ein Glas Wein?« In ihrer Reichweite stand eine unberührt wirkende Tasse Tee auf einem Beistelltisch, der Inhalt war vermutlich bereits kalt.
»Solange du nichts zu dir nimmst, möchte ich auch nichts.«
Coco nickte stumm.
»Es ist schwer für dich. Natürlich. Aber, Liebes«, Misia suchte nach Worten, dann: »Du musst wieder zu dir kommen. Wir machen uns alle schreckliche Sorgen um dich.« Sie sagte nicht, wen sie in das Personalpronomen mit einschloss.
Wieder nickte Coco, doch diesmal sprach sie: »Heute Morgen war die Trauerfeier für ihn in der Kirche an der Place Victor Hugo.« Sie starrte weiter vor sich hin, blickte nicht einmal zu Misia hin, sondern sah vermutlich irgendwo in der Ferne ihrer Gedanken Boy vor sich. »Étienne sagt, die Beisetzung findet auf dem Friedhof von Montmartre statt …«
»Ich weiß«, sagte Misia leise. Sie hatte kurz vor ihrer Abfahrt nach Saint-Cucufa von einer anderen Freundin gehört, dass Boys Witwe dem Gottesdienst ferngeblieben war. Wahrscheinlich hatte Diana damit gerechnet, dass Coco kommen würde, doch auch die hatte nicht an der Gedenkfeier teilgenommen.
Als habe sie ihre Gedanken gelesen, fuhr Coco fort: »Ich wollte nicht hingehen, weil mein Platz irgendwo weit hinten in der Trauergemeinde gewesen wäre. Diesen Triumph über unsere Liebe habe ich ihr nicht gegönnt … War das ein Fehler, Misia?« Endlich sah sie zu der Freundin auf.
Misias Herz zog sich zusammen, als sie des Schmerzes, der Verzweiflung in Cocos Blick gewahr wurde. »Sicher nicht«, meinte sie und rutschte auf die Sofakante, um die Hand ihrer Freundin zärtlich zu streicheln. »Du hast immer getan, was du in dem jeweiligen Moment für richtig gehalten hast, und es hat sich tatsächlich im Nachhinein immer als richtig erwiesen. So wird es diesmal auch sein. Deine Intuition ist eine deiner größten Stärken. Ich bewundere dich dafür.«
»Boy war das Wichtigste für mich. Wir waren eine Einheit, wir verstanden einander ohne Worte.«
»Ich weiß«, wiederholte Misia. Die beiden Freundinnen waren etwa zur selben Zeit der Liebe ihres Lebens begegnet. Als Coco und Boy sich verliebten, kannte Misia die beiden zwar noch nicht, aber damals – vor zehn oder elf Jahren – hatte sie sich in José Sert verliebt. José war für Misia, was Boy für Coco gewesen war – und die Vorstellung, dass sie den Geliebten von einem Tag auf den anderen für immer verlieren könnte, war so furchtbar, dass sie Cocos Qualen nicht nur nachvollziehen konnte, sondern mit ihr litt.
Sie musterte die Freundin, die mit jedem Moment, der verstrich, kleiner zu werden drohte. Da war dieser körperliche Verfall, aber dem Wahnsinn schien Coco nicht nahe. Was immer sie sich dabei gedacht hatte, die Wandfarbe in ihrem Schlafzimmer so drastisch zu verändern, den Verstand hatte sie anscheinend nicht verloren. Doch ganz offensichtlich befand sie sich in einem beängstigenden Zustand. Wie viele Frauen waren schon an einem gebrochenen Herzen gestorben?, sinnierte Misia. Im Großen Krieg hatte es nicht annähernd so viele tote Frauen gegeben wie gefallene Soldaten. Jedenfalls war nichts darüber bekannt. Es ist unsere Pflicht, zu überleben, fuhr es ihr durch den Kopf. Nur durch unsere Liebe können die Toten in unserer Erinnerung lebendig bleiben.
»Boy war großartig«, hob sie an. »Daran besteht kein Zweifel. Deshalb würde er wollen, dass du dort weitermachst, wo ihr gemeinsam aufgehört habt. Um seinetwillen.«
Aus Coco sprach die pure Verzweiflung, als sie aufbegehrte: »Aber wie sollte ich irgendetwas ohne ihn tun können? Ich bin nichts ohne ihn!«
»Du bist noch immer alles, was Boy geliebt hat.«
Coco sah Misia verwundert an. Als sei ihr noch gar nicht bewusst gewesen, dass Boy auf gewisse Weise in ihr, durch sie weiterleben könnte.
Froh, die starre Fassade der Trauer zumindest für diesen Moment durchbrochen zu haben, redete Misia rasch weiter: »Du hast erst kürzlich das Haus Nummer einunddreißig in der Rue Cambon bezogen – fünf Etagen Chanel, und es ist noch nicht einmal alles eingerichtet. Boy hat mir erzählt, dass du mit der neuen Adresse erstmals im Handels- und Gesellschaftsregister als Couturier und nicht als Putzmacherin gelistet bist. Er war so stolz auf dich. Du kannst das nicht aufgeben, weil dich deine Trauer lähmt …«, sie unterbrach sich, drückte kurz Cocos Hand und fuhr dann fort: »Natürlich ist dir Schreckliches widerfahren. Aber siehst du es nicht als Pflicht an, eure gemeinsamen Pläne zu verwirklichen? Du musst es allein tun. Ja. Aber du musst es tun. Schau nach vorne, Coco!«
Sie legte eine Pause ein, wartete auf Cocos Zustimmung, doch die Freundin schwieg, sah sie aus ausdruckslosen Augen an. Deshalb setzte sie nach einer Weile eindringlich hinzu: »Liebes, ich lasse dich auf diesem Weg nicht allein. Wenn du mich brauchst, werde ich für dich da sein. Das verspreche ich dir.«
Cocos Blick schweifte ab, als suche sie irgendwo in der Ferne nach einer Antwort. Ihr Körper schien sich aufrichten zu wollen, doch es gelang ihr unter der Last ihrer Trauer noch nicht.
»Worüber habt ihr zuletzt gesprochen?«, fragte Misia. Sie schickte ein stilles Gebet in den Himmel, Gott möge ihr die Eingebung schicken, mit der sie Coco aus ihrer Lethargie befreite. Auf gut Glück fügte sie hinzu: »Ich meine, welche geschäftlichen Pläne hattet ihr?«
»Ich weiß es nicht mehr. Misia, ich erinnere mich nicht mehr, worüber wir im Detail gesprochen haben. Da war so vieles …« Verzweifelt versuchte Coco, nach etwas in ihrer Erinnerung zu greifen, aber es gelang ihr nicht. Eine Träne stahl sich aus ihren Augen, und sie wischte über ihr Gesicht, als wollte sie ein lästiges Insekt entfernen. Plötzlich kam ein wenig Leben in ihre Züge. »Es ging um ein Parfüm. Doch, ja, wir unterhielten uns über ein Toilettenwasser.«
Misia sprach ein stummes Dankesgebet und wartete.
Cocos Stimme klang seltsam monoton, fast erstaunt, als wunderte sie sich, wie gut ihr Gedächtnis mit einem Mal funktionierte: »In der Zeitung stand etwas über diesen Frauenmörder, der nur deshalb gefasst wurde, weil ihn eine Zeugin an seinem Duft erkannte. Der Mann benutzte Mouchoir de Monsieur von Jacques Guerlain, und Boy und ich sprachen über die Einzigartigkeit dieses besonderen Parfüms. Wir überlegten, ob ich meinen Kundinnen nicht ein Eau de Chanel anbieten sollte. Nicht in den Boutiquen, sondern als Präsent zu Weihnachten. Eine Auflage von einhundert Flakons …« Ihre Stimme brach.
Misia war sich im Klaren darüber, dass es für Coco niemals wieder ein sorgloses Fest geben könnte, an dem sie nicht an Boys Unfall erinnert würde. Aus Furcht, die Freundin würde wieder in ihrem Meer aus Traurigkeit versinken, plapperte sie munter drauflos: »Nun, ein Duft ist ein Geschenk für alle Zeiten. Das ist eine wunderbare Idee. Sieh dir nur François Coty an: Mit Chypre hat er ein Vermögen verdient, weil die amerikanischen Soldaten den Flakon millionenfach als Souvenir aus Frankreich nach Hause schickten oder beim Truppenabzug mitnahmen. Deine Kundinnen werden ein Eau de Chanel lieben …«
»Monsieur Coty ist Parfümeur. Er besitzt eine Fabrik. Ich bin nur eine kleine Schneiderin.«
»Sei nicht albern, Liebes.« Misia begann sich zunehmend für das Thema zu erwärmen. Sie ließ Cocos Hand los, um aufgeregt gestikulierend fortzufahren: »Paul Poiret ist auch nur Modeschöpfer …«
»Aber der größte …«
»Poirets Prominenz hat bisher nichts an deinem Ehrgeiz geändert und sollte es auch in Zukunft nicht tun. Wichtig wäre, eine Duftnote zu finden, die so einzigartig wie deine Mode ist. Keine schweren Parfüms, die vor allem nach Rosen riechen. Paul Poirets Parfum de Rosine ist nichts anderes als ein anderer Sinneseindruck seiner Kreationen. Das ist nicht mehr der letzte Schrei. Du bist erfolgreich, Coco, weil …«
»… weil ich Boy an meiner Seite hatte.«
Misia stöhnte innerlich auf. »Ja, natürlich, auch. Aber mit Verlaub, Coco, er hat deine Kleider nicht entworfen. Es sind deine Ideen, die so modern sind. Vor allem deshalb bist du erfolgreich. Und wenn du bei der Wahl der Aromen für ein Toilettenwasser die Besonderheit deines Stils berücksichtigst, wirst du Boys Andenken ein Denkmal setzen.« Atemlos hielt Misia inne, verknotete die Finger in ihrem Schoß und wartete auf Cocos Reaktion.
»Du hast recht. Den Gedanken hatte ich auch schon: Ich werde ein Denkmal für Boy errichten lassen. Aus Stein. Am Unglücksort. Ich möchte einen Platz des Erinnerns für ihn schaffen.«
»Sieh in die Zukunft, Coco! Bitte, wende den Blick nicht zurück. Für Boy. Für mich. Du kannst nicht einfach aufgeben.«
Gedankenverloren fuhr sich Coco mit der Hand durch das Haar. »Ich sage ja nicht, dass ein Eau de Chanel keine gute Idee wäre. Meine Güte, es war Boys Vorschlag – wie sollte ich annehmen, dass er nicht wunderbar war? Aber ich kann das nicht tun. Ich kann Hüte entwerfen und Kleider nähen, aber ich habe nicht die geringste Ahnung von der Arbeit eines Parfümeurs. Das ist ein besonderes, ein ganz spezielles Fach. Ich schaffe das nicht allein. Und ich wüsste niemanden, der mich in dieser Sache unterstützen könnte. Ich müsste dieser Person unbedingtes Vertrauen schenken. Boy hätte mir geholfen. Aber Boy ist nicht mehr da, um mit mir gemeinsam herauszufinden, wie mein Duft sein soll.«
Misia bezweifelte, dass der kunstinteressierte, literarisch gebildete Arthur Capel die geeignete Person gewesen wäre, Coco mit den Arbeitsprozessen in einem chemischen Laboratorium vertraut zu machen. Sie überging ihre Bedenken und entschied sich, die Sache in die Hand zu nehmen. »Yvonne Coty ist eine gute Freundin. Du kennst sie doch auch, nicht wahr? Kauft sie nicht sogar bei dir? Wie auch immer: Ich könnte sie bitten, mit ihrem Mann zu sprechen. François Coty wird dich gewiss unterstützen. Er kann keiner Frau einen Wunsch abschlagen, und niemand kann dich besser in die Geheimnisse der Düfte einweisen als der weltweit größte Fabrikant von Kosmetikartikeln.«
»Als wir darüber sprachen, meinte Boy, François Coty sei der Beste, um ein Eau de Chanel herzustellen«, murmelte Coco.
»Wie recht er hatte.«
Coco sah Misia aus großen, unergründlichen Augen an. »Warum sollte ein vielbeschäftigter Mann wie Monsieur Coty Zeit für mich aufbringen? Man sagt, er sei ein Tyrann.«
»Aber ein sehr charmanter Tyrann.« Misia schmunzelte. »Weißt du, auch ein François Coty hat seine Schwächen. Yvonne erzählte mir, wie wichtig es ihm ist, Eindruck zu machen. Wie dieser Großherzog in Stendhals ›Die Kartause von Parma‹: Je bekannter die Person ist, die Coty mit seinen Fähigkeiten beeindrucken kann, desto besser. Und was ist beeindruckender als eine berühmte Frau, die zum Andenken an ihren Geliebten dessen letzten Willen erfüllen möchte?«
Erstaunlicherweise kam ein wenig Farbe in Cocos bleiche Wangen. »Ein Parfüm zur Erinnerung an Boy. Das ist etwas anderes als ein Monument …«
»Wenn du einen besonderen Duft findest, ist es ein Monument. Ein Denkmal für eure Liebe.« Erstaunt lauschte Misia dem Nachhall ihrer Worte. Wie war sie nur auf diese Formulierung verfallen? Ein Engel musste sie ihr zugeflüstert haben. Es war genau der richtige Gedanke, um Coco aus ihrer Lethargie zu reißen.
»Vielleicht. Ja. Aber dafür müsste ich einen ganz besonderen Duft finden.«
»Du sollst das beste Parfüm der Welt bekommen.« Misia strahlte. Sie überlegte, ob es in der antiken Mythologie eine Gottheit der Wohlgerüche gab. Bedauerlicherweise wusste sie es nicht. Doch einerlei, ob es diese gegeben hatte oder nicht, Cocos Lebensglück war zu wichtig, um es den irdischen Mächten zu überlassen: In Gedanken sandte Misia einen bedeutungsvollen Schwur an alle Götter, die ihr gerade einfielen.
»Zunächst einmal werde ich einen Termin mit François Coty für dich vereinbaren. Ich bin sicher, nach eurem Treffen wird alles ganz einfach sein.«